"Da
machte sich auch auf Joseph" (Lk 2, 4 a)
[Deutschsprachige
Evangelische Gemeinde, Antwerpen, 24/12/2011]
Einleitung
Predigt
Es weihnachtet sehr
Das Bedürfnis nach Wurzeln [nach Margot Käßmann]
Was nur bringt erwachsene Menschen dazu, auf einmal
diese große Sehnsucht zu entwickeln, bloß weil ein Fest ansteht?
Da wird eingekauft, versteckt, das Haus dekoriert, ein Speiseplan
erstellt, die lang ersehnte Heimreise geplant. Eigentlich sind wir
doch alle genervt von Weihnachten.
"Driving home for Christmas" dudelt uns allüberall
aus den Lautsprechern an. Wir sind abgeklärt, wollen uns
dem entziehen. Geht es doch darum, sich zu besinnen auf die
wirklichen Fragen und Werte von Weihnachten, sagt die
Stimme der Vernunft.
Aber die Stimme des Herzens sagt: Ich möchte Weihnachten
zuhause sein. Advent und Weihnachten rühren tiefe Gefühle
an.
Da ist die Sehnsucht nach Heimat: Ich möchte
mich verwurzeln, wissen, wohin ich gehöre. Da ist die Sehnsucht
nach ein Zuhause: Ich wäre gern zusammen mit Menschen, die mich
annehmen, wie ich bin. Da ist die Sehnsucht nach Sinn, nach 'Mensch-werdung'…
Weihnachten bietet uns jedes Jahr wieder die Gelegenheit
uns davon bewusst zu werden: Stehend an der Krippe kann auch unsere
Menschlichkeit neu geboren werden...
Predigt
Liebe Gemeinde,
Es ist nur ein unauffälliger, scheinbar beiläufig
verwendeter Ausdruck, wenn in der Weihnachtsgeschichte gesagt wird:
"Da machte sich auch auf Joseph..."
Aber das unbedeutete Wörtchen, auch, hat
mich zu einigen Gedanken inspiriert, die ich euch Heute zu Bedenken
mitgeben möchte. Drei, um genau zu sein… denn alle Guten Dinge sind
drei, und ein Sermon soll – wie man weiss – aus drei Stücken bestehen.
1. Erstens, das Wort "auch" erinnert uns daran,
dass Joseph und Maria nicht die Einzigen waren, die ihr Haus verlassen
mussten um geschätzet zu werden. Es gab viele, ja sogar – wenn man
Lukas glauben kann – sollten alle Leute im Römischen Reich, von
Gallien bis Ägypten registriert werden. D.h. sie sind nicht außergewöhnlich.
Sie bekommen auch keine spezielle Behandlung. Auch sie musten gehen
und haben die Unruhe und Unannehmlichkeiten der Schätzung erfahren.
Nichts Besonderes, zusammen mit der Masse, aufgejagt durch den Willen
eines fernen Herrschers, der nur wissen wollte, wie es mit dem Geld
und dem Besitz seiner Untertanen steht.
Eine Heimsuchung war es, und um Geld ging es… auch
damals schon. Die Engel haben Maria auch nicht durch den Dornwald
getragen, weil Jesus von ihr geboren werden sollte, "Nein“:
Keine Vorzugsbehandlung für die auserwählte Magd,
keine Vorzugsbehandlung demnächst für ihr Kind.
Die Engel, die Hirten, die Krippe, die Herberge,
es spielte alles in unserer normalen Welt.
Die Eltern Jesu sind wie alle Anderen, Menschen,
die den kaiserlichen Befehlen gehorchen mussten und sich vor 2000
Jahren auf den Wege gemacht haben.
Jedermann ging… und auch sie…
2. Das war der erste, jetzt der zweite Gedanke:
Joseph folgte also dem "Auftrag des Kaisers." Da
hängt jetzt ein Schild an der Tür seiner Tischlerei: „Auf Grund
familiärer Verpflichtungen und steuerliche Registrierung geschlossen,
bin erst im neuen Jahr zurück…
Joseph von Galiläa beugt
sich dem Willen des Kaisers Augustus und dessen Prokurators Quirinius.
Aber, bei weitem nicht alle Juden beugten sich.
Es gab auch die, die sich zurückzogen in die Berge und Widerstand
leisteten gegen den Kaiser und seinen Armeen trotzten, mit Angriffen,
und Attentaten, genau in dieser selbigen Zeit…
Die Zeloten, Freiheitskämpfer, so nannten sie sich
selber, Terroristen sagten die Römer.
Lukas hat es beschrieben in seinem zweiten Buch,
die Apostelgeschichte 5,37 : "In den Tagen der Schätzung, stand auf
Judas der Galiläer, und erwarb einen großen Anhang."
Ein Rebell – Juda von Galiläe, ein Landsmann
Josephs, und Einer mit messianischen Ansprüchen. Joseph von Galiläa,
der Vater des wahren Messias, tut das nicht, er tut genau das Gegenteil.
Er gehorcht und geht nach Bethlehem...
Warum?
Das wissen wir nicht. Vielleicht weil er etwas ‚zu
verlieren hat‘? Wir denken immer, dass Joseph und Maria arme Leute
waren, aber darüber sagt das Evangelium nichts. Wir wissen nur,
dass er „von dem Hause und Geschlechte Davids war“.
