Vertaalproject van de 342 aforismen/gedachten
(verdeeld over vier boeken) van de eerste editie, 1882. Het vijfde
boek en de liederen van Prins Vogelvrij heb ik
weggelaten (want pas in 1887 toegevoegd bij een heruitgave): Hoe, wat,
waarom, kunt u lezen in een korte toelichting .
U zult tevergeefs zoeken naar een vertaling van de Reimen en
Lieder waarmee het boek opent. Gedichten vertalen kan ik
niet.
Inhoudsopgave
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Erstes Buch §
Zweites Buch §
Drittes Buch §
Viertes Buch. Sanctus Januarius §
1.
Die Lehrer vom
Zwecke des Daseins. — Ich mag nun mit gutem oder bösem
Blicke auf die Menschen sehen, ich finde sie immer bei Einer
Aufgabe, Alle und jeden Einzelnen in Sonderheit: Das zu thun, was
der Erhaltung der menschlichen Gattung frommt. Und zwar wahrlich
nicht aus einem Gefühl der Liebe für diese Gattung, sondern
einfach, weil Nichts in ihnen älter, stärker, unerbittlicher,
unüberwindlicher ist, als jener Instinct, — weil dieser Instinct
eben das Wesen unserer Art und
Heerde ist. Ob man schon schnell genug mit der üblichen
Kurzsichtigkeit auf fünf Schritt hin seine Nächsten säuberlich
in nützliche und schädliche, gute und böse Menschen auseinander
zu thun pflegt, bei einer Abrechnung im Grossen, bei einem
längeren Nachdenken über das Ganze wird man gegen dieses Säubern
und Auseinanderthun misstrauisch und lässt es endlich sein. Auch
der schädlichste Mensch ist vielleicht immer noch der
allernützlichste, in Hinsicht auf die Erhaltung der Art; denn er
unterhält bei sich oder, durch seine Wirkung, bei Anderen
Triebe, ohne we lche die Menschheit längst erschlafft oder
verfault wäre. Der Hass, die Schadenfreude, die Raub- und
Herrschsucht und was Alles sonst böse genannt wird: es gehört zu
der erstaunlichen Oekonomie der Arterhaltung, freilich zu einer
kostspieligen, verschwenderischen und im Ganzen höchst thörichten
Oekonomie: — welche aber bewiesener Maassen unser Geschlecht
bisher erhalten hat. Ich weiss nicht mehr, ob du, mein lieber
Mitmensch und Nächster, überhaupt zu Ungunsten der Art, also
„unvernünftig“ und „schlecht“ leben kannst; Das, was der Art hätte
schaden können, ist vielleicht seit vielen Jahrtausenden schon
ausgestorben und gehört jetzt zu den Dingen, die selbst bei Gott
nicht mehr möglich sind. Hänge deinen besten oder deinen
schlechtesten Begierden nach und vor Allem: geh’ zu Grunde! — in
Beidem bist du wahrscheinlich immer noch irgendwie der Förderer
und Wohlthäter der Menschheit und darfst dir daraufhin deine
Lobredner halten — und ebenso deine Spötter! Aber du wirst nie
den finden, der dich, den Einzelnen, auch in deinem Besten ganz
zu verspotten verstünde, der deine grenzenlose Fliegen- und
Frosch-Armseligkeit dir so genügend, wie es sich mit der
Wahrheit vertrüge, zu Gemüthe führen könnte! Ueber sich selber
lachen, wie man lachen müsste, um aus
der ganzen Wahrheit heraus zu lachen, — dazu
hatten bisher die Besten nicht genug Wahrheitssinn und die
Begabtesten viel zu wenig Genie! Es giebt vielleicht auch für
das Lachen noch eine Zukunft! Dann, wenn der Satz „die Art ist
Alles, Einer ist immer Keiner“ — sich der Menschheit einverleibt
hat und Jedem jederzeit der Zugang zu dieser letzten Befreiung
und Unverantwortlichkeit offen steht. Vielleicht wird sich dann
das Lachen mit der Weisheit verbündet haben, vielleicht giebt es
dann nur noch „fröhliche Wissenschaft“. Einstweilen ist es noch
ganz anders, einstweilen ist die Komödie des Daseins sich selber
noch nicht „bewusst geworden“, einstweilen ist es immer noch die
Zeit der Tragödie, die Zeit der Moralen und Religionen. Was
bedeutet das immer neue Erscheinen jener Stifter der Moralen und
Religionen, jener Urheber des Kampfes um sittliche Schätzungen,
jener Lehrer der Gewissensbisse und der Religionskriege? Was
bedeuten diese Helden auf dieser Bühne? Denn es waren bisher die
Helden derselben, und alles Uebrige, zeitweilig allein Sichtbare
und Allzunahe, hat immer nur zur Vorbereitung dieser Helden
gedient, sei es als Maschinerie und Coulisse oder in der Rolle
von Vertrauten und Kammerdienern. (Die Poeten zum Beispiel waren
immer die Kammerdiener irgend einer Moral.) — Es versteht sich
von selber, dass auch diese Tragöden im Interesse der Art arbeiten, wenn sie auch glauben
mögen, im Interesse Gottes und als Sendlinge Gottes zu arbeiten.
Auch sie fördern das Leben der Gattung, indem
sie den Glauben an das Leben fördern . „Es ist
werth zu leben — so ruft ein Jeder von ihnen — es hat Etwas auf
sich mit diesem Leben, das Leben hat Etwas hinter sich, unter
sich, nehmt euch in Acht!“ Jener Trieb, welcher in den höchsten
und gemeinsten Menschen gleichmässig waltet, der Trieb der
Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und
Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein glänzendes
Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen
machen, dass er im Grunde Trieb, Instinct, Thorheit,
Grundlosigkeit ist. Das Leben soll
geliebt werden, denn !
Der Mensch soll
sich und seinen Nächsten fördern, denn
! Und wie alle diese Soll’s und Denn’s heissen und in
Zukunft noch heissen mögen! Damit Das, was nothwendig und immer,
von sich aus und ohne allen Zweck geschieht, von jetzt an auf
einen Zweck hin gethan erscheine und dem Menschen als Vernunft
und letztes Gebot einleuchte, — dazu tritt der ethische Lehrer
auf, als der Lehrer vom Zweck des Daseins; dazu erfindet er ein
zweites und anderes Dasein und hebt mittelst seiner neuen
Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus seinen alten gemeinen
Angeln. Ja! er will durchaus nicht, dass wir über das Dasein
lachen , noch auch über uns, —
noch auch über ihn; für ihn ist Einer immer Einer, etwas Erstes
und Letztes und Ungeheures, für ihn giebt es keine Art, keine
Summen, keine Nullen. Wie thöricht und schwärmerisch auch seine
Erfindungen und Schätzungen sein mögen, wie sehr er den Gang der
Natur verkennt und ihre Bedingungen verleugnet: — und alle
Ethiken waren zeither bis zu dem Grade thöricht und
widernatürlich, dass an jeder von ihnen die Menschheit zu Grunde
gegangen sein würde, falls sie sich der Menschheit bemächtigt
hätte — immerhin! jedesmal wenn „der Held“ auf die Bühne trat,
wurde etwas Neues erreicht, das schauerliche Gegenstück des
Lachens, jene tiefe Erschütterung vieler Einzelner bei dem
Gedanken: „ja, es ist werth zu leben! ja, ich bin werth zu
leben!“ — das Leben und ich und du und wir Alle einander wurden
uns wieder einmal für einige Zeit interessant
. — Es ist nicht zu leugnen, dass auf
die Dauer über jeden Einzelnen dieser grossen
Zwecklehrer bisher das Lachen und die Vernunft und die Natur
Herr geworden ist: die kurze Tragödie gieng schliesslich immer
in die ewige Komödie des Daseins über und zurück, und die
„Wellen unzähligen Gelächters“ — mit Aeschylus zu reden — müssen
zuletzt auch über den grössten dieser Tragöden noch
hinwegschlagen. Aber bei alle diesem corrigirenden Lachen ist im
Ganzen doch durch diess immer neue Erscheinen jener Lehrer vom
Zweck des Daseins die menschliche Natur verändert worden, — sie
hat jetzt ein Bedürfniss mehr, eben das Bedürfniss nach dem
immer neuen Erscheinen solcher Lehrer und Lehren vom „Zweck“.
Der Mensch ist allmählich zu einem phantastischen Thiere
geworden, welches eine Existenz-Bedingung mehr, als jedes andere
Thier, zu erfüllen hat: der Mensch muss
von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum
er existirt, seine Gattung kann nicht gedeihen ohne ein
periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben an die
Vernunft im Leben ! Und immer
wieder wird von Zeit zu Zeit das menschliche Geschlecht
decretiren: „es giebt Etwas, über das absolut nicht mehr gelacht
werden darf!“ Und der vorsichtigste Menschenfreund wird
hinzufügen: „nicht nur das Lachen und die fröhliche Weisheit,
sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft
gehört unter die Mittel und Nothwendigkeiten der Arterhaltung!“
— Und folglich! Folglich! Folglich! Oh versteht ihr mich, meine
Brüder? Versteht ihr dieses neue Gesetz der Ebbe und Fluth? Auch
wir haben unsere Zeit!
Zij die leren dat het bestaan een doel heeft en het leven
een zin. - Of ik nu met goedgunstige of boosaardige blik
naar de mensen kijk — ze zijn altijd, allemaal en zonder
uitzondering, bezig met één en dezelfde opdracht: Doen wat dient
tot de instandhouding van de menselijke soort. En dat niet uit
liefde voor deze soort, maar eenvoudigweg omdat niets in hen
ouder, sterker, onverbiddelijker is dan dat instinct — dat
instinct dat juist het wezen van onze soort, onze
kudde uitmaakt. Wat de soort had kunnen schaden, is wellicht
sinds vele millennia al uitgestorven — behoort tot de dingen die
zelfs voor God niet meer mogelijk zijn.
Om/met zichzelf lachen, dat zou men moeten doen om vanuit
de volle waarheid te lachen! — Maar tot op heden hebben
daartoe zelfs de besten niet genoeg gevoel voor de waarheid
gehad, en de begaafdsten veel te weinig vernuft. Voor het lachen
is vast nog een toekomst weggelegd, maar dan moet de stelling
“de soort is alles, de enkeling niets” de mensen zo eigen zijn
geworden, dat iedereen altijd kan grijpen naar deze ultieme daad
van bevrijdende onverantwoordelijkheid. Dan zal het lachen zich
wellicht met de wijsheid hebben verbonden. Dan zal er enkel nog
'vrolijke wetenschap' zijn. Vooralsnog is het nog anders.
Vooralsnog is de de komedie van het bestaan zich nog niet van
zichzelf bewust — vooralsnog is het nog steeds het tijdperk van
de tragedie, de tijd van moraal en religie.
Wat wil dat toch beduiden, dat er steeds weer nieuwe stichters
van moraal en geloof opduiken, uitvinders van gewetenswroeging
en heilige oorlogen? Wat betekenen die helden op dit toneel?
Want tot nu toe waren zij de helden ervan; al het overige — wat
soms zichtbaar was, of te dicht op de voorgrond stond — heeft
altijd alleen maar gediend om op de verschijning van deze helden
voor te bereiden, hetzij als machinerie en coulisse (techn.term.
voor 'toneelmechaniek en decorstukken'), hetzij in de rol van
vertrouwelingen en kamerdienaren. (De dichters zijn bijvoorbeeld
altijd de kamerdienaren van een of andere moraal geweest.) Het
spreekt voor zich dat ook deze treurspelacteurs in het belang
van de soort actief zijn — ook al geloven ze zelf
graag dat ze handelen in het belang van God, als zijn gezanten.
Ook zij bevorderen het leven van de soort, doordat zij het geloof
in het leven bevorderen . “Het is de moeite waard om te
leven!” — zo roept ieder van hen — “Het leven heeft betekenis,
er steekt iets in dit leven! Er zit iets achter, onder dit leven
— neem u in acht!”
Opdat wat noodzakelijk en eeuwig, uit zichzelf en zonder doel
geschiedt, voortaan zou lijken te geschieden met een doel, en de
mens het als redelijlk en als hoogste gebod zou verstaan —
daarvoor komt nu de ethische leermeester op het toneel, de
leermeester van de zin van het bestaan. Hiervoor verzint hij een
tweede, ander bestaan, en tilt met zijn nieuwe mechaniek het
oude, gewone leven uit zijn gewone hengsels. Ja — hij wil
volstrekt niet dat wij lachen om het bestaan, netzomin
als om onszelf, of om hem.
En telkens als “de held” het toneel betrad, werd er iets nieuws
bereikt — het huiveringwekkende tegendeel van lachen: een diepe
ontroering van vele enkelingen bij die ene gedachte: “Ja, het is
de moeite waard te leven! Ja, ík ben het waard te leven!” — het
leven en ik en jij en wij allen tesamen werden weer enige tijd interessant,
voor onszelf. Het valt niet te ontkennen: op den
duur is over elk deze grote doel-leermeesters het
lachen, de rede en de natuur heer en meester geworden. De korte
tragedie ging uiteindelijk altijd over in de eeuwige komedie van
het bestaan em viel daarin terug, en “ontelbare lach-golven” —
om met Aischylos te spreken — zullen uiteindelij ook over de
grootste van deze treurspelacteurs heenslaan. Maar
ondanks al dat corrigerende lachen is de menselijke natuur wél
veranderd: zij heeft er een behoefte bij gekregen — de behoefte
aan het steeds opnieuw verschijnen van zulke leermeesters van
het “doel” en de bijbehorende theorieën. De mens is gaandeweg
een fantastisch dier geworden, dat een bestaansvoorwaarde meer
heeft dan elk ander dier : de mens moet van tijd tot tijd
geloven dat hij weet waarom hij bestaat. Zijn soort
kan niet gedijen zonder een periodiek vertrouwen in het leven —
zonder geloof aan de redelijkheid van het leven ('Vernunft
im Leben'). En telkens opnieuw zal het menselijk geslacht
besluiten: “Er is iets waarmee absoluut niet meer gelachen mag
worden!” En de voorzichtigste mensenvriend mens zal toevoegen:
“Niet alleen het lachen en de vrolijke wijsheid, maar ook het
tragische — met al zijn verheven onredelijkheid — behoort tot de
middelen en de noodzakelijkheden van het behoud van de soort.”
En dus — dus — dus!
Begrijpt gij mij, mijn broeders?
Begrijpt gij deze nieuwe wet van eb en vloed?
Ook voor ons is er een tijd! (of: ook onze tijd komt nog )
Das intellectuale Gewissen. —
Ich mache immer wieder die gleiche Erfahrung und sträube mich
ebenso immer von Neuem gegen sie, ich will es nicht glauben,
ob ich es gleich mit Händen greife: den
Allermeisten fehlt das intellectuale Gewissen ; ja
es wollte mir oft scheinen, als ob man mit der Forderung eines
solchen in den volkreichsten Städten einsam wie in der Wüste
sei. Es sieht dich Jeder mit fremden Augen an und handhabt
seine Wage weiter, diess gut, jenes böse nennend; es macht
Niemandem eine Schamröthe, wenn du merken lässest, dass diese
Gewichte nicht vollwichtig sind, — es macht auch keine
Empörung gegen dich: vielleicht lacht man über deinen Zweifel.
Ich will sagen: die Allermeisten
finden es nicht verächtlich, diess oder jenes zu glauben und
darnach zu leben, ohne
sich vorher der letzten und sichersten Gründe für und wider
bewusst worden zu sein und ohne sich auch nur die Mühe um
solche Gründe hinterdrein zu geben, — die begabtesten Männer
und die edelsten Frauen gehören noch zu diesen „Allermeisten“.
Was ist mir aber Gutherzigkeit, Feinheit und Genie, wenn der
Mensch dieser Tugenden schlaffe Gefühle im Glauben und
Urtheilen bei sich duldet, wenn das
Verlangen nach Gewissheit ihm nicht als die
innerste Begierde und tiefste Noth gilt, — als Das, was die
höheren Menschen von den niederen scheidet! ...
Het intellectueel geweten . — Telkens
weer doe ik dezelfde ervaring op, en ik verzet me er ook telkens
opnieuw tegen, ik wil het niet geloven, ook al is het met de
handen te tasten : de overgrote meerderheid van de mensen heeft
geen intellectueel geweten ; ja, ik heb vaak het
gevoel gehad dat - als je zoiets zou eisen - je zelfs in de
dichtst bevolkte steden net zo eenzaam zou zijn als in de
woestijn. Iedereen kijkt je dan met grote ogen aan, en gaat
vervolgens verder met zijn afwegingen (Waage =
weegschaal), noemt dit goed, dat slecht; niemand stijgt het
schaamrood naar de kaken, als je laat doorschemeren dat zijn
gewichten niet 'het volle gewicht' hebben (geijkt zijn )
— verontwaardigd is trouwens ook niemand: het zou kunnen dat
iemand lacht met je twijfel. Wat ik wil zeggen, is dit: De
overgrote meerderheid vindt het niet verachtelijk om iets te
geloven en daarnaar te leven zonder zich vooraf van de
laatste en zekerste argumenten voor en tegen bewust te zijn, en
zonder zich achteraf om dergelijke argumenten druk te maken. Ook
de meest getalenteerde mannen en de nobelste vrouwen horen bij
deze ‘overgrote meerderheid’. Wat koop ik voor goedhartigheid,
verfijning en vernuft, als de mens die deze deugden bezit bij
zichzelf slappe gevoelens duldt op het gebied van geloof en
oordeel, als het verlangen naar zekerheid voor hem
niet geldt als innigste begeerte en diepste nood — als dat wat
de hogerstaande mensen scheidt van de lager-bij-de-grondsen! ...
Das Arterhaltende. — Die
stärksten und bösesten Geister haben bis jetzt die Menschheit
am meisten vorwärts gebracht: sie entzündeten immer wieder die
einschlafenden Leidenschaften — alle geordnete Gesellschaft
schläfert die Leidenschaften ein —, sie weckten immer wieder
den Sinn der Vergleichung, des Widerspruchs, der Lust am
Neuen, Gewagten, Unerprobten, sie zwangen die Menschen,
Meinungen gegen Meinungen, Musterbilder gegen Musterbilder zu
stellen. Mit den Waffen, mit Umsturz der Grenzsteine, durch
Verletzung der Pietäten zumeist: aber auch durch neue
Religionen und Moralen! Die selbe „Bosheit“ ist in jedem
Lehrer und Prediger des Neuen ,
— welche einen Eroberer verrufen macht, wenn sie auch sich
feiner äussert, nicht sogleich die Muskeln in Bewegung setzt
und eben desshalb auch nicht so verrufen macht! Das Neue ist
aber unter allen Umständen das Böse ,
als Das, was erobern, die alten Grenzsteine und die alten
Pietäten umwerfen will; und nur das Alte ist das Gute! Die
guten Menschen jeder Zeit sind die, welche die alten Gedanken
in die Tiefe graben und mit ihnen Frucht tragen, die
Ackerbauer des Geistes. Aber jedes Land wird endlich
ausgenützt, und immer wieder muss die Pflugschar des Bösen
kommen. — Es giebt jetzt eine gründliche Irrlehre der Moral,
welche namentlich in England sehr gefeiert wird: nach ihr sind
die Urtheile „gut“ und „böse“ die Aufsammlung der Erfahrungen
über „zweckmässig“ und „unzweckmässig“; nach ihr ist das
Gut-Genannte das Arterhaltende, das Bös-Genannte aber das der
Art Schädliche. In Wahrheit sind aber die bösen Triebe in eben
so hohem Grade zweckmässig, arterhaltend und unentbehrlich wie
die guten: — nur ist ihre Function eine verschiedene.
Wat de soort in stand houdt.
Unbedingte Pflichten. — Alle
Menschen, welche fühlen, dass sie die stärksten Worte und
Klänge, die beredtesten Gebärden und Stellungen nöthig haben,
um überhaupt zu
wirken, Revolutions-Politiker, Socialisten, Bussprediger mit
und ohne Christenthum, bei denen allen es keine halben Erfolge
geben darf: alle diese reden von „Pflichten“, und zwar immer
von Pflichten mit dem Charakter des Unbedingten — ohne solche
hätten sie kein Recht zu ihrem grossen Pathos: das wissen sie
recht wohl! So greifen sie nach Philosophieen der Moral,
welche irgend einen kategorischen Imperativ predigen, oder sie
nehmen ein gutes Stück Religion in sich hinein, wie diess zum
Beispiel Mazzini gethan hat. Weil sie wollen, dass ihnen
unbedingt vertraut werde, haben sie zuerst nöthig, dass sie
sich selber unbedingt vertrauen, auf Grund irgend eines
letzten indiscutabeln und an sich erhabenen Gebotes, als
dessen Diener und Werkzeuge sie sich fühlen und ausgeben
möchten. Hier haben wir die natürlichsten und meistens sehr
einflussreichen Gegner der moralischen Aufklärung und Skepsis:
aber sie sind selten. Dagegen giebt es eine sehr umfängliche
Classe dieser Gegner überall dort, wo das Interesse die
Unterwerfung lehrt, während Ruf und Ehre die Unterwerfung zu
verbieten scheinen. Wer sich entwürdigt fühlt bei dem
Gedanken, das Werkzeug
eines Fürsten oder einer Partei und Secte oder gar einer
Geldmacht zu sein, zum Beispiel als Abkömmling einer alten,
stolzen Familie, aber eben diess Werkzeug sein will oder sein
muss, vor sich und vor der Oeffentlichkeit, der hat
pathetische Principien nöthig, die man jederzeit in den Mund
nehmen kann: — Principien eines unbedingten Sollens, welchen
man sich ohne Beschämung unterwerfen und unterworfen zeigen
darf. Alle feinere Servilität hält am kategorischen Imperativ
fest und ist der Todfeind Derer, welche der Pflicht den
unbedingten Charakter nehmen wollen: so fordert es von ihnen
der Anstand, und nicht nur der Anstand.
Onvoorwaardelijke plichten
Verlust an Würde. — Das
Nachdenken ist um all seine Würde der Form gekommen, man hat das
Ceremoniell und die feierliche Gebärde des Nachdenkens zum
Gespött gemacht und würde einen weisen Mann alten Stils nicht
mehr aushalten. Wir denken zu rasch, und unterwegs, und mitten
im Gehen, mitten in Geschäften aller Art, selbst wenn wir an das
Ernsthafteste denken; wir brauchen wenig Vorbereitung, selbst
wenig Stille: — es ist, als ob wir eine unaufhaltsam rollende
Maschine im Kopfe herumtrügen, welche selbst unter den
ungünstigsten Umständen noch arbeitet. Ehemals sah man es Jedem
an, dass er einmal denken wollte — es war wohl die Ausnahme! —,
dass er jetzt weiser werden wollte und sich auf einen Gedanken
gefasst machte: man zog ein Gesicht dazu, wie zu einem Gebet,
und hielt den Schritt an; ja man stand stundenlang auf der
Strasse still, wenn der Gedanke „kam“ — auf einem oder auf zwei
Beinen. So war es „der Sache würdig“!
Verlies van waardigheid.
— Wat de vorm betreft is het nadenken al zijn waardigheid kwijt:
men heeft het ceremonieel en de plechtige gebaren van het
nadenken tot een voorwerp van spot gemaakt: een wijs man van de
oude stempel zou men niet meer kunnen verdragen. Wij denken te
snel, onderweg, onder het lopen, terwijl we bezig zijn met
allerlei dingen, zelfs als wij nadenken over zeer ernstigste
zaken; Voorbereiding hebben we nauwelijks nodig, zelf niet een
klein beetje stilte — het is net of we een onophoudelijk
ronddraaiende machine in ons hoofd meedragen, die zelfs onder de
ongunstigste omstandigheden nog doorwerkt. Vroeger kon je aan
iemand zien, dat hij eens wilde nadenken — waarschijnlijk een
uitzondering! — dat hij op dat moment wijzer wilde worden en
zich op een gedachte voorbereidde: Men trok daarbij een gezicht,
zoaals voor een gebed, en hield zijn pas in; sterker nog, men
stond urenlang stil op straat, als de gedachte ‘kwam’ — op een
of twee benen. Zo was het ‘de zaak waardig’!
Etwas für Arbeitsame. — Wer
jetzt aus den moralischen Dingen ein Studium machen will,
eröffnet sich ein ungeheures Feld der Arbeit. Alle Arten
Passionen müssen einzeln durchdacht, einzeln durch Zeiten,
Völker, grosse und kleine Einzelne verfolgt werden; ihre ganze
Vernunft und alle ihre Werthschätzungen und Beleuchtungen der
Dinge sollen an’s Licht hinaus! Bisher hat alles Das, was dem
Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte: oder wo gäbe
es eine Geschichte der Liebe, der Habsucht, des Neides, des
Gewissens, der Pietät, der Grausamkeit? Selbst eine
vergleichende Geschichte des Rechtes, oder auch nur der
Strafe, fehlt bisher vollständig. Hat man schon die
verschiedene Eintheilung des Tages, die Folgen einer
regelmässigen Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe zum
Gegenstand der Forschung gemacht? Kennt man die moralischen
Wirkungen der Nahrungsmittel? Giebt es eine Philosophie der
Ernährung? (Der immer wieder losbrechende Lärm für und wider
den Vegetarianismus beweist schon, dass es noch keine solche
Philosophie giebt!) Sind die Erfahrungen über das
Zusammenleben, zum Beispiel die Erfahrungen der Klöster, schon
gesammelt? Ist die Dialektik der Ehe und Freundschaft schon
dargestellt? Die Sitten der Gelehrten, der Kaufleute,
Künstler, Handwerker, — haben sie schon ihre Denker gefunden?
Es ist so viel daran zu denken! Alles, was bis jetzt die
Menschen als ihre „Existenz-Bedingungen“ betrachtet haben, und
alle Vernunft, Leidenschaft und Aberglauben an dieser
Betrachtung, — ist diess schon zu Ende erforscht? Allein die
Beobachtung des verschiedenen Wachsthums, welches die
menschlichen Triebe je nach dem verschiedenen moralischen
Klima gehabt haben und noch haben könnten, giebt schon zu viel
der Arbeit für den ; es bedarf ganzer Geschlechter und
planmässig zusammen arbeitender Geschlechter von Gelehrten, um
hier die Gesichtspuncte und das Material zu erschöpfen. Das
Selbe gilt von der Nachweisung der Gründe für die
Verschiedenheit des moralischen Klimas („ wesshalb
leuchtet hier diese Sonne einArbeitsamstenes moralischen
Grundurtheils und Hauptwerthmessers — und dort jene?“). Und
wieder eine neue Arbeit ist es, welche die Irrthümlichkeit
aller dieser Gründe und das ganze Wesen des bisherigen
moralischen Urtheils feststellt. Gesetzt, alle diese Arbeiten
seien gethan, so träte die heikeligste aller Fragen in den
Vordergrund, ob die Wissenschaft im Stande sei, Ziele des
Handelns zu geben ,
nachdem sie bewiesen hat, dass sie solche nehmen und
vernichten kann — und dann würde ein Experimentiren am Platze
sein, an dem jede Art von Heroismus sich befriedigen könnte,
ein Jahrhunderte langes Experimentiren, welches alle grossen
Arbeiten und Aufopferungen der bisherigen Geschichte in
Schatten stellen könnte. Bisher hat die Wissenschaft ihre
Cyklopen-Bauten noch nicht gebaut; auch dafür wird die Zeit
kommen.
Unbewusste Tugenden. — Alle
Eigenschaften eines Menschen, deren er sich bewusst ist — und
namentlich, wenn er deren Sichtbarkeit und Evidenz auch für
seine Umgebung voraussetzt — stehen unter ganz anderen
Gesetzen der Entwickelung, als jene Eigenschaften, welche ihm
unbekannt oder schlecht bekannt sind und die sich auch vor dem
Auge des feineren Beobachters durch ihre Feinheit verbergen
und wie hinter das Nichts zu verstecken wissen. So steht es
mit den feinen Sculpturen auf den Schuppen der Reptilien: es
würde ein Irrthum sein, in ihnen einen Schmuck oder eine Waffe
zu vermuthen — denn man sieht sie erst mit dem Mikroskop, also
mit einem so künstlich verschärften Auge, wie es ähnliche
Thiere, für welche es etwa Schmuck oder Waffe zu bedeuten
hätte, nicht besitzen! Unsere sichtbaren moralischen
Qualitäten, und namentlich unsere sichtbar geglaubten
gehen ihren Gang, — und die unsichtbaren ganz gleichnamigen,
welche uns in Hinsicht auf Andere weder Schmuck noch Waffe
sind, gehen auch ihren Gang :
einen ganz anderen wahrscheinlich, und mit Linien und
Feinheiten und Sculpturen, welche vielleicht einem Gotte mit
einem göttlichen Mikroskope Vergnügen machen könnten. Wir
haben zum Beispiel unsern Fleiss, unsern Ehrgeiz, unsern
Scharfsinn: alle Welt weiss darum —, und ausserdem haben wir
wahrscheinlich noch einmal unseren
Fleiss, unseren
Ehrgeiz, unseren
Scharfsinn; aber für diese unsere Reptilien-Schuppen ist das
Mikroskop noch nicht erfunden! — Und hier werden die Freunde
der instinctiven Moralität sagen: „Bravo! Er hält wenigstens
unbewusste Tugenden für möglich, — das genügt uns!“ — Oh ihr
Genügsamen!
Unsere Eruptionen. —
Unzähliges, was sich die Menschheit auf früheren Stufen
aneignete, aber so schwach und embryonisch, dass es Niemand
als angeeignet wahrzunehmen wusste, stösst plötzlich, lange
darauf, vielleicht nach Jahrhunderten, an’s Licht: es ist
inzwischen stark und reif geworden. Manchen Zeitaltern scheint
diess oder jenes Talent, diese oder jene Tugend ganz zu
fehlen, wie manchen Menschen: aber man warte nur bis auf die
Enkel und Enkelskinder, wenn man Zeit hat, zu warten, — sie
bringen das Innere ihrer Grossväter an die Sonne, jenes
Innere, von dem die Grossväter selbst noch Nichts wussten. Oft
ist schon der Sohn der Verräther seines Vaters: dieser
versteht sich selber besser, seit er seinen Sohn hat. Wir
haben Alle verborgene Gärten und Pflanzungen in uns; und, mit
einem andern Gleichnisse, wir sind Alle wachsende Vulcane, die
ihre Stunde der Eruption haben werden: — wie nahe aber oder
wie ferne diese ist, das freilich weiss Niemand, selbst der
liebe Gott nicht.
Eine Art von Atavismus. — Die
seltenen Menschen einer Zeit verstehe ich am liebsten als
plötzlich auftauchende Nachschösslinge vergangener Culturen
und deren Kräften: gleichsam als den Atavismus eines Volkes
und seiner Gesittung: — so ist wirklich Etwas noch an ihnen zu
verstehen ! Jetzt
erscheinen sie fremd, selten, ausserordentlich: und wer diese
Kräfte in sich fühlt, hat sie gegen eine widerstrebende andere
Welt zu pflegen, zu vertheidigen, zu ehren, gross zu ziehen:
und so wird er damit entweder ein grosser Mensch oder ein
verrückter und absonderlicher, sofern er überhaupt nicht bei
Zeiten zu Grunde geht. Ehedem waren diese selben Eigenschaften
gewöhnlich und galten folglich als gemein: sie zeichneten
nicht aus. Vielleicht wurden sie gefordert, vorausgesetzt; es
war unmöglich, mit ihnen gross zu werden, und schon desshalb,
weil die Gefahr fehlte, mit ihnen auch toll und einsam zu
werden. — Die erhaltenden
Geschlechter und Kasten eines Volkes sind es vornehmlich, in
denen solche Nachschläge alter Triebe vorkommen, während keine
Wahrscheinlichkeit für solchen Atavismus ist, wo Rassen,
Gewohnheiten, Werthschätzungen zu rasch wechseln. Das Tempo
bedeutet nämlich unter den Kräften der Entwickelung bei
Völkern ebensoviel wie bei der Musik; für unseren Fall ist
durchaus ein Andante der Entwickelung nothwendig, als das
Tempo eines leidenschaftlichen und langsamen Geistes: — und
der Art ist ja der Geist conservativer Geschlechter.
Das Bewusstsein. — Die
Bewusstheit ist die letzte und späteste Entwickelung des
Organischen und folglich auch das Unfertigste und Unkräftigste
daran. Aus der Bewusstheit stammen unzählige Fehlgriffe,
welche machen, dass ein Thier, ein Mensch zu Grunde geht,
früher als es nöthig wäre, „über das Geschick“, wie Homer
sagt. Wäre nicht der erhaltende Verband der Instincte so
überaus viel mächtiger, diente er nicht im Ganzen als
Regulator: an ihrem verkehrten Urtheilen und Phantasiren mit
offenen Augen, an ihrer Ungründlichkeit und Leichtgläubigkeit,
kurz eben an ihrer Bewusstheit müsste die Menschheit zu Grunde
gehen: oder vielmehr, ohne jenes gäbe es diese längst nicht
mehr! Bevor eine Function ausgebildet und reif ist, ist sie
eine Gefahr des Organismus: gut, wenn sie so lange tüchtig
tyrannisirt wird! So wird die Bewusstheit tüchtig tyrannisirt
— und nicht am wenigsten von dem Stolze darauf! Man denkt,
hier sei der Kern
des Menschen; sein Bleibendes, Ewiges, Letztes,
Ursprünglichstes! Man hält die Bewusstheit für eine feste
gegebene Grösse! Leugnet ihr Wachsthum, ihre Intermittenzen!
Nimmt sie als „Einheit des Organismus“! — Diese lächerliche
Ueberschätzung und Verkennung des Bewusstseins hat die grosse
Nützlichkeit zur Folge, dass damit eine allzuschnelle
Ausbildung desselben verhindert
worden ist. Weil die Menschen die Bewusstheit schon zu haben
glaubten, haben sie sich wenig Mühe darum gegeben, sie zu
erwerben — und auch jetzt noch steht es nicht anders! Es ist
immer noch eine ganz neue und eben erst dem menschlichen Auge
aufdämmernde, kaum noch deutlich erkennbare Aufgabe,
das Wissen sich einzuverleiben und instinctiv zu
machen, — eine Aufgabe, welche nur von Denen gesehen wird, die
begriffen haben, dass bisher nur unsere Irrthümer
uns einverleibt waren und dass alle unsere Bewusstheit sich
auf Irrthümer bezieht!
Vom Ziele der Wissenschaft. —
Wie? Das letzte Ziel der Wissenschaft sei, dem Menschen
möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu schaffen?
Wie, wenn nun Lust und Unlust so mit einem Stricke
zusammengeknüpft wären, dass, wer möglichst viel von der einen
haben will , auch
möglichst viel von der andern haben muss ,
— dass, wer das „Himmelhoch-Jauchzen“ lernen will, sich auch
für das „zum-Tode-betrübt“ bereit halten muss? Und so steht es
vielleicht! Die Stoiker glaubten wenigstens, dass es so stehe,
und waren consequent, als sie nach möglichst wenig Lust
begehrten, um möglichst wenig Unlust vom Leben zu haben (wenn
man den Spruch im Munde führte „Der Tugendhafte ist der
Glücklichste“, so hatte man in ihm sowohl ein Aushängeschild
der Schule für die grosse Masse, als auch eine casuistische
Feinheit für die Feinen). Auch heute noch habt ihr die Wahl:
entweder möglichst wenig Unlust ,
kurz Schmerzlosigkeit — und im Grunde dürften Socialisten und
Politiker aller Parteien ihren Leuten ehrlicher Weise nicht
mehr verheissen — oder möglichst
viel Unlust als Preis für das Wachsthum einer
Fülle von feinen und bisher selten gekosteten Lüsten und
Freuden! Entschliesst ihr euch für das Erstere, wollt ihr also
die Schmerzhaftigkeit der Menschen herabdrücken und
vermindern, nun, so müsst ihr auch ihre Fähigkeit
zur Freude herabdrücken und vermindern. In der
That kann man mit der
Wissenschaft das eine wie das andere Ziel
fördern! Vielleicht ist sie jetzt noch bekannter wegen ihrer
Kraft, den Menschen um seine Freuden zu bringen, und ihn
kälter, statuenhafter, stoischer zu machen. Aber sie könnte
auch noch als die grosse
Schmerzbringerin entdeckt werden! — Und dann
würde vielleicht zugleich ihre Gegenkraft entdeckt sein, ihr
ungeheures Vermögen, neue Sternenwelten der Freude aufleuchten
zu lassen!
