Hoe Felix 
		Mendelssohn de Mattheuspassie herontdekte  
		het relaas van een getuige en medewerker: Eduard Devrient 
		 
		How Felix Mendelssohn rediscovered Bach's St. Matthews Passion. 
		the report of an eye-witness and collaborator: Eduard Devrient 
		 
		E. Devrient was a German baritone and playwright. He sang the part of 
		'Christ' in Mendelssohn's 1829 re-birth of Bach's Passion. 
		The text below is a copy from "Singkreis–Rundbrief", 1959. The text is 
		summarised and edited by Hermann Keller. 
		  
	 
	DIE WIEDERBELEBUNG 
	DER MATTHÄUSPASSION.  
	Von Eduard Devrient, "Erinnerungen an Felix Mendelssohn", Leipzig 1869. 
	 
	Die Geselligkeit des Hauses Mendelssohn gewann außer an den Sonntagsmusiken 
	noch einen weiteren bildenden Ernst. Felix begann im Winter 1827 an einem 
	Abend der Woche, gewöhnlich des Sonnabends, einen kleinen zuverlässigen Chor 
	zu versammeln und seltene Musik zu üben. Bald legte er uns seine verehrte 
	"Matthäuspassion" vor. 
	 
	Nun ging uns eine neue Welt der Musik auf, als ein Stück nach dem andern uns 
	gründlich klar wurde. - Das kursorische Durchnehmen von Bruchstücken in 
	Zelters Freitagsmusik hatte das nicht bewirken können. Daß das Absingen des 
	Evangeliums von verschiedenen Personen den Kern des Werkes abgab, frappierte 
	uns ungemein, es war ja vergessen, wie alt dieser kirchliche Gebrauch war. 
	Die dramatische Behandlung, welche dadurch entstand, die erschütternde 
	Gewalt der einschlagenden Chöre, vor allem die wunderbare Deklamation der 
	Partie des Jesus, die mir eine neue ehrwürdige Bibelsprache war - dies alles 
	wirkte mit jeder Übung wachsendes Staunen und Verwundern über die Größe 
	dieses Werkes. 
	 
	Nicht nur Therese (Eduard Devrients Gattin), alle mitsingenden Freunde 
	teilten meine Eindrücke, und Felix hatte sich über Mangel an Eifer nicht zu 
	beklagen. Er nun war in das Werk so eingelebt, beherrschte seine 
	Schwierigkeiten mit so viel Leichtigkeit, und verstand es, seine 
	Beherrschung des Stoffes, seine lebendige Auffassung des Inhaltes so 
	geschickt und bescheiden auf uns zu übertragen, daß uns natürlich und 
	geläufig wurde, was bis dahin als eine rätselhafte musikalische 
	Geheimsprache gegolten hatte... 
	Immer heißer wurde in mir das Verlangen, den Jesus öffentlich zu singen; 
	Immer lebhafter tauschten wir die Wünsche aus, daß es möglich sein möchte, 
	das Wunderwerk zur Aufführung zu bringen. Aber allgemein schreckte man auch 
	zurück vor den unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche das Werk an sich - 
	mit Doppelchor und Doppelorchester - dem Studium in den Weg legen würde, und 
	vor denen, welche die Umständlichkeit der Singakademie und die 
	abgeschlossene, unförderliche Haltung Zelters zu bereiten drohten. 
	 
	Schließlich wurde es sehr in Frage gestellt: ob das Publikum auf ein so 
	weltfremdes Werk eingehen werde? Man hatte wohl in geistlichen Konzerten hie 
	und da ein kurzes Stück von Johann Sebastian Bach der Merkwürdigkeit wegen 
	hingenommen, nur die wenigen Kenner hatten Freude daran gehabt; jetzt aber 
	sollte man einen ganzen Abend nichts als Johann Sebastian Bach hören, der 
	nur als unmelodisch, berechnend, trocken und unverständlich im Publikum 
	bekannt war? Das würde als eine unverschämte Zumutung erscheinen… 
	 
