Manifest

Kirchen und ihre Ausstattungen geh�ren zu den wichtigsten Zeugnissen des Kulturerbes in Europa. Doch die christlichen Gemeinschaften sehen sich zunehmend nicht mehr in der Lage, diesen wertvollen Bestand zu erhalten. Immer weniger Gl�ubige nutzen die R�ume, die Kirchensteuereinnahmen sinken, immer mehr Bauten werden au�er Gebrauch gestellt oder gar abgerissen. Kirchenr�ume sind jedoch Common Spaces � viele Menschen haben oft �ber Jahrhunderte zu diesem Gemeingut beigetragen. Wer diese Bauten heute allein privatwirtschaftlich als Immobilien betrachtet, beraubt die Communitas. Staat und Gesellschaft k�nnen und d�rfen sich ihrer historisch begr�ndeten Verantwortung f�r dieses kulturelle Erbe nicht entziehen. Deshalb rufen wir dazu auf, der neuen Lage mit neuen Formen der Tr�gerschaft zu begegnen: mit einer Stiftung oder Stiftungslandschaft f�r Kirchenbauten und deren Ausstattungen.

Kirchenbauten sind mehrfach codierte Orte

Kirchenbauten sind zun�chst R�ume der christlichen Bekenntnisse und damit Zeugnisse der Geschichte der Menschen mit Gott. Zugleich sind sie kulturelles Erbe aller Menschen. Sie sind R�ume der Kunst, des Handwerks und der Musik. Kirchen wirken oft stadt- oder dorfbildpr�gend und er�ffnen damit spannende soziale Erfahrungs- und Chancenr�ume.


In Deutschland gibt es etwa 40.000 Kirchen. Sie werden seit Jahrhunderten von Gl�ubigen erwirtschaftet, geschaffen und unterhalten. Beinah t�glich werden Bauten au�er Gebrauch gestellt oder sogar abgerissen. Nach ihrem Selbstverst�ndnis sind die Kirchen Sachwalterinnen dieses Bestands. Doch sie alleine sind heute mit dem Erhalt �berfordert. Politik und Gesellschaft lassen sie gew�hren oder scheuen, die Verantwortung zu �bernehmen. Fallen Kirchenbauten weg, ver�ndern sich St�dte und D�rfer jedoch gravierend. Daher brauchen wir eine breite Debatte �ber eine neue Tr�gerschaft, um Kirchenbauten als Gemeing�ter zu sichern.


Kirchenbauten fordern Teilhabe

Oft haben sich die kirchlichen Institutionen bereits von den kulturellen Markern ihrer Religion verabschiedet. Doch alle Menschen haben ein Recht auf Teilhabe am kulturellen Erbe, wie es die Allgemeine Erkl�rung der Menschenrechte sowie zahlreiche Konventionen der UNESCO und des Europarats festhalten. Dieses Recht gilt explizit f�r die diversen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts.


Kirchenbauten pr�gen � v. a. seit Ende des Zweiten Weltkriegs � die Gestaltung der europ�ischen Einheit. Vor Ort bilden sie Knotenpunkte in einem kontinentalen Netzwerk der Beziehungen. Als grunds�tzlich frei zug�ngliche R�ume stehen sie f�r Gruppenerfahrungen und kulturelle Erlebnisse offen. Diesen Schatz gilt es, als lebendiges Erbe zu erhalten.


Kirchenbauten sind radikal �ffentliche Orte

Schon die Bibel kennt beides: Da ist zum einen der menschliche Stolz, f�r Gott ein pr�chtiges Haus zu bauen. Da ist zum anderen die Kritik an der Selbstanma�ung, Gott auf einen menschlich gemachten Raum begrenzen zu wollen. Beide �berzeugungen finden sich im Kirchenbau wieder. Ob Bettelordenskirche oder Dom, ob Gemeindezentrum oder Betonburg, am Ende k�nnen Liturgie und soziale Verantwortung auch r�umlich nicht ohne einander. Gott braucht keine Kirchenbauten, aber die Menschen sind auf solche R�ume angewiesen.


Im Sinne einer weltoffenen, einer �ffentlichen Theologie versteht sich Kirche als integraler Bestandteil der sie umgebenden Gesellschaft, ohne v�llig in ihr aufzugehen. Dieses Plus, diesen Mehrwert vermitteln Kirchen sinnf�llig als radikal �ffentliche R�ume. Daher muss ihre Zukunft mit allen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren ausgehandelt werden.


Kirchenbauten sind nachhaltiges Kulturerbe

Denkmalpflege und Denkmalschutz folgen dem Auftrag, die materielle �berlieferung zu h�ten. Genau hier ist die Unverf�gbarkeit kultureller Ressourcen als ��ffentliches Interesse� gesetzlich verankert. Auch nicht denkmalgesch�tzte Bauten erf�llen wichtige �ffentliche Anliegen. Gerade Kirchen der Moderne sind besonders gef�hrdet, denn hier treffen demografische Ver�nderungen auf die Abwertung moderner Formen und Materialien. Doch in ihrer Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft bieten sie wertvolle Reibungsfl�chen, um unsere freie demokratische Gesellschaft weiterhin erfahrbar zu machen. Vor diesem Hintergrund z�hlen Kirchen jeden Alters mit ihrem besonderen baukulturellen Anspruch nach wie vor zu den bedeutendsten Bauaufgaben im kulturellen Erbe.