Zur Lehre vom Machtgefühl. —
Mit Wohlthun und Wehethun übt man seine Macht an Andern aus —
mehr will man dabei nicht! Mit Wehethun
an Solchen, denen wir unsere Macht erst fühlbar machen müssen;
denn der Schmerz ist ein viel empfindlicheres Mittel dazu als
die Lust: — der Schmerz fragt immer nach der Ursache, während
die Lust geneigt ist, bei sich selber stehen zu bleiben und
nicht rückwärts zu schauen. Mit Wohlthun
und Wohlwollen an Solchen, die irgendwie schon von uns
abhängen (das heisst gewohnt sind, an uns als ihre Ursache zu
denken); wir wollen ihre Macht mehren, weil wir so die unsere
mehren, oder wir wollen ihnen den Vortheil zeigen, den es hat,
in unserer Macht zu stehen, — so werden sie mit ihrer Lage
zufriedener und gegen die Feinde unserer
Macht feindseliger und kampfbereiter sein. Ob wir beim Wohl-
oder Wehethun Opfer bringen, verändert den letzten Werth
unserer Handlungen nicht; selbst wenn wir unser Leben daran
setzen, wie der Märtyrer zu Gunsten seiner Kirche, es ist ein
Opfer, gebracht unserem
Verlangen nach Macht, oder zum Zweck der Erhaltung unseres
Machtgefühls. Wer da empfindet „ich bin im Besitz der
Wahrheit“, wie viel Besitzthümer lässt der nicht fahren, um
diese Empfindung zu retten! Was wirft er nicht Alles über
Bord, um sich „oben“ zu erhalten, — das heisst über den Andern, welche der
„Wahrheit“ ermangeln! Gewiss ist der Zustand, wo wir wehe
thun, selten so angenehm, so ungemischt-angenehm, wie der, in
welchem wir wohl thun, — es ist ein Zeichen, dass uns noch
Macht fehlt, oder verräth den Verdruss über diese Armuth, es
bringt neue Gefahren und Unsicherheiten für unseren
vorhandenen Besitz von Macht mit sich und umwölkt unsern
Horizont durch die Aussicht auf Rache, Hohn, Strafe,
Misserfolg. Nur für die reizbarsten und begehrlichsten
Menschen des Machtgefühles mag es lustvoller sein, dem
Widerstrebenden das Siegel der Macht aufzudrücken; für solche,
denen der Anblick des bereits Unterworfenen (als welcher der
Gegenstand des Wohlwollens ist) Last und Langeweile macht. Es
kommt darauf an, wie man gewöhnt ist, sein Leben zu würzen ; es ist eine Sache des
Geschmackes, ob man lieber den langsamen oder den plötzlichen,
den sicheren oder den gefährlichen und verwegenen Machtzuwachs
haben will, — man sucht diese oder jene Würze immer nach
seinem Temperamente. Eine leichte Beute ist stolzen Naturen
etwas Verächtliches, sie empfinden ein Wohlgefühl erst beim
Anblick ungebrochener Menschen, welche ihnen Feind werden
könnten, und ebenso beim Anblick aller schwer zugänglichen
Besitzthümer; gegen den Leidenden sind sie oft hart, denn er
ist ihres Strebens und Stolzes nicht werth, — aber um so
verbindlicher zeigen sie sich gegen die Gleichen ,
mit denen ein Kampf und Ringen jedenfalls ehrenvoll wäre,
wenn sich einmal eine
Gelegenheit dazu finden sollte. Unter dem Wohlgefühle
dieser Perspective haben sich
die Menschen der ritterlichen Kaste gegen einander an eine
ausgesuchte Höflichkeit gewöhnt. — Mitleid ist das angenehmste
Gefühl bei Solchen, welche wenig stolz sind und keine Aussicht
auf grosse Eroberungen haben: für sie ist die leichte Beute —
und das ist jeder Leidende — etwas Entzückendes. Man rühmt das
Mitleid als die Tugend der Freudenmädchen.
Was Alles Liebe genannt wird. —
Habsucht und Liebe: wie verschieden empfinden wir bei jedem
dieser Worte! — und doch könnte es der selbe Trieb sein,
zweimal benannt, das eine Mal verunglimpft vom Standpuncte der
bereits Habenden aus, in denen der Trieb etwas zur Ruhe
gekommen ist und die nun für ihre „Habe“ fürchten; das andere
Mal vom Standpuncte der Unbefriedigten, Durstigen aus, und
daher verherrlicht als „gut“. Unsere Nächstenliebe — ist sie
nicht ein Drang nach neuem Eigenthum ?
Und ebenso unsere Liebe zum Wissen, zur Wahrheit und überhaupt
all jener Drang nach Neuigkeiten? Wir werden des Alten, sicher
Besessenen allmählich überdrüssig und strecken die Hände
wieder aus; selbst die schönste Landschaft, in der wir drei
Monate leben, ist unserer Liebe nicht mehr gewiss, und irgend
eine fernere Küste reizt unsere Habsucht an: der Besitz wird
durch das Besitzen zumeist geringer. Unsere Lust an uns selber
will sich so aufrecht erhalten, dass sie immer wieder etwas
Neues in uns selber
verwandelt, — das eben heisst Besitzen. Eines Besitzes
überdrüssig werden, das ist: unserer selber überdrüssig
werden. (Man kann auch am Zuviel leiden, — auch die Begierde,
wegzuwerfen, auszutheilen, kann sich den Ehrennamen „Liebe“
zulegen.) Wenn wir Jemanden leiden sehen, so benutzen wir
gerne die jetzt gebotene Gelegenheit, Besitz von ihm zu
ergreifen; diess thut zum Beispiel der Wohlthätige und
Mitleidige, auch er nennt die in ihm erweckte Begierde nach
neuem Besitz „Liebe“, und hat seine Lust dabei wie bei einer
neuen ihm winkenden Eroberung. Am deutlichsten aber verräth
sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigenthum: der
Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm
ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über
ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als
das Höchste und Begehrenswertheste in der andern Seele wohnen
und herrschen. Erwägt man, dass diess nichts Anderes heisst,
als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und Genusse
ausschliessen : erwägt man, dass
der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen
Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes
werden möchte, als der rücksichtsloseste und selbstsüchtigste
aller „Eroberer“ und Ausbeuter: erwägt man endlich, dass dem
Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgültig, blass,
werthlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung
zu stören, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so
wundert man sich in der That, dass diese wilde Habsucht und
Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaassen verherrlicht
und vergöttlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen,
ja, dass man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den
Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, während sie vielleicht
gerade der unbefangenste Ausdruck des Egoismus ist. Hier haben
offenbar die Nichtbesitzenden und Begehrenden den
Sprachgebrauch gemacht, — es gab wohl ihrer immer zu viele.
Solche, welchen auf diesem Bereiche viel Besitz und Sättigung
gegönnt war, haben wohl hier und da ein Wort vom „wüthenden
Dämon“ fallen lassen, wie jener liebenswürdigste und
geliebteste aller Athener, Sophokles: aber Eros lachte
jederzeit über solche Lästerer, — es waren immer gerade seine
grössten Lieblinge. — Es giebt wohl hier und da auf Erden eine
Art Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsüchtige Verlangen
zweier Personen nach einander einer neuen Begierde und
Habsucht, einem gemeinsamen
höheren Durste nach einem über ihnen stehenden Ideale gewichen
ist: aber wer kennt diese Liebe? Wer hat sie erlebt? Ihr
rechter Name ist Freundschaft .
Aus der Ferne. — Dieser Berg
macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise
reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir diess uns zum
hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernünftig und so
dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der Geber
dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein —
und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttäuscht.
Plötzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um uns,
unter uns wie entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche
Grösse, wie manche Güte, nur auf eine gewisse Distanz hin
gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht von oben, —
so allein wirkt sie .
Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber
nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt
erträglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die
Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerrathen.
Ueber den Steg. — Im Verkehre
mit Personen, welche gegen ihre Gefühle schamhaft sind, muss
man sich verstellen können; sie empfinden einen plötzlichen
Hass gegen Den, welcher sie auf einem zärtlichen oder
schwärmerischen und hochgehenden Gefühle ertappt, wie als ob
er ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen
Augenblicken wohl thun, so mache man sie lachen oder sage
irgend eine kalte scherzhafte Bosheit: — ihr Gefühl erfriert
dabei, und sie sind ihrer wieder mächtig. Doch ich gebe die
Moral vor der Geschichte. — Wir sind uns Einmal im Leben so
nahe gewesen, dass Nichts unsere Freund- und Bruderschaft mehr
zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg zwischen uns
war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich:
„willst du zu mir über den Steg?“ — Aber da wolltest du nicht
mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du. Seitdem sind
Berge und reissende Ströme, und was nur trennt und fremd
macht, zwischen uns geworfen, und wenn wir auch zu einander
wollten, wir könnten es nicht mehr! Gedenkst du aber jetzt
jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr, — nur noch
Schluchzen und Verwunderung.
Seine Armuth motiviren. — Wir
können freilich durch kein Kunststück aus einer armen Tugend
eine reiche, reichfliessende machen, aber wohl können wir ihre
Armuth schön in die Nothwendigkeit umdeuten, sodass ihr
Anblick uns nicht mehr wehe thut, und wir ihrethalben dem
Fatum keine vorwurfsvollen Gesichter machen. So thut der weise
Gärtner, der das arme Wässerchen seines Gartens einer
Quellnymphe in den Arm legt und also die Armuth motivirt: —
und wer hätte nicht gleich ihm die Nymphen nöthig!
Antiker Stolz. — Die antike
Färbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserem Gefühle der
antike Sclave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen
seiner Höhe und jener letzten Niedrigkeit solche ungeheure
Zwischen-Stufen und eine solche Ferne, dass er den Sclaven
kaum noch deutlich sehen konnte: selbst Plato hat ihn nicht
ganz mehr gesehen. Anders wir, gewöhnt wie wir sind an die
Lehre von der Gleichheit der
Menschen, wenn auch nicht an die Gleichheit selber. Ein Wesen,
das nicht über sich selber verfügen kann und dem die Musse
fehlt, — das gilt unserem Auge noch keineswegs als etwas
Verächtliches; es ist von derlei Sclavenhaftem vielleicht zu
viel an Jedem von uns, nach den Bedingungen unserer
gesellschaftlichen Ordnung und Thätigkeit, welche
grundverschieden von denen der Alten sind. — Der griechische
Philosoph gieng durch das Leben mit dem geheimen Gefühle, dass
es viel mehr Sclaven gebe, als man vermeine — nämlich, dass
Jedermann Sclave sei, der nicht Philosoph sei; sein Stolz
schwoll über, wenn er erwog, dass auch die Mächtigsten der
Erde unter diesen seinen Sclaven seien. Auch dieser Stolz ist
uns fremd und unmöglich; nicht einmal im Gleichniss hat das
Wort „Sclave“ für uns seine volle Kraft.
Das Böse. — Prüfet das Leben
der besten und fruchtbarsten Menschen und Völker und fragt
euch, ob ein Baum, der stolz in die Höhe wachsen soll, des
schlechten Wetters und der Stürme entbehren könne: ob Ungunst
und Widerstand von aussen, ob irgend welche Arten von Hass,
Eifersucht, Eigensinn, Misstrauen, Härte, Habgier und
Gewaltsamkeit nicht zu den begünstigenden
Umständen gehören, ohne welche ein grosses Wachsthum selbst in
der Tugend kaum möglich ist? Das Gift, an dem die schwächere
Natur zu Grunde geht, ist für den Starken Stärkung — und er
nennt es auch nicht Gift.
Würde der Thorheit. — Einige
Jahrtausende weiter auf der Bahn des letzten Jahrhunderts! —
und in Allem, was der Mensch thut, wird die höchste Klugheit
sichtbar sein: aber eben damit wird die Klugheit alle ihre
Würde verloren haben. Es ist dann zwar nothwendig, klug zu
sein, aber auch so gewöhnlich und so gemein, dass ein eklerer
Geschmack diese Nothwendigkeit als eine Gemeinheit
empfinden wird. Und ebenso wie eine Tyrannei der Wahrheit und
Wissenschaft im Stande wäre, die Lüge hoch im Preise steigen
zu machen, so könnte eine Tyrannei der Klugheit eine neue
Gattung von Edelsinn hervortreiben. Edel sein — dass hiesse
dann vielleicht: Thorheiten im Kopfe haben.
An die Lehrer der Selbstlosigkeit. —
Man nennt die Tugenden eines Menschen gut ,
nicht in Hinsicht auf die Wirkungen, welche sie für ihn selber
haben, sondern in Hinsicht auf die Wirkungen, welche wir von
ihnen für uns und die Gesellschaft voraussetzen: — man ist von
jeher im Lobe der Tugenden sehr wenig „selbstlos“, sehr wenig
„unegoistisch“ gewesen! Sonst nämlich hätte man sehen müssen,
dass die Tugenden (wie Fleiss, Gehorsam, Keuschheit, Pietät,
Gerechtigkeit) ihren Inhabern meistens schädlich
sind, als Triebe, welche allzu heftig und begehrlich in ihnen
walten und von der Vernunft sich durchaus nicht im
Gleichgewicht zu den andern Trieben halten lassen wollen. Wenn
du eine Tugend hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht
nur ein Triebchen nach einer Tugend!) — so bist du ihr
Opfer ! Aber der Nachbar lobt
eben desshalb deine Tugend! Man lobt den Fleissigen, ob er
gleich die Sehkraft seiner Augen oder die Ursprünglichkeit und
Frische seines Geistes mit diesem Fleisse schädigt; man ehrt
und bedauert den Jüngling, welcher sich „zu Schanden
gearbeitet hat“, weil man urtheilt: „Für das ganze Grosse der
Gesellschaft ist auch der Verlust des besten Einzelnen nur ein
kleines Opfer! Schlimm, dass das Opfer Noth thut! Viel
schlimmer freilich, wenn der Einzelne anders denken und seine
Erhaltung und Entwickelung wichtiger nehmen sollte, als seine
Arbeit im Dienste der Gesellschaft!“ Und so bedauert man
diesen Jüngling, nicht um seiner selber willen, sondern weil
ein ergebenes und gegen sich rücksichtsloses Werkzeug
— ein sogenannter „braver Mensch“ — durch diesen Tod der
Gesellschaft verloren gegangen ist. Vielleicht erwägt man
noch, ob es im Interesse der Gesellschaft nützlicher gewesen
sein würde, wenn er minder rücksichtslos gegen sich gearbeitet
und sich länger erhalten hätte, — ja man gesteht sich wohl
einen Vortheil davon zu, schlägt aber jenen anderen Vortheil,
dass ein Opfer
gebracht und die Gesinnung des Opferthiers sich wieder einmal
augenscheinlich
bestätigt hat, für höher und nachhaltiger an. Es ist also
einmal die Werkzeug-Natur in den Tugenden, die eigentlich
gelobt wird, wenn die Tugenden gelobt werden, und sodann der
blinde in jeder Tugend waltende Trieb, welcher durch den
Gesammt-Vortheil des Individuums sich nicht in Schranken
halten lässt, kurz: die Unvernunft in der Tugend, vermöge
deren das Einzelwesen sich zur Function des Ganzen umwandeln
lässt. Das Lob der Tugenden ist das Lob von etwas
Privat-Schädlichem, — das Lob von Trieben, welche dem Menschen
seine edelste Selbstsucht und die Kraft zur höchsten Obhut
über sich selber nehmen. — Freilich: zur Erziehung und zur
Einverleibung tugendhafter Gewohnheiten kehrt man eine Reihe
von Wirkungen der Tugend heraus, welche Tugend und
Privat-Vortheil als verschwistert erscheinen lassen, — und es
giebt in der That eine solche Geschwisterschaft! Der
blindwüthende Fleiss zum Beispiel, diese typische Tugend eines
Werkzeuges, wird dargestellt als der Weg zu Reichthum und Ehre
und als das heilsamste Gift gegen die Langeweile und die
Leidenschaften: aber man verschweigt seine Gefahr, seine
höchste Gefährlichkeit. Die Erziehung verfährt durchweg so:
sie sucht den Einzelnen durch eine Reihe von Reizen und
Vortheilen zu einer Denk- und Handlungsweise zu bestimmen,
welche, wenn sie Gewohnheit, Trieb und Leidenschaft geworden
ist, wider seinen letzten
Vortheil , aber „zum allgemeinen Besten“ in ihm
und über ihn herrscht. Wie oft sehe ich es, dass der
blindwüthende Fleiss zwar Reichthümer und Ehre schafft, aber
zugleich den Organen die Feinheit nimmt, vermöge deren es
einen Genuss an Reichthum und Ehren geben könnte, ebenso, dass
jenes Hauptmittel gegen die Langeweile und die Leidenschaften
zugleich die Sinne stumpf und den Geist widerspänstig gegen
neue Reize macht. (Das fleissigste aller Zeitalter — unser
Zeitalter — weiss aus seinem vielen Fleisse und Gelde Nichts
zu machen, als immer wieder mehr Geld und immer wieder mehr
Fleiss: es gehört eben mehr Genie dazu, auszugeben, als zu
erwerben! — Nun, wir werden unsere „Enkel“ haben!) Gelingt die
Erziehung, so ist jede Tugend des Einzelnen eine öffentliche
Nützlichkeit und ein privater Nachtheil im Sinne des höchsten
privaten Zieles, — wahrscheinlich irgend eine
geistig-sinnliche Verkümmerung oder gar der frühzeitige
Untergang: man erwäge der Reihe nach von diesem Gesichtspuncte
aus die Tugend des Gehorsams, der Keuschheit, der Pietät, der
Gerechtigkeit. Das Lob des Selbstlosen, Aufopfernden,
Tugendhaften — also Desjenigen, der nicht seine ganze Kraft
und Vernunft auf seine
Erhaltung, Entwickelung, Erhebung, Förderung,
Macht-Erweiterung verwendet, sondern in Bezug auf sich
bescheiden und gedankenlos, vielleicht sogar gleichgültig oder
ironisch lebt, — dieses Lob ist jedenfalls nicht aus dem
Geiste der Selbstlosigkeit entsprungen! Der „Nächste“ lobt die
Selbstlosigkeit, weil er durch
sie Vortheile hat ! Dächte der Nächste selber
„selbstlos“, so würde er jenen Abbruch an Kraft, jene
Schädigung zu seinen
Gunsten abweisen, der Entstehung solcher Neigungen
entgegenarbeiten und vor Allem seine Selbstlosigkeit eben
dadurch bekunden, dass er dieselbe nicht
gut nennte! — Hiermit ist der Grundwiderspruch
jener Moral angedeutet, welche gerade jetzt sehr in Ehren
steht: die Motive
zu dieser Moral stehen im Gegensatz zu ihrem Principe !
Das, womit sich diese Moral beweisen will, widerlegt sie aus
ihrem Kriterium des Moralischen! Der Satz „du sollst dir
selber entsagen und dich zum Opfer bringen“ dürfte, um seiner
eigenen Moral nicht zuwiderzugehen, nur von einem Wesen
decretirt werden, welches damit selber seinem Vortheil
entsagte und vielleicht in der verlangten Aufopferung der
Einzelnen seinen eigenen Untergang herbeiführte. Sobald aber
der Nächste (oder die Gesellschaft) den Altruismus um des Nutzens willen anempfiehlt,
wird der gerade entgegengesetzte Satz „du sollst den Vortheil
auch auf Unkosten alles Anderen suchen“ zur Anwendung
gebracht, also in Einem Athem ein „Du sollst“ und „Du sollst
nicht“ gepredigt!
L’ordre du jour pour le roi. —
Der Tag beginnt: beginnen wir für diesen Tag die Geschäfte und
Feste unseres allergnädigsten Herrn zu ordnen, der jetzt noch
zu ruhen geruht. Seine Majestät hat heute schlechtes Wetter:
wir werden uns hüten, es schlecht zu nennen; man wird nicht
vom Wetter reden, — aber wir werden die Geschäfte heute etwas
feierlicher und die Feste etwas festlicher nehmen, als sonst
nöthig wäre. Seine Majestät wird vielleicht sogar krank sein:
wir werden zum Frühstück die letzte gute Neuigkeit vom Abend
präsentiren, die Ankunft des Herrn von Montaigne, der so
angenehm über seine Krankheit zu scherzen weiss, — er leidet
am Stein. Wir werden einige Personen empfangen (Personen! —
was würde jener alte aufgeblasene Frosch, der unter ihnen sein
wird, sagen, wenn er diess Wort hörte! „Ich bin keine Person,
würde er sagen, sondern immer die Sache selber“.) — und der
Empfang wird länger dauern, als irgend Jemandem angenehm ist:
Grund genug, von jenem Dichter zu erzählen, der auf seine
Thüre schrieb: „wer hier eintritt, wird mir eine Ehre
erweisen; wer es nicht thut — ein Vergnügen.“ — Diess heisst
fürwahr eine Unhöflichkeit auf höfliche Manier sagen! Und
vielleicht hat dieser Dichter für seinen Theil ganz Recht,
unhöflich zu sein: man sagt, dass seine Verse besser seien,
als der Verse-Schmied. Nun, so mag er noch viele machen und
sich selber möglichst der Welt entziehen: und das ist ja der
Sinn seiner artigen Unart! Umgekehrt ist ein Fürst immer mehr
werth, als sein „Vers“, selbst wenn — doch was machen wir? Wir
plaudern, und der ganze Hof meint, wir arbeiteten schon und
zerbrächen uns die Köpfe: man sieht kein Licht früher, als das
in unserem Fenster brennen. — Horch! War das nicht die Glocke?
Zum Teufel! Der Tag und der Tanz beginnt, und wir wissen seine
Touren nicht! So müssen wir improvisiren, — alle Welt
improvisirt ihren Tag. Machen wir es heute einmal wie alle
Welt! — Und damit verschwand mein wunderlicher Morgentraum,
wahrscheinlich vor den harten Schlägen der Thurmuhr, die eben
mit all der Wichtigkeit, die ihr eigen ist, die fünfte Stunde
verkündete. Es scheint mir, dass diessmal der Gott der Träume
sich über meine Gewohnheiten lustig machen wollte, — es ist
meine Gewohnheit, den Tag so zu beginnen, dass ich ihn
für mich zurecht lege und
erträglich mache, und es mag sein, dass ich diess öfters zu
förmlich und zu prinzenhaft gethan habe.
Die Anzeichen der Corruption. —
Man beachte an jenen von Zeit zu Zeit nothwendigen Zuständen
der Gesellschaft, welche mit dem Wort „Corruption“ bezeichnet
werden, folgende Anzeichen. Sobald irgend wo die Corruption
eintritt, nimmt ein bunter Aberglaube
überhand und der bisherige Gesammtglaube eines Volkes wird
blass und ohnmächtig dagegen: der Aberglaube ist nämlich die
Freigeisterei zweiten Ranges, — wer sich ihm ergiebt, wählt
gewisse ihm zusagende Formen und Formeln aus und erlaubt sich
ein Recht der Wahl. Der Abergläubische ist, im Vergleich mit
dem Religiösen, immer viel mehr „Person“, als dieser, und eine
abergläubische Gesellschaft wird eine solche sein, in der es
schon viele Individuen und Lust am Individuellen giebt. Von
diesem Standpuncte aus gesehen, erscheint der Aberglaube immer
als ein Fortschritt
gegen den Glauben und als Zeichen dafür, dass der Intellect
unabhängiger wird und sein Recht haben will. Ueber Corruption
klagen dann die Verehrer der alten Religion und Religiosität,
— sie haben bisher auch den Sprachgebrauch bestimmt und dem
Aberglauben eine üble Nachrede selbst bei den freiesten
Geistern gemacht. Lernen wir, dass er ein Symptom der
Aufklärung ist. — Zweitens
beschuldigt man eine Gesellschaft, in der die Corruption Platz
greift, der Erschlaffung :
und ersichtlich nimmt in ihr die Schätzung des Krieges und die
Lust am Kriege ab, und die Bequemlichkeiten des Lebens werden
jetzt eben so heiss erstrebt, wie ehedem die kriegerischen und
gymnastischen Ehren. Aber man pflegt zu übersehen, dass jene
alte Volks-Energie und Volks-Leidenschaft, welche durch den
Krieg und die Kampfspiele eine prachtvolle Sichtbarkeit bekam,
jetzt sich in unzählige Privat-Leidenschaften umgesetzt hat
und nur weniger sichtbar geworden ist; ja, wahrscheinlich ist
in Zuständen der „Corruption“ die Macht und Gewalt der jetzt
verbrauchten Energie eines Volkes grösser, als je, und das
Individuum giebt so verschwenderisch davon aus, wie es ehedem
nicht konnte, — es war damals noch nicht reich genug dazu! Und
so sind es gerade die Zeiten der „Erschlaffung“, wo die
Tragödie durch die Häuser und Gassen läuft, wo die grosse
Liebe und der grosse Hass geboren werden, und die Flamme der
Erkenntniss lichterloh zum Himmel aufschlägt. — Drittens
pflegt man, gleichsam zur Entschädigung für den Tadel des
Aberglaubens und der Erschlaffung, solchen Zeiten der
Corruption nachzusagen, dass sie milder seien und dass jetzt
die Grausamkeit, gegen die ältere gläubigere und stärkere Zeit
gerechnet, sehr in Abnahme komme. Aber auch dem Lobe kann ich
nicht beipflichten, ebensowenig als jenem Tadel: nur so viel
gebe ich zu, dass jetzt die Grausamkeit sich verfeinert, und
dass ihre älteren Formen von nun an wider den Geschmack gehen;
aber die Verwundung und Folterung durch Wort und Blick
erreicht in Zeiten der Corruption ihre höchste Ausbildung, —
jetzt erst wird die Bosheit
geschaffen und die Lust an der Bosheit. Die Menschen der
Corruption sind witzig und verläumderisch; sie wissen, dass es
noch andere Arten des Mordes giebt, als durch Dolch und
Ueberfall, — sie wissen auch, dass alles Gutgesagte
geglaubt wird. — Viertens: wenn „die Sitten verfallen“, so
tauchen zuerst jene Wesen auf, welche man Tyrannen nennt: es
sind die Vorläufer und gleichsam die frühreifen Erstlinge der Individuen . Noch eine
kleine Weile: und diese Frucht der Früchte hängt reif und gelb
am Baume eines Volkes, — und nur um dieser Früchte willen gab
es diesen Baum! Ist der Verfall auf seine Höhe gekommen und
der Kampf aller Art Tyrannen ebenfalls, so kommt dann immer
der Cäsar, der Schluss-Tyrann, der dem ermüdeten Ringen um
Alleinherrschaft ein Ende macht, indem er die Müdigkeit für
sich arbeiten lässt. Zu seiner Zeit ist gewöhnlich das
Individuum am reifsten und folglich die „Cultur“ am höchsten
und fruchtbarsten, aber nicht um seinetwillen und nicht durch
ihn: obwohl die höchsten Cultur-Menschen ihrem Cäsar damit zu
schmeicheln lieben, dass sie sich als sein
Werk ausgeben. Die Wahrheit aber ist, dass sie Ruhe von Aussen
nöthig haben, weil sie ihre Unruhe und Arbeit in sich haben.
In diesen Zeiten ist die Bestechlichkeit und der Verrath am
grössten: denn die Liebe zu dem eben erst entdeckten ego ist
jetzt viel mächtiger, als die Liebe zum alten, verbrauchten,
todtgeredeten „Vaterlande“; und das Bedürfniss, sich irgendwie
gegen die furchtbaren Schwankungen des Glückes
sicherzustellen, öffnet auch edlere Hände, sobald ein
Mächtiger und Reicher sich bereit zeigt, Gold in sie zu
schütten. Es giebt jetzt so wenig sichere Zukunft: da lebt man
für heute: ein Zustand der Seele, bei dem alle Verführer ein
leichtes Spiel spielen, — man lässt sich nämlich auch nur „für
heute“ verführen und bestechen und behält sich die Zukunft und
die Tugend vor! Die Individuen, diese wahren An- und
Für-sich’s, sorgen, wie bekannt, mehr für den Augenblick, als
ihre Gegensätze, die Heerden-Menschen, weil sie sich selber
für ebenso unberechenbar halten wie die Zukunft; ebenso
knüpfen sie sich gerne an Gewaltmenschen an, weil sie sich
Handlungen und Auskünfte zutrauen, die bei der Menge weder auf
Verständniss noch auf Gnade rechnen können, — aber der Tyrann
oder Cäsar versteht das Recht des Individuums auch in seiner
Ausschreitung und hat ein Interesse daran, einer kühneren
Privatmoral das Wort zu reden und selbst die Hand zu bieten.
Denn er denkt von sich und will über sich gedacht haben, was
Napoleon einmal in seiner classischen Art und Weise
ausgesprochen hat: „ich habe das Recht, auf Alles, worüber man
gegen mich Klage führt, durch ein ewiges „Das-bin-ich“ zu
antworten. Ich bin abseits von aller Welt, ich nehme von
Niemandem Bedingungen an. Ich will, dass man sich auch meinen
Phantasieen unterwerfe und es ganz einfach finde, wenn ich
mich diesen oder jenen Zerstreuungen hingebe.“ So sprach
Napoleon einmal zu seiner Gemahlin, als diese Gründe hatte,
die eheliche Treue ihres Gatten in Frage zu ziehen. — Die
Zeiten der Corruption sind die, in welchen die Aepfel vom
Baume fallen: ich meine die Individuen, die Samenträger der
Zukunft, die Urheber der geistigen Colonisation und Neubildung
von Staats- und Gesellschaftsverbänden. Corruption ist nur ein
Schimpfwort für die Herbstzeiten
eines Volkes.
Verschiedene Unzufriedenheit. —
Die schwachen und gleichsam weiblichen Unzufriedenen sind die
Erfindsamen für die Verschönerung und Vertiefung des Lebens;
die starken Unzufriedenen — die Mannspersonen unter ihnen, im
Bilde zu bleiben — für Verbesserung und Sicherung des Lebens.
Die Ersteren zeigen darin ihre Schwäche und Weiberart, dass
sie sich gerne zeitweilig täuschen lassen und wohl schon mit
ein Wenig Rausch und Schwärmerei einmal fürlieb nehmen, aber
im Ganzen nie zu befriedigen sind und an der Unheilbarkeit
ihrer Unzufriedenheit leiden; überdiess sind sie die Förderer
aller Derer, welche opiatische und narkotische Tröstungen zu
schaffen wissen, und eben darum Jenen gram, die den Arzt höher
als den Priester schätzen, — dadurch unterhalten sie die
Fortdauer der wirklichen
Nothstände! Hätte es nicht seit den Zeiten des Mittelalters
eine Ueberzahl von Unzufriedenen dieser Art in Europa gegeben,
so würde vielleicht die berühmte europäische Fähigkeit zur
beständigen Verwandelung
gar nicht entstanden sein: denn die Ansprüche der starken
Unzufriedenen sind zu grob und im Grunde zu anspruchslos, um
nicht endlich einmal zur Ruhe gebracht werden zu können. China
ist das Beispiel eines Landes, wo die Unzufriedenheit im
Grossen und die Fähigkeit der Verwandelung seit vielen
Jahrhunderten ausgestorben ist; und die Socialisten und
Staats-Götzendiener Europa’s könnten es mit ihren Maassregeln
zur Verbesserung und Sicherung des Lebens auch in Europa
leicht zu chinesischen Zuständen und einem chinesischen
„Glücke“ bringen, vorausgesetzt, dass sie hier zuerst jene
kränklichere, zartere, weiblichere, einstweilen noch
überreichlich vorhandene Unzufriedenheit und Romantik
ausrotten könnten. Europa ist ein Kranker, der seiner
Unheilbarkeit und ewigen Verwandelung seines Leidens den
höchsten Dank schuldig ist; diese beständigen neuen Lagen,
diese ebenso beständigen neuen Gefahren, Schmerzen und
Auskunftsmittel haben zuletzt eine intellectuale Reizbarkeit
erzeugt, welche beinahe so viel, als Genie, und jedenfalls die
Mutter alles Genie’s ist.
Nicht zur Erkenntniss vorausbestimmt. —
Es giebt eine gar nicht seltene blöde Demüthigkeit, mit der
behaftet man ein für alle Mal nicht zum Jünger der Erkenntniss
taugt. Nämlich: in dem Augenblick, wo ein Mensch dieser Art
etwas Auffälliges wahrnimmt, dreht er sich gleichsam auf dem
Fusse um und sagt sich: „Du hast dich getäuscht! Wo hast du
deine Sinne gehabt! Diess darf nicht die Wahrheit sein!“ — und
nun, statt noch einmal schärfer hinzusehen und hinzuhören,
läuft er wie eingeschüchtert dem auffälligen Dinge aus dem
Wege und sucht es sich so schnell wie möglich aus dem Kopfe zu
schlagen. Sein innerlicher Kanon nämlich lautet: „Ich will
Nichts sehen, was der üblichen Meinung über die Dinge
widerspricht! Bin ich
dazu gemacht, neue Wahrheiten zu entdecken? Es giebt schon der
alten zu viele.“
Niet tot kennis (inzicht) voorbestemd. — Er bestaat
een bepaald niet zeldzame domme deemoedigheid. Als men daarmee
behept is dan is men voor eens en voorgoed ongeschikt om een
leerling van de Kennis te worden. Immers: Op het ogenblik zelf
dat dit soort mens iets opvallends waarneemt, maakt hij op slag
rechtsomkeert en zegt tot zichzelf : “Je hebt je vergist! Waar
zat je met je gedachten (Sinne is meerduidig)! Dit kan
gewoon niet waar zijn!” — en dan, in plaats van nog eens
scherper toe te zien en beter te luisteren, gaat hij, als
geïntimideerd, wat hem opgevallen was uit de weg, en probeert
het zo snel mogelijk uit zijn hoofd te zetten. Zijn innerlijke
canon luidt immers: “Ik wil niets zien dat de gangbare opvatting
over de dingen tegenspreekt! Ben ik ervoor in de wieg
gelegd om nieuwe waarheden te ontdekken? Van de oude zijn er al
meer dan genoeg.”
Was heisst Leben? — Leben —
das heisst: fortwährend Etwas von sich abstossen, das sterben
will; Leben — das heisst: grausam und unerbittlich gegen Alles
sein, was schwach und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.
Leben — das heisst also: ohne Pietät gegen Sterbende, Elende
und Greise sein? Immerfort Mörder sein? — Und doch hat der
alte Moses gesagt: „Du sollst nicht tödten!“
Wat is leven? - Leven - dat is: voortdurend iets van zich
afstoten, dat sterven wil; Leven - dat is: wreed en
onverbiddelijk zijn tegen alles, dat zwak en oud aan ons wordt,
en niet enkel aan ons. Leven - dat is dus: Zonder schroom jegens
stervende, ellendige en grijze mensen zijn? Aldoor moordenaar
zijn? - En toch heeft de oude Mozes gezegd: "Gij zult niet
doodslaan".
Der Entsagende. — Was thut der
Entsagende? Er strebt nach einer höheren Welt, er will weiter
und ferner und höher fliegen, als alle Menschen der Bejahung,
— er wirft Vieles weg ,
was seinen Flug beschweren würde, und Manches darunter, was
ihm nicht unwerth, nicht unliebsam ist: er opfert es seiner
Begierde zur Höhe. Dieses Opfern, dieses Wegwerfen ist nun
gerade Das, was allein sichtbar an ihm wird: darnach giebt man
ihm den Namen des Entsagenden, und als dieser steht er vor
uns, eingehüllt in seine Kapuze und wie die Seele eines
härenen Hemdes. Mit diesem Effecte, den er auf uns macht, ist
er aber wohl zufrieden: er will vor uns seine Begierde, seinen
Stolz, seine Absicht, über
uns hinauszufliegen, verborgen halten. — Ja! Er ist klüger,
als wir dachten, und so höflich gegen uns — dieser Bejahende!
Denn das ist er gleich uns, auch indem er entsagt.