	Felix' Eltern selbst, die doch gern das Problem einer Aufführung der Passion 
	durch ihren Sohn gelöst gesehen hätten, vermochten nicht, sich diesen 
	Bedenken zu verschließen, Adolf Bernhard Marx äußerte sich zweifelhaft, und 
	die alten Akademistinnen schüttelten die Köpfe. Felix hielt die Aufführung 
	für so unmöglich, daß er auf mein und der mutvolleren Freunde Andringen nur 
	mit Scherz und Ironie antwortete. Er erbot sich, zu einer Aufführung Knarre 
	und Waldteufel (Kinderinstrumente, womit in Berlin der Weihnachtslärm 
	gemacht wird) zu spielen, stellte alle Stadien, welche die Unternehmung zu 
	durchlaufen hätte, im lächerlichsten Lichte dar, und sich selbst zumal, wenn 
	er, ohne das größte amtliche Ansehen, wagen wolle, das musikalische 
	Herkommen in Berlin aus den Angeln zu heben. 
	 
	So hoffnungslos stand es um die Auferstehung der seit hundert Jahren 
	begrabenen Passionsmusik selbst bei ihren Bewunderern. 
	 
	Mir ließ die Sache keine Ruhe. Als wir im Januar 1829 eines Abends den 
	ganzen ersten Teil des Werkes gesungen hatten und mit einem überwältigenden 
	Eindruck nach Haus gegangen waren, da kam mir in ruheloser Nacht der 
	Gedanke, auf welchem Wege eine Aufführung durchzusetzen sei. Mit Ungeduld 
	erwartete ich den späten Wintertag. Therese stimmte meinem Plane ermutigend 
	bei, und so machte ich mich zu Felix auf... 
	 
	Als er erschien, hieß ich ihn an sein Frühstück gehen und eifrig essen, 
	damit er mich nicht zu oft unterbreche. Er ging mit gutem Humor und noch 
	besserem Appetit darauf ein, und ich erklärte ihm nun rund heraus, ich hätte 
	in dieser Nacht beschlossen, die Passion müsse in den nächsten Monaten, noch 
	vor seiner beabsichtigten Reise nach England, in der Singakademie aufgeführt 
	werden. Er lachte. - "Wer dirigiert sie denn?“ "Du!" "Den Teufel auch! 
	Unterstützen will ich die Musik mit -" "Komm mir nicht wieder mit deinem 
	Waldteufel! Die Sache ist jetzt außer allem Spaß und gründlich überlegt." 
	"Potz Wetter, du wirst feierlich! Nun, laß einmal hören!" 
	 
	Nun stellte ich ihm die Folgerung auf: wir hätten die "Matthäuspassion" als 
	das größte und wichtigste deutsche Musikwerk erkannt; folglich dürften wir 
	auch nicht ruhen, bis dasselbe wieder zu lebendiger Wirkung gekommen sei und 
	wieder die Gemüter erbaue. Da mir Felix diese Aufstellungen nicht hatte 
	widerlegen können, so durfte ich die Summe ziehen: "Die Aufführung kann zur 
	Zeit niemand als du mit überzeugendem Erfolge unternehmen, folglich mußt du 
	es tun!" "Wenn ich's durchsetzen könnte, ja!" 
	 
	Nun eröffnete ich ihm, daß, wenn er selbst die Veranstaltung wirklich nicht 
	durchzusetzen vermöge, ich mir Folgendes ausgedacht: Es sei ihm bekannt, daß 
	die Singakademie sowohl als Zelter selbst sich mir für meine beinahe 
	zehnjährige Mitwirkung bei allen ihren Konzerten verpflichtet erachteten; 
	ich würde also einen Gegendienst von beiden verlangen dürfen, und der sollte 
	die Überlassung des Saales und die Erlaubnis und Befürwortung einer 
	Einladung der Singakademie zur Mitwirkung bei der Passionsaufführung sein. 
	 
	Felix vermochte nicht zu leugnen, daß man mir beides nicht verweigern werde. 
	Ich setzte ihm also weiter auseinander, daß, wenn er meine Genossenschaft 
	nicht verschmähen und als dirigierender Mitunternehmer auftreten wolle, auch 
	der musikalische Kredit des Unternehmens gesichert sei, und wenn wir 
	schließlich dessen Geldgewinn für irgendeinen wohltätigen Zweck bestimmten, 
	so würde die Sache nach allen Seiten hin gedeckt sein. So schloß ich denn: 
	"Ich biete dir also hiermit dies anständige Compagniegeschäft, übernehme 
	dabei alle geschäftlichen Besorgungen und singe den Jesus, du aber 
	dirigierst das vergessene Wunderwerk wieder in die offene Welt hinaus!" 
	 