Vielleicht ist die Familie "Joseph" gar nicht so
arm wie wir immer annehmen. Das ist nur eine Extrapolation aufgrund
des Stalls, der Krippe… und wird nur vermutet, weil es so viel Raum
für Sentimentalität bietet.
Vielleicht war Joseph normal begütert und ist er
nach Bethlehem gezogen, um seinen Besitz sicher zu stellen, um sein
Erbteil korrekt zu registrieren, um zu vermeiden, dass er nachträglich
zu viel Steuern zahlen müsse.
Alltäglicher ist nichts denkbarer.
Am Tage bevor der Messias kommt, sind die Leute
beschäftigt mit Sachen wie: Wie finde ich Unterschlupf in einem überfüllten
Dorf? Wie werde ich demnächst die Formularen ausfüllen ? Wird mein
vermessungsamtliche Einkommen nicht zu hoch geschätzt?...
Und dann, wenn der Himmel sich wirklich öffnet,
dann… schlafen sie fast alle, und bemerken es gar nicht...
wie symbolisch.
3. Das war zwei, jetzt Gedanke drei (die Auswirkung
von 2)
Die Szene, die Lukas 2 aufruft, bezieht sich auf
viel mehr Menschen, als die, die mit Namen genannt werden.
Zum Beispiel die Person, die die Räume der Herberge
verplant ,und die die Tür vor Joseph und Maria geschlossen hält
mit der Bemerkung: Kein Platz !
Oder diejenige, die später Mitleid bekommen und
gesagt hat, Kommt, da gibt’s noch den Stall…
Es gibt sogar eine Menge Leute, die sich gar nicht
erfassen lassen: die Mitreisenden von Joseph und Maria, die auch
nach Bethlehem gekommen sind.
Beamte, die die Befehle des Kaisers durchführen
und das Ganze verwalten: Es gab gute Leute, es gab schlechte, hilfsbereite
und abgestumpfte…
Und auf der anderen Seite sind da die Menschen,
die hoffen, dass es auch jemand gibt, der ihnen bei den Formularen
helfen will, oder Andere, die sich ins Fäustchen lachen ,weil sie
die Beamten so schön hinters Licht geführt haben.
Sie sind uns alle nicht unbekannt.
Es ist eine sehr gewöhnliche, menschliche Welt,
dort wo Jesus geboren wird.
Und : ist das nun "das Volk das im Finstern wandelt"
und "wird es ein großes Licht sehen"? Ist das nicht allzu trivial für solche großen Worte?
Zu irdisch für himmlische Engel... ?
Menschlich, allzu menschlich
ist es.
Solche Leute – und gibt es andere? – warten doch
gar nicht darauf, dass Gott den Himmel zerreisst und kommt
um sie zu retten?
Aber ach… - gibt es andere ? Wir ? Sind wir so viel
besser? Leben und erleben wir die Welt so anders. Sind wir nicht auch voll von vielen Dingen, und
fragen nicht immer nach Gottes Willen? Ist unsere Lebensvision breiter, größer, tiefer,
wahrhaftiger als die anderer Leute?
Sind wir – wenns hart auf hart kommt - nicht fast
alle, nur Menschen, mit einem beschränkten Gesichtskreis,
nicht besonders liebenswert, nicht ganz verächtlich, einfach ‚nur‘
Menschen?
Liebe Gemeinde,
ich denke, dass vielleicht genau dies auch eine
Fazette der frohen Botschaft von Weihnachten sein kann:
Genau inmitten solcher gewöhnlichen Menschen, beschäftigt
mit ihren eigenen Sorgen, beladen mit ihrer eigenen Belastung, konzentriert
auf "Leben, Überleben, leben lassen"... genau dort wird Christus
geboren ... obwohl niemand nach Ihm fragte, obwohl - symbolisch
- es keinen Raum gab für Ihn und seine Familie in der Herberge.
Das kann man als Zeichen dafür sehen, dass Gott
diese Welt, in ihrer arglosen Schuld und unbewusste Not, voll
Menschen, die die Perspektive des göttlichen Heils nicht sehen,
und sich nicht bewusst sind, dass die "Fülle der Zeit" angebrochen
ist, … dass Gott diese Welt so sehr geliebt hat, dass er
seinen eingeborenen Sohn gab… dass sie nicht verloren gehe.
Über dieser Welt geht in der Weihnachtsnacht der
Himmel auf und wird der Frieden verkündet… auf Erden.
Dieser Friede wird versteckt, bestritten, geleugnet,
ignoriert und vernachlässigt werden…, Das verstehen wir: Die Welt
ist leider, immer schon, mit anderen Dingen beschäftigt…
Aber das bedeutet nicht, dass es diesen Friede nicht
gibt.Gott scheint manchmal / oft tief / in unserer Dunkelheit
verborgen…Aber das bedeutet nicht, dass Er nicht da ist…
Er ist immer noch da ... Wir müssen nur lernen mit
anderen Augen zu sehen, mit anderen Größen zu rechnen, mit anderen
Werten zu messen. Wie Maria es gelernt hat (sie behielt alle diese
Worte in ihrem Herzen) und wie die Hirten und später die alte Simeon
und Anna es gelernt haben.
Ihr Blick ging voraus und sie haben hindurch
geschaut und den Frieden gesehen, auf Erden.
Diese Dinge wollte ich mit ihnen teilen, wollte
ich ihnen mitteilen. Keine große Worte. Lasst uns bescheiden bleiben. Das passt gut zu der Weihnachtsgeschichte…
Das entspricht genau dem Kinde in der Krippe.
Amen.