Mit seinem Besten schaden. —
Unsere Stärken treiben uns mitunter so weit vor, dass wir
unsere Schwächen nicht mehr aushalten können und an ihnen zu
Grunde gehen: wir sehen auch wohl diesen Ausgang voraus und
wollen es trotzdem nicht anders. Da werden wir hart gegen Das
an uns, was geschont sein will, und unsere Grösse ist auch
unsere Unbarmherzigkeit. — Ein solches Erlebniss, das wir
zuletzt mit dem Leben bezahlen müssen, ist ein Gleichniss für
das gesammte Wirken grosser Menschen auf Andere und auf ihre
Zeit: — gerade mit ihrem Besten, mit dem, was nur sie können,
richten sie viele Schwache, Unsichere, Werdende, Wollende zu
Grunde, und sind hierdurch schädlich. Ja es kann der Fall
vorkommen, dass sie, im Ganzen gerechnet, nur schaden, weil
ihr Bestes allein von Solchen angenommen und gleichsam
aufgetrunken wird, welche an ihm, wie an einem zu starken
Getränke, ihren Verstand und ihre Selbstsucht verlieren: sie
werden so berauscht, dass sie ihre Glieder auf allen den
Irrwegen brechen müssen, wohin sie der Rausch treibt.
Die Hinzu-Lügner. — Als man in
Frankreich die Einheiten des Aristoteles zu bekämpfen und
folglich auch zu vertheidigen anfieng, da war es wieder einmal
zu sehen, was so oft zu sehen ist, aber so ungern gesehen
wird: — man log sich Gründe vor ,
um derenthalben jene Gesetze bestehen sollten, blos um sich
nicht einzugestehen, dass man sich an die Herrschaft dieser
Gesetze gewöhnt
habe und es nicht mehr anders haben wolle. Und so macht man es
innerhalb jeder herrschenden Moral und Religion und hat es von
jeher gemacht: die Gründe und die Absichten hinter der
Gewohnheit werden immer zu ihr erst hinzugelogen, wenn Einige
anfangen, die Gewohnheit zu bestreiten und nach Gründen und
Absichten zu fragen .
Hier steckt die grosse Unehrlichkeit der Conservativen aller
Zeiten: — es sind die Hinzu-Lügner.
Komödienspiel der Berühmten. —
Berühmte Männer, welche ihren Ruhm nöthig
haben , wie zum Beispiel alle Politiker, wählen
ihre Verbündeten und Freunde nie mehr ohne Hintergedanken: von
diesem wollen sie ein Stück Glanz und Abglanz seiner Tugend,
von jenem das Furchteinflössende gewisser bedenklicher
Eigenschaften, die Jedermann an ihm kennt, einem andern
stehlen sie den Ruf seines Müssigganges, seines
In-der-Sonne-liegens, weil es ihren eigenen Zwecken frommt,
zeitweilig für unachtsam und träge zu gelten: — es verdeckt,
dass sie auf der Lauer liegen; bald brauchen sie den
Phantasten, bald den Kenner, bald den Grübler, bald den
Pedanten in ihrer Nähe und gleichsam als ihr gegenwärtiges
Selbst, aber eben so bald brauchen sie dieselben nicht mehr!
Und so sterben fortwährend ihre Umgebungen und Aussenseiten
ab, während Alles sich in diese Umgebung zu drängen scheint
und zu ihrem „Charakter“ werden will: darin gleichen sie den
grossen Städten. Ihr Ruf ist fortwährend im Wandel wie ihr
Charakter, denn ihre wechselnden Mittel verlangen diesen
Wechsel, und schieben bald diese, bald jene wirkliche oder
erdichtete Eigenschaft hervor und auf die Bühne hinaus : ihre Freunde und
Verbündeten gehören, wie gesagt, zu diesen
Bühnen-Eigenschaften. Dagegen muss Das, was sie wollen, um so
mehr fest und ehern und weithin glänzend stehen bleiben, — und
auch diess hat bisweilen seine Komödie und sein Bühnenspiel
nöthig.
Handel und Adel. — Kaufen und
verkaufen gilt jetzt als gemein, wie die Kunst des Lesens und
Schreibens; Jeder ist jetzt darin eingeübt, selbst wenn er
kein Handelsmann ist, und übt sich noch an jedem Tage in
dieser Technik: ganz wie ehemals, im Zeitalter der wilderen
Menschheit, Jedermann Jäger war und sich Tag für Tag in der
Technik der Jagd übte. Damals war die Jagd gemein: aber wie
diese endlich ein Privilegium der Mächtigen und Vornehmen
wurde und damit den Charakter der Alltäglichkeit und
Gemeinheit verlor — dadurch, dass sie aufhörte nothwendig zu
sein und eine Sache der Laune und des Luxus wurde: — so könnte
es irgendwann einmal mit dem Kaufen und Verkaufen werden. Es
sind Zustände der Gesellschaft denkbar, wo nicht verkauft und
gekauft wird und wo die Nothwendigkeit dieser Technik
allmählich ganz verloren geht: vielleicht, dass dann Einzelne,
welche dem Gesetze des allgemeinen Zustandes weniger
unterworfen sind, sich dann das Kaufen und Verkaufen wie einen
Luxus der Empfindung
erlauben. Dann erst bekäme der Handel Vornehmheit, und die
Adeligen würden sich dann vielleicht ebenso gern mit dem
Handel abgeben, wie bisher mit dem Kriege und der Politik:
während umgekehrt die Schätzung der Politik sich dann völlig
geändert haben könnte. Schon jetzt hört sie auf, das Handwerk
des Edelmannes zu sein: und es wäre möglich, dass man sie
eines Tages so gemein fände, um sie, gleich aller Partei- und
Tageslitteratur, unter die Rubrik „Prostitution des Geistes“
zu bringen.
Unerwünschte Jünger. — Was
soll ich mit diesen beiden Jünglingen machen! rief mit Unmuth
ein Philosoph, welcher die Jugend „verdarb“, wie Sokrates sie
einst verdorben hat, — es sind mir unwillkommene Schüler. Der
da kann nicht Nein sagen und Jener sagt zu Allem: „Halb und
halb.“ Gesetzt, sie ergriffen meine Lehre, so würde der
Erstere zu viel leiden ,
denn meine Denkweise erfordert eine kriegerische Seele, ein
Wehethun-Wollen, eine Lust am Neinsagen, eine harte Haut, — er
würde an offenen und inneren Wunden dahin siechen. Und der
Andere wird sich aus jeder Sache, die er vertritt, eine
Mittelmässigkeit zurecht machen und sie dergestalt zur
Mittelmässigkeit machen, — einen solchen Jünger wünsche ich
meinem Feinde.
Ausserhalb des Hörsaales. —
„Um Ihnen zu beweisen, dass der Mensch im Grunde zu den
gutartigen Thieren gehört, würde ich Sie daran erinnern, wie
leichtgläubig er so lange gewesen ist. Jetzt erst ist er, ganz
spät und nach ungeheurer Selbstüberwindung, ein misstrauisches Thier geworden, —
ja! der Mensch ist jetzt böser als je.“ — Ich verstehe diess
nicht: warum sollte der Mensch jetzt misstrauischer und böser
sein? — „Weil er jetzt eine Wissenschaft hat, — nöthig hat!“ —
Historia abscondita. — Jeder
grosse Mensch hat eine rückwirkende Kraft: alle Geschichte
wird um seinetwillen wieder auf die Wage gestellt, und tausend
Geheimnisse der Vergangenheit kriechen aus ihren
Schlupfwinkeln — hinein in seine
Sonne. Es ist gar nicht abzusehen, was Alles einmal noch
Geschichte sein wird. Die Vergangenheit ist vielleicht immer
noch wesentlich unentdeckt! Es bedarf noch so vieler
rückwirkender Kräfte!
Ketzerei und Hexerei. — Anders
denken, als Sitte ist — das ist lange nicht so sehr die
Wirkung eines besseren Intellectes, als die Wirkung starker,
böser Neigungen, loslösender, isolirender, trotziger,
schadenfroher, hämischer Neigungen. Die Ketzerei ist das
Seitenstück zur Hexerei und gewiss ebensowenig, als diese,
etwas Harmloses oder gar an sich selber Verehrungswürdiges.
Die Ketzer und die Hexen sind zwei Gattungen böser Menschen:
gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auch als böse fühlen, dass
aber ihre unbezwingliche Lust ist, an dem, was herrscht
(Menschen oder Meinungen), sich schädigend auszulassen. Die
Reformation, eine Art Verdoppelung des mittelalterlichen
Geistes, zu einer Zeit, als er bereits das gute Gewissen nicht
mehr bei sich hatte, brachte sie beide in grösster Fülle
hervor.
Letzte Worte. — Man wird sich
erinnern, dass der Kaiser Augustus, jener fürchterliche
Mensch, der sich ebenso in der Gewalt hatte und der ebenso
schweigen konnte wie irgend ein weiser Sokrates, mit seinem
letzten Worte indiscret gegen sich selber wurde: er liess zum
ersten Male seine Maske fallen, als er zu verstehen gab, dass
er eine Maske getragen und eine Komödie gespielt habe, — er
hatte den Vater des Vaterlandes und die Weisheit auf dem
Throne gespielt, gut bis zur Illusion! Plaudite amici,
comoedia finita est! — Der Gedanke des sterbenden Nero: qualis
artifex pereo! war auch der Gedanke des sterbenden Augustus:
Histrionen-Eitelkeit! Histrionen-Schwatzhaftigkeit! Und recht
das Gegenstück zum sterbenden Sokrates! — Aber Tiberius starb
schweigsam, dieser gequälteste aller Selbstquäler, —
der war ächt und kein
Schauspieler! Was mag dem wohl zuletzt durch den Kopf gegangen
sein! Vielleicht diess: „Das Leben — das ist ein langer Tod.
Ich Narr, der ich so Vielen das Leben verkürzte! War
ich dazu gemacht, ein Wohltäter
zu sein? Ich hätte ihnen das ewige Leben geben sollen: so
hätte ich sie ewig sterben sehen
können. Dafür hatte
ich ja so gute Augen: qualis spectator pereo!“ Als er nach
einem langen Todeskampfe doch wieder zu Kräften zu kommen
schien, hielt man es für rathsam, ihn mit Bettkissen zu
ersticken, — er starb eines doppelten Todes.
Aus drei Irrthümern. — Man hat
in den letzten Jahrhunderten die Wissenschaft gefördert,
theils weil man mit ihr und durch sie Gottes Güte und Weisheit
am besten zu verstehen hoffte — das Hauptmotiv in der Seele
der grossen Engländer (wie Newton) —, theils weil man an die
absolute Nützlichkeit der Erkenntniss glaubte, namentlich an
den innersten Verband von Moral, Wissen und Glück — das
Hauptmotiv in der Seele der grossen Franzosen (wie Voltaire)
—, theils weil man in der Wissenschaft etwas Selbstloses,
Harmloses, Sich-selber-Genügendes, wahrhaft Unschuldiges zu
haben und zu lieben meinte, an dem die bösen Triebe des
Menschen überhaupt nicht betheiligt seien — das Hauptmotiv in
der Seele Spinoza’s, der sich als Erkennender göttlich fühlte:
also aus drei Irrthümern.
Vanuit drie misvattingen . — In de afgelopen eeuwen
heeft men de wetenschap vooruitgeholpen, deels omdat men hoopte
met en door haar Gods goedheid en wijsheid beter te kunnen
begrijpen — de belangrijkste drijfveer in de ziel van de grote
Engelsen (zoals Newton) —, deels omdat men geloofde in het
absolute nut van kennis, met name in het innerlijke verband
tussen moraal, kennis en geluk — de belangrijkste drijfveer in
de ziel van de grote Fransen (zoals Voltaire) —, deels omdat men
dacht in de wetenschap iets onbaatzuchtigs, onschuldigs,
zichzelf-geheel-genoegzaams, echt onschuldigs te hebben en te
beminnen, (iets) waaraan de slechte aandriften van de mens
helemaal geen deel hadden — de belangrijkste drijfveer in de
ziel van Spinoza, die zich als kenner (Erkennende) goddelijk
voelde: - ergo: vanuit drie misvattingen.
Die Explosiven. — Erwägt man,
wie explosionsbedürftig die Kraft junger Männer daliegt, so
wundert man sich nicht, sie so unfein und so wenig wählerisch
sich für diese oder jene Sache entscheiden zu sehen: Das, was
sie reizt, ist der Anblick des Eifers, der um eine Sache ist,
und gleichsam der Anblick der brennenden Lunte, — nicht die
Sache selber. Die feineren Verführer verstehen sich desshalb
darauf, ihnen die Explosion in Aussicht zu stellen und von der
Begründung ihrer Sache abzusehen: mit Gründen gewinnt man
diese Pulverfässer nicht!
Veränderter Geschmack. — Die
Veränderung des allgemeinen Geschmackes ist wichtiger, als die
der Meinungen; Meinungen mit allen Beweisen, Widerlegungen und
der ganzen intellectuellen Maskerade sind nur Symptome des
veränderten Geschmacks und ganz gewiss gerade Das nicht , wofür man sie noch so häufig
anspricht, dessen Ursachen. Wie verändert sich der allgemeine
Geschmack? Dadurch, dass Einzelne, Mächtige, Einflussreiche
ohne Schamgefühl ihr
hoc est ridiculum, hoc est absurdum, also das Urtheil ihres
Geschmacks und Ekels, aussprechen und tyrannisch durchsetzen:
— sie legen damit Vielen einen Zwang auf, aus dem allmählich
eine Gewöhnung noch Mehrerer und zuletzt ein Bedürfniss
Aller wird. Dass diese Einzelnen aber anders
empfinden und „schmecken“, das hat gewöhnlich seinen Grund in
einer Absonderlichkeit ihrer Lebensweise, Ernährung,
Verdauung, vielleicht in einem Mehr oder Weniger der
anorganischen Salze in ihrem Blute und Gehirn, kurz in der
Physis: sie haben aber den Muth, sich zu ihrer Physis zu
bekennen und deren Forderungen noch in ihren feinsten Tönen
Gehör zu schenken: ihre ästhetischen und moralischen Urtheile
sind solche „feinste Töne“ der Physis.
Vom Mangel der vornehmen Form. —
Soldaten und Führer haben immer noch ein viel höheres
Verhalten zu einander, als Arbeiter und Arbeitgeber.
Einstweilen wenigstens steht alle militärisch begründete
Cultur noch hoch über aller sogenannten industriellen Cultur:
letztere in ihrer jetzigen Gestalt ist überhaupt die gemeinste
Daseinsform, die es bisher gegeben hat. Hier wirkt einfach das
Gesetz der Noth: man will leben und muss sich verkaufen, aber
man verachtet Den, der diese Noth ausnützt und sich den
Arbeiter kauft . Es
ist seltsam, dass die Unterwerfung unter mächtige,
furchterregende, ja schreckliche Personen, unter Tyrannen und
Heerführer, bei Weitem nicht so peinlich empfunden wird, als
diese Unterwerfung unter unbekannte und uninteressante
Personen, wie es alle Grössen der Industrie sind: in dem
Arbeitgeber sieht der Arbeiter gewöhnlich nur einen listigen,
aussaugenden, auf alle Noth speculirenden Hund von Menschen,
dessen Name, Gestalt, Sitte und Ruf ihm ganz gleichgültig
sind. Den Fabricanten und Gross-Unternehmern des Handels
fehlten bisher wahrscheinlich allzusehr alle jene Formen und
Abzeichen der höheren Rasse ,
welche erst die Personen
interessant werden lassen; hätten sie die Vornehmheit des
Geburts-Adels im Blick und in der Gebärde, so gäbe es
vielleicht keinen Socialismus der Massen. Denn diese sind im
Grunde bereit zur Sclaverei
jeder Art, vorausgesetzt, dass der Höhere über ihnen sich
beständig als höher, als zum Befehlen geboren
legitimirt — durch die vornehme Form! Der gemeinste Mann
fühlt, dass die Vornehmheit nicht zu improvisiren ist und dass
er in ihr die Frucht langer Zeiten zu ehren hat, — aber die
Abwesenheit der höheren Form und die berüchtigte
Fabricanten-Vulgarität mit rothen, feisten Händen, bringen ihn
auf den Gedanken, dass nur Zufall und Glück hier den Einen
über den Andern erhoben habe: wohlan, so schliesst er bei
sich, versuchen wir
einmal den Zufall und das Glück! Werfen wir einmal die Würfel!
— und der Socialismus beginnt.
Gegen die Reue. — Der Denker
sieht in seinen eigenen Handlungen Versuche und Fragen, irgend
worüber Aufschluss zu erhalten: Erfolg und Misserfolg sind ihm
zu allererst Antworten .
Sich aber darüber, dass Etwas missräth, ärgern oder gar Reue
empfinden — das überlässt er Denen, welche handeln, weil es
ihnen befohlen wird, und welche Prügel zu erwarten haben, wenn
der gnädige Herr mit dem Erfolg nicht zufrieden ist.
Tegen de spijt . — De denker ziet in zijn eigen
handelingen pogingen en vragen om ergens uitsluitsel over te
krijgen: succes en mislukking zijn voor hem allereerst antwoorden .
Maar zich ergeren aan het feit dat iets misgaat, of zelfs spijt
hebben — dat laat hij over aan degenen die handelen omdat het
hun bevolen wordt. en die een pak slaag kunnen verwachten als de
genadige heer niet tevreden is met het resultaat.
Arbeit und Langeweile. — Sich
Arbeit suchen um des Lohnes willen — darin sind sich in den
Ländern der Civilisation jetzt fast alle Menschen gleich;
ihnen allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel;
wesshalb sie in der Wahl der Arbeit wenig fein sind,
vorausgesetzt, dass sie einen reichlichen Gewinn abwirft. Nun
giebt es seltenere Menschen, welche lieber zu Grunde gehen
wollen, als ohne Lust
an der Arbeit arbeiten: jene Wählerischen, schwer zu
Befriedigenden, denen mit einem reichlichen Gewinn nicht
gedient wird, wenn die Arbeit nicht selber der Gewinn aller
Gewinne ist. Zu dieser seltenen Gattung von Menschen gehören
die Künstler und Contemplativen aller Art, aber auch schon
jene Müssiggänger, die ihr Leben auf der Jagd, auf Reisen oder
in Liebeshändeln und Abenteuern zubringen. Alle diese wollen
Arbeit und Noth, sofern sie mit Lust verbunden ist, und die
schwerste, härteste Arbeit, wenn es sein muss. Sonst aber sind
sie von einer entschlossenen Trägheit, sei es selbst, dass
Verarmung, Unehre, Gefahr der Gesundheit und des Lebens an
diese Trägheit geknüpft sein sollte. Sie fürchten die
Langeweile nicht so sehr, als die Arbeit ohne Lust: ja, sie
haben viel Langeweile nöthig, wenn ihnen ihre
Arbeit gelingen soll. Für den Denker und für alle erfindsamen
Geister ist Langeweile jene unangenehme „Windstille“ der
Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden
vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre Wirkung bei sich
abwarten : — das gerade ist es,
was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen
können! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist
gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist. Es zeichnet
vielleicht die Asiaten vor den Europäern aus, dass sie einer
längeren, tieferen Ruhe fähig sind, als diese; selbst ihre
Narcotica wirken langsam und verlangen Geduld, im Gegensatz zu
der widrigen Plötzlichkeit des europäischen Giftes, des
Alkohols.
Was die Gesetze verrathen. —
Man vergreift sich sehr, wenn man die Strafgesetze eines
Volkes studirt, als ob sie ein Ausdruck seines Charakters
wären; die Gesetze verrathen nicht Das, was ein Volk ist,
sondern Das, was ihm fremd, seltsam, ungeheuerlich,
ausländisch erscheint. Die Gesetze beziehen sich auf die
Ausnahmen der Sittlichkeit der Sitte; und die härtesten
Strafen treffen Das, was der Sitte des Nachbarvolkes gemäss
ist. So giebt es bei den Wahabiten nur zwei Todsünden: einen
anderen Gott haben als den Wahabiten-Gott und — rauchen (es
wird bei ihnen bezeichnet als „die schmachvolle Art des
Trinkens“). „Und wie steht es mit Mord und Ehebruch?“ — fragte
erstaunt der Engländer, der diese Dinge erfuhr. „Nun, Gott ist
gnädig und barmherzig!“ — sagte der alte Häuptling. — So gab
es bei den alten Römern die Vorstellung, dass ein Weib sich
nur auf zweierlei Art tödtlich versündigen könne: einmal durch
Ehebruch, sodann — durch Weintrinken. Der alte Cato meinte,
man habe das Küssen unter Verwandten nur desshalb zur Sitte
gemacht, um die Weiber in diesem Puncte unter Controle zu
halten; ein Kuss bedeute: riecht sie nach Wein? Man hat
wirklich Frauen, die beim Weine ertappt wurden, mit dem Tode
gestraft: und gewiss nicht nur, weil die Weiber mitunter unter
der Einwirkung des Weines alles Nein-Sagen verlernen; die
Römer fürchteten vor Allem das orgiastische und dionysische
Wesen, von dem die Weiber des europäischen Südens damals, als
der Wein noch neu in Europa war, von Zeit zu Zeit heimgesucht
wurden, als eine ungeheuerliche Ausländerei, welche den Grund
der römischen Empfindung umwarf; es war ihnen wie ein Verrath
an Rom, wie die Einverleibung des Auslandes.
Die geglaubten Motive. — So
wichtig es sein mag, die Motive zu wissen, nach denen wirklich
die Menschheit bisher gehandelt hat: vielleicht ist der
Glaube an diese oder jene
Motive, also Das, was die Menschheit sich selber als die
eigentlichen Hebel ihres Thuns bisher untergeschoben und
eingebildet hat, etwas noch Wesentlicheres für den
Erkennenden. Das innere Glück und Elend der Menschen ist ihnen
nämlich je nach ihrem Glauben an diese oder jene Motive zu
Theil geworden, — nicht
aber durch Das, was wirklich Motiv war! Alles diess Letztere
hat ein Interesse zweiten Ranges.
Epikur. — Ja, ich bin stolz
darauf, den Charakter Epikur’s anders zu empfinden, als irgend
Jemand vielleicht, und bei Allem, was ich von ihm höre und
lese, das Glück des Nachmittags des Alterthums zu geniessen: —
ich sehe sein Auge auf ein weites weissliches Meer blicken,
über Uferfelsen hin, auf denen die Sonne liegt, während
grosses und kleines Gethier in ihrem Lichte spielt, sicher und
ruhig wie diess Licht und jenes Auge selber. Solch ein Glück
hat nur ein fortwährend Leidender erfinden können, das Glück
eines Auges, vor dem das Meer des Daseins stille geworden ist,
und das nun an seiner Oberfläche und an dieser bunten, zarten,
schaudernden Meeres-Haut sich nicht mehr satt sehen kann: es
gab nie zuvor eine solche Bescheidenheit der Wollust.
Unser Erstaunen. — Es liegt
ein tiefes und gründliches Glück darin, dass die Wissenschaft
Dinge ermittelt, die Stand
halten und die immer wieder den Grund zu neuen
Ermittelungen abgeben: — es könnte ja anders sein! Ja, wir
sind so sehr von all der Unsicherheit und Phantasterei unserer
Urtheile und von dem ewigen Wandel aller menschlichen Gesetze
und Begriffe überzeugt, dass es uns eigentlich ein Erstaunen
macht, wie sehr die
Ergebnisse der Wissenschaft Stand halten! Früher wusste man
Nichts von dieser Wandelbarkeit alles Menschlichen, die Sitte
der Sittlichkeit hielt den Glauben aufrecht, dass das ganze
innere Leben des Menschen mit ewigen Klammern an die eherne
Nothwendigkeit geheftet sei: vielleicht empfand man damals
eine ähnliche Wollust des Erstaunens, wenn man sich Märchen
und Feengeschichten erzählen liess. Das Wunderbare that jenen
Menschen so wohl, die der Regel und der Ewigkeit mitunter wohl
müde werden mochten. Einmal den Boden verlieren! Schweben!
Irren! Toll sein! — das gehörte zum Paradies und zur
Schwelgerei früherer Zeiten: während unsere Glückseligkeit der
des Schiffbrüchigen gleicht, der an’s Land gestiegen ist und
mit beiden Füssen sich auf die alte feste Erde stellt —
staunend, dass sie nicht schwankt.
Von der Unterdrückung der Leidenschaften. —
Wenn man sich anhaltend den Ausdruck der Leidenschaften
verbietet, wie als etwas den „Gemeinen“, den gröberen,
bürgerlichen, bäuerlichen Naturen zu Ueberlassendes, — also
nicht die Leidenschaften selber unterdrücken will, sondern nur
ihre Sprache und Gebärde: so erreicht man nichtsdestoweniger
eben Das mit , was
man nicht will: die Unterdrückung der Leidenschaften selber,
mindestens ihre Schwächung und Veränderung: — wie diess zum
belehrendsten Beispiele der Hof Ludwig’s des Vierzehnten und
Alles, was von ihm abhängig war, erlebt hat. Das Zeitalter
darauf , erzogen in der
Unterdrückung des Ausdrucks, hatte die Leidenschaften selber
nicht mehr und ein anmuthiges, flaches, spielendes Wesen an
ihrer Stelle, — ein Zeitalter, das mit der Unfähigkeit
behaftet war, unartig zu sein: sodass selbst eine Beleidigung
nicht anders als mit verbindlichen Worten angenommen und
zurückgegeben wurde. Vielleicht giebt unsere Gegenwart das
merkwürdigste Gegenstück dazu ab: ich sehe überall, im Leben
und auf dem Theater, und nicht am wenigsten in Allem, was
geschrieben wird, das Wohlbehagen an allen gröberen
Ausbrüchen und Gebärden der Leidenschaft: es wird jetzt eine
gewisse Convention der Leidenschaftlichkeit verlangt, — nur
nicht die Leidenschaft selber! Trotzdem wird man sie damit zuletzt erreichen, und
unsere Nachkommen werden eine ächte
Wildheit haben und nicht nur eine Wildheit und
Ungebärdigkeit der Formen.
Kenntniss der Noth. —
Vielleicht werden die Menschen und Zeiten durch Nichts so sehr
von einander geschieden, als durch den verschiedenen Grad von
Kenntniss der Noth, den sie haben: Noth der Seele wie des
Leibes. In Bezug auf letztere sind wir Jetzigen vielleicht
allesammt, trotz unserer Gebrechen und Gebrechlichkeiten, aus
Mangel an reicher Selbst-Erfahrung Stümper und Phantasten
zugleich: im Vergleich zu einem Zeitalter der Furcht — dem
längsten aller Zeitalter —, wo der Einzelne sich selber gegen
Gewalt zu schützen hatte und um dieses Zieles willen selber
Gewaltmensch sein musste. Damals machte ein Mann seine reiche
Schule körperlicher Qualen und Entbehrungen durch und begriff
selbst in einer gewissen Grausamkeit gegen sich, in einer
freiwilligen Uebung des Schmerzes, ein ihm nothwendiges Mittel
seiner Erhaltung; damals erzog man seine Umgebung zum Ertragen
des Schmerzes, damals fügte man gern Schmerz zu und sah das
Furchtbarste dieser Art über Andere ergehen, ohne ein anderes
Gefühl, als das der eigenen Sicherheit. Was die Noth der Seele
aber betrifft, so sehe ich mir jetzt jeden Menschen darauf an,
ob er sie aus Erfahrung oder Beschreibung kennt; ob er diese
Kenntniss zu heucheln doch noch für nöthig hält, etwa als ein
Zeichen der feineren Bildung, oder ob er überhaupt an grosse
Seelenschmerzen im Grunde seiner Seele nicht glaubt und es ihm
bei Nennung derselben ähnlich ergeht, wie bei Nennung grosser
körperlicher Erduldungen: wobei ihm seine Zahn- und
Magenschmerzen einfallen. So aber scheint es mir bei den
Meisten jetzt zu stehen. Aus der allgemeinen Ungeübtheit im
Schmerz beiderlei Gestalt und einer gewissen Seltenheit des
Anblicks eines Leidenden ergiebt sich nun eine wichtige Folge:
man hasst jetzt den Schmerz viel mehr, als frühere Menschen,
und redet ihm viel übler nach als je, ja, man findet schon das
Vorhandensein des Schmerzes als
eines Gedankens kaum erträglich und macht dem
gesammten Dasein eine Gewissenssache und einen Vorwurf daraus.
Das Auftauchen pessimistischer Philosophien ist durchaus nicht
das Merkmal grosser, furchtbarer Nothstände; sondern diese
Fragezeichen am Werthe alles Lebens werden in Zeiten gemacht,
wo die Verfeinerung und Erleichterung des Daseins bereits die
unvermeidlichen Mückenstiche der Seele und des Leibes als gar
zu blutig und bösartig befindet und in der Armuth an
wirklichen Schmerz-Erfahrungen am liebsten schon quälende allgemeine Vorstellungen
als das Leid höchster Gattung erscheinen lassen möchte. — Es
gäbe schon ein Recept gegen pessimistische Philosophien und
die übergrosse Empfindlichkeit, welche mir die eigentliche
„Noth der Gegenwart“ zu sein scheint: — aber vielleicht klingt
diess Recept schon zu grausam und würde selber unter die
Anzeichen gerechnet werden, auf Grund deren hin man jetzt
urtheilt: „Das Dasein ist etwas Böses“. Nun! Das Recept gegen
„die Noth“ lautet: Noth .
Grossmuth und Verwandtes. —
Jene paradoxen Erscheinungen, wie die plötzliche Kälte im
Benehmen des Gemüthsmenschen, wie der Humor des
Melancholikers, wie vor Allem die Grossmuth ,
als eine plötzliche Verzichtleistung auf Rache oder
Befriedigung des Neides — treten an Menschen auf, in denen
eine mächtige innere Schleuderkraft ist, an Menschen der
plötzlichen Sättigung und des plötzlichen Ekels. Ihre
Befriedigungen sind so schnell und so stark, dass diesen
sofort Ueberdruss und Widerwille und eine Flucht in den
entgegengesetzten Geschmack auf dem Fusse folgt: in diesem
Gegensatze löst sich der Krampf der Empfindung aus, bei Diesem
durch plötzliche Kälte, bei Jenem durch Gelächter, bei einem
Dritten durch Thränen und Selbstaufopferung. Mir erscheint der
Grossmüthige — wenigstens jene Art des Grossmüthigen, die
immer am meisten Eindruck gemacht hat — als ein Mensch des
äussersten Rachedurstes, dem eine Befriedigung sich in der
Nähe zeigt und der sie so reichlich, gründlich und bis zum
letzten Tropfen schon in der
Vorstellung austrinkt, dass ein ungeheurer
schneller Ekel dieser schnellen Ausschweifung folgt, — er
erhebt sich nunmehr „über sich“, wie man sagt, und verzeiht
seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn. Mit dieser
Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhöhnung seines
eben noch so mächtigen Rachetriebes giebt er aber nur dem
neuen Triebe nach, der eben jetzt in ihm mächtig geworden ist
(dem Ekel), und thut diess ebenso ungeduldig und ausschweifend
wie er kurz vorher die Freude an der Rache mit der Phantasie
vorwegnahm und gleichsam
ausschöpfte. Es ist in der Grossmuth der selbe Grad von
Egoismus wie in der Rache, aber eine andere Qualität des
Egoismus.
Das Argument der Vereinsamung. —
Der Vorwurf des Gewissens ist auch beim Gewissenhaftesten
schwach gegen das Gefühl: „Diess und Jenes ist wider die gute
Sitte deiner
Gesellschaft.“ Ein kalter Blick, ein verzogener Mund von
Seiten Derer, unter denen und für die man erzogen ist, wird
auch vom Stärksten noch gefürchtet .
Was wird da eigentlich gefürchtet? Die Vereinsamung! als das
Argument, welches auch die besten Argumente für eine Person
oder Sache niederschlägt! — So redet der Heerden-Instinct aus
uns.
Wahrheitssinn. — Ich lobe mir
eine jede Skepsis, auf welche mir erlaubt ist zu antworten:
„Versuchen wir’s!“ Aber ich mag von allen Dingen und allen
Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr
hören. Diess ist die Grenze meines „Wahrheitssinnes“: denn
dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren.
Was Andere von uns wissen. —
Das, was wir von uns selber wissen und im Gedächtniss haben,
ist für das Glück unseres Lebens nicht so entscheidend, wie
man glaubt. Eines Tages stürzt Das, was Andere
von uns wissen (oder zu wissen meinen) über uns her — und
jetzt erkennen wir, dass es das Mächtigere ist. Man wird mit
seinem schlechten Gewissen leichter fertig, als mit seinem
schlechten Rufe.
Wo das Gute beginnt. — Wo die
geringe Sehkraft des Auges den bösen Trieb wegen seiner
Verfeinerung nicht mehr als solchen zu sehen vermag, da setzt
der Mensch das Reich des Guten an, und die Empfindung, nunmehr
in’s Reich des Guten übergetreten zu sein, bringt alle die
Triebe in Miterregung, welche durch die bösen Triebe bedroht
und eingeschränkt waren, wie das Gefühl der Sicherheit, des
Behagens, des Wohlwollens. Also: je stumpfer das Auge, desto
weiter reicht das Gute! Daher die ewige Heiterkeit des Volkes
und der Kinder! Daher die Düsterkeit und der dem schlechten
Gewissen verwandte Gram der grossen Denker!
Das Bewusstsein vom Scheine. —
Wie wundervoll und neu und zugleich wie schauerlich und
ironisch fühle ich mich mit meiner Erkenntniss zum gesammten
Dasein gestellt! Ich habe für mich entdeckt ,
dass die alte Mensch- und Thierheit, ja die gesammte Urzeit
und Vergangenheit alles empfindenden Seins in mir fortdichtet,
fortliebt, forthasst, fortschliesst, — ich bin plötzlich
mitten in diesem Traume erwacht, aber nur zum Bewusstsein,
dass ich eben träume und dass ich weiterträumen muss , um nicht zu Grunde zu gehen:
wie der Nachtwandler weiterträumen muss, um nicht
hinabzustürzen. Was ist mir jetzt „Schein“! Wahrlich nicht der
Gegensatz irgend eines Wesens, — was weiss ich von irgend
welchem Wesen auszusagen, als eben nur die Prädicate seines
Scheines! Wahrlich nicht eine todte Maske, die man einem
unbekannten X aufsetzen und auch wohl abnehmen könnte! Schein
ist für mich das Wirkende und Lebende selber, das soweit in
seiner Selbstverspottung geht, mich fühlen zu lassen, dass
hier Schein und Irrlicht und Geistertanz und nichts Mehr ist,
— dass unter allen diesen Träumenden auch ich, der
„Erkennende“, meinen Tanz tanze, dass der Erkennende ein
Mittel ist, den irdischen Tanz in die Länge zu ziehen und
insofern zu den Festordnern des Daseins gehört, und dass die
erhabene Consequenz und Verbundenheit aller Erkenntnisse
vielleicht das höchste Mittel ist und sein wird, die
Allgemeinheit der Träumerei und die Allverständlichkeit aller
dieser Träumenden unter einander und eben damit die Dauer des Traumes aufrecht zu erhalten .
Der letzte Edelsinn. — Was
macht denn „edel“? Gewiss nicht, dass man Opfer bringt; auch
der rasend Wolllüstige bringt Opfer. Gewiss nicht, dass man
überhaupt einer Leidenschaft folgt; es giebt verächtliche
Leidenschaften. Gewiss nicht, dass man für Andere Etwas thut
und ohne Selbstsucht: vielleicht ist die Consequenz der
Selbstsucht gerade bei dem Edelsten am grössten. — Sondern
dass die Leidenschaft, die den Edeln befällt, eine Sonderheit
ist, ohne dass er um diese Sonderheit weiss: der Gebrauch
eines seltenen und singulären Maassstabes und beinahe eine
Verrücktheit: das Gefühl der Hitze in Dingen, welche sich für
alle Anderen kalt anfühlen: ein Errathen von Werthen, für die
die Wage noch nicht erfunden ist: ein Opferbringen auf
Altären, die einem unbekannten Gotte geweiht sind: eine
Tapferkeit ohne den Willen zur Ehre: eine Selbstgenügsamkeit,
welche Ueberfluss hat und an Menschen und Dinge mittheilt.
Bisher war es also das Seltene und die Unwissenheit um diess
Seltensein, was edel machte. Dabei erwäge man aber, dass durch
diese Richtschnur alles Gewöhnte, Nächste und Unentbehrliche,
kurz, das am meisten Arterhaltende, und überhaupt die
Regel in der bisherigen
Menschheit, unbillig beurtheilt und im Ganzen verleumdet
worden ist, zu Gunsten der Ausnahmen. Der Anwalt der Regel
werden — das könnte vielleicht die letzte Form und Feinheit
sein, in welcher der Edelsinn auf Erden sich offenbart.