	Felix war gedankenvoll, dann sagte er: "Was mir an deinem Vorschlage 
	gefällt, ist, daß wir die Sache miteinander machen sollen, das ist hübsch. 
	Aber glaube mir, wir werden zunächst an Zelters Widerspruch scheitern. Er 
	hält die Aufführung der Passion für unmöglich, weil er und andere sie bisher 
	nicht unternehmen mochten." 
	 
	Ich setzte bessere Hoffnung auf Zelters tüchtige Natur und auf die starke 
	Gemütsseite seines bärbeißigen Charakters; für den schlimmsten Fall aber war 
	ich entschlossen, selbst gegen Zelters Widerspruch die Sache bei der 
	Vorsteherschaft der Singakademie anzubringen und ihn zur Nachgiebigkeit zu 
	nötigen. Gegen solche extreme Schritte hatte Felix die stärkste Abneigung; 
	er hielt sie für pietätswidrig. Ich überredete ihn, daß sie nicht nötig sein 
	würden. Und so willigte er nach langem Hin- und Herdebattieren ein, sich dem 
	Unternehmen nicht zu entziehen. 
	 
	Die Eltern und Fanny (Mendelssohns ältere Schwester) stimmten meinem Plane 
	bei, den sie als den einzigen erfolgsverheißenden ansahen. Es mußte sie 
	freuen, wenn Felix vor seinem Ausfluge in die Welt noch eine große und 
	denkwürdige Aufgabe löste. Der Vater hegte zwar noch Besorgnis vor Zelters 
	Widerstand, ich aber war guten Mutes. 
	 
	Felix, nun mit der Sache sehr beschäftigt, dachte sich noch ein kluges 
	Verfahren aus, um sich und das Unternehmen nicht zu kompromittieren: Die 
	Chorübungen sollten mit der etwas vermehrten Mitgliederzahl des häuslichen 
	Kreises im kleinen Akademiesaale ohne angekündigten weiteren Zweck 
	fortgesetzt werden; dieser Chor sollte sich aus Mitgliedern der Singakademie 
	nach Lust und Neigung, auch Neugier, allmählich vermehren; dadurch gewönne 
	er einen sicheren Kern und vermöge - wenn alles gut gehe - die Masse mit 
	sich zu ziehen. Für den Fall aber, daß das Studium keinen Erfolg verspreche 
	oder andere Hinderungen sich fänden, könne die Sache aufgegeben werden, 
	bevor die Absicht einer Aufführung ausgesprochen worden sei. 
	 
	So vorbereitet rückten wir dem alten Zelter aufs Zimmer, im Erdgeschoß der 
	Singakademie. Vor der Tür sagte Felix mir noch: "Du, wenn er aber grob wird, 
	geh ich fort; ich darf mich mit ihm nicht kabbeln." - "Grob wird er ganz 
	gewiß", antwortete ich, "aber das Kabbeln übernehme ich." 
	 
	Wir klopften an. Die rauhe Stimme des Meisters rief uns laut hinein. Wir 
	trafen den alten Riesen im dichten Tabaksqualm, mit der langen Pfeife im 
	Munde, an seinem alten Flügel, mit doppelter Klaviatur, sitzend. Die 
	Schwanenfeder, mit der er zu schreiben pflegte, hatte er in der Hand, ein 
	Notenblatt vor sich. Er trug seine sandfarbene kurze Pikesche, 
	Unterbeinkleider, die, unterm Knie gebunden, noch auf kurze Hosen berechnet 
	waren, derbe wollene Strümpfe und gestickte Schuhe. Den Kopf, mit den 
	zurückgestrichenen weißen Haaren, hatte er gehoben; das Gesicht mit seinen 
	derben, bürgerlichen und doch bedeutenden Zügen hatte er nach der Tür uns 
	zugewendet, und als er uns durch seine Brille erkannt hatte, rief er 
	freundlich in seiner breiten Weise: "I, sieh da! schon so früh zwei so 
	schöne junge Leute! Nun, was verschafft mir die Ehre? Hier, Platz genommen!" 
	 