Kirchen sind eine wertvolle materielle Ressource. Seit Jahrhunderten haben sie sich als robuste, transformierbare Architekturen erwiesen. Sie verk�rpern den sorgsamen Umgang mit Baustoffen, das Wissen um das Reparieren, Weiterbauen und Umnutzen. Indem sie vergangene Energiefl�sse und CO2-Emissionen speichern, entlasten sie heute das Klima. Kirchen bieten � allein durch ihre Gr��e � k�hle �ffentliche R�ume in den sich erhitzenden St�dten. Deshalb fordern wir einen Paradigmenwechsel: weg von Abriss und Neubau, hin zu Weiternutzung und Umbau.


Kirchenausstattungen geh�ren zum Erbe Europas

In ihren Ausstattungen bewahren Kirchen Kunstsch�tze aus mehr als 1200 Jahren, je nach Konfession und Region in unterschiedlicher Weise. Diese vielf�ltigen Ausstattungen, zu denen auch baubezogene Kunst, Glocken und Orgeln z�hlen, verdanken sich dem Engagement ungez�hlter Schenkerinnen und Schenker. Sie bezeugen verschiedene Entstehungszeiten, Fr�mmigkeitsvorstellungen und theologische �berzeugungen. Sie machen die Kirchen zu R�umen des Gespr�chs �ber Glaubensvorstellungen und zu kulturellen Erz�hlr�umen.


In ihrer Vielfalt sind Kirchenausstattungen eine unsch�tzbare Ressource f�r das friedliche Zusammenleben. Als kulturelles Erbe m�ssen Kirchen und ihre Kunstwerke daher durch verl�ssliche �ffnungszeiten, durch wissenschaftliche Forschungs- und Vermittlungsprojekte sowie durch eine weitherzige Nutzungsperspektive allen zug�nglich gemacht werden.


Kirchenbauten sind Dritte und Vierte Orte

Eindringlich betont der Soziologe Ray Oldenbourg die Bedeutung der Dritten Orte (third places). Sie werden von Menschen auf ihren Wegen zwischen dem Zuhause (first place) und der Arbeitsst�tte (second place) angesteuert. Auch Kirchen sind solche Orte kultureller Praxis und b�rgerschaftlicher Begegnung. Mehr noch: Durch ihre Baubedeutungen und ihre Verflechtungen in den Stadtteilen sind sie weiterhin Vierte Orte, wenn sie in D�rfern und Stadtquartieren offene, spirituell bedeutsame Chancenr�ume einer Sorgenden Gemeinschaft bilden.


Besonders in den l�ndlichen R�umen sind Kirchen bauliche Wahrzeichen, zentrale Orientierungspunkte, Zeuginnen einer geistigen Tradition � und wichtige Treffpunkte. Denn anders als Dorfladen, Dorfkneipe oder Wirtshaus, Kulturhaus und Schule verschwinden sie nicht, wenn die Gemeinde schrumpft. Projekte wie das (von der Beauftragten des Bundes f�r Kultur und Medien mit Mitteln aus dem Bundesprogramm L�ndliche Entwicklung gef�rderte) �Kirchturmdenken� haben gezeigt: Gibt man ihnen die Chance, werden l�ndliche Kirchen zu Orten klug komponierter Kulturangebote und b�rgerschaftlicher Begegnungen.


Kirchenbauten brauchen eine neue Tr�gerschaft

Wir fordern eine neue Stiftung oder Stiftungslandschaft. Wird das Eigentum an bedrohten Kirchenbauten und ihren Ausstattungen durch eine Stiftung �bernommen, verringert sich der wirtschaftliche Verwertungsdruck. Als Vorbild steht das erfolgreiche Modell der �Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur� bereit, die vom Bund, vom Land Nordrhein-Westfalen, von der RAG-Stiftung, der RAG AG und vom Regionalverband Ruhr finanziell gef�rdert wird. So k�nnen in Nordrhein- Westfalen seit 1995 Bauten gesichert, erforscht, der �ffentlichkeit zug�nglich gemacht und neuen Nutzungen zugef�hrt werden.


Eine breit aufgestellte Verantwortungsgemeinschaft mit Staat, Gesellschaft und weiteren Akteurinnen und Akteuren sieht die Kirchen als kooperative Partnerinnen. Mit lokalen bzw. regionalen Partner�schaften kann eine Stiftung Nutzungskonzepte entwickeln, die dem Denkmalwert der Kirchenbauten angemessen sind, das Recht auf Teilhabe verwirklichen und auf Nachhaltigkeit angelegt sind.

Kirchenbauten und ihre Ausstattungen geh�ren nicht allein den kirchlichen Institutionen und Gemeinden. Als ererbte R�ume sind sie Gemeing�ter, sie geh�ren allen.

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