Die Begierde nach Leiden. —
Denke ich an die Begierde, Etwas zu thun, wie sie die
Millionen junger Europäer fortwährend kitzelt und stachelt,
welche alle die Langeweile und sich selber nicht ertragen
können, — so begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas
zu leiden, sein muss, um aus ihrem Leiden einen probablen
Grund zum Thun, zur That herzunehmen. Noth ist nöthig! Daher
das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen,
erdichteten, übertriebenen „Nothstände“ aller möglichen
Classen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben.
Diese junge Welt verlangt, von
Aussen her solle — nicht etwa das Glück — sondern
das Unglück kommen oder sichtbar werden; und ihre Phantasie
ist schon voraus geschäftig, ein Ungeheuer daraus zu formen,
damit sie nachher mit einem Ungeheuer kämpfen könne. Fühlten
diese Nothsüchtigen in sich die Kraft, von Innen her sich
selber wohlzuthun, sich selber Etwas anzuthun, so würden sie
auch verstehen, von Innen her sich eine eigene, selbsteigene
Noth zu schaffen. Ihre Erfindungen könnten dann feiner sein
und ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik klingen:
während sie jetzt die Welt mit ihrem Nothgeschrei und folglich
gar zu oft erst mit dem Nothgefühle
anfüllen! Sie verstehen mit sich Nichts anzufangen — und so
malen sie das Unglück Anderer an die Wand: sie haben immer
Andere nöthig! Und immer wieder andere Andere! — Verzeihung,
meine Freunde, ich habe gewagt, mein Glück
an die Wand zu malen.
Nur als Schaffende! — Diess
hat mir die grösste Mühe gemacht und macht mir noch immerfort
die grösste Mühe: einzusehen, dass unsäglich mehr daran liegt,
wie die Dinge heissen ,
als was sie sind. Der Ruf, Name und Anschein, die Geltung, das
übliche Maass und Gewicht eines Dinges — im Ursprunge
zuallermeist ein Irrthum und eine Willkürlichkeit, den Dingen
übergeworfen wie ein Kleid und seinem Wesen und selbst seiner
Haut ganz fremd — ist durch den Glauben daran und sein
Fortwachsen von Geschlecht zu Geschlecht dem Dinge allmählich
gleichsam an- und eingewachsen und zu seinem Leibe selber
geworden: der Schein von Anbeginn wird zuletzt fast immer zum
Wesen und wirkt als
Wesen! Was wäre das für ein Narr, der da meinte, es genüge,
auf diesen Ursprung und diese Nebelhülle des Wahnes
hinzuweisen, um die als wesenhaft geltende Welt, die
sogenannte „ Wirklichkeit “,
zu vernichten ! Nur
als Schaffende können wir vernichten! — Aber vergessen wir
auch diess nicht: es genügt, neue Namen und Schätzungen und
Wahrscheinlichkeiten zu schaffen, um auf die Länge hin neue
„Dinge“ zu schaffen.
Wir Künstler! — Wenn wir ein
Weib lieben, so haben wir leicht einen Hass auf die Natur,
aller der widerlichen Natürlichkeiten gedenkend, denen jedes
Weib ausgesetzt ist; gerne denken wir überhaupt daran vorbei,
aber wenn einmal unsere Seele diese Dinge streift, so zuckt
sie ungeduldig und blickt, wie gesagt, verächtlich nach der
Natur hin: — wir sind beleidigt, die Natur scheint in unsern
Besitz einzugreifen und mit den ungeweihtesten Händen. Da
macht man die Ohren zu gegen alle Physiologie und decretirt
für sich insgeheim „ich will davon, dass der Mensch noch etwas
Anderes ist, ausser Seele und
Form , Nichts hören!“ „Der Mensch unter der Haut“
ist allen Liebenden ein Greuel und Ungedanke, eine Gottes- und
Liebeslästerung. — Nun, so wie jetzt noch der Liebende
empfindet, in Hinsicht der Natur und Natürlichkeit, so empfand
ehedem jeder Verehrer Gottes und seiner „heiligen Allmacht“:
bei Allem, was von der Natur gesagt wurde, durch Astronomen,
Geologen, Physiologen, Aerzte, sah er einen Eingriff in seinen
köstlichsten Besitz und folglich einen Angriff, — und noch
dazu eine Schamlosigkeit des Angreifenden! Das „Naturgesetz “
klang ihm schon wie eine Verleumdung Gottes; im Grunde hätte
er gar zu gerne alle Mechanik auf moralische Willens- und
Willküracte zurückgeführt gesehn: — aber weil ihm Niemand
diesen Dienst erweisen konnte, so verhehlte
er sich die Natur und Mechanik, so gut er konnte und lebte im
Traum. Oh diese Menschen von ehedem haben verstanden zu
träumen und hatten nicht erst
nöthig, einzuschlafen! — und auch wir Menschen von heute
verstehen es noch viel zu gut, mit allem unseren guten Willen
zum Wachsein und zum Tage! Es genügt, zu lieben, zu hassen, zu
begehren, überhaupt zu empfinden, — sofort
kommt der Geist und die Kraft des Traumes über uns, und wir
steigen offenen Auges und kalt gegen alle Gefahr auf den
gefährlichsten Wegen empor, hinauf auf die Dächer und Thürme
der Phantasterei, und ohne allen Schwindel, wie geboren zum
Klettern — wir Nachtwandler des Tages! Wir Künstler! Wir
Verhehler der Natürlichkeit! Wir Mond- und Gottsüchtigen! Wir
todtenstillen unermüdlichen Wanderer, auf Höhen, die wir nicht
als Höhen sehen, sondern als unsere Ebenen, als unsere
Sicherheiten!
Die Frauen und ihre Wirkung in die Ferne. —
Habe ich noch Ohren? Bin ich nur noch Ohr und Nichts weiter
mehr? Hier stehe ich inmitten des Brandes der Brandung, deren
weisse Flammen bis zu meinem Fusse heraufzüngeln: — von allen
Seiten heult, droht, schreit, schrillt es auf mich zu, während
in der tiefsten Tiefe der alte Erderschütterer seine Arie
singt, dumpf wie ein brüllender Stier: er stampft sich dazu
einen solchen Erderschütterer-Tact, dass selbst diesen
verwetterten Felsunholden hier das Herz darüber im Leibe
zittert. Da, plötzlich, wie aus dem Nichts geboren, erscheint
vor dem Thore dieses höllischen Labyrinthes, nur wenige
Klafter weit entfernt, — ein grosses Segelschiff, schweigsam
wie ein Gespenst dahergleitend. Oh diese gespenstische
Schönheit! Mit welchem Zauber fasst sie mich an! Wie? Hat alle
Ruhe und Schweigsamkeit der Welt sich hier eingeschifft? Sitzt
mein Glück selber an diesem stillen Platze, mein glücklicheres
Ich, mein zweites verewigtes Selbst? Nicht todt sein und doch
auch nicht mehr lebend? Als ein geisterhaftes, stilles,
schauendes, gleitendes, schwebendes Mittelwesen? Dem Schiffe
gleichend, welches mit seinen weissen Segeln wie ein
ungeheurer Schmetterling über das dunkle Meer hinläuft! Ja!
Ueber das Dasein hinlaufen! Das
ist es! Das wäre es! — — Es scheint, der Lärm hier hat mich
zum Phantasten gemacht? Aller grosse Lärm macht, dass wir das
Glück in die Stille und Ferne setzen. Wenn ein Mann inmitten
seines Lärmes steht, inmitten
seiner Brandung von Würfen und Entwürfen: da sieht er auch
wohl stille zauberhafte Wesen an sich vorübergleiten, nach
deren Glück und Zurückgezogenheit er sich sehnt, — es sind die Frauen . Fast meint er,
dort bei den Frauen wohne sein besseres Selbst: an diesen
stillen Plätzen werde auch die lauteste Brandung zur
Todtenstille und das Leben selber zum Traume über das Leben.
Jedoch! Jedoch! Mein edler Schwärmer, es giebt auch auf dem
schönsten Segelschiffe so viel Geräusch und Lärm und leider so
viel kleinen erbärmlichen Lärm! Der Zauber und die mächtigste
Wirkung der Frauen ist, um die Sprache der Philosophen zu
reden, eine Wirkung in die Ferne, eine actio in distans: dazu
gehört aber, zuerst und vor Allem — Distanz !
Zu Ehren der Freundschaft. —
Dass das Gefühl der Freundschaft dem Alterthum als das höchste
Gefühl galt, höher selbst als der gerühmteste Stolz des
Selbstgenügsamen und Weisen, ja gleichsam als dessen einzige
und noch heiligere Geschwisterschaft: diess drückt sehr gut
die Geschichte von jenem macedonischen Könige aus, der einem
weltverachtenden Philosophen Athen’s ein Talent zum Geschenk
machte und es von ihm zurückerhielt. „Wie? sagte der König,
hat er denn keinen Freund?“ Damit wollte er sagen: „ich ehre
diesen Stolz des Weisen und Unabhängigen, aber ich würde seine
Menschlichkeit noch höher ehren, wenn der Freund in ihm den
Sieg über seinen Stolz davongetragen hätte. Vor mir hat sich
der Philosoph herabgesetzt, indem er zeigte, dass er eines der
beiden höchsten Gefühle nicht kennt, — und zwar das höhere
nicht!“
Liebe. — Die Liebe vergiebt
dem Geliebten sogar die Begierde.
Das Weib in der Musik. — Wie
kommt es, dass warme und regnerische Winde auch die
musikalische Stimmung und die erfinderische Lust der Melodie
mit sich führen? Sind es nicht die selben Winde, welche die
Kirchen füllen und den Frauen verliebte Gedanken geben?
De vrouw in de muziek . —
Hoe komt het dat warme en regenachtige winden ook de muzikale
stemming en de lust om melodieën te verzinnen met zich meebrengen?
Zijn het niet dezelfde winden die de kerken vullen en de vrouwen
verliefde gedachten inblazen?
Skeptiker. — Ich fürchte, dass
altgewordene Frauen im geheimsten Verstecke ihres Herzens
skeptischer sind, als alle Männer: sie glauben an die
Oberflächlichkeit des Daseins als an sein Wesen, und alle
Tugend und Tiefe ist ihnen nur Verhüllung dieser „Wahrheit“,
die sehr wünschenswerthe Verhüllung eines pudendum —, also
eine Sache des Anstandes und der Scham, und nicht mehr!
Hingebung. — Es giebt edle
Frauen mit einer gewissen Armuth des Geistes, welche, um ihre
tiefste Hingebung auszudrücken ,
sich nicht anders zu helfen wissen, als so, dass sie ihre
Tugend und Scham anbieten: es ist ihnen ihr Höchstes. Und oft
wird diess Geschenk angenommen, ohne so tief zu verpflichten,
als die Geberinnen voraussetzen, — eine sehr schwermüthige
Geschichte!
Die Stärke der Schwachen. —
Alle Frauen sind fein darin, ihre Schwäche zu übertreiben, ja
sie sind erfinderisch in Schwächen, um ganz und gar als
zerbrechliche Zierathen zu erscheinen, denen selbst ein
Stäubchen wehe thut: ihr Dasein soll dem Manne seine Plumpheit
zu Gemüthe führen und in’s Gewissen schieben. So wehren sie
sich gegen die Starken und alles „Faustrecht“.
Sich selber heucheln. — Sie
liebt ihn nun und blickt seitdem mit so ruhigem Vertrauen vor
sich hin wie eine Kuh: aber wehe! Gerade diess war seine
Bezauberung, dass sie durchaus veränderlich und unfassbar
schien! Er hatte eben schon zu viel beständiges Wetter an sich
selber! Sollte sie nicht gut thun, ihren alten Charakter zu
heucheln? Lieblosigkeit zu heucheln? Räth ihr also nicht — die
Liebe? Vivat comoedia!
Wille und Willigkeit. — Man
brachte einen Jüngling zu einem weisen Manne und sagte:
„Siehe, das ist Einer, der durch die Weiber verdorben wird!“
Der weise Mann schüttelte den Kopf und lächelte. „Die Männer
sind es, rief er, welche die Weiber verderben: und Alles, was
die Weiber fehlen, soll an den Männern gebüsst und gebessert
werden, — denn der Mann macht sich das Bild des Weibes, und
das Weib bildet sich nach diesem Bilde.“ — „Du bist zu
mildherzig gegen die Weiber, sagte einer der Umstehenden, du
kennst sie nicht!“ Der weise Mann antwortete: „Des Mannes Art
ist Wille, des Weibes Art Willigkeit, — so ist es das Gesetz
der Geschlechter, wahrlich! ein hartes Gesetz für das Weib!
Alle Menschen sind unschuldig für ihr Dasein, die Weiber aber
sind unschuldig im zweiten Grade: wer könnte für sie des Oels
und der Milde genug haben.“ — Was Oel! Was Milde! rief ein
Anderer aus der Menge; man muss die Weiber besser erziehen! —
„Man muss die Männer besser erziehen,“ sagte der weise Mann
und winkte dem Jünglinge, dass er ihm folge. — Der Jüngling
aber folgte ihm nicht.
Willen en gewilligheid. — Men bracht een jongeling
naar een wijze man en zei: “Kijk, hier heb je iemand die door de
vrouwen wordt bedorven!” De wijze man schudde zijn hoofd en
glimlachte. “Het zijn de mannen,” riep hij uit, “die de vrouwen
bederven: en alles wat de vrouwen ontbreekt, moet op de mannen
verhaald en verbeterd worden, — want de man vormt zich een beeld
van de vrouw, en de vrouw vormt zich naar dit beeld.” — “Je bent
te mild voor de vrouwen,” zei een van de omstanders, “je kent ze
niet!” De wijze man antwoordde: “De aard van de man is te
willen, de aard van de vrouw is gewilligheid, zo is de wet van
de seksen; voorwaar een harde wet voor de vrouw! Alle mensen
zijn onschuldig aan hun bestaan, maar de vrouwen zijn onschuldig
in de tweede graad: wie zou voor hen genoeg balsem en mildheid
kunnen hebben.” “Wat, balsem! Wat, mildheid!” riep een ander uit
de menigte; men moet de vrouwen beter opvoeden! - “Men moet de
mannen beter opvoeden,” zei de wijze man en wenkte de jongeling
om hem te volgen. Maar de jongeling volgde hem niet.
Fähigkeit zur Rache. — Dass
Einer sich nicht vertheidigen kann und folglich auch nicht
will, gereicht ihm in unsern Augen noch nicht zur Schande:
aber wir schätzen Den gering, der zur Rache weder das Vermögen
noch den guten Willen hat, — gleichgültig ob Mann oder Weib.
Würde uns ein Weib festhalten (oder wie man sagt „fesseln“)
können, dem wir nicht zutrauten, dass es unter Umständen den
Dolch (irgend eine Art von Dolch) gegen
uns gut zu handhaben wüsste? Oder gegen sich: was in einem
bestimmten Falle die empfindlichere Rache wäre (die
chinesische Rache).
Die Herrinnen der Herren. —
Eine tiefe mächtige Altstimme, wie man sie bisweilen im
Theater hört, zieht uns plötzlich den Vorhang vor
Möglichkeiten auf, an die wir für gewöhnlich nicht glauben:
wir glauben mit Einem Male daran, dass es irgendwo in der Welt
Frauen mit hohen, heldenhaften, königlichen Seelen geben
könne, fähig und bereit zu grandiosen Entgegnungen,
Entschliessungen und Aufopferungen, fähig und bereit zur
Herrschaft über Männer, weil in ihnen das Beste vom Manne,
über das Geschlecht hinaus, zum leibhaften Ideale geworden
ist. Zwar sollen solche Stimmen nach der Absicht des Theaters
gerade nicht diesen
Begriff vom Weibe geben: gewöhnlich sollen sie den idealen
männlichen Liebhaber, zum Beispiel einen Romeo, darstellen;
aber nach meiner Erfahrung zu urtheilen, verrechnet sich dabei
das Theater und der Musiker, der von einer solchen Stimme
solche Wirkungen erwartet, ganz regelmässig. Man glaubt nicht
an diese Liebhaber:
diese Stimmen enthalten immer noch eine Farbe des Mütterlichen
und Hausfrauenhaften, und gerade dann am meisten, wenn Liebe
in ihrem Klange ist.
Von der weiblichen Keuschheit. —
Es ist etwas ganz Erstaunliches und Ungeheures in der
Erziehung der vornehmen Frauen, ja vielleicht giebt es nichts
Paradoxeres. Alle Welt ist darüber einverstanden, sie in
eroticis so unwissend wie möglich zu erziehen und ihnen eine
tiefe Scham vor dergleichen und die äusserste Ungeduld und
Flucht beim Andeuten dieser Dinge in die Seele zu geben. Alle
„Ehre“ des Weibes steht im Grunde nur hier auf dem Spiele: was
verziehe man ihnen sonst nicht! Aber hierin sollen sie
unwissend bis in’s Herz hinein bleiben: — sie sollen weder
Augen, noch Ohren, noch Worte, noch Gedanken für diess ihr
„Böses“ haben: ja das Wissen ist hier schon das Böse. Und nun!
Wie mit einem grausigen Blitzschlage in die Wirklichkeit und
das Wissen geschleudert werden, mit der Ehe — und zwar durch
Den, welchen sie am meisten lieben und hochhalten: Liebe und
Scham im Widerspruch ertappen, ja Entzücken, Preisgebung,
Pflicht, Mitleid und Schrecken über die unerwartete
Nachbarschaft von Gott und Thier und was Alles sonst noch! in
Einem empfinden müssen! — Da hat man in der That sich einen
Seelen-Knoten geknüpft, der seines Gleichen sucht! Selbst die
mitleidige Neugier des weisesten Menschenkenners reicht nicht
aus, zu errathen, wie sich dieses und jenes Weib in diese
Lösung des Räthsels und in diess Räthsel von Lösung zu finden
weiss, und was für schauerliche, weithin greifende Verdachte
sich dabei in der armen aus den Fugen gerathenen Seele regen
müssen, ja wie die letzte Philosophie und Skepsis des Weibes
an diesem Puncte ihre Anker wirft! — Hinterher das selbe tiefe
Schweigen wie vorher: und oft ein Schweigen vor sich selber,
ein Augen-Zuschliessen vor sich selber. — Die jungen Frauen
bemühen sich sehr darum, oberflächlich und gedankenlos zu
erscheinen; die feinsten unter ihnen erheucheln eine Art
Frechheit. — Die Frauen empfinden leicht ihre Männer als ein
Fragezeichen ihrer Ehre und ihre Kinder als eine Apologie oder
Busse, — sie bedürfen der Kinder und wünschen sie sich, in
einem ganz anderen Sinne als ein Mann sich Kinder wünscht. —
Kurz, man kann nicht mild genug gegen die Frauen sein!
Die Mütter. — Die Thiere
denken anders über die Weiber, als die Menschen; ihnen gilt
das Weibchen als das productive Wesen. Vaterliebe giebt es bei
ihnen nicht, aber so Etwas wie Liebe zu den Kindern einer
Geliebten und Gewöhnung an sie. Die Weibchen haben an den
Kindern Befriedigung ihrer Herrschsucht, ein Eigenthum, eine
Beschäftigung, etwas ihnen ganz Verständliches, mit dem man
schwätzen kann: diess Alles zusammen ist Mutterliebe, — sie
ist mit der Liebe des Künstlers zu seinem Werke zu
vergleichen. Die Schwangerschaft hat die Weiber milder,
abwartender, furchtsamer, unterwerfungslustiger gemacht; und
ebenso erzeugt die geistige Schwangerschaft den Charakter der
Contemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist:
— es sind die männlichen Mütter. — Bei den Thieren gilt das
männliche Geschlecht als das schöne.
Heilige Grausamkeit. — Zu
einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in
den Händen hielt. „Was soll ich mit dem Kinde machen? fragte
er, es ist elend, missgestaltet und hat nicht genug Leben, um
zu sterben.“ „Tödte es, rief der Heilige mit schrecklicher
Stimme, tödte es und halte es dann drei Tage und drei Nächte
lang in deinen Armen, auf dass du dir ein Gedächtniss machest:
— so wirst du nie wieder ein Kind zeugen, wenn es nicht an der
Zeit für dich ist, zu zeugen.“ — Als der Mann diess gehört
hatte, gieng er enttäuscht davon; und Viele tadelten den
Heiligen, weil er zu einer Grausamkeit gerathen hatte, denn er
hatte gerathen, das Kind zu tödten. „Aber ist es nicht
grausamer, es leben zu lassen?“ sagte der Heilige.
Die Erfolglosen. — Jenen armen
Frauen fehlt es immer an Erfolg, welche in Gegenwart Dessen,
den sie lieben, unruhig und unsicher werden und zu viel reden:
denn die Männer werden am sichersten durch eine gewisse
heimliche und phlegmatische Zärtlichkeit verführt.
Das dritte Geschlecht. — „Ein
kleiner Mann ist eine Paradoxie, aber doch ein Mann, — aber
die kleinen Weibchen scheinen mir, im Vergleich mit
hochwüchsigen Frauen, von einem anderen Geschlechte zu sein“ —
sagte ein alter Tanzmeister. Ein kleines Weib ist niemals
schön — sagte der alte Aristoteles.
Die grösste Gefahr. — Hätte es
nicht allezeit eine Ueberzahl von Menschen gegeben, welche die
Zucht ihres Kopfes — ihre „Vernünftigkeit“ — als ihren Stolz,
ihre Verpflichtung, ihre Tugend fühlten, welche durch alles
Phantasiren und Ausschweifen des Denkens beleidigt oder
beschämt wurden, als die Freunde „des gesunden
Menschenverstandes“: so wäre die Menschheit längst zu Grunde
gegangen! Ueber ihr schwebte und schwebt fortwährend als ihre
grösste Gefahr der ausbrechende Irrsinn
— das heisst eben das Ausbrechen des Beliebens im Empfinden,
Sehen und Hören, der Genuss in der Zuchtlosigkeit des Kopfes,
die Freude am Menschen-Unverstande. Nicht die Wahrheit und
Gewissheit ist der Gegensatz der Welt des Irrsinnigen, sondern
die Allgemeinheit und Allverbindlichkeit eines Glaubens, kurz
das Nicht-Beliebige im Urtheilen. Und die grösste Arbeit der
Menschen bisher war die, über sehr viele Dinge mit einander
übereinzustimmen und sich ein Gesetz
der Uebereinstimmung aufzulegen — gleichgültig,
ob diese Dinge wahr oder falsch sind. Diess ist die Zucht des
Kopfes, welche die Menschheit erhalten hat; — aber die
Gegentriebe sind immer noch so mächtig, dass man im Grunde von
der Zukunft der Menschheit mit wenig Vertrauen reden darf.
Fortwährend schiebt und verschiebt sich noch das Bild der
Dinge, und vielleicht von jetzt ab mehr und schneller als je;
fortwährend sträuben sich gerade die ausgesuchtesten Geister
gegen jene Allverbindlichkeit — die Erforscher der Wahrheit voran! Fortwährend erzeugt
jener Glaube als Allerweltsglaube einen Ekel und eine neue
Lüsternheit bei feineren Köpfen: und schon das langsame Tempo,
welches er für alle geistigen Processe verlangt, jene
Nachahmung der Schildkröte, welche hier als die Norm anerkannt
wird, macht Künstler und Dichter zu Ueberläufern: — diese
ungeduldigen Geister sind es, in denen eine förmliche Lust am
Irrsinn ausbricht, weil der Irrsinn ein so fröhliches Tempo
hat! Es bedarf also der tugendhaften Intellecte, — ach! ich
will das unzweideutigste Wort gebrauchen — es bedarf der
tugendhaften Dummheit , es
bedarf unerschütterlicher Tactschläger des langsamen
Geistes, damit die Gläubigen des grossen Gesammtglaubens bei
einander bleiben und ihren Tanz weitertanzen: es ist eine
Nothdurft ersten Ranges, welche hier gebietet und fordert.
Wir Andern sind die Ausnahme und die Gefahr ,
— wir bedürfen ewig der Vertheidigung! — Nun, es lässt sich
wirklich etwas zu Gunsten der Ausnahme sagen, vorausgesetzt, dass sie nie Regel werden will .
Das Thier mit gutem Gewissen. —
Das Gemeine in Alledem, was im Süden Europa’s gefällt — sei
diess nun die italiänische Oper (zum Beispiel Rossini’s und
Bellini’s) oder der spanische Abenteuer-Roman (uns in der
französischen Verkleidung des Gil Blas am besten zugänglich) —
bleibt mir nicht verborgen, aber es beleidigt mich nicht,
ebensowenig als die Gemeinheit, der man bei einer Wanderung
durch Pompeji und im Grunde selbst beim Lesen jedes antiken
Buches begegnet: woher kommt diess? Ist es, dass hier die
Scham fehlt und dass alles Gemeine so sicher und seiner gewiss
auftritt, wie irgend etwas Edles, Liebliches und
Leidenschaftliches in der selben Art Musik oder Roman? „Das
Thier hat sein Recht wie der Mensch: so mag es frei
herumlaufen, und du, mein lieber Mitmensch, bist auch diess
Thier noch, trotz Alledem!“ — das scheint mir die Moral der
Sache und die Eigenheit der südländischen Humanität zu sein.
Der schlechte Geschmack hat sein Recht wie der gute, und sogar
ein Vorrecht vor ihm, falls er das grosse Bedürfniss, die
sichere Befriedigung und gleichsam eine allgemeine Sprache,
eine unbedingt verständliche Larve und Gebärde ist: der gute,
gewählte Geschmack hat dagegen immer etwas Suchendes,
Versuchtes, seines Verständnisses nicht völlig Gewisses, — er
ist und war niemals volksthümlich! Volksthümlich ist und
bleibt die Maske !
So mag denn alles diess Maskenhafte in den Melodien und
Cadenzen, in den Sprüngen und Lustigkeiten des Rhythmus dieser
Opern dahinlaufen! Gar das antike Leben! Was versteht man von
dem, wenn man die Lust an der Maske, das gute Gewissen alles
Maskenhaften nicht versteht! Hier ist das Bad und die Erholung
des antiken Geistes: — und vielleicht war diess Bad den
seltenen und erhabenen Naturen der alten Welt noch nöthiger,
als den gemeinen. — Dagegen beleidigt mich eine gemeine
Wendung in nordischen Werken, zum Beispiel in deutscher Musik,
unsäglich. Hier ist Scham
dabei, der Künstler ist vor sich selber hinabgestiegen und
konnte es nicht einmal verhüten, dabei zu erröthen: wir
schämen uns mit ihm und sind so beleidigt, weil wir ahnen,
dass er unseretwegen glaubte hinabsteigen zu müssen.
Wofür wir dankbar sein sollen. —
Erst die Künstler, und namentlich die des Theaters, haben den
Menschen Augen und Ohren eingesetzt, um Das mit einigem
Vergnügen zu hören und zu sehen, was Jeder selber ist, selber
erlebt, selber will; erst sie haben uns die Schätzung des
Helden, der in jedem von allen diesen Alltagsmenschen
verborgen ist, und die Kunst gelehrt, wie man sich selber als
Held, aus der Ferne und gleichsam vereinfacht und verklärt
ansehen könne, — die Kunst, sich vor sich selber „in Scene zu
setzen“. So allein kommen wir über einige niedrige Details an
uns hinweg! Ohne jene Kunst würden wir Nichts als Vordergrund
sein und ganz und gar im Banne jener Optik leben, welche das
Nächste und Gemeinste als ungeheuer gross und als die
Wirklichkeit an sich erscheinen lässt. — Vielleicht giebt es
ein Verdienst ähnlicher Art an jener Religion, welche die
Sündhaftigkeit jedes einzelnen Menschen mit dem
Vergrösserungsglase ansehen hiess und aus dem Sünder einen
grossen, unsterblichen Verbrecher machte: indem sie ewige
Perspectiven um ihn beschrieb, lehrte sie den Menschen, sich
aus der Ferne und als etwas Vergangenes, Ganzes sehen.
Waarvoor we dankbaar moeten zijn. — Pas de
kunstenaars, en wel met name die van het theater, hebben mensen
ogen en oren gegeven, om met enig geneogen dàt te horen en te
zien, wat elke mens zelf is, zelf beleeft, zelf wil; Zij hebben
ons geleerd de held te waarderen die in al die alledaagse mensen
verborgen zit, en ook de kunst om onszelf als held te zien, door
ons van een afstand en als het ware vereenvoudigd en
verheerlijkt waar te nemen — de kunst om ons voor onszelf ‘in
scène te zetten’. Alleen zo kunnen we enkele banale details die
ons aankleven, overstijgen! Zonder die kunst zouden we niets
anders zijn dan voorgrond, en zouden we volledig in de ban leven
van die optische illusie, dat het meest nabije en gewone
ontzettend groot, ja de werkelijkheid zelf, is. — Misschien
heeft ook die religie, die de zondigheid van elke individuele
mens onder het vergrootglas legde, en de zondaar zo tot een
grote, onsterfelijke misdadiger maakte, wel een soortgelijk
verdienste: door eeuwige perspectieven om hem heen te schetsen,
leerde zij de mens zichzelf van een afstand te bekijken, d.w.z.
als iets dat voorbij gaant, als een afgerond geheel.
Reiz der Unvollkommenheit. —
Ich sehe hier einen Dichter, der, wie so mancher Mensch, durch
seine Unvollkommenheiten einen höheren Reiz ausübt, als durch
alles Das, was sich unter seiner Hand rundet und vollkommen
gestaltet, — ja er hat den Vortheil und den Ruhm vielmehr von
seinem letzten Unvermögen, als von seiner reichen Kraft. Sein
Werk spricht es niemals ganz aus, was er eigentlich
aussprechen möchte, was er gesehen
haben möchte : es scheint, dass er den
Vorgeschmack einer Vision gehabt hat, und niemals sie selber:
— aber eine ungeheure Lüsternheit nach dieser Vision ist in
seiner Seele zurückgeblieben, und aus ihr nimmt er seine
ebenso ungeheure Beredtsamkeit des Verlangens und
Heisshungers. Mit ihr hebt er Den, welcher ihm zuhört, über
sein Werk und alle „Werke“ hinaus und giebt ihm Flügel, um so
hoch zu steigen, wie Zuhörer nie sonst steigen: und so, selber
zu Dichtern und Sehern geworden, zollen sie dem Urheber ihres
Glückes eine Bewunderung, wie als ob er sie unmittelbar zum
Schauen seines Heiligsten und Letzten geführt hätte, wie als
ob er sein Ziel erreicht und seine Vision wirklich gesehen und mitgetheilt hätte. Es
kommt seinem Ruhme zu Gute, nicht eigentlich an’s Ziel
gekommen zu sein.
Kunst und Natur. — Die
Griechen (oder wenigstens die Athener) hörten gerne gut reden:
ja sie hatten einen gierigen Hang darnach, der sie mehr als
alles Andere von den Nicht-Griechen unterscheidet. Und so
verlangten sie selbst von der Leidenschaft auf der Bühne, dass
sie gut rede, und liessen die Unnatürlichkeit des dramatischen
Verses mit Wonne über sich ergehen: — in der Natur ist ja die
Leidenschaft so wortkarg! so stumm und verlegen! Oder wenn sie
Worte findet, so verwirrt und unvernünftig und sich selber zur
Scham! Nun haben wir uns Alle, Dank den Griechen, an diese
Unnatur auf der Bühne gewöhnt, wie wir jene andere Unnatur,
die singende
Leidenschaft ertragen und gerne ertragen, Dank den Italiänern.
— Es ist uns ein Bedürfniss geworden, welches wir aus der
Wirklichkeit nicht befriedigen können: Menschen in den
schwersten Lagen gut und ausführlich reden zu hören: es
entzückt uns jetzt, wenn der tragische Held da noch Worte,
Gründe, beredte Gebärden und im Ganzen eine helle Geistigkeit
findet, wo das Leben sich den Abgründen nähert, und der
wirkliche Mensch meistens den Kopf und gewiss die schöne
Sprache verliert. Diese Art Abweichung
von der Natur ist vielleicht die angenehmste
Mahlzeit für den Stolz des Menschen; ihretwegen überhaupt
liebt er die Kunst, als den Ausdruck einer hohen, heldenhaften
Unnatürlichkeit und Convention. Man macht mit Recht dem
dramatischen Dichter einen Vorwurf daraus, wenn er nicht Alles
in Vernunft und Wort verwandelt, sondern immer einen Rest
Schweigen in der Hand
zurückbehält: — so wie man mit dem Musiker der Oper
unzufrieden ist, der für den höchsten Affect nicht eine
Melodie, sondern nur ein affectvolles „natürliches“ Stammeln
und Schreien zu finden weiss. Hier soll
eben der Natur widersprochen werden! Hier soll
eben der gemeine Reiz der Illusion einem höheren Reize
weichen! Die Griechen gehen auf diesem Wege weit, weit — zum
Erschrecken weit! Wie sie die Bühne so schmal wie möglich
bilden und alle Wirkung durch tiefe Hintergründe sich
verbieten, wie sie dem Schauspieler das Mienenspiel und die
leichte Bewegung unmöglich machen und ihn in einen
feierlichen, steifen, maskenhaften Popanz verwandeln, so haben
sie auch der Leidenschaft selber den tiefen Hintergrund
genommen und ihr ein Gesetz der schönen Rede dictirt, ja sie
haben überhaupt Alles gethan, um der elementaren Wirkung
furcht- und mitleiderweckender Bilder entgegenzuwirken:
sie wollten eben nicht Furcht und Mitleid ,
— Aristoteles in Ehren und höchsten Ehren! aber er traf
sicherlich nicht den Nagel, geschweige den Kopf des Nagels,
als er vom letzten Zweck der griechischen Tragödie sprach! Man
sehe sich doch die griechischen Dichter der Tragödie darauf
hin an, was am
Meisten ihren Fleiss, ihre Erfindsamkeit, ihren Wetteifer
erregt hat, — gewiss nicht die Absicht auf Ueberwältigung der
Zuschauer durch Affecte! Der Athener gieng in’s Theater,
um schöne Reden zu hören ! Und
um schöne Reden war es dem Sophokles zu thun! — man vergebe
mir diese Ketzerei! — Sehr verschieden steht es mit der
ernsten Oper : alle ihre Meister
lassen es sich angelegen sein, zu verhüten, dass man ihre
Personen verstehe. Ein gelegentlich aufgerafftes Wort mag dem
unaufmerksamen Zuhörer zu Hülfe kommen: im Ganzen muss die
Situation sich selber erklären, — es liegt Nichts an den
Reden! — so denken sie Alle und so haben sie Alle mit den
Worten ihre Possen getrieben. Vielleicht hat es ihnen nur an
Muth gefehlt, um ihre letzte Geringschätzung des Wortes ganz
auszudrücken: ein wenig Frechheit mehr bei Rossini und er
hätte durchweg la-la-la-la singen lassen — und es wäre
Vernunft dabei gewesen! Es soll den Personen der Oper eben
nicht „auf’s Wort“ geglaubt werden, sondern auf den Ton! Das
ist der Unterschied, das ist die schöne Unnatürlichkeit ,
derentwegen man in die Oper geht! Selbst das recitativo secco
will nicht eigentlich als Wort und Text angehört sein: diese
Art von Halbmusik soll vielmehr dem musicalischen Ohre
zunächst eine kleine Ruhe geben (die Ruhe von der Melodie , als dem sublimsten und
desshalb auch anstrengendsten Genusse dieser Kunst) —, aber
sehr bald etwas Anderes: nämlich eine wachsende Ungeduld, ein
wachsendes Widerstreben, eine neue Begierde nach ganzer Musik, nach Melodie. — Wie
verhält es sich, von diesem Gesichtspuncte aus gesehen, mit
der Kunst Richard Wagner’s? Vielleicht anders? Oft wollte es
mir scheinen, als ob man Wort und
Musik seiner Schöpfungen vor der Aufführung auswendig gelernt
haben müßte: denn ohne diess — so schien es mir — höre man weder die Worte noch
selber die Musik.
Griechischer Geschmack. — „Was
ist Schönes daran? — sagte jener Feldmesser nach einer
Aufführung der Iphigenie — es wird Nichts darin bewiesen!“
Sollten die Griechen so fern von diesem Geschmacke gewesen
sein? Bei Sophokles wenigstens wird „Alles bewiesen“.