	Er führte uns zu einem Winkel des Zimmers, wo er auf einem schlichten Sofa 
	niedersaß; wir holten uns Stühle, 
	 
	Nun begann ich meinen wohlüberlegten Vortrag von der Bewunderung des 
	Bachschen Werkes, das wir in seinen Preitagsmusiken zuerst kennengelernt und 
	dann im Mendelssohnschen Hause weiter studiert hätten, und daß wir jetzt der 
	dringenden inneren und äußeren Aufforderung nachgeben möchten, einen Versuch 
	zu machen, das Meisterwerk der Öffentlichkeit zurückzugeben und - wenn er es 
	erlauben und unterstützen wolle - mit Hilfe der Singakademie eine Aufführung 
	zu veranstalten. 
	 
	"Ja", sagte er gedehnt und reckte dabei das Kinn in die Höhe, wie er zu tun 
	pflegte, wenn er etwas mit großem Nachdruck besprach, "wenn das so zu machen 
	wäre! Dazu gehört mehr, als wir heutzutage zu bieten haben!" - Nun 
	verbreitete er sich über die Forderungen und Schwierigkeiten des Werkes, daß 
	man für diese Chore eine Thomasschule brauche, und eine, wie sie damals 
	beschaffen gewesen, als Johann Sebastian Bach ihr Kantor war; daß auch ein 
	Doppelorchester notwendig sei, und, daß die Violinspieler von heutzutage 
	diese Musik gar nicht mehr zu traktieren verständen. Das alles sei schon 
	lange und vielfach bedacht, und wenn sich die Schwierigkeiten so bald hätten 
	aus dem Wege räumen lassen, so wären schon längst alle vier Passionsmusiken 
	von Bach aufgeführt. 
	 
	Er war warm geworden, stand auf, legte die Pfeife weg und schritt durchs 
	Zimmer. Felix zupfte mich am Rock, er gab die Sache schon verloren. 
	 
	Ich erwiderte nun, daß wir, namentlich Felix, diese Schwierigkeiten sehr 
	hoch anschlügen, daß wir aber den Mut hätten, sie nicht für unüberwindlich 
	zu halten. Die Singakademie sei durch ihn schon mit Johann Sebastian Bach 
	bekannt, er habe den Chor so vortrefflich geschult, daß derselbe jeder 
	Schwierigkeit gewachsen sei; Felix habe auch durch ihn das Werk 
	kennengelernt, verdanke ihm auch die Anweisungen für seine Direktion; ich 
	brenne vor Verlangen, die Partie des Jesus öffentlich vorzutragen; wir 
	dürften hoffen, daß derselbe Enthusiasmus, welcher uns bewegte, bald alle 
	Mitwirkenden ergreifen und das Unternehmen gelingen lassen werde. 
	 
	Zelter war immer ärgerlicher geworden. Er hatte hie und da Äußerungen des 
	Zweifels und der Geringschätzung eingeworfen, bei denen Felix mich wieder am 
	Rock gezupft, dann sich allmählich der Tür genähert hatte. Jetzt platzte der 
	alte Herr los: "Das soll man nun geduldig anhören! Haben sich's ganz andere 
	Leute müssen vergehen lassen, diese Arbeit zu unternehmen, und da kommt nun 
	so ein Paar Rotznasen daher, denen alles das Kinderspiel ist!" 
	 
	Diesen Berliner Kernschuß hatte er mit äußerster Energie abgefeuert. Ich 
	hatte Mühe, das Lachen zu verbeißen; hatte Zelter doch einen Freibrief für 
	alle Grobheit, und für Christi Passion von Johann Sebastian Bach und von 
	unserem alten Lehrer konnten wir uns wohl noch mehr gefallen lassen.  
	 
	Ich sah mich nach Felix um. Der stand an der Tür, den Griff in der Hand und 
	winkte mir mit etwas blassem und verletztem Gesicht zu, daß wir gehen 
	sollten. Ich bedeutete ihm, daß wir bleiben müßten, und fing getrost wieder 
	an zu argumentieren: daß, wenn wir auch jung, wir doch wohl nicht mehr so 
	ganz unreif wären, da unser Meister uns doch schon manche schwierige Aufgabe 
	zugemutet habe; daß gerade der Jugend der Unternehmungsmut zustehe, und 
	zuletzt müsse es doch wohltuend für ihn sein, wenn gerade zwei seiner 
	Schüler sich an dem Höchsten versuchten, das er sie kennen gelehrt. 
	 
	Meine Argumente begannen jetzt sichtlich zu wirken, die Krisis war 
	überstanden. Wir wollten nur den Versuch machen, fuhr ich fort, ob das 
	Unternehmen sich durchsetzen lasse, dies nur möge er erlauben und 
	unterstützen; gelänge es nicht, so könnten wir immer noch, und ohne Schande, 
	davon ablassen. 
	 
	"Wie wollt ihr denn das machen?" sagte er stehen bleibend, "ihr denkt an 
	nichts. Da ist zuerst die Vorsteherschaft, die konsentieren muß; da sind gar 
	viele Köpfe und viele Sinne - und Weiberköpfe sind auch dabei; ja! - die 
	bringt ihr nicht so leicht unter einen Hut!" 
	 
	Ich entgegnete ihm: die Vorsteher seien mir freundlich gesinnt, die 
	tonangebenden Vorsteherinnen, als Mitsingende bei den Übungen im 
	Mendelssohnschen Hause, schon gewonnen. Ich hoffte die Bewilligung des 
	Saales und der Mitwirkung der Mitglieder wohl zu erlangen, 
	 
	"Ja, die Mitglieder!" rief Zelter, "da fängt der Jammer erst an. Heute 
	kommen ihrer zehn zur Probe und morgen bleiben zwanzig davon weg, ja!" 
	 
	Wir konnten von Herzen über diesen Witz lachen, denn er zeigte uns, daß 
	unsere Partie gewonnen war. Felix setzte dem alten Herrn nun seinen Plan mit 
	den Vorübungen im kleinen Saale auseinander, sprach ihm von der 
	Zusammensetzung des Orchesters, das Eduard Rietz führen sollte, und da 
	Zelter schließlich keine praktischen Bedenken mehr vorbringen konnte, so 
	sagte er: "Na, ich will euch nicht entgegen sein - auch zum Guten sprechen, 
	wo es Not tut. Geht denn in Gottes Namen daran, wir werden ja sehen, was 
	draus wird!" 
	 
	So schieden wir dankbar und als gute Freunde von unserem alten, wackeren 
	Bären. "Wir sind durch!" sagte ich auf der Hausflur. - "Aber höre", 
	erwiderte Felix, "du bist eigentlich ein verfluchter Kerl, ein Erzjesuit!" - 
	"Alles zur höheren Ehre Gottes und Johann Sebastian Bachs", entgegnete ich, 
	und wir jubelten draußen in die Winterluft hinaus, da nun der wichtigste 
	Schritt gelungen war. 
	 
	Alles andere machte sich nun leicht. Die Schwierigkeiten verschwanden wie 
	Gespenster, denen man zu Leibe rückt. Die Vorsteherschaft willigte 
	unbedenklich in alle unsere Wünsche; die erste Chorübung im kleinen Saale 
	hatte schon doppelt so viele Teilnehmer als im Mendelssohn'schen Hause, und 
	sie wuchsen von einer Uebung zur andern dergestalt, dass der Kopist nicht 
	hinlänglich Stimmen schaffen konnte, und wir auch schon nach der fünften 
	Uebung in den grossen Saal gehen mussten. Man darf hierbei nicht vergessen, 
	dass die grosse Zahl der Akademiemitglieder, welche, gelockt von dem 
	merkwürdigen Unternehmen, zu diesen ersten Uebungen kamen, nach Zelters 
	Voraussage alle nicht wiedergekommen wären, wenn es nicht gelang, sie gleich 
	bei der ersten Zusammenkunft zu gewinnen und zu fesseln. 
	 