Der esprit ungriechisch. — Die
Griechen sind in allem ihrem Denken unbeschreiblich logisch
und schlicht; sie sind dessen, wenigstens für ihre lange gute
Zeit, nicht überdrüssig geworden, wie die Franzosen es so
häufig werden: welche gar zu gerne einen kleinen Sprung in’s
Gegentheil machen und den Geist der Logik eigentlich nur
vertragen, wenn er durch eine Menge solcher kleiner Sprünge
in’s Gegentheil seine gesellige
Artigkeit, seine gesellige Selbstverleugnung verräth. Logik
erscheint ihnen als nothwendig, wie Brod und Wasser, aber auch
gleich diesen als eine Art Gefangenenkost, sobald sie rein und
allein genossen werden sollen. In der guten Gesellschaft muss
man niemals vollständig und allein Recht haben wollen, wie es
alle reine Logik will: daher die kleine Dosis Unvernunft in
allem französischen esprit. — Der gesellige Sinn der Griechen
war bei Weitem weniger entwickelt, als der der Franzosen es
ist und war: daher so wenig esprit bei ihren geistreichsten
Männern, daher so wenig Witz selbst bei ihren Witzbolden,
daher — ach! Man wird mir schon diese meine Sätze nicht
glauben, und wie viele der Art habe ich noch auf der Seele! —
Est res magna tacere — sagt Martial mit allen Geschwätzigen.
Uebersetzungen. — Man kann den
Grad des historischen Sinnes, welchen eine Zeit besitzt, daran
abschätzen, wie diese Zeit Uebersetzungen
macht und vergangene Zeiten und Bücher sich einzuverleiben
sucht. Die Franzosen Corneille’s, und auch noch die der
Revolution, bemächtigten sich des römischen Alterthums in
einer Weise, zu der wir nicht den Muth mehr hätten — Dank
unserem höheren historischen Sinne. Und das römische Alterthum
selbst: wie gewaltsam und naiv zugleich legte es seine Hand
auf alles Gute und Hohe des griechischen älteren Alterthums!
Wie übersetzten sie in die römische Gegenwart hinein! Wie
verwischten sie absichtlich und unbekümmert den Flügelstaub
des Schmetterlings Augenblick! So übersetzte Horaz hier und da
den Alcäus oder den Archilochus, so Properz den Callimachus
und Philetas (Dichter gleichen Ranges mit Theokrit, wenn wir
urtheilen dürfen ):
was lag ihnen daran, dass der eigentliche Schöpfer Diess und
Jenes erlebt und die Zeichen davon in sein Gedicht
hineingeschrieben hatte! — als Dichter waren sie dem
antiquarischen Spürgeiste, der dem historischen Sinne
voranläuft, abhold, als Dichter liessen sie diese ganz
persönlichen Dinge und Namen und Alles, was einer Stadt, einer
Küste, einem Jahrhundert als seine Tracht und Maske zu eigen
war, nicht gelten, sondern stellten flugs das Gegenwärtige und
das Römische an seine Stelle. Sie scheinen uns zu fragen:
„Sollen wir das Alte nicht für uns neu machen und uns in ihm zurechtlegen? Sollen wir
nicht unsere Seele diesem todten Leibe einblasen dürfen? denn
todt ist er nun einmal: wie hässlich ist alles Todte!“ — Sie
kannten den Genuss des historischen Sinnes nicht; das
Vergangene und Fremde war ihnen peinlich, und als Römern ein
Anreiz zu einer römischen Eroberung. In der That, man eroberte
damals, wenn man übersetzte, — nicht nur so, dass man das
Historische wegliess: nein, man fügte die Anspielung auf das
Gegenwärtige hinzu, man strich vor Allem den Namen des
Dichters hinweg und setzte den eigenen an seine Stelle — nicht
im Gefühl des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen
des imperium Romanum.
Vom Ursprunge der Poesie. —
Die Liebhaber des Phantastischen am Menschen, welche zugleich
die Lehre von der instinctiven Moralität vertreten, schliessen
so: „gesetzt, man habe zu allen Zeiten den Nutzen als die
höchste Gottheit verehrt, woher dann in aller Welt ist die
Poesie gekommen? — diese Rhythmisirung der Rede, welche der
Deutlichkeit der Mittheilung eher entgegenwirkt, als
förderlich ist, und die trotzdem wie ein Hohn auf alle
nützliche Zweckmässigkeit überall auf Erden aufgeschossen ist
und noch aufschiesst! Die wildschöne Unvernünftigkeit der
Poesie widerlegt euch, ihr Utilitarier! Gerade vom Nutzen
einmal loskommen
wollen — das hat den Menschen erhoben, das hat ihn zur
Moralität und Kunst inspirirt!“ Nun ich muss hierin einmal den
Utilitariern zu Gefallen reden, — sie haben ja so selten
Recht, dass es zum Erbarmen ist! Man hatte in jenen alten
Zeiten, welche die Poesie in’s Dasein riefen, doch die
Nützlichkeit dabei im Auge und eine sehr grosse Nützlichkeit —
damals als man den Rhythmus in die Rede dringen liess, jene
Gewalt die alle Atome des Satzes neu ordnet, die Worte wählen
heisst und den Gedanken neu färbt und dunkler, fremder, ferner
macht: freilich eine abergläubische
Nützlichkeit ! Es sollte vermöge des Rhythmus den
Göttern ein menschliches Anliegen tiefer eingeprägt werden,
nachdem man bemerkt hatte, dass der Mensch einen Vers besser
im Gedächtniss behält, als eine ungebundene Rede; ebenfalls
meinte man durch das rhythmische Tiktak über grössere Fernen
hin sich hörbar zu machen; das rhythmisirte Gebet schien den
Göttern näher an’s Ohr zu kommen. Vor Allem aber wollte man
den Nutzen von jener elementaren Ueberwältigung haben, welche
der Mensch an sich beim Hören der Musik erfährt: der Rhythmus
ist ein Zwang; er erzeugt eine unüberwindliche Lust,
nachzugeben, mit einzustimmen; nicht nur der Schritt der
Füsse, auch die Seele selber geht dem Tacte nach, —
wahrscheinlich, so schloss man, auch die Seele der Götter! Man
versuchte sie also durch den Rhythmus zu zwingen
und eine Gewalt über sie auszuüben: man warf ihnen die Poesie
wie eine magische Schlinge um. Es gab noch eine wunderlichere
Vorstellung: und diese gerade hat vielleicht am mächtigsten
zur Entstehung der Poesie gewirkt. Bei den Phythagoreern
erscheint sie als philosophische Lehre und als Kunstgriff der
Erziehung: aber längst bevor es Philosophen gab, gestand man
der Musik die Kraft zu, die Affecte zu entladen, die Seele zu
reinigen, die ferocia animi zu mildern — und zwar gerade durch
das Rhythmische in der Musik. Wenn die richtige Spannung und
Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man
tanzen , in dem Tacte des
Sängers, — das war das Recept dieser Heilkunst. Mit ihr
stillte Terpander einen Aufruhr, besänftigte Empedokles einen
Rasenden, reinigte Damon einen liebessiechen Jüngling; mit ihr
nahm man auch die wildgewordenen rachsüchtigen Götter in Cur.
Zuerst dadurch, dass man den Taumel und die Ausgelassenheit
ihrer Affecte auf’s Höchste trieb, also den Rasenden toll, den
Rachsüchtigen rachetrunken machte: — alle orgiastischen Culte
wollen die ferocia einer Gottheit auf Ein Mal entladen und zur
Orgie machen, damit sie hinterher sich freier und ruhiger
fühle und den Menschen in Ruhe lasse. Melos bedeutet seiner
Wurzel nach ein Besänftigungsmittel, nicht weil es selber
sanft ist, sondern weil seine Nachwirkung sanft macht. — Und
nicht nur im Cultusliede, auch bei dem weltlichen Liede der
ältesten Zeiten ist die Voraussetzung, dass das Rhythmische
eine magische Kraft übe, zum Beispiel beim Wasserschöpfen oder
Rudern, das Lied ist eine Bezauberung der hierbei thätig
gedachten Dämonen, es macht sie willfährig, unfrei und zum
Werkzeug des Menschen. Und so oft man handelt, hat man einen
Anlass zu singen, — jede
Handlung ist an die Beihülfe von Geistern geknüpft: Zauberlied
und Besprechung scheinen die Urgestalt der Poesie zu sein.
Wenn der Vers auch beim Orakel verwendet wurde — die Griechen
sagten, der Hexameter sei in Delphi erfunden —, so sollte der
Rhythmus auch hier einen Zwang ausüben. Sich prophezeien
lassen — das bedeutet ursprünglich (nach der mir
wahrscheinlichen Ableitung des griechischen Wortes): sich
Etwas bestimmen lassen; man glaubt die Zukunft erzwingen zu
können dadurch, dass man Apollo für sich gewinnt: er, der nach
der ältesten Vorstellung viel mehr, als ein vorhersehender
Gott ist. So wie die Formel ausgesprochen wird, buchstäblich
und rhythmisch genau, so bindet sie die Zukunft: die Formel
aber ist die Erfindung Apollo’s, welcher als Gott der Rhythmen
auch die Göttinnen des Schicksals binden kann. — Im Ganzen
gesehen und gefragt: gab es für die alte abergläubische Art
des Menschen überhaupt etwas Nützlicheres ,
als den Rhythmus? Mit ihm konnte man Alles: eine Arbeit
magisch fördern; einen Gott nöthigen, zu erscheinen, nahe zu
sein, zuzuhören; die Zukunft sich nach seinem Willen zurecht
machen; die eigene Seele von irgend einem Uebermaasse (der
Angst, der Manie, des Mitleids, der Rachsucht) entladen, und
nicht nur die eigene Seele, sondern die des bösesten Dämons, —
ohne den Vers war man Nichts, durch den Vers wurde man beinahe
ein Gott. Ein solches Grundgefühl lässt sich nicht mehr völlig
ausrotten, — und noch jetzt, nach Jahrtausende langer Arbeit
in der Bekämpfung solchen Aberglaubens, wird auch der Weiseste
von uns gelegentlich zum Narren des Rhythmus, sei es auch nur
darin, dass er einen Gedanken als wahrer
empfindet , wenn er eine metrische Form hat und
mit einem göttlichen Hopsasa daher kommt. Ist es nicht eine
sehr lustige Sache, dass immer noch die ernstesten
Philosophen, so streng sie es sonst mit aller Gewissheit
nehmen, sich auf Dichtersprüche
berufen, um ihren Gedanken Kraft und Glaubwürdigkeit zu geben?
— und doch ist es für eine Wahrheit gefährlicher, wenn der
Dichter ihr zustimmt, als wenn er ihr widerspricht! Denn wie
Homer sagt: „Viel ja lügen die Sänger!“ —
Das Gute und das Schöne. — Die
Künstler verherrlichen
fortwährend — sie thun nichts Anderes —: und zwar alle jene
Zustände und Dinge, welche in dem Rufe stehen, dass bei ihnen
und in ihnen der Mensch sich einmal gut oder gross, oder
trunken, oder lustig, oder wohl und weise fühlen kann. Diese
ausgelesenen Dinge und
Zustände, deren Werth für das menschliche Glück
als sicher und abgeschätzt gilt, sind die Objecte der
Künstler: sie liegen immer auf der Lauer, dergleichen zu
entdecken und in’s Gebiet der Kunst hinüberzuziehen. Ich will
sagen: sie sind nicht selber die Taxatoren des Glückes und des
Glücklichen, aber sie drängen sich immer in die Nähe dieser
Taxatoren, mit der grössten Neugierde und Lust, sich ihre
Schätzungen sofort zu Nutze zu machen. So werden sie, weil sie
ausser ihrer Ungeduld auch die grossen Lungen der Herolde und
die Füsse der Läufer haben, immer auch unter den Ersten sein,
die das neue Gute
verherrlichen, und oft als Die erscheinen ,
welche es zuerst gut nennen und als gut taxiren. Diess aber
ist, wie gesagt, ein Irrthum: sie sind nur geschwinder und
lauter, als die wirklichen Taxatoren. — Und wer sind denn
diese? — Es sind die Reichen und die Müssigen.
Vom Theater. — Dieser Tag gab
mir wieder starke und hohe Gefühle, und wenn ich an seinem
Abende Musik und Kunst haben könnte, so weiss ich wohl, welche
Musik und Kunst ich nicht
haben möchte, nämlich alle jene nicht, welche ihre Zuhörer
berauschen und zu einem Augenblicke starken und hohen Gefühls
emportreiben möchte, —
jene Menschen des Alltags der Seele, die am Abende nicht
Siegern auf Triumphwägen gleichen, sondern müden Maulthieren,
an denen das Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was
würden jene Menschen überhaupt von „höheren Stimmungen“
wissen, wenn es nicht rauscherzeugende Mittel und idealische
Peitschenschläge gäbe! — und so haben sie ihre Begeisterer,
wie sie ihre Weine haben. Aber was ist mir
ihr Getränk und ihre Trunkenheit! Was braucht der Begeisterte
den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel auf die
Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne
zureichenden Grund erzeugen sollen, — eine Nachäffung der
hohen Seelenfluth! — Wie? Man schenkt dem Maulwurf Flügel und
stolze Einbildungen, — vor Schlafengehen, bevor er in seine
Höhle kriecht? Man schickt ihn in’s Theater und setzt ihm
grosse Gläser vor seine blinden und müden Augen? Menschen,
deren Leben keine „Handlung“, sondern ein Geschäft ist, sitzen
vor der Bühne und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das
Leben mehr ist, als ein Geschäft? „So ist es anständig“, sagt
ihr, „so ist es unterhaltend, so will es die Bildung!“ — Nun
denn! So fehlt mir allzuoft die Bildung: denn dieser Anblick
ist mir allzuoft ekelhaft. Wer an sich der Tragödie und
Komödie genug hat, bleibt wohl am Liebsten fern vom Theater;
oder, zur Ausnahme, der ganze Vorgang — Theater und Publicum
und Dichter eingerechnet — wird ihm zum eigentlichen
tragischen und komischen Schauspiel, sodass das aufgeführte
Stück dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer Etwas wie Faust und
Manfred ist, was liegt dem an den Fausten und Manfreden des
Theaters! — während es ihm gewiss noch zu denken giebt,
dass man überhaupt dergleichen
Figuren auf’s Theater bringt. Die stärksten
Gedanken und Leidenschaften vor Denen, welche des Denkens und
der Leidenschaft nicht fähig sind — aber des Rausches !
Und jene als ein
Mittel zu diesem! Und Theater und Musik das Haschisch-Rauchen
und Betel-Kauen der Europäer! Oh wer erzählt uns die ganze
Geschichte der Narcotica! — Es ist beinahe die Geschichte der
„Bildung“, der sogenannten höheren Bildung!
Von der Eitelkeit der Künstler. —
Ich glaube, dass die Künstler oft nicht wissen, was sie am
besten können, weil sie zu eitel sind und ihren Sinn auf etwas
Stolzeres gerichtet haben, als diese kleinen Pflanzen zu sein
scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher
Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen vermögen. Das
letzthin Gute ihres eigenen Gartens und Weinbergs wird von
ihnen obenhin abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht
sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als
irgend ein Musiker darin seine Meisterschaft hat, die Töne aus
dem Reiche leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden
und auch noch den stummen Thieren Sprache zu geben. Niemand
kommt ihm gleich in den Farben des späten Herbstes, dem
unbeschreiblich rührenden Glücke eines letzten, allerletzten,
allerkürzesten Geniessens, er kennt einen Klang für jene
heimlich-unheimlichen Mitternächte der Seele, wo Ursache und
Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden
Augenblick Etwas „aus dem Nichts“ entstehen kann; er schöpft
am glücklichsten von Allen aus dem unteren Grunde des
menschlichen Glückes und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem
Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und
böserletzt mit den süssesten zusammengelaufen sind; er kennt
jenes müde Sich-schieben der Seele, die nicht mehr springen
und fliegen, ja nicht mehr gehen kann; er hat den scheuen
Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des
Abschiednehmens ohne Geständniss; ja, als der Orpheus alles
heimlichen Elendes ist er grösser, als irgend Einer, und
Manches ist durch ihn überhaupt der Kunst hinzugefügt worden,
was bisher unausdrückbar und selbst der Kunst unwürdig
erschien, und mit Worten namentlich nur zu verscheuchen, nicht
zu fassen war, — manches ganz Kleine und Mikroskopische der
Seele: ja, es ist der Meister des ganz Kleinen. Aber er
will es nicht sein! Sein
Charakter liebt vielmehr die
grossen Wände und die verwegene Wandmalerei! Es entgeht ihm,
dass sein Geist
einen anderen Geschmack und Hang hat und am liebsten still in
den Winkeln zusammengestürzter Häuser sitzt: — da, verborgen,
sich selber verborgen, malt er seine eigentlichen
Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Tact
lang, — da erst wird er ganz gut, gross und vollkommen, da
vielleicht allein. — Aber er weiss es nicht! Er ist zu eitel
dazu, es zu wissen.
Der Ernst um die Wahrheit. —
Ernst um die Wahrheit! Wie Verschiedenes verstehen die
Menschen bei diesen Worten! Eben die selben Ansichten und
Arten von Beweis und Prüfung, welche ein Denker an sich wie
eine Leichtfertigkeit empfindet, der er zu seiner Scham in
dieser oder jener Stunde unterlegen ist, — eben die selben
Ansichten können einem Künstler, der auf sie stösst und mit
ihnen zeitweilig lebt, das Bewusstsein geben, jetzt habe ihn
der tiefste Ernst um die Wahrheit erfasst, und es sei
bewunderungswürdig, dass er, obschon Künstler, doch zugleich
die ernsthafteste Begierde nach dem Gegensatze des Scheinenden
zeige. So ist es möglich, dass Einer gerade mit seinem Pathos
von Ernsthaftigkeit verräth, wie oberflächlich und genügsam
sein Geist bisher im Reiche der Erkenntniss gespielt hat. —
Und ist nicht Alles, was wir wichtig
nehmen, unser Verräther? Es zeigt, wo unsere Gewichte liegen
und wofür wir keine Gewichte besitzen.
Jetzt und ehedem. — Was liegt
an aller unsrer Kunst der Kunstwerke, wenn jene höhere Kunst,
die Kunst der Feste, uns abhanden kommt! Ehemals waren alle
Kunstwerke an der grossen Feststrasse der Menschheit
aufgestellt, als Erinnerungszeichen und Denkmäler hoher und
seliger Momente. Jetzt will man mit den Kunstwerken die armen
Erschöpften und Kranken von der grossen Leidensstrasse der
Menschheit bei Seite locken, für ein lüsternes Augenblickchen;
man bietet ihnen einen kleinen Rausch und Wahnsinn an.
Lichter und Schatten. — Die
Bücher und Niederschriften sind bei verschiedenen Denkern
Verschiedenes: der Eine hat im Buche die Lichter
zusammengebracht, die er geschwind aus den Strahlen einer ihm
aufleuchtenden Erkenntniss wegzustehlen und heimzutragen
wusste; ein Anderer giebt nur die Schatten, die Nachbilder in
Grau und Schwarz von dem wieder, was Tags zuvor in seiner
Seele sich aufbaute.
Vorsicht. — Alfieri hat, wie
bekannt, sehr viel gelogen, als er den erstaunten Zeitgenossen
seine Lebensgeschichte erzählte. Er log aus jenem Despotismus
gegen sich selber, den er zum Beispiel in der Art bewies, wie
er sich seine eigene Sprache schuf und sich zum Dichter
tyrannisirte: — er hatte endlich eine strenge Form von
Erhabenheit gefunden, in welche er sein Leben und sein
Gedächtniss hineinpresste :
es wird viel Qual dabei gewesen sein. — Ich würde auch einer
Lebensgeschichte Platon’s, von ihm selber geschrieben, keinen
Glauben schenken: so wenig, als der Rousseau’s, oder der vita
nuova Dante’s.
Prosa und Poesie. — Man
beachte doch, dass die grossen Meister der Prosa fast immer
auch Dichter gewesen sind, sei es öffentlich, oder auch nur im
Geheimen und für das „Kämmerlein“; und fürwahr, man schreibt
nur im Angesichte der Poesie
gute Prosa! Denn diese ist ein ununterbrochener artiger Krieg
mit der Poesie: alle ihre Reize bestehen darin, dass beständig
der Poesie ausgewichen und widersprochen wird; jedes
Abstractum will als Schalkheit gegen diese und wie mit
spöttischer Stimme vorgetragen sein; jede Trockenheit und
Kühle soll die liebliche Göttin in eine liebliche
Verzweifelung bringen; oft giebt es Annäherungen, Versöhnungen
des Augenblickes und dann ein plötzliches Zurückspringen und
Auslachen; oft wird der Vorhang aufgezogen und grelles Licht
hereingelassen, während gerade die Göttin ihre Dämmerungen und
dumpfen Farben geniesst; oft wird ihr das Wort aus dem Munde
genommen und nach einer Melodie abgesungen, bei der sie die
feinen Hände vor die feinen Oehrchen hält — und so giebt es
tausend Vergnügungen des Krieges, die Niederlagen mitgezählt,
von denen die Unpoetischen, die sogenannten Prosa-Menschen,
gar Nichts wissen: — diese schreiben und sprechen denn auch
nur schlechte Prosa! Der Krieg
ist der Vater aller guten Dinge , der Krieg ist
auch der Vater der guten Prosa! — Vier sehr seltsame und
wahrhaft dichterische Menschen waren es in diesem Jahrhundert,
welche an die Meisterschaft der Prosa gereicht haben, für die
sonst diess Jahrhundert nicht gemacht ist — aus Mangel an
Poesie, wie angedeutet. Um von Goethe abzusehen, welchen
billigerweise das Jahrhundert in Anspruch nimmt, das ihn
hervorbrachte: so sehe ich nur Giacomo Leopardi, Prosper
Mérimée, Ralph Waldo Emerson und Walter Savage Landor, den
Verfasser der Imaginary Conversations, als würdig an, Meister
der Prosa zu heissen.
Aber warum schreibst denn du? —
A.: Ich gehöre nicht zu Denen, welche mit der nassen Feder in
der Hand denken ;
und noch weniger zu Jenen, die sich gar vor dem offenen
Tintenfasse ihren Leidenschaften überlassen, auf ihrem Stuhle
sitzend und auf’s Papier starrend. Ich ärgere oder schäme mich
alles Schreibens; Schreiben ist für mich eine Nothdurft, —
selbst im Gleichniss davon zu reden, ist mir widerlich. B.:
Aber warum schreibst du dann? A.: Ja, mein Lieber, im
Vertrauen gesagt: ich habe bisher noch kein anderes Mittel
gefunden, meine Gedanken los
zu werden. B.: Und warum willst du sie los werden? A.: Warum
ich will? Will ich denn? Ich muss. — B.: Genug! Genug!
Wachsthum nach dem Tode. —
Jene kleinen verwegenen Worte über moralische Dinge, welche
Fontenelle in seinen unsterblichen Todtengesprächen hinwarf,
galten seiner Zeit als Paradoxien und Spiele eines nicht
unbedenklichen Witzes; selbst die höchsten Richter des
Geschmackes und des Geistes sahen nicht mehr darin, — ja,
vielleicht Fontenelle selber nicht. Nun ereignet sich etwas
Unglaubliches: diese Gedanken werden Wahrheiten! Die
Wissenschaft beweist sie! Das Spiel wird zum Ernst! Und wir
lesen jene Dialoge mit einer anderen Empfindung, als Voltaire
und Helvetius sie lasen, und heben unwillkürlich ihren Urheber
in eine andere und viel höhere
Rangclasse der Geister, als Jene thaten, — mit Recht? Mit
Unrecht?
Chamfort. — Dass ein solcher
Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben der
Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und
Abwehr seitwärts stehen blieb, das weiss ich mir nicht anders
zu erklären, als so: Ein Instinct war in ihm stärker, als
seine Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen
alle Noblesse des Geblüts: vielleicht der alte nur zu
erklärliche Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur
Mutter in ihm heilig gesprochen war, — ein Instinct der Rache
von seinen Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die
Mutter zu rächen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie,
und ach! am meisten wohl das väterliche Blut in seinen Adern
dazu verführt, eben dieser Noblesse sich einzureihen und
gleichzustellen — viele viele Jahre lang! Endlich ertrug er
aber seinen eigenen Anblick, den Anblick des „alten Menschen“
unter dem alten Regime nicht mehr; er gerieth in eine heftige
Leidenschaft der Busse, und in
dieser zog er das Gewand des Pöbels an, als
seine Art von härener Kutte!
Sein böses Gewissen war die Versäumniss der Rache. — Gesetzt,
Chamfort wäre damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben,
so hätte die Revolution ihren tragischen Witz und ihren
schärfsten Stachel nicht bekommen: sie würde als ein viel
dümmeres Ereigniss gelten und keine solche Verführung der
Geister sein. Aber der Hass und die Rache Chamfort’s erzogen
ein ganzes Geschlecht: und die erlauchtesten Menschen machten
diese Schule durch. Man erwäge doch, dass Mirabeau zu Chamfort
wie zu seinem höheren und älteren Selbst aufsah, von dem er
Antriebe, Warnungen und Richtersprüche erwartete und ertrug, —
Mirabeau, der als Mensch zu einem ganz anderen Range der
Grösse gehört, als selbst die Ersten unter den
staatsmännischen Grössen von gestern und heute. — Seltsam,
dass trotz einem solchen Freunde und Fürsprecher — man hat ja
die Briefe Mirabeau’s an Chamfort — dieser witzigste aller
Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht anders,
als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen dieses Jahrhunderts die
gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, dass
Letzterer im Grunde zu viel von einem Deutschen und Engländer
an sich hatte, um den Parisern noch erträglich zu sein? —
während Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und
Hintergründen der Seele, düster, leidend, glühend, — ein
Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben
nöthig fand, und der sich beinahe verloren gab, an jedem Tage,
wo er nicht gelacht hatte, — vielmehr wie ein Italiäner und
Blutsverwandter Dante’s und Leopardi’s erscheint, als wie ein
Franzose! Man kennt die letzten Worte Chamfort’s: „Ah! mon
ami, sagte er zu Sieyès, je m’en vais enfin de ce monde, où il
faut que le coeur se brise ou se bronze —“. Das sind
sicherlich nicht Worte eines sterbenden Franzosen.
Zwei Redner. — Von diesen
beiden Rednern erreicht der eine die ganze Vernunft seiner
Sache nur dann, wenn er sich der Leidenschaft überlässt: erst
diese pumpt genug Blut und Hitze ihm in’s Gehirn, um seine
hohe Geistigkeit zur Offenbarung zu zwingen. Der Andere
versucht wohl hier und da das Selbe: mit Hülfe der
Leidenschaft seine Sache volltönend, heftig und hinreissend
vorzubringen, — aber gewöhnlich mit einem schlechten Erfolge.
Er redet dann sehr bald dunkel und verwirrt, er übertreibt,
macht Auslassungen und erregt gegen die Vernunft seiner Sache
Misstrauen: ja, er selber empfindet dabei diess Misstrauen,
und daraus erklären sich plötzliche Sprünge in die kältesten
und abstossendsten Töne, welche in dem Zuhörer einen Zweifel
erregen, ob seine ganze Leidenschaftlichkeit ächt gewesen sei.
Bei ihm überfluthet jedes Mal die Leidenschaft den Geist;
vielleicht, weil sie stärker ist, als bei dem Ersten. Aber er
ist auf der Höhe seiner Kraft, wenn er dem andringenden Sturme
seiner Empfindung widersteht und ihn gleichsam verhöhnt: da
erst tritt sein Geist ganz aus seinem Versteck heraus, ein
logischer, spöttischer, spielender, und doch furchtbarer
Geist.
Von der Geschwätzigkeit der Schriftsteller.
— Es giebt eine Geschwätzigkeit des Zornes, —
häufig bei Luther, auch bei Schopenhauer. Eine Geschwätzigkeit
aus einem zu grossen Vorrathe von Begriffsformeln wie bei
Kant. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an immer neuen Wendungen
der selben Sache: man findet sie bei Montaigne. Eine
Geschwätzigkeit hämischer Naturen: wer Schriften dieser Zeit
liest, wird sich hierbei zweier Schriftsteller erinnern. Eine
Geschwätzigkeit aus Lust an guten Worten und Sprachformen:
nicht selten in der Prosa Goethe’s. Eine Geschwätzigkeit aus
innerem Wohlgefallen an Lärm und Wirrwarr der Empfindungen:
zum Beispiel bei Carlyle.
Zum Ruhme Shakespeare’s. — Das
Schönste, was ich zum Ruhme Shakespeare’s, des
Menschen , zu sagen wüsste, ist diess: er hat an
Brutus geglaubt und kein Stäubchen Misstrauens auf diese Art
Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragödie geweiht — sie
wird jetzt immer noch mit einem falschen Namen genannt —, ihm
und dem furchtbarsten Inbegriff hoher Moral. Unabhängigkeit
der Seele! — das gilt es hier! Kein Opfer kann da zu gross
sein: seinen liebsten Freund selbst muss man ihr opfern
können, und sei er noch dazu der herrlichste Mensch, die
Zierde der Welt, das Genie ohne Gleichen, — wenn man nämlich
die Freiheit als die Freiheit grosser Seelen liebt, und durch
ihn dieser Freiheit
Gefahr droht: — derart muss Shakespeare gefühlt haben! Die
Höhe, in welche er Cäsar stellt, ist die feinste Ehre, die er
Brutus erweisen konnte: so erst erhebt er dessen inneres
Problem in’s Ungeheure und ebenso die seelische Kraft, welche
diesen Knoten zu
zerhauen vermochte! — Und war es wirklich die politische
Freiheit, welche diesen Dichter zum Mitgefühl mit Brutus
trieb, — zum Mitschuldigen des Brutus machte? Oder war die
politische Freiheit nur eine Symbolik für irgend etwas
Unaussprechbares? Stehen wir vielleicht vor irgend einem
unbekannt gebliebenen dunklen Ereignisse und Abenteuer aus des
Dichters eigener Seele, von dem er nur durch Zeichen reden
mochte? Was ist alle Hamlet-Melancholie gegen die Melancholie
des Brutus! — und vielleicht kennt Shakespeare auch diese, wie
er jene kannte, aus Erfahrung! Vielleicht hatte auch er seine
finstere Stunde und seinen bösen Engel, gleich Brutus! — Was
es aber auch derart von Aehnlichkeiten und geheimen Bezügen
gegeben haben mag: vor der ganzen Gestalt und Tugend des
Brutus warf Shakespeare sich auf den Boden und fühlte sich
unwürdig und ferne: — das Zeugniss dafür hat er in seine
Tragödie hineingeschrieben. Zweimal hat er in ihr einen Poeten
vorgeführt und zweimal eine solche ungeduldige und allerletzte
Verachtung über ihn geschüttet, dass es wie ein Schrei klingt,
— wie der Schrei der Selbstverachtung. Brutus, selbst Brutus
verliert die Geduld, als der Poet auftritt, eingebildet,
pathetisch, zudringlich, wie Poeten zu sein pflegen, als ein
Wesen, welches von Möglichkeiten der Grösse, auch der
sittlichen Grösse, zu strotzen scheint und es doch in der
Philosophie der That und des Lebens selten selbst bis zur
gemeinen Rechtschaffenheit bringt. „Kennt er die Zeit,
so kenn’ ich seine Launen , —
fort mit dem Schellen-Hanswurst!“ — ruft Brutus. Man übersetze
sich diess zurück in die Seele des Poeten, der es dichtete.
Die Anhänger Schopenhauer’s. —
Was man bei der Berührung von Cultur-Völkern und Barbaren zu
sehen bekommt: dass regelmässig die niedrigere Cultur von der
höheren zuerst deren Laster, Schwächen und Ausschweifungen
annimmt, von da aus einen Reiz auf sich ausgeübt fühlt und
endlich vermittelst der angeeigneten Laster und Schwächen
Etwas von der werthhaltigen Kraft der höheren Cultur mit auf
sich überströmen lässt: — das kann man auch in der Nähe und
ohne Reisen zu Barbaren-Völkern mit ansehen, freilich etwas
verfeinert und vergeistigt und nicht so leicht mit Händen zu
greifen. Was pflegen doch die Anhänger Schopenhauer’s
in Deutschland von ihrem Meister zuerst anzunehmen? — als
welche, im Vergleich zu dessen überlegener Cultur, sich
barbarenhaft genug vorkommen müssen, um auch durch ihn zuerst
barbarenhaft fascinirt und verführt zu werden. Ist es sein
harter Thatsachen-Sinn, sein guter Wille zu Helligkeit und
Vernunft, der ihn oft so englisch und so wenig deutsch
erscheinen lässt? Oder die Stärke seines intellectuellen
Gewissens, das einen lebenslangen Widerspruch zwischen Sein
und Wollen aushielt
und ihn dazu zwang, sich auch in seinen Schriften beständig
und fast in jedem Puncte zu widersprechen? Oder seine
Reinlichkeit in Dingen der Kirche und des christlichen Gottes?
— denn hierin war er reinlich wie kein deutscher Philosoph
bisher, so dass er „als Voltairianer“ lebte und starb. Oder
seine unsterblichen Lehren von der Intellectualität der
Anschauung, von der Apriorität des Causalitätsgesetzes, von
der Werkzeug-Natur des Intellects und der Unfreiheit des
Willens? Nein, diess Alles bezaubert nicht und wird nicht als
bezaubernd gefühlt: aber die mystischen Verlegenheiten und
Ausflüchte Schopenhauer’s, an jenen Stellen, wo der
Thatsachen-Denker sich vom eitlen Triebe, der Enträthseler der
Welt zu sein, verführen und verderben liess, die unbeweisbare
Lehre von Einem Willen
(„alle Ursachen sind nur Gelegenheitsursachen der Erscheinung
des Willens zu dieser Zeit, an diesem Orte“, „der Wille zum
Leben ist in jedem Wesen, auch dem geringsten, ganz und
ungetheilt vorhanden, so vollständig, wie in Allen, die je
waren, sind und sein werden, zusammengenommen“), die
Leugnung des Individuums („alle
Löwen sind im Grunde nur Ein Löwe“, „die Vielheit der
Individuen ist ein Schein“; sowie auch die Entwicklung
nur ein Schein ist: — er nennt den Gedanken de Lamarck’s
„einen genialen, absurden Irrthum“), die Schwärmerei vom
Genie („in der ästhetischen
Anschauung ist das Individuum nicht mehr Individuum, sondern
reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subject der
Erkenntniss“; „das Subject, indem es in dem angeschauten
Gegenstande ganz aufgeht, ist dieser Gegenstand selbst
geworden“), der Unsinn vom Mitleide
und der in ihm ermöglichten Durchbrechung des principii
individuationis als der Quelle aller Moralität, hinzugerechnet
solche Behauptungen „das Sterben ist eigentlich der Zweck des
Daseins“, „es lässt sich a priori nicht geradezu die
Möglichkeit ableugnen, dass eine magische Wirkung nicht auch
sollte von einem bereits Gestorbenen ausgehen können“: diese
und ähnliche Ausschweifungen
und Laster des Philosophen werden immer am ersten angenommen
und zur Sache des Glaubens gemacht: — Laster und
Ausschweifungen sind nämlich immer am leichtesten nachzuahmen
und wollen keine lange Vorübung. Doch reden wir von dem
berühmtesten der lebenden Schopenhauerianer, von Richard
Wagner. — Ihm ist es ergangen, wie es schon manchem Künstler
ergangen ist: er vergriff sich in der Deutung der Gestalten,
die er schuf, und verkannte die unausgesprochene Philosophie
seiner eigensten Kunst. Richard Wagner hat sich bis in die
Mitte seines Lebens durch Hegel irreführen lassen; er that das
Selbe noch einmal, als er später Schopenhauer’s Lehre aus
seinen Gestalten herauslas und mit „Wille“, „Genie“ und
„Mitleid“ sich selber zu formuliren begann. Trotzdem wird es
wahr bleiben: Nichts geht gerade so sehr wider den Geist
Schopenhauer’s, als das eigentlich Wagnerische an den Helden
Wagner’s: ich meine die Unschuld der höchsten Selbstsucht, der
Glaube an die grosse Leidenschaft als an das Gute an sich, mit
Einem Worte, das Siegfriedhafte im Antlitze seiner Helden.