	Darum nahm Felix sofort - und wiederholte das in den ersten Vorübungen - 
	nicht vereinzelte Stücke, etwa die leichten zuerst, sondern eine bestimmte 
	Gruppe der Komposition zum Studienobjekte, übte die Chöre sogleich mit 
	unerbittlicher Genauigkeit bis zu ihrem vollen Ausdruck und gab dadurch den 
	Singenden einen ganz vollständigen Eindruck von der Besonderheit des Werkes. 
	Seine Erklärungen und Anweisungen waren präzis, kurz und ebenso 
	übergewichtig als jugendlich bescheiden vorgebracht. 
	 
	Mehrere Male sassen wir indessen beide beisammen, die Abkürzung der Partitur 
	für die Aufführung zu überlegen. Es konnte nicht darauf ankommen, das Werk, 
	das doch auch durch den Geschmack seiner Zeit vielfach beeinflusst war, in 
	seiner Vollständigkeit vorzuführen, sondern den Eindruck seiner 
	Vorzüglichkeit zusammenzuhalten. Die Mehrzahl der Arien musste weggelassen, 
	von anderen konnten nur die Einleitungen, die sogenannten Accompagnements, 
	erhalten werden; auch vom Evangelium musste fortbleiben, was nicht zur 
	Passionserzählung gehört, oft genug waren wir zwiespältiger Ansicht, denn es 
	galt eine Gewissensaufgabe; aber was wir schliesslich festgestellt, scheint 
	doch das Rechte gewesen zu sein, da es späterhin bei den meisten 
	Aufführungen angenommen worden ist. 
	 
	Es wurde nun Zeit, die Solosänger einzuladen. Wir beschlossen, vereint die 
	Runde zu machen, und Felix war kindisch genug, zu verlangen, dass wir dazu 
	ganz gleich gekleidet sein sollten. Blauer Rock, weisse Weste, schwarzes 
	Halstuch, schwarze Pantalons, und dazu hellgelbe Handschuhe von Wildleder, 
	die damals gebräuchlich waren. In dieser Passionsuniform gingen wir denn - 
	nachdem uns Therese, der die Sache sehr feierlich war, eine Festschokolade 
	gegeben, die Felix liebte - sehr vergnügt unseres Weges. Wir besprachen den 
	wunderlichen Zufall, dass gerade hundert Jahre seit der letzten Leipziger 
	Aufführung vergangen sein mussten, bis diese Passion wieder ans Licht 
	komme.- "Und", rief Felix übermütig, mitten auf dem Opernplatze stehen 
	bleibend, "dass es gerade ein Komödiant und ein Judenjunge sein müssen, die 
	den Leuten die grösste christliche Musik wiederbringen!" 
	 
	Felix vermied sonst entschieden, seiner Abstammung zu gedenken; hier riss 
	ihn das Frappante der Bemerkung und die fröhliche Stimmung hin. "Du führst 
	das Wort und ich mache nur die Reverenzen dazu", sagte Felix vor der ersten 
	Tür, wo wir ansprachen. Wir hatten beides wenig nötig, die vier ersten 
	Talente unserer Oper waren zur Mitwirkung ganz bereit. Ihr Hinzutreten zu 
	den Proben, die Vollendung, die das Werk nun gewann, gab den Studien neues 
	Interesse. Musiker und Kenner drängten sich zu den Proben, um die 
	Komposition genauer verstehen zu lernen. Man staunte, nicht sowohl über die 
	Grossartigkeit des Baues, sondern mehr über die Fülle der Melodien, über den 
	reichen Ausdruck der Empfindung, der Leidenschaft, über die eigentümliche 
	Deklamation und über die Wucht der dramatischen Wirkungen. Von alledem hatte 
	man ja dem alten Bach nichts zugetraut. 
	 