„Das Alles riecht eher noch nach Spinoza als nach mir“ — würde
vielleicht Schopenhauer sagen. So gute Gründe also Wagner
hätte, sich gerade nach anderen Philosophen umzusehen als nach
Schopenhauer: die Bezauberung, der er in Betreff dieses
Denkers unterlegen ist, hat ihn nicht nur gegen alle anderen
Philosophen, sondern sogar gegen die Wissenschaft selber blind
gemacht; immer mehr will seine ganze Kunst sich als
Seitenstück und Ergänzung der Schopenhauerschen Philosophie
geben und immer ausdrücklicher verzichtet sie auf den höheren
Ehrgeiz, Seitenstück und Ergänzung der menschlichen
Erkenntniss und Wissenschaft zu werden. Und nicht nur reizt
ihn dazu der ganze geheimnissvolle Prunk dieser Philosophie,
welche auch einen Cagliostro gereizt haben würde: auch die
einzelnen Gebärden und die Affecte der Philosophen waren stets
Verführer! Schopenhauerisch ist zum Beispiel Wagner’s
Ereiferung über die Verderbniss der deutschen Sprache; und
wenn man hierin die Nachahmung gut heissen sollte, so darf
doch auch nicht verschwiegen werden, dass Wagner’s Stil selber
nicht wenig an all den Geschwüren und Geschwülsten krankt,
deren Anblick Schopenhauern so wüthend machte, und dass, in
Hinsicht auf die deutsch schreibenden Wagnerianer, die
Wagnerei sich so gefährlich zu erweisen beginnt, als nur
irgend eine Hegelei sich erwiesen hat. Schopenhauerisch ist
Wagner’s Hass gegen die Juden, denen er selbst in ihrer
grössten That nicht gerecht zu werden vermag: die Juden sind
ja die Erfinder des Christenthums. Schopenhauerisch ist der
Versuch Wagner’s, das Christenthum als ein verwehtes Korn des
Buddhismus aufzufassen und für Europa, unter zeitweiliger
Annäherung an katholisch-christliche Formeln und Empfindungen,
ein buddhistisches Zeitalter vorzubereiten. Schopenhauerisch
ist Wagner’s Predigt zu Gunsten der Barmherzigkeit im Verkehre
mit Thieren; Schopenhauer’s Vorgänger hierin war bekanntlich
Voltaire, der vielleicht auch schon, gleich seinen
Nachfolgern, seinen Hass gegen gewisse Dinge und Menschen als
Barmherzigkeit gegen Thiere zu verkleiden wusste. Wenigstens
ist Wagner’s Hass gegen die Wissenschaft, der aus seiner
Predigt spricht, gewiss nicht vom Geiste der Mildherzigkeit
und Güte eingegeben — noch auch, wie es sich von selber
versteht, vom Geiste
überhaupt. — Zuletzt ist wenig an der Philosophie eines
Künstlers gelegen, falls sie eben nur eine nachträgliche
Philosophie ist und seiner Kunst selber keinen Schaden thut.
Man kann sich nicht genug davor hüten, einem Künstler um einer
gelegentlichen, vielleicht sehr unglücklichen und
anmaasslichen Maskerade willen gram zu werden; vergessen wir
doch nicht, dass die lieben Künstler sammt und sonders ein
wenig Schauspieler sind und sein müssen und ohne
Schauspielerei es schwerlich auf die Länge aushielten. Bleiben
wir Wagnern in dem treu, was an ihm wahr
und ursprünglich ist, — und namentlich dadurch, dass wir,
seine Jünger, uns selber in dem treu bleiben, was an uns wahr
und ursprünglich ist. Lassen wir ihm seine intellectuellen
Launen und Krämpfe, erwägen wir vielmehr in Billigkeit, welche
seltsamen Nahrungen und Nothdürfte eine Kunst, wie die seine,
haben darf , um
leben und wachsen zu können! Es liegt Nichts daran, dass er
als Denker so oft Unrecht hat; Gerechtigkeit und Geduld sind
nicht seine Sache.
Genug, dass sein Leben vor sich selber Recht hat und Recht
behält: — dieses Leben, welches Jedem von uns zuruft: „Sei ein
Mann und folge mir nicht nach, — sondern dir! Sondern dir!“
Auch unser Leben
soll vor uns selber Recht behalten! Auch wir sollen frei und
furchtlos, in unschuldiger Selbstigkeit aus uns selber wachsen
und blühen! Und so klingen mir, bei der Betrachtung eines
solchen Menschen, auch heute noch, wie ehedem, diese Sätze
an’s Ohr: „dass Leidenschaft besser ist, als Stoicismus und
Heuchelei, dass Ehrlich-sein, selbst im Bösen, besser ist, als
sich selber an die Sittlichkeit des Herkommens verlieren, dass
der freie Mensch sowohl gut als böse sein kann, dass aber der
unfreie Mensch eine Schande der Natur ist, und an keinem
himmlischen noch irdischen Troste Antheil hat; endlich dass
Jeder, der frei werden will, es durch sich
selber werden muss , und dass Niemandem die
Freiheit als ein Wundergeschenk in den Schooss fällt“.
(Richard Wagner in Bayreuth S. 94.)
Huldigen lernen. — Auch das
Huldigen müssen die Menschen lernen wie das Verachten. Jeder,
der auf neuen Bahnen geht und Viele auf neue Bahnen geführt
hat, entdeckt mit Staunen, wie ungeschickt und arm diese
Vielen im Ausdruck ihrer Dankbarkeit sind, ja wie selten sich
überhaupt auch nur die Dankbarkeit äussern kann .
Es ist als ob ihr immer, wenn sie einmal reden will, Etwas in
die Kehle komme, sodass sie sich nur räuspert und im Räuspern
wieder verstummt. Die Art, wie ein Denker die Wirkung seiner
Gedanken und ihre umbildende und erschütternde Gewalt zu
spüren bekommt, ist beinahe eine Komödie; mitunter hat es das
Ansehen, als ob Die, auf welche gewirkt worden ist, sich im
Grunde dadurch beleidigt fühlten und ihre, wie sie fürchten,
bedrohte Selbständigkeit nur in allerlei Unarten zu äussern
wüssten. Es bedarf ganzer Geschlechter, um auch nur eine
höfliche Convention des Dankes zu erfinden: und erst sehr spät
kommt jener Zeitpunct, wo selbst in die Dankbarkeit eine Art
Geist und Genialität gefahren ist: dann ist gewöhnlich auch
Einer da, welcher der grosse Dank-Empfänger ist, nicht nur für
Das, was er selber Gutes gethan hat, sondern zumeist für Das,
was von seinen Vorgängern als ein Schatz des Höchsten und
Besten allmählich aufgehäuft worden ist.
Voltaire. — Ueberall, wo es
einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut-Sprechens und damit
auch das Gesetz des Stils für alle Schreibenden gegeben. Die
höfische Sprache ist aber die Sprache des Höflings, der kein Fach hat und der sich
selbst in Gesprächen über wissenschaftliche Dinge alle
bequemen technischen Ausdrücke verbietet, weil sie nach dem
Fache schmecken, desshalb ist der technische Ausdruck und
Alles, was den Specialisten verräth, in den Ländern einer
höfischen Cultur ein Flecken des
Stils . Man ist jetzt, wo alle Höfe Caricaturen
von sonst und jetzt geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire
in diesem Puncte unsäglich spröde und peinlich zu finden (zum
Beispiel in seinem Urtheil über solche Stilisten, wie
Fontenelle und Montesquieu), — wir sind eben alle vom
höfischen Geschmack emancipirt, während Voltaire dessen
Vollender war!
Ein Wort für die Philologen. —
Dass es Bücher giebt, so werthvolle und königliche, dass ganze
Gelehrten-Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre
Mühe diese Bücher rein erhalten und verständlich erhalten
werden, — diesen Glauben immer wieder zu befestigen ist die
Philologie da. Sie setzt voraus, dass es an jenen seltenen
Menschen nicht fehlt (wenn man sie gleich nicht sieht), die so
werthvolle Bücher wirklich zu benutzen wissen: — es werden
wohl die sein, welche selber solche Bücher machen oder machen
könnten. Ich wollte sagen, die Philologie setzt einen
vornehmen Glauben voraus, — dass zu Gunsten einiger Weniger,
die immer „kommen werden“ und nicht da sind, eine sehr grosse
Menge von peinlicher, selbst unsauberer Arbeit voraus abzuthun
sei: es ist Alles Arbeit in usum Delphinorum.
Von der deutschen Musik. — Die
deutsche Musik ist jetzt schon desshalb, mehr als jede andere,
die europäische Musik, weil in ihr allein die Veränderung,
welche Europa durch die Revolution erfuhr, einen Ausdruck
bekommen hat: nur die deutschen Musiker verstehen sich auf den
Ausdruck bewegter Volksmassen, auf jenen ungeheuren
künstlichen Lärm, der nicht einmal sehr laut zu sein braucht,
— während zum Beispiel die italiänische Oper nur Chöre von
Bedienten oder Soldaten kennt, aber kein „Volk“. Es kommt
hinzu, dass aus aller deutschen Musik eine tiefe bürgerliche
Eifersucht auf die noblesse herauszuhören ist, namentlich auf
esprit und élégance, als den Ausdruck einer höfischen,
ritterlichen, alten, ihrer selber sicheren Gesellschaft. Das
ist keine Musik, wie die des Goethischen Sängers vor dem
Thore, die auch „im Saale“, und zwar dem Könige wohlgefällt;
da heisst es nicht: „die Ritter schauten muthig drein und in
den Schooss die Schönen“. Schon die Grazie tritt nicht ohne
Anwandelung von Gewissensbissen in der deutschen Musik auf;
erst bei der Anmuth, der ländlichen Schwester der Grazie,
fängt der Deutsche an, sich ganz moralisch zu fühlen — und von
da an immer mehr bis hinauf zu seiner schwärmerischen,
gelehrten, oft bärbeissigen „Erhabenheit“, der Beethoven’schen
Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu dieser
Musik denken, nun, so denke man sich eben Beethoven, wie er
neben Goethe, etwa bei jener Begegnung in Teplitz, erscheint:
als die Halbbarbarei neben der Cultur, als Volk neben Adel,
als der gutartige Mensch neben dem guten und mehr noch als
„guten“ Menschen, als der Phantast neben dem Künstler, als der
Trostbedürftige neben dem Getrösteten, als der Uebertreiber
und Verdächtiger neben dem Billigen, als der Grillenfänger und
Selbstquäler, als der Närrisch-Verzückte, der
Selig-Unglückliche, der Treuherzig-Maasslose, als der
Anmaassliche und Plumpe — und Alles in Allem als der
„ungebändigte Mensch“: so empfand und bezeichnete ihn Goethe
selber, Goethe der Ausnahme-Deutsche, zu dem eine ebenbürtige
Musik noch nicht gefunden ist! — Zuletzt erwäge man noch, ob
nicht jene jetzt immer mehr um sich greifende Verachtung der
Melodie und Verkümmerung des melodischen Sinnes bei Deutschen
als eine demokratische Unart und Nachwirkung der Revolution zu
verstehen ist. Die Melodie hat nämlich eine solche offene Lust
an der Gesetzlichkeit und einen solchen Widerwillen bei allem
Werdenden, Ungeformten, Willkürlichen, dass sie wie ein Klang
aus der alten
Ordnung der europäischen Dinge und wie eine Verführung und
Rückführung zu dieser klingt.
Vom Klange der deutschen Sprache. —
Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit ein paar
Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. Die
Deutschen, mit ihrer Ehrfurcht vor Allem, was vom Hofe kam, haben sich geflissentlich
die Kanzleien zum Muster genommen, in Allem, was sie zu
schreiben hatten, also
namentlich in ihren Briefen, Urkunden, Testamenten und so
weiter. Kanzleimässig schreiben, das war hof- und
regierungsmässig schreiben, — das war etwas Vornehmes, gegen
das Deutsch der Stadt gehalten, in der man gerade lebte.
Allmählich zog man den Schluss und sprach auch so, wie man
schrieb, — so wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in
der Wahl der Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange:
man affectirte einen höfischen Klang, wenn man sprach, und die
Affectation wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas
ganz Gleiches nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des
Schreibestils über die Rede und die Ziererei und
Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als Grundlage einer
gemeinsamen nicht mehr dialektischen Sprache. Ich glaube, der
Klang der deutschen Sprache war im Mittelalter, und namentlich
nach dem Mittelalter, tief bäuerisch und gemein: er hat sich
in den letzten Jahrhunderten etwas veredelt, hauptsächlich
dadurch, dass man sich genöthigt fand, so viel französische,
italiänische und spanische Klänge nachzuahmen und zwar gerade
von Seiten des deutschen (und österreichischen) Adels, der mit
der Muttersprache sich durchaus nicht begnügen konnte. Aber
für Montaigne oder gar Racine muss trotz dieser Uebung Deutsch
unerträglich gemein geklungen haben: und selbst jetzt klingt
es, im Munde der Reisenden, mitten unter italiänischem Pöbel,
noch immer sehr roh, wälderhaft, heiser, wie aus räucherigen
Stuben und unhöflichen Gegenden stammend. — Nun bemerke ich,
dass jetzt wieder unter den ehemaligen Bewunderern der
Kanzleien ein ähnlicher Drang nach Vornehmheit des Klanges um
sich greift, und dass die Deutschen einem ganz absonderlichen
„Klangzauber“ sich zu fügen anfangen, der auf die Dauer eine
wirkliche Gefahr für die deutsche Sprache werden könnte, —
denn abscheulichere Klänge sucht man in Europa vergebens.
Etwas Höhnisches, Kaltes, Gleichgültiges, Nachlässiges in der
Stimme: das klingt jetzt den Deutschen „vornehm“ — und ich
höre den guten Willen zu dieser Vornehmheit in den Stimmen der
jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja die kleinen
Mädchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach. Denn der
Offizier, und zwar der preussische, ist der Erfinder dieser
Klänge: dieser selbe Offizier, der als Militär und Mann des
Fachs jenen bewunderungswürdigen Tact der Bescheidenheit
besitzt, an dem die Deutschen allesammt zu lernen hätten (die
deutschen Professoren und Musicanten eingerechnet!). Aber
sobald er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste
und geschmackwidrigste Figur im alten Europa — sich selber
unbewusst, ohne allen Zweifel! Und auch den guten Deutschen
unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und vornehmsten
Gesellschaft anstaunen und sich gerne „den Ton von ihm
angeben“ lassen. Das thut er denn auch! — und zunächst sind es
die Feldwebel und Unteroffiziere, welche seinen Ton nachahmen
und vergröbern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen
die deutschen Städte förmlich umbrüllt werden, jetzt wo man
vor allen Thoren exerciert: welche Anmaassung, welches
wüthende Autoritätsgefühl, welche höhnische Kälte klingt aus
diesem Gebrüll heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein
musicalisches Volk sein? — Sicher ist, dass die Deutschen sich
jetzt im Klange ihrer Sprache militarisiren: wahrscheinlich
ist, dass sie, eingeübt militärisch zu sprechen, endlich auch
militärisch schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte
Klänge greift tief in den Charakter: — man hat bald die Worte
und Wendungen und schliesslich auch die Gedanken, welche eben
zu diesem Klange passen! Vielleicht schreibt man jetzt schon
offiziermäßig; vielleicht lese ich nur zu wenig von dem, was
man jetzt in Deutschland schreibt. Aber Eines weiss ich um so
sicherer: die öffentlichen deutschen Kundgebungen, die auch
in’s Ausland dringen, sind nicht von der deutschen Musik
inspirirt, sondern von eben jenem neuen Klange einer
geschmackwidrigen Anmaassung. Fast in jeder Rede des ersten
deutschen Staatsmannes und selbst dann, wenn er sich durch
sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen lässt, ist ein Accent,
den das Ohr eines Ausländers mit Widerwillen zurückweist: aber
die Deutschen ertragen ihn, — sie ertragen sich selber.
Die Deutschen als Künstler. —
Wenn der Deutsche einmal wirklich in Leidenschaft geräth (und
nicht nur, wie gewöhnlich, in den guten Willen zur
Leidenschaft!), so benimmt er sich dann in derselben, wie er
eben muss, und denkt nicht weiter an sein Benehmen. Die
Wahrheit aber ist, dass er sich dann sehr ungeschickt und
hässlich und wie ohne Tact und Melodie benimmt, sodass die
Zuschauer ihre Pein oder ihre Rührung dabei haben und nicht
mehr: — es sei denn ,
dass er sich in das Erhabene und Entzückte hinaufhebt, dessen
manche Passionen fähig sind. Dann wird sogar der Deutsche
schön ! Die Ahnung davon,
auf welcher Höhe erst die
Schönheit ihren Zauber selbst über Deutsche ausgiesst, treibt
die deutschen Künstler in die Höhe und Ueberhöhe und in die
Ausschweifungen der Leidenschaft: ein wirkliches tiefes
Verlangen also, über die Hässlichkeit und Ungeschicktheit
hinauszukommen, mindestens hinauszublicken — hin nach einer
besseren, leichteren, südlicheren, sonnenhafteren Welt. Und so
sind ihre Krämpfe oftmals nur Anzeichen dafür, dass sie
tanzen möchten: diese armen
Bären, in denen versteckte Nymphen und Waldgötter ihr Wesen
treiben — und mitunter noch höhere Gottheiten!
Musik als Fürsprecherin. —
„Ich habe Durst nach einem Meister der Tonkunst, sagte ein
Neuerer zu seinem Jünger, dass er mir meine Gedanken ablerne
und sie fürderhin in seiner Sprache rede: so werde ich den
Menschen besser zu Ohr und Herzen dringen. Mit Tönen kann man
die Menschen zu jedem Irrthume und jeder Wahrheit verführen:
wer vermöchte einen Ton zu widerlegen ?“
— „Also möchtest du für unwiderlegbar gelten?“ sagte sein
Jünger. Der Neuerer erwiderte: „Ich möchte, dass der Keim zum
Baume werde. Damit eine Lehre zum Baume werde, muss sie eine
gute Zeit geglaubt werden: damit sie geglaubt werde, muss sie
für unwiderlegbar gelten. Dem Baume thun Stürme, Zweifel,
Gewürm, Bosheit noth, damit er die Art und Kraft seines Keimes
offenbar mache; mag er brechen, wenn er nicht stark genug ist!
Aber ein Keim wird immer nur vernichtet, — nicht widerlegt!“ —
Als er das gesagt hatte, rief sein Jünger mit Ungestüm: „Aber
ich glaube an deine Sache und halte sie für so stark, dass ich
Alles, Alles sagen werde, was ich noch gegen sie auf dem
Herzen habe“. — Der Neuerer lachte bei sich und drohte ihm mit
dem Finger. „Diese Art Jüngerschaft, sagte er dann, ist die
beste, aber sie ist gefährlich und nicht jede Art Lehre
verträgt sie“.
Unsere letzte Dankbarkeit gegen die Kunst.
— Hätten wir nicht die Künste gut geheissen und
diese Art von Cultus des Unwahren erfunden: so wäre die
Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die
uns jetzt durch die Wissenschaft gegeben wird — die Einsicht
in den Wahn und Irrthum als in eine Bedingung des erkennenden
und empfindenden Daseins —, gar nicht auszuhalten. Die
Redlichkeit würde den Ekel und
den Selbstmord im Gefolge haben. Nun aber hat unsere
Redlichkeit eine Gegenmacht, die uns solchen Consequenzen
ausweichen hilft: die Kunst, als den guten
Willen zum Scheine. Wir verwehren es unserm Auge nicht immer,
auszurunden, zu Ende zu dichten: und dann ist es nicht mehr
die ewige Unvollkommenheit, die wir über den Fluss des Werdens
tragen — dann meinen wir, eine Göttin
zu tragen und sind stolz und kindlich in dieser
Dienstleistung. Als ästhetisches Phänomen ist uns das Dasein
immer noch erträglich ,
und durch die Kunst ist uns Auge und Hand und vor Allem das
gute Gewissen dazu gegeben, aus uns selber ein solches
Phänomen machen zu können .
Wir müssen zeitweilig von uns ausruhen, dadurch, dass wir auf
uns hin und hinab sehen und, aus einer künstlerischen Ferne
her, über uns
lachen oder über
uns weinen; wir müssen den Helden
und ebenso den Narren
entdecken, der in unsrer Leidenschaft der Erkenntniss steckt,
wir müssen unsrer Thorheit ab und zu froh werden, um unsrer
Weisheit froh bleiben zu können! Und gerade weil wir im
letzten Grunde schwere und ernsthafte Menschen und mehr
Gewichte als Menschen sind, so thut uns Nichts so gut als die
Schelmenkappe : wir
brauchen sie vor uns selber — wir brauchen alle übermüthige,
schwebende, tanzende, spottende, kindische und selige Kunst,
um jener Freiheit über den
Dingen nicht verlustig zu gehen, welche unser
Ideal von uns fordert. Es wäre ein Rückfall
für uns, gerade mit unsrer reizbaren Redlichkeit ganz in die
Moral zu gerathen und um der überstrengen Anforderungen
willen, die wir hierin an uns stellen, gar noch selber zu
tugendhaften Ungeheuern und Vogelscheuchen zu werden. Wir
sollen auch über
der Moral stehen können :
und nicht nur stehen, mit der ängstlichen Steifigkeit eines
Solchen, der jeden Augenblick auszugleiten und zu fallen
fürchtet, sondern auch über ihr schweben und spielen! Wie
könnten wir dazu der Kunst, wie des Narren entbehren? — Und so
lange ihr euch noch irgendwie vor euch selber schämt , gehört ihr noch nicht zu
uns!
Hüten wir uns! — Hüten wir
uns, zu denken, dass die Welt ein lebendiges Wesen sei. Wohin
sollte sie sich ausdehnen? Wovon sollte sie sich nähren? Wie
könnte sie wachsen und sich vermehren? Wir wissen ja ungefähr,
was das Organische ist: und wir sollten das unsäglich
Abgeleitete, Späte, Seltene, Zufällige, das wir nur auf der
Kruste der Erde wahrnehmen, zum Wesentlichen, Allgemeinen,
Ewigen umdeuten, wie es Jene thun, die das All einen
Organismus nennen? Davor ekelt mir. Hüten wir uns schon davor,
zu glauben, dass das All eine Maschine sei; es ist gewiss
nicht auf Ein Ziel construirt, wir thun ihm mit dem Wort
„Maschine“ eine viel zu hohe Ehre an. Hüten wir uns, etwas so
Formvolles, wie die kyklischen Bewegungen unserer
Nachbar-Sterne überhaupt und überall vorauszusetzen; schon ein
Blick in die Milchstrasse lässt Zweifel auftauchen, ob es dort
nicht viel rohere und widersprechendere Bewegungen giebt,
ebenfalls Sterne mit ewigen geradlinigen Fallbahnen und
dergleichen. Die astrale Ordnung, in der wir leben, ist eine
Ausnahme; diese Ordnung und die ziemliche Dauer, welche durch
sie bedingt ist, hat wieder die Ausnahme der Ausnahmen
ermöglicht: die Bildung des Organischen. Der Gesammt-Charakter
der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos, nicht im Sinne
der fehlenden Nothwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung,
Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit, und wie alle unsere
ästhetischen Menschlichkeiten heissen. Von unserer Vernunft
aus geurtheilt, sind die verunglückten Würfe weitaus die
Regel, die Ausnahmen sind nicht das geheime Ziel, und das
ganze Spielwerk wiederholt ewig seine Weise, die nie eine
Melodie heissen darf, — und zuletzt ist selbst das Wort
„verunglückter Wurf“ schon eine Vermenschlichung, die einen
Tadel in sich schliesst. Aber wie dürften wir das All tadeln
oder loben! Hüten wir uns, ihm Herzlosigkeit und Unvernunft
oder deren Gegensätze nachzusagen: es ist weder vollkommen,
noch schön, noch edel, und will Nichts von alledem werden, es
strebt durchaus nicht darnach, den Menschen nachzuahmen! Es
wird durchaus durch keines unserer ästhetischen und
moralischen Urtheile getroffen! Es hat auch keinen
Selbsterhaltungstrieb und überhaupt keine Triebe; es kennt
auch keine Gesetze. Hüten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze
in der Natur gebe. Es giebt nur Nothwendigkeiten: da ist
Keiner, der befiehlt, Keiner, der gehorcht, Keiner, der
übertritt. Wenn ihr wisst, dass es keine Zwecke giebt, so
wisst ihr auch, dass es keinen Zufall giebt: denn nur neben
einer Welt von Zwecken hat das Wort „Zufall“ einen Sinn. Hüten
wir uns, zu sagen, dass Tod dem Leben entgegengesetzt sei. Das
Lebende ist nur eine Art des Todten, und eine sehr seltene
Art. — Hüten wir uns, zu denken, die Welt schaffe ewig Neues.
Es giebt keine ewig dauerhaften Substanzen; die Materie ist
ein eben solcher Irrthum, wie der Gott der Eleaten. Aber wann
werden wir am Ende mit unserer Vorsicht und Obhut sein! Wann
werden uns alle diese Schatten Gottes nicht mehr verdunkeln?
Wann werden wir die Natur ganz entgöttlicht haben! Wann werden
wir anfangen dürfen, uns Menschen mit der reinen, neu
gefundenen, neu erlösten Natur zu vernatürlichen !
Ursprung der Erkenntniss. —
Der Intellect hat ungeheure Zeitstrecken hindurch Nichts als
Irrthümer erzeugt; einige davon ergaben sich als nützlich und
arterhaltend: wer auf sie stiess, oder sie vererbt bekam,
kämpfte seinen Kampf für sich und seinen Nachwuchs mit
grösserem Glücke. Solche irrthümliche Glaubenssätze, die immer
weiter vererbt und endlich fast zum menschlichen Art- und
Grundbestand wurden, sind zum Beispiel diese: dass es dauernde
Dinge gebe, dass es gleiche Dinge gebe, dass es Dinge, Stoffe,
Körper gebe, dass ein Ding Das sei, als was es erscheine, dass
unser Wollen frei sei, dass was für mich gut ist, auch an und
für sich gut sei. Sehr spät erst traten die Leugner und
Anzweifler solcher Sätze auf, — sehr spät erst trat die
Wahrheit auf, als die unkräftigste Form der Erkenntniss. Es
schien, dass man mit ihr nicht zu leben vermöge, unser
Organismus war auf ihren Gegensatz eingerichtet; alle seine
höheren Functionen, die Wahrnehmungen der Sinne und jede Art
von Empfindung überhaupt, arbeiteten mit jenen uralt
einverleibten Grundirrthümern. Mehr noch: jene Sätze wurden
selbst innerhalb der Erkenntniss zu den Normen, nach denen man
„wahr“ und „unwahr“ bemass — bis hinein in die entlegensten
Gegenden der reinen Logik. Also: die Kraft
der Erkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit,
sondern in ihrem Alter, ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter
als Lebensbedingung. Wo Leben und Erkennen in Widerspruch zu
kommen schienen, ist nie ernstlich gekämpft worden; da galt
Leugnung und Zweifel als Tollheit. Jene Ausnahme-Denker, wie
die Eleaten, welche trotzdem die Gegensätze der natürlichen
Irrthümer aufstellten und festhielten, glaubten daran, dass es
möglich sei, dieses Gegentheil auch zu leben :
sie erfanden den Weisen als den Menschen der
Unveränderlichkeit, Unpersönlichkeit, Universalität der
Anschauung, als Eins und Alles zugleich, mit einem eigenen
Vermögen für jene umgekehrte Erkenntniss; sie waren des
Glaubens, dass ihre Erkenntniss zugleich das Princip des
Lebens sei. Um diess Alles aber
behaupten zu können, mussten sie sich über ihren eigenen
Zustand täuschen :
sie mussten sich Unpersönlichkeit und Dauer ohne Wechsel
andichten, das Wesen des Erkennenden verkennen, die Gewalt der
Triebe im Erkennen leugnen und überhaupt die Vernunft als
völlig freie, sich selbst entsprungene Activität fassen; sie
hielten sich die Augen dafür zu, dass auch sie im
Widersprechen gegen das Gültige, oder im Verlangen nach Ruhe
oder Alleinbesitz oder Herrschaft zu ihren Sätzen gekommen
waren. Die feinere Entwickelung der Redlichkeit und der
Skepsis machte endlich auch diese Menschen unmöglich; auch ihr
Leben und Urtheilen ergab sich als abhängig von den uralten
Trieben und Grundirrthümern alles empfindenden Daseins. — Jene
feinere Redlichkeit und Skepsis hatte überall dort ihre
Entstehung, wo zwei entgegengesetzte Sätze auf das Leben
anwendbar erschienen, weil sich
beide mit den Grundirrthümern vertrugen, wo also über den
höheren oder geringeren Grad des Nutzens
für das Leben gestritten werden konnte; ebenfalls dort, wo
neue Sätze sich dem Leben zwar nicht nützlich, aber wenigstens
auch nicht schädlich zeigten, als Aeusserungen eines
intellectuellen Spieltriebes, und unschuldig und glücklich
gleich allem Spiele. Allmählich füllte sich das menschliche
Gehirn mit solchen Urtheilen und Ueberzeugungen, so entstand
in diesem Knäuel Gährung, Kampf und Machtgelüst. Nützlichkeit
und Lust nicht nur, sondern jede Art von Trieben nahm Partei
in dem Kampfe um die „Wahrheiten“; der intellectuelle Kampf
wurde Beschäftigung, Reiz, Beruf, Pflicht, Würde —: das
Erkennen und das Streben nach dem Wahren ordnete sich endlich
als Bedürfniss in die anderen Bedürfnisse ein. Von da an war
nicht nur der Glaube und die Ueberzeugung, sondern auch die
Prüfung, die Leugnung, das Misstrauen, der Widerspruch eine
Macht , alle „bösen“ Instincte
waren der Erkenntniss untergeordnet und in ihren Dienst
gestellt und bekamen den Glanz des Erlaubten, Geehrten,
Nützlichen und zuletzt das Auge und die Unschuld des
Guten . Die Erkenntniss wurde
also zu einem Stück Leben selber und als Leben zu einer
immerfort wachsenden Macht: bis endlich die Erkenntnisse und
jene uralten Grundirrthümer auf einander stiessen, beide als
Leben, beide als Macht, beide in dem selben Menschen. Der
Denker: das ist jetzt das Wesen, in dem der Trieb zur Wahrheit
und jene lebenerhaltenden Irrthümer ihren ersten Kampf
kämpfen, nachdem auch der Trieb zur Wahrheit sich als eine
lebenerhaltende Macht bewiesen
hat. Im Verhältniss zu der Wichtigkeit dieses Kampfes ist
alles Andere gleichgültig: die letzte Frage um die Bedingung
des Lebens ist hier gestellt, und der erste Versuch wird hier
gemacht, mit dem Experiment auf diese Frage zu antworten.
Inwieweit verträgt die Wahrheit die Einverleibung? — das ist
die Frage, das ist das Experiment.
Herkunft des Logischen. —
Woher ist die Logik im menschlichen Kopfe entstanden? Gewiss
aus der Unlogik, deren Reich ursprünglich ungeheuer gewesen
sein muss. Aber unzählig viele Wesen, welche anders schlossen,
als wir jetzt schliessen, giengen zu Grunde: es könnte immer
noch wahrer gewesen sein! Wer zum Beispiel das „Gleiche“ nicht
oft genug aufzufinden wusste, in Betreff der Nahrung oder in
Betreff der ihm feindlichen Thiere, wer also zu langsam
subsumirte, zu vorsichtig in der Subsumption war, hatte nur
geringere Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als Der, welcher
bei allem Aehnlichen sofort auf Gleichheit rieth. Der
überwiegende Hang aber, das Aehnliche als gleich zu behandeln,
ein unlogischer Hang — denn es giebt an sich nichts Gleiches
—, hat erst alle Grundlage der Logik geschaffen. Ebenso
musste, damit der Begriff der Substanz entstehe, der
unentbehrlich für die Logik ist, ob ihm gleich im strengsten
Sinne nichts Wirkliches entspricht, — lange Zeit das
Wechselnde an den Dingen nicht gesehen, nicht empfunden worden
sein; die nicht genau sehenden Wesen hatten einen Vorsprung
vor denen, welche Alles „im Flusse“ sahen. An und für sich ist
schon jeder hohe Grad von Vorsicht im Schliessen, jeder
skeptische Hang eine grosse Gefahr für das Leben. Es würden
keine lebenden Wesen erhalten sein, wenn nicht der
entgegengesetzte Hang, lieber zu bejahen als das Urtheil
auszusetzen, lieber zu irren und zu dichten als abzuwarten,
lieber zuzustimmen als zu verneinen, lieber zu urtheilen als
gerecht zu sein — ausserordentlich stark angezüchtet worden
wäre. — Der Verlauf logischer Gedanken und Schlüsse in unserem
jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von
Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht
sind; wir erfahren gewöhnlich nur das Resultat des Kampfes: so
schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte
Mechanismus in uns ab.
Ursache und Wirkung. —
„Erklärung“ nennen wir’s: aber „Beschreibung“ ist es, was uns
vor älteren Stufen der Erkenntniss und Wissenschaft
auszeichnet. Wir beschreiben besser, — wir erklären ebenso
wenig wie alle Früheren. Wir haben da ein vielfaches
Nacheinander aufgedeckt, wo der naive Mensch und Forscher
älterer Culturen nur Zweierlei sah, „Ursache“ und „Wirkung“,
wie die Rede lautete; wir haben das Bild des Werdens
vervollkommnet, aber sind über das Bild, hinter das Bild nicht
hinaus gekommen. Die Reihe der „Ursachen“ steht viel
vollständiger in jedem Falle vor uns, wir schliessen: diess
und das muss erst vorangehen, damit jenes folge, — aber
begriffen haben wir damit
Nichts. Die Qualität, zum Beispiel bei jedem chemischen
Werden, erscheint nach wie vor als ein „Wunder“, ebenso jede
Fortbewegung; Niemand hat den Stoss „erklärt“. Wie könnten wir
auch erklären! Wir operiren mit lauter Dingen, die es nicht
giebt, mit Linien, Flächen, Körpern, Atomen, theilbaren
Zeiten, theilbaren Räumen —, wie soll Erklärung auch nur
möglich sein, wenn wir Alles erst zum Bilde
machen, zu unserem Bilde! Es ist genug, die Wissenschaft als
möglichst getreue Anmenschlichung der Dinge zu betrachten, wir
lernen immer genauer uns selber beschreiben, indem wir die Dinge
und ihr Nacheinander beschreiben. Ursache und Wirkung: eine
solche Zweiheit giebt es wahrscheinlich nie, — in Wahrheit steht
ein continuum vor uns, von dem wir ein paar Stücke isoliren; so
wie wir eine Bewegung immer nur als isolirte Puncte wahrnehmen,
also eigentlich nicht sehen, sondern erschliessen. Die
Plötzlichkeit, mit der sich viele Wirkungen abheben, führt uns
irre; es ist aber nur eine Plötzlichkeit für uns. Es giebt eine
unendliche Menge von Vorgängen in dieser Secunde der
Plötzlichkeit, die uns entgehen. Ein Intellect, der Ursache und
Wirkung als continuum, nicht nach unserer Art als willkürliches
Zertheilt- und Zerstücktsein, sähe, der den Fluss des Geschehens
sähe, — würde den Begriff Ursache und Wirkung verwerfen und alle
Bedingtheit leugnen.
Oorzaak en gevolg. “Verklaring” noemen wij het;
maar “beschrijving” is het, wat ons onderscheidt van eerdere
stadia van kennis en wetenschap. Wij beschrijven beter, — wij
verklaren even weinig als alle vroegere mensen. Wij hebben een
veelvoudig 'na-elkaar' blootgelegd, waar de naïeve mens en de
onderzoeker van oudere culturen slechts twee zaken zagen —
“oorzaak” en “gevolg”, zoals men dat noemde; wij hebben het
beeld van het worden vervolmaakt, maar boven of achter dat beeld
zijn we niet uitgekomen. Ons staat voor alles 'wat het geval is'
een veel volledigere reeks “oorzaken” voor ogen, en wij
concluderen (nog steeds): dit moet wel voorafgaan, anders kan
dat niet volgen — maar begrepen hebben wij daarmee
niets. [...]
113.
Zur Lehre von den Giften. — Es
gehört so viel zusammen, damit ein wissenschaftliches Denken
entstehe: und alle diese nöthigen Kräfte haben einzeln
erfunden, geübt, gepflegt werden müssen! In ihrer Vereinzelung
haben sie aber sehr häufig eine ganz andere Wirkung gehabt als
jetzt, wo sie innerhalb des wissenschaftlichen Denkens sich
gegenseitig beschränken und in Zucht halten: — sie haben als
Gifte gewirkt, zum Beispiel der anzweifelnde Trieb, der
verneinende Trieb, der abwartende Trieb, der sammelnde Trieb,
der auflösende Trieb. Viele Hekatomben von Menschen sind zum
Opfer gebracht worden, ehe diese Triebe lernten, ihr
Nebeneinander zu begreifen und sich mit einander als
Functionen Einer organisirenden Gewalt in Einem Menschen zu
fühlen! Und wie ferne sind wir noch davon, dass zum
wissenschaftlichen Denken sich auch noch die künstlerischen
Kräfte und die practische Weisheit des Lebens hinzufinden,
dass ein höheres organisches System sich bildet, in Bezug auf
welches der Gelehrte, der Arzt, der Künstler und der
Gesetzgeber, so wie wir jetzt diese kennen, als dürftige
Alterthümer erscheinen müssten!
Umfang des Moralischen. — Wir
construiren ein neues Bild, das wir sehen, sofort mit Hülfe
aller alten Erfahrungen, die wir gemacht haben, je nach dem Grade unserer
Redlichkeit und Gerechtigkeit. Es giebt gar keine anderen als
moralische Erlebnisse, selbst nicht im Bereiche der
Sinneswahrnehmung.
Die vier Irrthümer. — Der
Mensch ist durch seine Irrthümer erzogen worden: er sah sich
erstens immer nur unvollständig, zweitens legte er sich
erdichtete Eigenschaften bei, drittens fühlte er sich in einer
falschen Rangordnung zu Thier und Natur, viertens erfand er
immer neue Gütertafeln und nahm sie eine Zeit lang als ewig
und unbedingt, sodass bald dieser, bald jener menschliche
Trieb und Zustand an der ersten Stelle stand und in Folge
dieser Schätzung veredelt wurde. Rechnet man die Wirkung
dieser vier Irrthümer weg, so hat man auch Humanität,
Menschlichkeit und „Menschenwürde“ hinweggerechnet.
Heerden-Instinct. — Wo wir
eine Moral antreffen, da finden wir eine Abschätzung und
Rangordnung der menschlichen Triebe und Handlungen. Diese
Schätzungen und Rangordnungen sind immer der Ausdruck der
Bedürfnisse einer Gemeinde und Heerde: Das, was ihr am ersten frommt — und am
zweiten und dritten —, das ist auch der oberste Maassstab für
den Werth aller Einzelnen. Mit der Moral wird der Einzelne
angeleitet, Function der Heerde zu sein und nur als Function
sich Werth zuzuschreiben. Da die Bedingungen der Erhaltung
einer Gemeinde sehr verschieden von denen einer anderen
Gemeinde gewesen sind, so gab es sehr verschiedene Moralen;
und in Hinsicht auf noch bevorstehende wesentliche
Umgestaltungen der Heerden und Gemeinden, Staaten und
Gesellschaften kann man prophezeien, dass es noch sehr
abweichende Moralen geben wird. Moralität ist Heerden-Instinct
im Einzelnen.
Heerden-Gewissensbiss. — In
den längsten und fernsten Zeiten der Menschheit gab es einen
ganz anderen Gewissensbiss als heut zu Tage. Heute fühlt man
sich nur verantwortlich für Das, was man will und thut, und
hat in sich selber seinen Stolz: alle unsere Rechtslehrer
gehen von diesem Selbst- und Lustgefühle des Einzelnen aus,
wie als ob hier von jeher die Quelle des Rechts entsprungen
sei. Aber die längste Zeit der Menschheit hindurch gab es
nichts Fürchterlicheres, als sich einzeln zu fühlen. Allein
sein, einzeln empfinden, weder gehorchen noch herrschen, ein
Individuum bedeuten — das war damals keine Lust, sondern eine
Strafe; man wurde verurtheilt „zum Individuum“.
Gedankenfreiheit galt als das Unbehagen selber. Während wir
Gesetz und Einordnung als Zwang und Einbusse empfinden,
empfand man ehedem den Egoismus als eine peinliche Sache, als
eine eigentliche Noth. Selbst sein, sich selber nach eigenem
Maass und Gewicht schätzen — das gieng damals wider den
Geschmack. Die Neigung dazu würde als Wahnsinn empfunden
worden sein: denn mit dem Alleinsein war jedes Elend und jede
Furcht verknüpft. Damals hatte der „freie Wille“ das böse
Gewissen in seiner nächsten Nachbarschaft: und je unfreier man
handelte, je mehr der Heerden-Instinct und nicht der
persönliche Sinn aus der Handlung sprach, um so moralischer
schätzte man sich. Alles, was der Heerde Schaden that, sei es,
dass der Einzelne es gewollt oder nicht gewollt hatte, machte
damals dem Einzelnen Gewissensbisse — und seinem Nachbar noch
dazu, ja der ganzen Heerde! — Darin haben wir am allermeisten
umgelernt.
Wohlwollen. — Ist es
tugendhaft, wenn eine Zelle sich in die Function einer
stärkeren Zelle verwandelt? Sie muss es. Und ist es böse, wenn
die stärkere jene sich assimilirt? Sie muss es ebenfalls; so
ist es für sie nothwendig, denn sie strebt nach
überreichlichem Ersatz und will sich regeneriren. Demnach hat
man im Wohlwollen zu unterscheiden: den Aneignungstrieb und
den Unterwerfungstrieb, je nachdem der Stärkere oder der
Schwächere Wohlwollen empfindet. Freude und Begehren sind bei
dem Stärkeren, der Etwas zu seiner Function umbilden will,
beisammen: Freude und Begehrtwerdenwollen bei dem Schwächeren,
der Function werden möchte. — Mitleid ist wesentlich das
Erstere, eine angenehme Regung des Aneignungstriebes, beim
Anblick des Schwächeren: wobei noch zu bedenken ist, dass
„stark“ und „schwach“ relative Begriffe sind.
Kein Altruismus! — Ich sehe an
vielen Menschen eine überschüssige Kraft und Lust, Function
sein zu wollen; sie drängen sich dorthin und haben die feinste
Witterung für alle jene Stellen, wo gerade sie
Function sein können. Dahin gehören jene Frauen, die sich in
die Function eines Mannes verwandeln, welche an ihm gerade
schwach entwickelt ist, und dergestalt zu seinem Geldbeutel
oder zu seiner Politik oder zu seiner Geselligkeit werden.
Solche Wesen erhalten sich selber am besten, wenn sie sich in
einen fremden Organismus einfügen; gelingt es ihnen nicht, so
werden sie ärgerlich, gereizt und fressen sich selber auf.
Gesundheit der Seele. — Die
beliebte medicinische Moralformel (deren Urheber Ariston von
Chios ist): „Tugend ist die Gesundheit der Seele“ — müsste
wenigstens, um brauchbar zu sein, dahin abgeändert werden:
„deine Tugend ist die Gesundheit deiner Seele“. Denn eine
Gesundheit an sich giebt es nicht, und alle Versuche, ein Ding
derart zu definiren, sind kläglich missrathen. Es kommt auf
dein Ziel, deinen Horizont, deine Kräfte, deine Antriebe,
deine Irrthümer und namentlich auf die Ideale und Phantasmen
deiner Seele an, um zu bestimmen, was
selbst für deinen Leib
Gesundheit zu bedeuten habe. Somit giebt es unzählige
Gesundheiten des Leibes; und je mehr man dem Einzelnen und
Unvergleichlichen wieder erlaubt, sein Haupt zu erheben, je
mehr man das Dogma von der „Gleichheit der Menschen“ verlernt,
um so mehr muss auch der Begriff einer Normal-Gesundheit,
nebst Normal-Diät, Normal-Verlauf der Erkrankung unsern
Medicinern abhanden kommen. Und dann erst dürfte es an der
Zeit sein, über Gesundheit und Krankheit der Seele
nachzudenken und die eigenthümliche Tugend eines Jeden in
deren Gesundheit zu setzen: welche freilich bei dem Einen so
aussehen könnte wie der Gegensatz der Gesundheit bei einem
Anderen. Zuletzt bliebe noch die grosse Frage offen, ob wir
der Erkrankung entbehren
könnten, selbst zur Entwickelung unserer Tugend, und ob nicht
namentlich unser Durst nach Erkenntniss und Selbsterkenntniss
der kranken Seele so gut bedürfe als der gesunden: kurz, ob
nicht der alleinige Wille zur Gesundheit ein Vorurtheil, eine
Feigheit und vielleicht ein Stück feinster Barbarei und
Rückständigkeit sei.
Das Leben kein Argument. — Wir
haben uns eine Welt zurecht gemacht, in der wir leben können —
mit der Annahme von Körpern, Linien, Flächen, Ursachen und
Wirkungen, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Inhalt: ohne diese
Glaubensartikel hielte es jetzt Keiner aus zu leben! Aber
damit sind sie noch nichts Bewiesenes. Das Leben ist kein
Argument; unter den Bedingungen des Lebens könnte der Irrthum
sein.
Die moralische Skepsis im Christenthum. —
Auch das Christenthum hat einen grossen Beitrag zur Aufklärung
gegeben: es lehrte die moralische Skepsis auf eine sehr
eindringliche und wirksame Weise: anklagend, verbitternd, aber
mit unermüdlicher Geduld und Feinheit: es vernichtete in jedem
einzelnen Menschen den Glauben an seine „Tugenden“: es liess
für immer jene grossen Tugendhaften von der Erde verschwinden,
an denen das Alterthum nicht arm war, jene populären Menschen,
die im Glauben an ihre Vollendung mit der Würde eines
Stiergefechtshelden umherzogen. Wenn wir jetzt, erzogen in
dieser christlichen Schule der Skepsis, die moralischen Bücher
der Alten, zum Beispiel Seneca’s und Epiktet’s, lesen, so
fühlen wir eine kurzweilige Ueberlegenheit und sind voller
geheimer Einblicke und Ueberblicke, es ist uns dabei zu Muthe,
als ob ein Kind vor einem alten Manne oder eine junge schöne
Begeisterte vor La Rochefoucauld redete: wir kennen Das, was
Tugend ist, besser! Zuletzt haben wir aber diese selbe Skepsis
auch auf alle religiösen
Zustände und Vorgänge, wie Sünde, Reue, Gnade, Heiligung,
angewendet und den Wurm so gut graben lassen, dass wir nun
auch beim Lesen aller christlichen Bücher das selbe Gefühl der
feinen Ueberlegenheit und Einsicht haben: — wir kennen auch
die religiösen Gefühle besser! Und es ist Zeit, sie gut zu
kennen und gut zu beschreiben, denn auch die Frommen des alten
Glaubens sterben aus: — retten wir ihr Abbild und ihren Typus
wenigstens für die Erkenntniss!
Die Erkenntniss mehr, als ein Mittel. —
Auch ohne diese
neue Leidenschaft — ich meine die Leidenschaft der Erkenntniss
— würde die Wissenschaft gefördert werden: die Wissenschaft
ist ohne sie bisher gewachsen und gross geworden. Der gute
Glaube an die Wissenschaft, das ihr günstige Vorurtheil, von
dem unsere Staaten jetzt beherrscht sind (ehedem war es sogar
die Kirche), ruht im Grunde darauf, dass jener unbedingte Hang
und Drang sich so selten in ihr offenbart hat, und dass
Wissenschaft eben nicht
als Leidenschaft, sondern als Zustand und „Ethos“ gilt. Ja, es
genügt oft schon amour-plaisir der Erkenntniss (Neugierde), es
genügt amour-vanité, Gewöhnung an sie, mit der Hinterabsicht
auf Ehre und Brod, es genügt selbst für Viele, dass sie mit
einem Ueberschuss von Musse Nichts anzufangen wissen als
lesen, sammeln, ordnen, beobachten, weiter erzählen: ihr
„wissenschaftlicher Trieb“ ist ihre Langeweile. Der Papst Leo
der Zehnte hat einmal (im Breve an Beroaldus) das Lob der
Wissenschaft gesungen: er bezeichnet sie als den schönsten
Schmuck und den grössten Stolz unseres Lebens, als eine edle
Beschäftigung in Glück und Unglück; „ohne sie, sagt er
endlich, wäre alles menschliche Unternehmen ohne festen Halt,
— auch mit ihr ist es ja noch veränderlich und unsicher
genug!“ Aber dieser leidlich skeptische Papst verschweigt, wie
alle anderen kirchlichen Lobredner der Wissenschaft, sein
letztes Urtheil über sie. Mag man nun aus seinen Worten
heraushören, was für einen solchen Freund der Kunst merkwürdig
genug ist, dass er die Wissenschaft über die Kunst stellt;
zuletzt ist es doch nur eine Artigkeit, wenn er hier nicht von
dem redet, was auch er hoch über alle Wissenschaft stellt: von
der „geoffenbarten Wahrheit“ und von dem „ewigen Heil der
Seele“, — was sind ihm dagegen Schmuck, Stolz, Unterhaltung,
Sicherung des Lebens! „Die Wissenschaft ist Etwas von zweitem
Range, nichts Letztes, Unbedingtes, kein Gegenstand der
Passion“, — diess Urtheil blieb in der Seele Leo’s zurück: das
eigentlich christliche Urtheil über die Wissenschaft! Im
Alterthum war ihre Würde und Anerkennung dadurch verringert,
dass selbst unter ihren eifrigsten Jüngern das Streben nach
der Tugend
voranstand, und dass man der Erkenntniss schon ihr höchstes
Lob gegeben zu haben glaubte, wenn man sie als das beste
Mittel der Tugend feierte. Es ist etwas Neues in der
Geschichte, dass die Erkenntniss mehr sein will, als ein
Mittel.
Im Horizont des Unendlichen. —
Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir
haben die Brücke hinter uns, — mehr noch, wir haben das Land
hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh’ dich vor! Neben
dir liegt der Ocean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und
mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der
Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er
unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres giebt, als
Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat
und nun an die Wände dieses Käfigs stösst! Wehe, wenn das
Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit
gewesen wäre, — und es giebt kein „Land“ mehr!
Tegen de horizon van het oneindige. - We hebben het
land verlaten en zijn scheep gegaan! We hebben de bruggen achter
ons, - meer nog, we hebben het land achter ons afgebroken!
Welnu, scheepje, opgepast ! Naast je ligt de oceaan, het is
waar, hij brult niet altijd, en af en toe ligt hij erbij als
vergulde zijde, een en al dromerige goedheid. Maar er komen
tijden, dat je zult ontdekken, dat hij oneindig is en dat er
niets vreselijkers bestaat dan oneindigheid. Oh, die arme vogel,
die zich vrij gevoeld heeft en nu tegen de wanden van deze kooi
stoot. Wee, wanneer het heimwee naar het land je overvalt, alsof
daar daar meer vrijheid geweest zou zijn, - en er is
geen 'land' meer.
125.
Der tolle Mensch. — Habt ihr
nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen
Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und
unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ — Da
dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an
Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er
denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen
wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt?
Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen?
ausgewandert? — so schrieen und lachten sie durcheinander. Der
tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit
seinen Blicken. „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch
sagen! Wir haben ihn getödtet ,
— ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir
diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer
gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was
thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?
Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von
allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts,
seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben
und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches
Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht
kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr
Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?
Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche
Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen
Verwesung? — auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt
todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die
Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die
Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, —
wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten
wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele
werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That
zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden,
um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere
That, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um
dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle
Geschichte bisher war!“ — Hier schwieg der tolle Mensch und
sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten
befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den
Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu
früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess
ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, — es ist
noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und
Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit,
Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen
und gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner,
als die fernsten Gestirne, — und
doch haben sie dieselbe gethan !“ — Man erzählt
noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene
Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo
angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er
immer nur diess entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch,
wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ —
De dwaas . Hebt gij nog niet gehoord van die
dwaas, die op een heldere ochtend een
lantaarn aanstak, de markt op ging, en
onophoudelijk riep : “Ik
zoek God! Ik zoek God!”. Omdat er daar juist
veel van die lieden bijeenstonden, die niet aan God geloofden,
verwekte dit een groot gelach. ' Is hij soms
verloren gegaan? ' zei de één. 'Heeft
hij zich verlopen als een kind? '
zei de ander. Of houdt hij zich verstopt?
Is hij bang voor ons? Is hij scheep gegaan? Geëmigreerd?
Zo riepen en lachten ze door elkaar. De dwaas
sprong midden onder hen en doorboorde hen met
zijn blikken. “Waar God heen is?” riep hij , “Dat zal ik
u zeggen ! Wij hebben hem gedood, -
gij en ik! Wij allen zijn zijn moordenaars! Maar hoe hebben
wij dit gedaan? Hoe konden wij de zee
leegdrinken? Wie gaf ons de spons om de hele horizon uit te
wissen? Wat deden wij, toen wij deze aarde van
haar zon loskoppelden? Waar beweegt ze nu naar
toe? Waarheen bewegen wij ons? Weg van alle zonnen? Vallen wij
niet voortdurend - a chterwaarts, zijwaarts,
voorwaarts, naar alle kanten? Is er nog wel een boven en
beneden? Dolen wij niet als door een oneindig niets? Ademt ons
niet de lege ruimte in het gezicht? Is het niet kouder
geworden? Komt niet voortdurend de nacht ,
en steeds meer nacht? Moeten er niet 's
ochtends lantarens aan gestoken worden ? Dringt het geluid nog niet door,
van de doodgravers die God begraven? Ruiken w e
nog niets van de goddelijke ontbinding? - ook goden gaan tot
ontbinding over! God is dood! God blijft dood! En wij hebben
hem gedood! Hoe troosten we ons , mo
ordenaars der moordenaars ? Het heiligste en
machtigste, dat de wereld tot dusver bez a t, is onder onze messen verbloed - wie wist dit
bloed van ons af? Met welk water kunnen wij ons reinigen?
Welke zoenoffer feesten , welke gewijde
spelen zullen w e moeten
uitvinden ? Is niet de grootte van deze daad te groot voor
ons? Moeten wij niet zelf goden worden, enkel
om dze daad waardig te lijken
? Nooit was er een grotere daad - en al wie er
na ons geboren wordt, omwille van deze daad behoort hij tot
een hogere geschiedenis dan alle geschiedenis die
er tot dusver is geweest !”
Hier zweeg de dwaas en keek opnieuw zijn
toehoorders aan. Ook zij zwegen en keken hem
bevreemd aan. Tenslotte wierp hij zijn
lantaarn op de grond, zodat die in stukken sprong en
uitdoofde. “Ik kom te vroeg”, zei hij toen, “het is mijn tijd
nog niet. Dit enorme (ungeheure )
gebeuren is nog onderweg en trekt voor - het is nog niet tot
de oren der mensen doorgedrongen. Bliksem en donder hebben
tijd nodig, het licht van het gesternte heeft
tijd nodig, daden hebben tijd nodig - ook
nadat ze gedaan zijn - om gezien en
gehoord te worden! Deze daad is voor hen nog
steeds verder weg dan het
verste gesternte - en toch hebben ze haar zelf verricht !”
Men vertelt nog , dat de dwaas
diezelfde dag nog in verscheidene kerken
binnengedrongen is, en daar zijn Requiem aeternam deo
heeft aangeheven heeft. Naar buiten gebracht en ter
verantwoording geroepen, zou hij telkens alleen maar het
volgende geantwoord hebben: “Wat zijn deze kerken
eigenlijk nog, als ze niet de gr aven en
grafmonumenten God s zijn?”
Mystische Erklärungen. — Die
mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, dass
sie noch nicht einmal oberflächlich sind.
mystieke verklaringen. - Mystieke verklaringen gaan
door voor diep; de waarheid is dat ze nog niet eens oppervlakkig
zijn.
Nachwirkung der ältesten Religiosität. —
Jeder Gedankenlose meint, der Wille sei das allein Wirkende;
Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes,
Unableitbares, An-sich-Verständliches. Er ist überzeugt, wenn
er Etwas thut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und er
habe geschlagen, weil er schlagen wollte .
Er merkt gar Nichts von einem Problem daran, sondern das
Gefühl des Willens
genügt ihm, nicht nur zur Annahme von Ursache und Wirkung,
sondern auch zum Glauben, ihr Verhältniss zu verstehen .
Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen
feinen Arbeit, die abgethan werden muss, damit es zu dem
Schlage komme, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich,
auch nur den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiss er
Nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der
Glaube an den Willen, als an die Ursache von Wirkungen, ist
der Glaube an magisch wirkende Kräfte. Nun hat urspünglich der
Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als
Ursache und persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend
geglaubt, — der Begriff der Mechanik lag ihm ganz ferne. Weil
aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an Personen geglaubt
hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen und so weiter), ist
ihm der Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben
geworden, den er überall, wo Etwas geschieht, verwendet, —
auch jetzt noch instinctiv und als ein Stück Atavismus
ältester Abkunft. Die Sätze „keine Wirkung ohne Ursache“,
„jede Wirkung wieder Ursache“ erscheinen als
Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: „wo gewirkt wird, da
ist gewollt worden“, „es kann nur auf wollende Wesen gewirkt
werden“, „es giebt nie ein reines, folgenloses Erleiden einer
Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens“
(zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung), — aber in den Urzeiten
der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die
ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die
zweiten Erläuterungen der ersten. — Schopenhauer, mit seiner
Annahme, dass Alles, was da sei, nur etwas Wollendes sei, hat
eine uralte Mythologie auf den Thron gehoben; er scheint nie
eine Analyse des Willens versucht zu haben, weil er an die
Einfachheit und Unmittelbarkeit alles Wollens glaubte , gleich Jedermann: —
während Wollen nur ein so gut eingespielter Mechanismus ist,
dass er dem beobachtenden Auge fast entläuft. Ihm gegenüber
stelle ich diese Sätze auf: erstens, damit Wille entstehe, ist
eine Vorstellung von Lust und Unlust nöthig. Zweitens: dass
ein heftiger Reiz als Lust oder Unlust empfunden werde, das
ist die Sache des interpretirenden
Intellects, der freilich zumeist dabei uns unbewusst arbeitet;
und ein und derselbe Reiz kann
als Lust oder Unlust interpretirt werden. Drittens: nur bei
den intellectuellen Wesen giebt es Lust, Unlust und Wille; die
ungeheure Mehrzahl der Organismen hat Nichts davon.
Der Werth des Gebetes. — Das
Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich nie
von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele
unbekannt ist oder unbemerkt verläuft: was sollen Diese an
heiligen Stätten und in allen wichtigen Lagen des Lebens,
welche Ruhe und eine Art Würde erfordern? Damit sie wenigstens
nicht stören , hat
die Weisheit aller Religionsstifter, der kleinen wie der
grossen, ihnen die Formel des Gebetes anbefohlen, als eine
lange mechanische Arbeit der Lippen, verbunden mit Anstrengung
des Gedächtnisses und mit einer gleichen festgesetzten Haltung
von Händen und Füssen und Augen! Da mögen sie nun gleich den
Tibetanern ihr „om mane padme hum“ unzählige Male wiederkäuen,
oder, wie in Benares, den Namen des Gottes Ram-Ram-Ram (und so
weiter mit oder ohne Grazie) an den Fingern abzählen: oder den
Wischnu mit seinen tausend, den Allah mit seinen
neunundneunzig Anrufnamen ehren: oder sie mögen sich der
Gebetmühlen und der Rosenkränze bedienen, — die Hauptsache
ist, dass sie mit dieser Arbeit für eine Zeit festgemacht sind
und einen erträglichen Anblick gewähren: ihre Art Gebet ist
zum Vortheil der Frommen erfunden, welche Gedanken und
Erhebungen von sich aus kennen. Und selbst Diese haben ihre
müden Stunden, wo ihnen eine Reihe ehrwürdiger Worte und
Klänge und eine fromme Mechanik wohlthut. Aber angenommen,
dass diese seltenen Menschen — in jeder Religion ist der
religiöse Mensch eine Ausnahme — sich zu helfen wissen: jene
Armen im Geiste wissen sich nicht zu helfen, und ihnen das
Gebets-Geklapper verbieten heisst ihnen ihre Religion nehmen:
wie es der Protestantismus mehr und mehr an den Tag bringt.
Die Religion will von Solchen eben nicht mehr, als dass sie
Ruhe halten , mit Augen, Händen,
Beinen und Organen aller Art: dadurch werden sie zeitweilig
verschönert und — menschenähnlicher!
Die Bedingungen Gottes. —
„Gott selber kann nicht ohne weise Menschen bestehen“ — hat
Luther gesagt und mit gutem Rechte; aber „Gott kann noch
weniger ohne unweise Menschen bestehen“ — das hat der gute
Luther nicht gesagt!
Ein gefährlicher Entschluss. —
Der christliche Entschluss, die Welt hässlich und schlecht zu
finden, hat die Welt hässlich und schlecht gemacht.
Christenthum und Selbstmord. —
Das Christenthum hat das zur Zeit seiner Entstehung ungeheure
Verlangen nach dem Selbstmorde zu einem Hebel seiner Macht
gemacht: es liess nur zwei Formen des Selbstmordes übrig,
umkleidete sie mit der höchsten Würde und den höchsten
Hoffnungen und verbot alle anderen auf eine furchtbare Weise.
Aber das Martyrium und die langsame Selbstentleibung des
Asketen waren erlaubt.
Gegen das Christenthum. —
Jetzt entscheidet unser Geschmack gegen das Christenthum,
nicht mehr unsere Gründe.
Grundsatz. — Eine
unvermeidliche Hypothese, auf welche die Menschheit immer
wieder verfallen muss, ist auf die Dauer doch mächtiger , als der bestgeglaubte
Glaube an etwas Unwahres (gleich dem christlichen Glauben).
Auf die Dauer: das heisst hier auf hunderttausend Jahre hin.
Die Pessimisten als Opfer. —
Wo eine tiefe Unlust am Dasein überhand nimmt, kommen die
Nachwirkungen eines grossen Diätfehlers, dessen sich ein Volk
lange schuldig gemacht hat, an’s Licht. So ist die Verbreitung
des Buddhismus ( nicht
seine Entstehung) zu einem guten Theile abhängig von der
übermässigen und fast ausschliesslichen Reiskost der Inder und
der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung. Vielleicht ist
die europäische Unzufriedenheit der neuen Zeit daraufhin
anzusehen, dass unsere Vorwelt, das ganze Mittelalter, Dank
den Einwirkungen der germanischen Neigungen auf Europa, dem
Trunk ergeben war: Mittelalter, das heisst die
Alkoholvergiftung Europa’s. — Die deutsche Unlust am Leben ist
wesentlich Wintersiechthum, eingerechnet die Wirkungen der
Kellerluft und des Ofengiftes in deutschen Wohnräumen.
Herkunft der Sünde. — Sünde,
so wie sie jetzt überall empfunden wird, wo das Christenthum
herrscht oder einmal geherrscht hat: Sünde ist ein jüdisches
Gefühl und eine jüdische Erfindung, und in Hinsicht auf diesen
Hintergrund aller christlichen Moralität war in der That das
Christenthum darauf aus, die ganze Welt zu „verjüdeln“. Bis zu
welchem Grade ihm diess in Europa gelungen ist, das spürt man
am feinsten an dem Grade von Fremdheit, den das griechische
Alterthum — eine Welt ohne Sündengefühle — immer noch für
unsere Empfindung hat, trotz allem guten Willen zur Annäherung
und Einverleibung, an dem es ganze Geschlechter und viele
ausgezeichnete Einzelne nicht haben fehlen lassen. „Nur wenn
du bereuest , ist
Gott dir gnädig“ — das ist einem Griechen ein Gelächter und
ein Aergerniss: er würde sagen „so mögen Sclaven empfinden“.
Hier ist ein Mächtiger, Uebermächtiger und doch Rachelustiger
vorausgesetzt: seine Macht ist so gross, dass ihm ein Schaden
überhaupt nicht zugefügt werden kann, ausser in dem Puncte der
Ehre. Jede Sünde ist eine Respects-Verletzung, ein crimen
laesae majestatis divinae — und Nichts weiter! Zerknirschung,
Entwürdigung, Sich-im-Staube-wälzen — das ist die erste und
letzte Bedingung, an die seine Gnade sich knüpft:
Wiederherstellung also seiner göttlichen Ehre! Ob mit der
Sünde sonst Schaden gestiftet wird, ob ein tiefes wachsendes
Unheil mit ihr gepflanzt ist, das einen Menschen nach dem
andern wie eine Krankheit fasst und würgt — das lässt diesen
ehrsüchtigen Orientalen im Himmel unbekümmert: Sünde ist ein
Vergehen an ihm, nicht an der Menschheit! — wem er seine Gnade
geschenkt hat, dem schenkt er auch diese Unbekümmertheit um
die natürlichen Folgen der Sünde. Gott und Menschheit sind
hier so getrennt, so entgegengesetzt gedacht, dass im Grunde
an letzterer überhaupt nicht gesündigt werden kann, — jede
That soll nur auf ihre
übernatürlichen Folgen hin angesehen werden:
nicht auf ihre natürlichen: so will es das jüdische Gefühl,
dem alles Natürliche das Unwürdige an sich ist. Den Griechen dagegen lag der Gedanke
näher, dass auch der Frevel Würde haben könne — selbst der
Diebstahl, wie bei Prometheus, selbst die Abschlachtung von
Vieh als Aeusserung eines wahnsinnigen Neides, wie bei Ajax:
sie haben in ihrem Bedürfniss, dem Frevel Würde anzudichten
und einzuverleiben, die Tragödie
erfunden, — eine Kunst und eine Lust, die dem Juden, trotz
aller seiner dichterischen Begabung und Neigung zum Erhabenen,
im tiefsten Wesen fremd geblieben ist.
Das auserwählte Volk. — Die
Juden, die sich als das auserwählte Volk unter den Völkern
fühlen, und zwar weil sie das moralische Genie unter den
Völkern sind (vermöge der Fähigkeit, dass sie den Menschen in
sich tiefer verachtet haben ,
als irgend ein Volk) — die Juden haben an ihrem göttlichen
Monarchen und Heiligen einen ähnlichen Genuss wie der war,
welchen der französische Adel an Ludwig dem Vierzehnten hatte.
Dieser Adel hatte sich alle seine Macht und Selbstherrlichkeit
nehmen lassen und war verächtlich geworden: um diess nicht zu
fühlen, um diess vergessen zu können, bedurfte es eines
königlichen Glanzes, einer königlichen Autorität und
Machtfülle ohne Gleichen ,
zu der nur dem Adel der Zugang offen stand. Indem man gemäss
diesem Vorrecht sich zur Höhe des Hofes erhob und von da aus
blickend Alles unter sich, Alles verächtlich sah, kam man über
alle Reizbarkeit des Gewissens hinaus. So thürmte man
absichtlich den Thurm der königlichen Macht immer mehr in die
Wolken hinein und setzte die letzten Bausteine der eigenen
Macht daran.
Im Gleichniss gesprochen. — Ein
Jesus Christus war nur in einer jüdischen Landschaft möglich — ich
meine in einer solchen, über der fortwährend die düstere und
erhabene Gewitterwolke des zürnenden Jehovah hieng. Hier allein
wurde das seltene plötzliche Hindurchleuchten eines einzelnen
Sonnenstrahls durch die grauenhafte allgemeine und andauernde
Tag-Nacht wie ein Wunder der „Liebe“ empfunden, als der Strahl der
unverdientesten „Gnade“. Hier allein konnte Christus seinen
Regenbogen und seine Himmelsleiter träumen, auf der Gott zu den
Menschen hinabstieg; überall sonst galt das helle Wetter und die
Sonne zu sehr als Regel und Alltäglichkeit.
In gelijkenissen gesproken. — Een
Jezus Christus was alleen mogelijk in een joodse omgeving — ik
bedoel een omgeving waar voortdurend de sombere en verheven
onweerswolk van de toornige Jehova hing. Alleen daar kan het
zeldzame, plotselinge doordringen van een enkele zonnestraal
doorheen de grauwe, algemene, steeds maar durende dag-nacht, als een
wonder van “liefde” ervaren zijn, als de lichtstraal van een totaal
onverdiende “genade”. Alleen daar kon Christus zijn regenboog en
zijn hemelladder dromen, waarlangs God naar de mensen afdaalde;
overal elders golden helder weer en zon te zeer als regel en
alledaagsheid. [opm. 'de titel is een referentie naar JC, die
'in gelijkenissen sprak', die - dixit O. Noordmans - als een
'lichtstraal een stoffige schuur doen oplichten ]
Der Irrthum Christi. — Der
Stifter des Christenthums meinte, an Nichts litten die
Menschen so sehr, als an ihren Sünden: — es war sein Irrthum,
der Irrthum Dessen, der sich ohne Sünde fühlte, dem es hierin
an Erfahrung gebrach! So füllte sich seine Seele mit jenem
wundervollen phantastischen Erbarmen, das einer Noth galt,
welche selbst bei seinem Volke, dem Erfinder der Sünde, selten
eine grosse Noth war! — Aber die Christen haben es verstanden,
ihrem Meister nachträglich Recht zu schaffen und seinen
Irrthum zur „Wahrheit“ zu heiligen.
Farbe der Leidenschaften. —
Solche Naturen, wie die des Apostel Paulus, haben für die
Leidenschaften einen bösen Blick; sie lernen von ihnen nur das
Schmutzige, Entstellende und Herzbrechende kennen, — ihr
idealer Drang geht daher auf Vernichtung der Leidenschaften
aus: im Göttlichen sehen sie die völlige Reinheit davon. Ganz
anders, als Paulus und die Juden, haben die Griechen ihren
idealen Drang gerade auf die Leidenschaften gewendet und diese
geliebt, gehoben, vergoldet und vergöttlicht; offenbar fühlten
sie sich in der Leidenschaft nicht nur glücklicher, sondern
auch reiner und göttlicher, als sonst. — Und nun die Christen?
Wollten sie hierin zu Juden werden? Sind sie es vielleicht
geworden?
Zu jüdisch. — Wenn Gott ein
Gegenstand der Liebe werden wollte, so hätte er sich zuerst
des Richtens und der Gerechtigkeit begeben müssen: — ein
Richter, und selbst ein gnädiger Richter, ist kein Gegenstand
der Liebe. Der Stifter des Christenthums empfand hierin nicht
fein genug, — als Jude.
Te Joods . - Als God een voorwerp van liefde had willen
worden, dan had hij eerst afstand moeten doen van Oordelen en
gerechtigheid: - Een rechter, zelfs al is hij een genadige
rechter, is geen voorwerp van liefde. De stichter van het
christendom was op dit punt niet fijngevoelig genoeg, - als
Jood.
Zu orientalisch. — Wie? Ein
Gott, der die Menschen liebt, vorausgesetzt, dass sie an ihn
glauben, und der fürchterliche Blicke und Drohungen gegen Den
schleudert, der nicht an diese Liebe glaubt! Wie? eine
verclausulirte Liebe als die Empfindung eines allmächtigen
Gottes! Eine Liebe, die nicht einmal über das Gefühl der Ehre
und der gereizten Rachsucht Herr geworden ist! Wie
orientalisch ist das Alles! „Wenn ich dich liebe, was geht’s
dich an?“ ist schon eine ausreichende Kritik des ganzen
Christenthums.
Te oosters. — Hoezo? Een god die de mensen liefheeft,
op voorwaarde dat ze in hem geloven, en die vreselijke blikken
en dreigementen werpt naar wie niet in deze liefde gelooft!
Hoezo? Een liefde onder voorwaarden, dat voelt de almachtige god
voor ons! Een liefde die zelfs niet de baas is geworden over
eergevoel en geprikkelde wraakzucht! Hoe oosters is dat
allemaal! “Als ik je lief hebt, wat gaat jou dat aan?” Die
uitspraak alleen al is afdoende kritiek op het hele christendom.
[opm. De uitspraak is te lezen bij Goethe, die verwijst naar
Spinoza: meer
hier .)
Räucherwerk. — Buddha sagt:
„schmeichle deinem Wohlthäter nicht!“ Man spreche diesen
Spruch nach in einer christlichen Kirche: — er reinigt sofort
die Luft von allem Christlichen.
Reukwerk (wierook). - Boeddha zegt: "Vlei je
weldoener niet!" Herhaal deze uitspraak eens in een christelijke
kerk: hij zuivert onmiddellijk de lucht al het christelijke.
Grösster Nutzen des Polytheismus. —
Dass der Einzelne sich sein eigenes
Ideal aufstelle und aus ihm sein Gesetz, seine Freuden und
seine Rechte ableite — das galt wohl bisher als die
ungeheuerlichste aller menschlichen Verirrungen und als die
Abgötterei an sich; in der That haben die Wenigen, die diess
wagten, immer vor sich selber eine Apologie nöthig gehabt, und
diese lautete gewöhnlich: „nicht ich! nicht ich! sondern
ein Gott durch mich!“ Die
wundervolle Kunst und Kraft, Götter zu schaffen — der
Polytheismus — war es, in der dieser Trieb sich entladen
durfte, in der er sich reinigte, vervollkommnete, veredelte:
denn ursprünglich war es ein gemeiner und unansehnlicher
Trieb, verwandt dem Eigensinn, dem Ungehorsame und dem Neide.