	Aber was Felix getan hat, diese Eigenschaften des Werkes ans Licht zu 
	kehren, seinen Wunderbau in seiner ganzen Pracht erkennen zu lassen, das ist 
	ebenso denkwürdig, wie die ganze folgenreiche Unternehmung. Die Genialität 
	der Auffassung, mit der er sich des Werkes bemächtigt und es zum heiligsten 
	Eigentum gemacht hatte, das war nur die Hälfte seines Verdienstes. Mit 
	welcher Geschicklichkeit, Energie, Ausdauer und kluger Berechnung seiner 
	Mittel er das antiquierte Werk wieder modern, anschaulich und lebendig 
	gemacht hat, das muss man miterlebt haben, um den zwanzigjährigen Jünglich 
	danach in der Bedeutung seiner Fähigkeiten und ihrer frühen Reife zu 
	schätzen. Er hat in seinem ganzen Leben kein grösseres Meisterstück der 
	Direktion geliefert, als dieses erste und vielleicht schwierigste. 
	 
	Die grossen Proben waren durch Zelters autoritätsverleihende Gegenwart 
	gehoben, aber solange das Orchester nicht dabei war, hatte Felix mit der 
	ganzen Arbeit der Direktion und der Flügelbegleitung fertig zu werden, was 
	bei den so vielfach rasch einschlagenden Chorsätzen von verschiedenen 
	Rhythmen überaus schwierig war; wobei denn das Kunststück durchgeführt 
	werden musste, mit der linken Hand die ganze Begleitung zu erzwingen, 
	während die rechte den Taktstock schwang. 
	 
	Als das Orchester hinzutrat, liess Felix - weil das damalige Konzertdekorum 
	dem Dirigenten noch nicht erlaubte, die Rückenstellung gegen das Publikum 
	einzunehmen, die ihm im Opernorchester immer erlaubt war - den Flügel in die 
	Quere, zwischen die beiden Chore, stellen, wodurch er freilich den ersten 
	Chor im Rücken hatte, aber doch den zweiten und das Orchester im Auge. 
	Dieses bestand grösstenteils aus Dilettanten des philharmonischen Vereins, 
	nur die Führer der Streichinstrumente und die Bläser gehörten der 
	königlichen Kapelle an. Die letzteren waren auf der Höhe der 
	amphitheatralischen Aufstellung durch die drei geöffneten Türen bis in den 
	kleinen Saal hinausgerückt. Eduard Rietz war der Anker, der dieser 
	schwankenden Körperschaft festen Grund verlieh. 
	 
	Diese schwierige Situation beherrschte der Neuling Felix mit einer Ruhe und 
	Sicherheit, als ob er schon zehn Musikfeste dirigiert hätte. Die feine und 
	anspruchslose Weise, in welcher er durch Miene, Kopf- und Handbewegung an 
	die verabredeten Schattierungen des Vortrags erinnerte und ihn so mit leiser 
	Gewalt beherrschte; die gelassene Sicherheit, mit welcher er bei 
	Generalprobe und Aufführung, sobald grosse Stücke von gleichmässiger 
	Bewegung ganz im Zuge waren, kaum merklich nickend, als wollte er sagen: 
	"Nun geht es gut und ohne mich!", den Taktstock sinken liess und mit der 
	verklärten Miene zuhörte, die ihn beim Musizieren seltsam verschönte, 
	gelegentlich mir mit den Augen zuwinkend, bis er wieder vorausempfand, dass 
	es nötig sei, den Taktstock zu gebrauchen - alles das war ebenso 
	bewunderungs- wie liebenswürdig. 
	 
	Wir hatten oft über musikalische Direktion disputiert. Mich störte - und 
	stört mich heute noch - das unausgesetzte, notwendig mechanisch werdende 
	Taktieren der Dirigenten. Die Musikstücke werden damit förmlich 
	durchgefuchtelt. Ich hielt es immer für angemessen, nur da zu taktieren, wo 
	schwierige Stellen oder zu fürchtende Schwankungen der Ausführung es nötig 
	machten. Die Aufgabe aller Direktion ist doch wohl: sich möglichst vergessen 
	zu machen. Felix nahm sich vor, mir zu zeigen, wie weit man darin gehen 
	dürfe, und er zeigte es bei der Passionsaufführung in der vollendetsten 
	Weise. 
	 
	Ich erinnere mich dessen mit um so mehr Befriedigung, als man in neuerer 
	Zeit das merkwürdige Hantieren des Dirigenten zu einem Hauptreiz von 
	Musikaufführungen gemacht hat. 
	 
	Zu dem bahnbrechenden Einfluss, den Johann Sebastian Bach auf die Musik der 
	Neuzeit durch die "Matthäuspassion" gewinnen sollte, gehörte es allerdings, 
	dass die erste Wiederaufführung so vollkommen gelang, als dieses am 11. März 
	1829 geschah; sie ist um dessentwillen denkwürdig. Die Singakademie leistete 
	mit diesen Chören das Trefflichste, was sie je vermocht hatte, und wer den 
	Stimmklang dieser drei- bis vierhundert hochgebildeten Dilettanten gehört 
	hat, wer es erfahren hat, zu welch wirklich andächtigem Eifer bedeutende 
	Musik sie hinreissen konnte, der wird begreifen, dass hier unter vollendeter 
	Führung das Vollendete geleistet wurde. 
	 
	Stürmer sang den Evangelisten mit der wohltuendsten Korrektheit, ganz im 
	Tone des Erzählers, ohne sich im Empfindungsausdruck des zweiten Teils den 
	unmittelbar redenden dramatischen Gestalten gleichzustellen. Auch die Arie 
	"Ich will bei meinem Jesu wachen" hatte er übernommen, da sie zu hoch für 
	Bader lag, der in seiner anspruchslosen Willigkeit, mitzuhelfen, den Petrus 
	und den Pilatus sang. Die Damen brachten ihre rührenden Stücke zur voller 
	Wirkung: die gewinnende Stimme der Milder, zumal das Accompagnato "Du lieber 
	Heiland du", der vollquellende Ton des Fräuleins von Schätzel die Arie 
	"Erbarme Dich mein Gott!", von Eduard Rietz mit seinem grossen vollen Ton im 
	stilvollen Ausdruck begleitet, ein Bussgesang ohnegleichen. 
	 
	Ich meines Teils war mir bewusst, dass der Eindruck, den der Vortrag des 
	Jesus hervorbringt, wesentlich über den Eindruck des ganzen Werkes 
	entscheidet. Mir galt es als die grösste Aufgabe, die einem Sänger werden 
	kann. Mich beruhigte, dass die Partie gut in meiner Stimme lag, dass ich sie 
	lange mit Felix und zu seiner vollen Befriedigung studiert hatte, und so 
	konnte ich, getragen von dem Total der Aufführung, aus voller Seele singen, 
	und fühlte, dass die andächtigen Schauer, die mich bei den eindringlichsten 
	Stellen durchrieselten, auch durch die totenstillen Zuhörer wehten. 
	 
	Nie habe ich eine heiligere Weihe auf einer Versammlung ruhen gefühlt, als 
	an diesem Abend auf Musizierenden und Zuhörern. 
	 
	Der Vorgang machte zunächst in dem Bildungskreise Berlins eine ganz 
	ausserordentliche Sensation. Man fühlte die epochemachende Konsequenz dieses 
	Wiederauflebens der populären Wirkung eines halb vergessenen Genies. Wir 
	mussten eine zweite Aufführung am 21. März veranstalten, die überfüllt war, 
	wie die erste. Die beiden Einnahmen dienten zur Stiftung zweier Nähschulen 
	für arme Mädchen. – 
	Zelter wiederholte sie, nach Felix’ Abreise, am Karfreitag, den 17. April, 
	anstatt des gewohnten "Tod Jesu" von Graun. 
	 
	Wie der Eindruck dieser Aufführungen bald ähnliche in anderen Städten 
	hervorgerufen, wie man sich an anderen Passionsmusiken von Bach, besonders 
	an der nach dem Evangelisten Johannes versucht, dann die Aufmerksamkeit auf 
	die Instrumentalmusik der alten Meister gewendet, sie herausgegeben, zu 
	Konzert-Bravourstücken gemacht usw., das alles ist der heutigen Musikwelt 
	bekannt. Sie sollte aber nie vergessen, dass dieser neue Bach-Kultus vom 11. 
	März 1829 datiert, und dass Felix Mendelssohn es war, welcher den grössten 
	und tiefsinnigsten Komponisten wieder in lebendige Wirkung gesetzt hat. 
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