Diesem Triebe zum eigenen Ideale feind
sein: das war ehemals das Gesetz jeder Sittlichkeit. Da gab es
nur Eine Norm: „ der
Mensch“ — und jedes Volk glaubte diese Eine und letzte Norm zu
haben . Aber über sich
und ausser sich, in einer fernen Ueberwelt, durfte man eine
Mehrzahl von Normen sehen: der
eine Gott war nicht die Leugnung oder Lästerung des anderen
Gottes! Hier erlaubte man sich zuerst Individuen, hier ehrte
man zuerst das Recht von Individuen. Die Erfindung von
Göttern, Heroen und Uebermenschen aller Art, sowie von Neben-
und Untermenschen, von Zwergen, Feen, Centauren, Satyrn,
Dämonen und Teufeln, war die unschätzbare Vorübung zur
Rechtfertigung der Selbstsucht und Selbstherrlichkeit des
Einzelnen: die Freiheit, welche man dem Gotte gegen die
anderen Götter gewährte, gab man zuletzt sich selber gegen
Gesetze und Sitten und Nachbarn. Der Monotheismus dagegen,
diese starre Consequenz der Lehre von Einem Normalmenschen —
also der Glaube an einen Normalgott, neben dem es nur noch
falsche Lügengötter giebt — war vielleicht die grösste Gefahr
der bisherigen Menschheit: da drohte ihr jener vorzeitige
Stillstand, welchen, soweit wir sehen können, die meisten
anderen Thiergattungen schon längst erreicht haben; als welche
alle an Ein Normalthier und Ideal in ihrer Gattung glauben und
die Sittlichkeit der Sitte sich endgültig in Fleisch und Blut
übersetzt haben. Im Polytheismus lag die Freigeisterei und
Vielgeisterei des Menschen vorgebildet: die Kraft, sich neue
und eigene Augen zu schaffen und immer wieder neue und noch
eigenere: sodass es für den Menschen allein unter allen
Thieren keine ewigen Horizonte und Perspectiven giebt.
Religionskriege. — Der grösste
Fortschritt der Massen war bis jetzt der Religionskrieg: denn
er beweist, dass die Masse angefangen hat, Begriffe mit
Ehrfurcht zu behandeln. Religionskriege entstehen erst, wenn
durch die feineren Streitigkeiten der Secten die allgemeine
Vernunft verfeinert ist: sodass selbst der Pöbel spitzfindig
wird und Kleinigkeiten wichtig nimmt, ja es für möglich hält,
dass das „ewige Heil der Seele“ an den kleinen Unterschieden
der Begriffe hängt.
Gefahr der Vegetarianer. — Der
vorwiegende ungeheure Reisgenuss treibt zur Anwendung von
Opium und narkotischen Dingen, in gleicher Weise wie der
vorwiegende ungeheure Kartoffelgenuss zu Branntwein treibt —:
er treibt aber, in feinerer Nachwirkung, auch zu Denk- und
Gefühlsweisen, die narkotisch wirken. Damit stimmt zusammen,
dass die Förderer narkotischer Denk- und Gefühlsweisen, wie
jene indischen Lehrer, gerade eine Diät preisen und zum Gesetz
der Masse machen möchten, welche rein vegetabilisch ist: sie
wollen so das Bedürfniss hervorrufen und mehren, welches
sie zu befriedigen im Stande
sind.
Deutsche Hoffnungen. —
Vergessen wir doch nicht, dass die Völkernamen gewöhnlich
Schimpfnamen sind. Die Tartaren sind zum Beispiel ihrem Namen
nach „die Hunde“: so wurden sie von den Chinesen getauft. Die
„Deutschen“: das bedeutet urspünglich „die Heiden“: so nannten
die Gothen nach ihrer Bekehrung die grosse Masse ihrer
ungetauften Stammverwandten, nach Anleitung ihrer Uebersetzung
der Septuaginta, in der die Heiden mit dem Worte bezeichnet
werden, welches im Griechischen „die Völker“ bedeutet: man
sehe Ulfilas. — Es wäre immer noch möglich, dass die Deutschen
aus ihrem alten Schimpfnamen sich nachträglich einen
Ehrennamen machten, indem sie das erste unchristliche
Volk Europa’s würden: wozu in hohem Maasse angelegt zu sein
Schopenhauer ihnen zur Ehre anrechnete. So käme das Werk
Luther’s zur Vollendung, der
sie gelehrt hat, unrömisch zu sein und zu sprechen: „hier
stehe ich !
Ich kann nicht anders!“ —
Frage und Antwort. — Was
nehmen jetzt wilde Völkerschaften zuerst von den Europäern an?
Branntwein und Christenthum, die europäischen Narcotica. — Und
woran gehen sie am schnellsten zu Grunde? — An den
europäischen Narcoticis.
Wo die Reformationen entstehen. —
Zur Zeit der grossen Kirchen-Verderbniss war in Deutschland
die Kirche am wenigsten verdorben: desshalb entstand
hier die Reformation, als das
Zeichen, dass schon die Anfänge der Verderbniss unerträglich
empfunden wurden. Verhältnissmässig war nämlich kein Volk
jemals christlicher, als die Deutschen zur Zeit Luther’s: ihre
christliche Cultur war eben bereit, zu einer hundertfältigen
Pracht der Blüthe auszuschlagen, — es fehlte nur noch Eine
Nacht; aber diese brachte den Sturm, der Allem ein Ende
machte.
Misslingen der Reformationen. —
Es spricht für die höhere Cultur der Griechen selbst in
ziemlich frühen Zeiten, dass mehrere Male die Versuche, neue
griechische Religionen zu gründen, gescheitert sind; es
spricht dafür, dass es schon früh eine Menge
verschiedenartiger Individuen in Griechenland gegeben haben
muss, deren verschiedenartige Noth nicht mit einem einzigen
Recepte des Glaubens und Hoffens abzuthun war. Pythagoras und
Plato, vielleicht auch Empedokles, und bereits viel früher die
orphischen Schwarmgeister, waren darauf aus, neue Religionen
zu gründen; und die beiden Erstgenannten hatten so ächte
Religionsstifter-Seelen und -Talente, dass man sich über ihr
Misslingen nicht genug verwundern kann: sie brachten es aber
nur zu Secten. Jedes Mal, wo die Reformation eines ganzen
Volkes misslingt und nur Secten ihr Haupt emporheben, darf man
schliessen, dass das Volk schon sehr vielartig in sich ist und
sich von den groben Heerdeninstincten und der Sittlichkeit der
Sitte loszulösen beginnt: ein bedeutungsvoller Schwebezustand,
den man als Sittenverfall und Corruption zu verunglimpfen
gewohnt ist: während er das Reifwerden des Eies und das nahe
Zerbrechen der Eierschaale ankündigt. Dass Luther’s
Reformation im Norden gelang, ist ein Zeichen dafür, dass der
Norden gegen den Süden Europa’s zurückgeblieben war und noch
ziemlich einartige und einfarbige Bedürfnisse kannte; und es
hätte überhaupt keine Verchristlichung Europa’s gegeben, wenn
nicht die Cultur der alten Welt des Südens allmählich durch
eine übermässige Hinzumischung von germanischem Barbarenblut
barbarisirt und ihres Cultur-Uebergewichtes verlustig gegangen
wäre. Je allgemeiner und unbedingter ein Einzelner oder der
Gedanke eines Einzelnen wirken kann, um so gleichartiger und
um so niedriger muss die Masse sein, auf die da gewirkt wird;
während Gegenbestrebungen innere Gegenbedürfnisse verrathen,
welche auch sich befriedigen und durchsetzen wollen. Umgekehrt
darf man immer auf eine wirkliche Höhe der Cultur schliessen,
wenn mächtige und herrschsüchtige Naturen es nur zu einer
geringen und sectirerischen Wirkung bringen: diess gilt auch
für die einzelnen Künste und die Gebiete der Erkenntniss. Wo
geherrscht wird, da giebt es Massen: wo Massen sind, da giebt
es ein Bedürfniss nach Sclaverei. Wo es Sclaverei giebt, da
sind der Individuen nur wenige, und diese haben die
Heerdeninstincte und das Gewissen gegen sich.
Zur Kritik der Heiligen. —
Muss man denn, um eine Tugend zu haben, sie gerade in ihrer
brutalsten Gestalt haben wollen? — wie es die christlichen
Heiligen wollten und nöthig hatten; als welche das Leben nur
mit dem Gedanken ertrugen, dass beim Anblick ihrer Tugend
einen Jeden die Verachtung seiner selber anwandelte. Eine
Tugend aber mit solcher Wirkung nenne ich brutal.
Vom Ursprunge der Religion. —
Das metaphysische Bedürfniss ist nicht der Ursprung der
Religionen, wie Schopenhauer will, sondern nur ein Nachschössling derselben. Man hat
sich unter der Herrschaft religiöser Gedanken an die
Vorstellung einer „anderen (hinteren, unteren, oberen) Welt“
gewöhnt und fühlt bei der Vernichtung des religiösen Wahns
eine unbehagliche Leere und Entbehrung, — und nun wächst aus
diesem Gefühle wieder eine „andere Welt“ heraus, aber jetzt
nur eine metaphysische und nicht mehr religiöse. Das aber, was
in Urzeiten zur Annahme einer „anderen Welt“ überhaupt führte,
war nicht ein Trieb
und Bedürfniss, sondern ein Irrthum
in der Auslegung bestimmter Naturvorgänge, eine Verlegenheit
des Intellects.
De oorsprong van de religie - De metafysische
behoefte is niet de oorsprong van de religies, zoals
Schopenhauer wil, maar een nakomertje/late uitloper daarvan.
Men is onder de heerschappij van religieuze gedachten gewoon
geworden aan de voorstelling van een "andere (achter-, onder-,
boven-) wereld" en voelt bij de vernietiging van de religieuze
waan een onbehaaglijke leegte en een gemis, – en uit dit gevoel
groeit nu opnieuw een ‘andere wereld’, maar dezet keer enkel een
metafysische, niet meer een godsdienstige. Wat echter in
oertijden tot de veronderstelling van die 'andere wereld’
leidde, was geen aandrift en behoefte, maar een dwaling/vergissing
(Irrtum ) in de uitleg van bepaalde
natuurverschijnselen, een verlegenheid van het intellect.
Die grösste Veränderung. — Die
Beleuchtung und die Farben aller Dinge haben sich verändert!
Wir verstehen nicht mehr ganz, wie die alten Menschen das
Nächste und Häufigste empfanden, — zum Beispiel den Tag und
das Wachen: dadurch, dass die Alten an Träume glaubten, hatte
das wache Leben andere Lichter. Und ebenso das ganze Leben,
mit der Zurückstrahlung des Todes und seiner Bedeutung: unser
„Tod“ ist ein ganz anderer Tod. Alle Erlebnisse leuchteten
anders, denn ein Gott glänzte aus ihnen; alle Entschlüsse und
Aussichten auf die ferne Zukunft ebenfalls: denn man hatte
Orakel und geheime Winke und glaubte an die Vorhersagung.
„Wahrheit“ wurde anders empfunden, denn der Wahnsinnige konnte
ehemals als ihr Mundstück gelten, — was uns
schaudern oder lachen macht. Jedes Unrecht wirkte anders auf
das Gefühl: denn man fürchtete eine göttliche Vergeltung und
nicht nur eine bürgerliche Strafe und Entehrung. Was war die
Freude in der Zeit, als man an die Teufel und die Versucher
glaubte! Was die Leidenschaft, wenn man die Dämonen in der
Nähe lauern sah! Was die Philosophie, wenn der Zweifel als
Versündigung der gefährlichsten Art gefühlt wurde, und zwar
als ein Frevel an der ewigen Liebe, als Misstrauen gegen
Alles, was gut, hoch, rein und erbarmend war! — Wir haben die
Dinge neu gefärbt, wir malen immerfort an ihnen, — aber was
vermögen wir einstweilen gegen die Farbenpracht
jener alten Meisterin! — ich meine die alte Menschheit.
Homo poeta. — „Ich selber, der
ich höchst eigenhändig diese Tragödie der Tragödien gemacht
habe, soweit sie fertig ist; ich, der ich den Knoten der Moral
erst in’s Dasein hineinknüpfte und so fest zog, dass nur ein
Gott ihn lösen kann, — so verlangt es ja Horaz! — ich selber
habe jetzt im vierten Act alle Götter umgebracht, — aus
Moralität! Was soll nun aus dem fünften werden! Woher noch die
tragische Lösung nehmen! — Muss ich anfangen, über eine
komische Lösung nachzudenken?“
Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. —
Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken
durch’s Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber,
Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die
Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel,
als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir
Anderen! Für uns ist das Leben eine grössere Gefahr: wir sind
von Glas — wehe, wenn wir uns stossen !
Und Alles ist verloren, wenn wir fallen !
Was uns fehlt. — Wir lieben
die grosse Natur
und haben sie entdeckt: das kommt daher, dass in unserem Kopfe
die grossen Menschen fehlen. Umgekehrt die Griechen: ihr
Naturgefühl ist ein anderes, als das unsrige.
Der Einflussreichste. — Dass
ein Mensch seiner ganzen Zeit Widerstand leistet, sie am Thore
aufhält und zur Rechenschaft zieht, das muss
Einfluss üben! Ob er es will, ist gleichgültig; dass er es
kann , ist die Sache.
Mentiri. — Gieb Acht! — er
sinnt nach: sofort wird er eine Lüge bereit haben. Diess ist
eine Stufe der Cultur, auf der ganze Völker gestanden haben.
Man erwäge doch, was die Römer mit mentiri ausdrückten!
Unbequeme Eigenschaft. — Alle
Dinge tief finden — das ist eine unbequeme Eigenschaft: sie
macht, dass man beständig seine Augen anstrengt und am Ende
immer mehr findet, als man gewünscht hat.
Jede Tugend hat ihre Zeit. —
Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seine Redlichkeit oft
Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugend eines
anderen Zeitalters, als die Redlichkeit.
Im Verkehre mit Tugenden. —
Man kann auch gegen eine Tugend würdelos und schmeichlerisch
sein.
An die Liebhaber der Zeit. —
Der entlaufene Priester und der entlassene Sträfling machen
fortwährend Gesichter: was sie wollen, ist ein Gesicht ohne
Vergangenheit. — Habt ihr aber schon Menschen gesehen, welche
wissen, dass die Zukunft in ihrem Gesichte sich spiegelt, und
welche so höflich gegen euch, ihr Liebhaber der „Zeit“, sind,
dass sie ein Gesicht ohne Zukunft machen? —
Egoismus. — Egoismus ist das
perspectivische Gesetz der
Empfindung, nach dem das Nächste gross und schwer erscheint:
während nach der Ferne zu alle Dinge an Grösse und Gewicht
abnehmen.
Nach einem grossen Siege. —
Das Beste an einem grossen Siege ist, dass er dem Sieger die
Furcht vor einer Niederlage nimmt. „Warum nicht auch einmal
unterliegen? — sagt er sich: ich bin jetzt reich genug dazu“.
Die Ruhesuchenden. — Ich
erkenne die Geister, welche Ruhe suchen, an den vielen
dunklen Gegenständen, welche
sie um sich aufstellen: wer schlafen will, macht sein Zimmer
dunkel oder kriecht in eine Höhle. — Ein Wink für Die, welche
nicht wissen, was sie eigentlich am meisten suchen, und es
wissen möchten!
Vom Glücke der Entsagenden. —
Wer sich Etwas gründlich und auf lange Zeit hin versagt, wird,
bei einem zufälligen Wiederantreffen desselben, fast
vermeinen, es entdeckt zu haben, — und welches Glück hat jeder
Entdecker! Seien wir klüger, als die Schlangen, welche zu
lange in der selben Sonne liegen.
Immer in unserer Gesellschaft. —
Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redet zu
mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich —: das
Andere höre ich nicht oder vergesse es gleich. Wir sind stets
nur in unserer Gesellschaft.
Misanthropie und Liebe. — Man
spricht nur dann davon, dass man der Menschen satt sei, wenn
man sie nicht mehr verdauen kann und doch noch den Magen voll
davon hat. Misanthropie ist die Folge einer allzubegehrlichen
Menschenliebe und „Menschenfresserei“, — aber, wer hiess dich
auch Menschen zu verschlucken wie Austern, mein Prinz Hamlet?
Von einem Kranken. — „Es steht
schlecht um ihn!“ — Woran fehlt es? — „Er leidet an der
Begierde, gelobt zu werden, und findet keine Nahrung für sie.“
— Unbegreiflich! Alle Welt feiert ihn, und man trägt ihn nicht
nur auf den Händen, sondern auch auf den Lippen! — „Ja, aber
er hat ein schlechtes Gehör für das Lob. Lobt ihn ein Freund,
so klingt es ihm, als ob dieser sich selber lobe; lobt ihn ein
Feind, so klingt es ihm, als ob dieser dafür gelobt werden
wolle; lobt ihn endlich einer der Uebrigen — es sind gar nicht
so Viele übrig, so berühmt ist er! — so beleidigt es ihn, dass
man ihn nicht zum Freund oder Feind haben wolle; er pflegt zu
sagen: Was liegt mir an Einem, der gar noch gegen mich den
Gerechten zu spielen vermag!“
Offene Feinde. — Die
Tapferkeit vor dem Feinde ist ein Ding für sich: damit kann
man immer noch ein Feigling und ein unentschlossener Wirrkopf
sein. So urtheilte Napoleon in Hinsicht auf den „tapfersten
Menschen“, der ihm bekannt sei, Murat: — woraus sich ergiebt,
dass offene Feinde für manche Menschen unentbehrlich sind,
falls sie sich zu ihrer
Tugend, ihrer Männlichkeit und Heiterkeit erheben sollen.
Mit der Menge. — Er läuft
bisher mit der Menge und ist ihr Lobredner: aber eines Tages
wird er ihr Gegner sein! Denn er folgt ihr im Glauben, dass
seine Faulheit dabei ihre Rechnung fände: er hat noch nicht
erfahren, dass die Menge nicht faul genug für ihn ist! dass
sie immer vorwärts drängt! dass sie Niemandem erlaubt, stehen
zu bleiben! — Und er bleibt so gern stehen!
Ruhm. — Wenn die Dankbarkeit
Vieler gegen Einen alle Scham wegwirft, so entsteht der Ruhm.
Der Geschmacks-Verderber. —
A.: „Du bist ein Geschmacks-Verderber, — so sagt man überall!“
B.: „Sicherlich! Ich verderbe Jedermann den Geschmack an seiner
Partei: — das verzeiht mir keine Partei.“
Tief sein und tief scheinen. —
Wer sich tief weiss, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge
tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit. Denn die
Menge hält Alles für tief, dessen Grund sie nicht sehen kann:
sie ist so furchtsam und geht so ungern in’s Wasser.
Diep zijn en diep lijken. - Wie zichzelf als diep
beschouwt, streeft naar duidelijkheid; wie diep wil lijken voor
de massa, streeft naar duisternis. Want de massa houdt alles
voor diep, waarvan zij de grond niet kan zien: ze is zo
vreesachtig en gaat slechts met tegenzin het water in.
Abseits. — Der
Parlamentarismus, das heisst die öffentliche Erlaubniss,
zwischen fünf politischen Grundmeinungen wählen zu dürfen,
schmeichelt sich bei jenen Vielen ein, welche gerne
selbständig und individuell scheinen
und für ihre Meinungen kämpfen möchten. Zuletzt aber ist es
gleichgültig, ob der Heerde Eine Meinung befohlen oder fünf
Meinungen gestattet sind. — Wer von den fünf öffentlichen
Meinungen abweicht und bei Seite tritt, hat immer die ganze
Heerde gegen sich.
Von der Beredtsamkeit. — Wer
besass bis jetzt die überzeugendste Beredtsamkeit? Der
Trommelwirbel: und so lange die Könige diesen in der Gewalt
haben, sind sie immer noch die besten Redner und
Volksaufwiegler.
Mitleiden. — Die armen
regierenden Fürsten! Alle ihre Rechte verwandeln sich jetzt
unversehens in Ansprüche, und all diese Ansprüche klingen bald
wie Anmaassungen! Und wenn sie nur „Wir“ sagen oder „mein
Volk“, so lächelt schon das alte boshafte Europa. Wahrhaftig,
ein Oberceremonienmeister der modernen Welt würde wenig
Ceremonien mit ihnen machen; vielleicht würde er decretiren:
„les souverains rangent aux parvenus“.
Zum „Erziehungswesen“. — In
Deutschland fehlt dem höheren Menschen ein grosses
Erziehungsmittel: das Gelächter höherer Menschen; diese lachen
nicht in Deutschland.
Zur moralischen Aufklärung. —
Man muss den Deutschen ihren Mephistopheles ausreden: und
ihren Faust dazu. Es sind zwei moralische Vorurtheile gegen
den Werth der Erkenntniss.
Gedanken. — Gedanken sind die
Schatten unserer Empfindungen, — immer dunkler, leerer,
einfacher, als diese.
Die gute Zeit der freien Geister. —
Die freien Geister nehmen sich auch vor der Wissenschaft noch
ihre Freiheiten — und einstweilen giebt man sie ihnen auch, —
so lange die Kirche noch steht! — In so fern haben sie jetzt
ihre gute Zeit.
Folgen und Vorangehen. — A.:
„Von den Beiden wird der Eine immer folgen, der Andere immer
vorangehen, wohin sie auch das Schicksal führt. Und doch steht der Erstere über dem
Anderen, nach seiner Tugend und seinem Geiste!“ B.: „Und doch?
Und doch? Das ist für die Anderen geredet; nicht für mich,
nicht für uns! — Fit secundum regulam.“
In der Einsamkeit. — Wenn man
allein lebt, so spricht man nicht zu laut, man schreibt auch
nicht zu laut: denn man fürchtet den hohlen Widerhall — die
Kritik der Nymphe Echo. — Und alle Stimmen klingen anders in
der Einsamkeit!
Die Musik der besten Zukunft. —
Der erste Musiker würde mir der sein, welcher nur die
Traurigkeit des tiefsten Glückes kennte, und sonst keine
Traurigkeit: einen solchen gab es bisher nicht.
Justiz. — Lieber sich
bestehlen lassen, als Vogelscheuchen um sich haben — das ist
mein Geschmack. Und es ist unter allen Umständen eine Sache
des Geschmackes — und nicht mehr!
Arm. — Er ist heute arm: aber
nicht weil man ihm Alles genommen, sondern weil er Alles
weggeworfen hat: — was macht es ihm? Er ist daran gewöhnt, zu
finden. — Die Armen sind es, welche seine freiwillige Armuth
missverstehen.
Schlechtes Gewissen. — Alles,
was er jetzt thut, ist brav und ordentlich — und doch hat er
ein schlechtes Gewissen dabei. Denn das Ausserordentliche ist
seine Aufgabe.
Das Beleidigende im Vortrage. —
Dieser Künstler beleidigt mich durch die Art, wie er seine
Einfälle, seine sehr guten Einfälle vorträgt: so breit und
nachdrücklich, und mit so groben Kunstgriffen der Ueberredung,
als ob er zum Pöbel spräche. Wir sind immer nach einiger Zeit,
die wir seiner Kunst schenkten, wie „in schlechter
Gesellschaft“.
Arbeit. — Wie nah steht jetzt
auch dem Müssigsten von uns die Arbeit und der Arbeiter! Die
königliche Höflichkeit in dem Worte „wir Alle sind Arbeiter!“
wäre noch unter Ludwig dem Vierzehnten ein Cynismus und eine
Indecenz gewesen.
Der Denker. — Er ist ein
Denker: das heisst, er versteht sich darauf, die Dinge
einfacher zu nehmen, als sie sind.
Gegen die Lobenden. — A.: „Man
wird nur von Seinesgleichen gelobt!“ B.: „Ja! Und wer dich
lobt, sagt zu dir: du bist Meinesgleichen!“
Gegen manche Vertheidigung. —
Die perfideste Art, einer Sache zu schaden, ist, sie
absichtlich mit fehlerhaften Gründen vertheidigen.
Die Gutmüthigen. — Was
unterscheidet jene Gutmüthigen, denen Wohlwollen aus dem
Gesichte strahlt, von den anderen Menschen? Sie fühlen sich in
Gegenwart einer neuen Person wohl und sind schnell in sie
verliebt; sie wollen ihr dafür wohl, ihr erstes Urtheil ist
„sie gefällt mir“. Bei ihnen folgt auf einander: Wunsch der
Aneignung (sie machen sich wenig Scrupel über den Werth des
Anderen), rasche Aneignung, Freude am Besitz und Handeln zu
Gunsten des Besessenen.
Kant’s Witz. — Kant wollte auf
eine „alle Welt“ vor den Kopf stossende Art beweisen, dass
„alle Welt“ Recht habe: — das war der heimliche Witz dieser
Seele. Er schrieb gegen die Gelehrten zu Gunsten des
Volks-Vorurtheils, aber für Gelehrte und nicht für das Volk.
Der „Offenherzige“. — Jener
Mensch handelt wahrscheinlich immer nach verschwiegenen
Gründen: denn er trägt immer mittheilbare Gründe auf der Zunge
und beinahe in der offnen Hand.
Zum Lachen! — Seht hin! Seht
hin! Er läuft von den Menschen weg
—: diese aber folgen ihm nach, weil er vor
ihnen herläuft, — so sehr sind sie Heerde!
Grenze unseres Hörsinns. — Man
hört nur die Fragen, auf welche man im Stande ist, eine
Antwort zu finden.
Darum Vorsicht! — Nichts
theilen wir so gern an Andere mit, als das Siegel der
Verschwiegenheit — sammt dem, was darunter ist.
Verdruss des Stolzen. — Der
Stolze hat selbst an Denen, welche ihn vorwärts bringen,
seinen Verdruss: er blickt böse auf die Pferde seines Wagens.
Freigebigkeit. — Freigebigkeit
ist bei Reichen oft nur eine Art Schüchternheit.
Lachen. — Lachen heisst:
schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen.
Im Beifall. — Im Beifall ist
immer eine Art Lärm: selbst in dem Beifall, den wir uns selber
zollen.
Ein Verschwender. — Er hat
noch nicht jene Armuth des Reichen, der seinen ganzen Schatz
schon einmal überzählt hat, — er verschwendet seinen Geist mit
der Unvernunft der Verschwenderin Natur.
Hic niger est. — Er hat für
gewöhnlich keinen Gedanken, — aber für die Ausnahme kommen ihm
schlechte Gedanken.
Die Bettler und die Höflichkeit. —
„Man ist nicht unhöflich, wenn man mit einem Steine an die
Thüre klopft, welcher der Klingelzug fehlt“ — so denken
Bettler und Nothleidende aller Art; aber Niemand giebt ihnen
Recht.
Bedürfniss. — Das Bedürfniss
gilt als die Ursache der Entstehung: in Wahrheit ist es oft
nur eine Wirkung des Entstandenen.
Beim Regen. — Es regnet, und
ich gedenke der armen Leute, die sich jetzt zusammen drängen,
mit ihrer vielen Sorge und ohne Uebung, diese zu verbergen,
also Jeder bereit und guten Willens, dem Andern wehe zu thun
und sich auch bei schlechtem Wetter eine erbärmliche Art von
Wohlgefühl zu machen. — Das, nur das ist die Armuth der Armen!
Der Neibold. — Das ist ein
Neidbold, — dem muss man keine Kinder wünschen; er würde auf
sie neidisch sein, weil er nicht mehr Kind sein kann.
Grosser Mann! — Daraus, dass
einer „ein grosser Mann“ ist, darf man noch nicht schliessen,
dass er ein Mann ist; vielleicht ist es nur ein Knabe, oder
ein Chamäleon aller Lebensalter, oder ein verhextes Weiblein.
Eine Art, nach Gründen zu fragen. —
Es giebt eine Art, uns nach unseren Gründen zu fragen, bei der
wir nicht nur unsre besten Gründe vergessen, sondern auch
einen Trotz und Widerwillen gegen Gründe überhaupt in uns
erwachen fühlen: — eine sehr verdummende Art zu fragen und
recht ein Kunstgriff tyrannischer Menschen!
Maass im Fleisse. — Man muss
den Fleiss seines Vaters nicht überbieten wollen — das macht
krank.
Geheime Feinde. — Einen
geheimen Feind sich halten können — das ist ein Luxus, für den
die Moralität selbst hochgesinnter Geister nicht reich genug
zu sein pflegt.
Sich nicht täuschen lassen. —
Sein Geist hat schlechte Manieren, er ist hastig und stottert
immer vor Ungeduld: so ahnt man kaum, in welcher langathmigen
und breitbrüstigen Seele er zu Hause ist.
Der Weg zum Glücke. — Ein
Weiser fragte einen Narren, welches der Weg zum Glücke sei.
Dieser antwortete ohne Verzug, wie Einer, der nach dem Wege
zur nächsten Stadt gefragt wird: „Bewundere dich selbst und
lebe auf der Gasse!“ „Halt, rief der Weise, du verlangst zu
viel, es genügt schon sich selber zu bewundern!“ Der Narr
entgegnete: „Aber wie kann man beständig bewundern, ohne
beständig zu verachten?“
Der Glaube macht selig. — Die
Tugend giebt nur Denen Glück und eine Art Seligkeit, welche
den guten Glauben an ihre Tugend haben: — nicht aber jenen
feineren Seelen, deren Tugend im tiefen Misstrauen gegen sich
und alle Tugend besteht. Zuletzt macht also auch hier „der
Glaube selig!“ — und wohlgemerkt, nicht
die Tugend!
Ideal und Stoff. — Du hast da
ein vornehmes Ideal vor Augen: aber bist du
auch ein so vornehmer Stein, dass aus dir solch ein Götterbild
gebildet werden dürfte? Und ohne diess — ist all deine Arbeit
nicht eine barbarische Bildhauerei? Eine Lästerung deines
Ideals?
Gefahr in der Stimme. — Mit
einer sehr lauten Stimme im Halse, ist man fast ausser Stande,
feine Sachen zu denken.
Ursache und Wirkung. — Vor der
Wirkung glaubt man an andere Ursachen, als nach der Wirkung.
Meine Antipathie. — Ich liebe
die Menschen nicht, welche, um überhaupt Wirkung zu thun,
zerplatzen müssen, gleich Bomben, und in deren Nähe man immer
in Gefahr ist, plötzlich das Gehör — oder noch mehr zu
verlieren.
Zweck der Strafe. — Die Strafe
hat den Zweck, Den zu bessern, welcher
straft , — das ist die letzte Zuflucht für die
Vertheidiger der Strafe.
Opfer. — Ueber Opfer und
Aufopferung denken die Opferthiere anders, als die Zuschauer:
aber man hat sie von jeher nicht zu Worte kommen lassen.
Schonung. — Väter und Söhne
schonen sich viel mehr unter einander, als Mütter und Töchter.
Dichter und Lügner. — Der
Dichter sieht in dem Lügner seinen Milchbruder, dem er die
Milch weggetrunken hat; so ist Jener elend geblieben und hat
es nicht einmal bis zum guten Gewissen gebracht.
Vicariat der Sinne. — „Man hat
auch die Augen um zu hören — sagte ein alter Beichtvater, der
taub wurde; und unter den Blinden ist Der König, wer die
längsten Ohren hat.“
Kritik der Thiere. — Ich
fürchte, die Thiere betrachten den Menschen als ein Wesen
Ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden
Thierverstand verloren hat, — als das wahnwitzige Thier, als
das lachende Thier, als das weinende Thier, als das
unglückselige Thier.
Die Natürlichen. — „Das Böse
hat immer den grossen Effect für sich gehabt! Und die Natur
ist böse! Seien wir also natürlich!“ — so schliessen im
Geheimen die grossen Effecthascher der Menschheit, welche man
gar zu oft unter die grossen Menschen gerechnet hat.
Die Misstrauischen und der Stil. —
Wir sagen die stärksten Dinge schlicht, vorausgesetzt, dass
Menschen um uns sind, die an unsere Stärke glauben: — eine
solche Umgebung erzieht zur „Einfachheit des Stils“. Die
Misstrauischen reden emphatisch; die Misstrauischen machen
emphatisch.
Fehlschluss, Fehlschuss. — Er
kann sich nicht beherrschen: und daraus schliesst jene Frau,
es werde leicht sein, ihn zu beherrschen und wirft ihre
Fangseile nach ihm aus; — die Arme, die in Kürze seine Sclavin
sein wird.
Gegen die Vermittelnden. — Wer
zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist
gezeichnet als mittelmässig: er hat das Auge nicht dafür, das
Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist
das Merkmal schwacher Augen.
Trotz und Treue. — Er hält aus
Trotz an einer Sache fest, die ihm durchsichtig geworden ist,
— er nennt es aber „Treue“.
Mangel an Schweigsamkeit. —
Sein ganzes Wesen überredet
nicht — das kommt daher, dass er nie eine gute Handlung, die
er that, verschwiegen hat.
Die „Gründlichen“. — Die
Langsamen der Erkenntniss meinen, die Langsamkeit gehöre zur
Erkenntniss.
Träumen. — Man träumt gar
nicht, oder interessant. — Man muss lernen, ebenso zu wachen:
— gar nicht, oder interessant.
Gefährlichster Gesichtspunct. —
Was ich jetzt thue oder lasse, ist für
alles Kommende so wichtig, als das grösste
Ereigniss der Vergangenheit: in dieser ungeheuren Perspective
der Wirkung sind alle Handlungen gleich gross und klein.
Trostrede eines Musicanten. —
„Dein Leben klingt den Menschen nicht in die Ohren: für sie
lebst du ein stummes Leben, und alle Feinheit der Melodie,
alle zarte Entschliessung im Folgen oder Vorangehen, bleibt
ihnen verborgen. Es ist wahr: du kommst nicht auf breiter
Strasse mit Regimentsmusik daher, — aber desshalb haben diese
Guten doch kein Recht, zu sagen, es fehle deinem Lebenswandel
an Musik. Wer Ohren hat, der höre.“
Geist und Charakter. — Mancher
erreicht seinen Gipfel als Charakter, aber sein Geist ist
gerade dieser Höhe nicht angemessen — und Mancher umgekehrt.
Um die Menge zu bewegen. —
Muss nicht Der, welcher die Menge bewegen will, der
Schauspieler seiner selber sein? Muss er nicht sich selber
erst in’s Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person
und Sache in dieser Vergröberung und Vereinfachung vortragen ?
Der Höfliche. — „Er ist so
höflich!“ — Ja, er hat immer einen Kuchen für den Cerberus bei
sich und ist so furchtsam, dass er Jedermann für den Cerberus
hält, auch dich und mich, — das ist seine „Höflichkeit“.
Neidlos. — Er ist ganz ohne
Neid, aber es ist kein Verdienst dabei: denn er will ein Land
erobern, das Niemand noch besessen und kaum Einer auch nur
gesehen hat.
Der Freudlose. — Ein einziger
freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen Hausstande
dauernden Missmuth und trüben Himmel zu machen; und nur durch
ein Wunder geschieht es, dass dieser Eine fehlt! — Das Glück
ist lange nicht eine so ansteckende Krankheit, — woher kommt
das?
Am Meere. — Ich würde mir kein
Haus bauen (und es gehört selbst zu meinem Glücke, kein
Hausbesitzer zu sein!). Müsste ich aber, so würde ich, gleich
manchem Römer, es bis in’s Meer hineinbauen, — ich möchte
schon mit diesem schönen Ungeheuer einige Heimlichkeiten
gemeinsam haben.
Werk und Künstler. — Dieser
Künstler ist ehrgeizig und Nichts weiter: zuletzt ist sein
Werk nur ein Vergrösserungsglas, welches er Jedermann
anbietet, der nach ihm hinblickt.
Suum cuique. — Wie gross auch
die Habsucht meiner Erkenntniss ist: ich kann aus den Dingen
nichts Anderes herausnehmen, als was mir schon gehört, — das
Besitzthum Anderer bleibt in den Dingen zurück. Wie ist es
möglich, dass ein Mensch Dieb oder Räuber sei!
Ursprung von „Gut“ und „Schlecht“. —
Eine Verbesserung erfindet nur Der, welcher zu fühlen weiss:
„Diess ist nicht gut“.
Over de oorsprong van "goed" en "kwaad" . - Alleen wie
weet wat het is om te voelen: "Dit is niet goed..."., zal op dit
punt iets kunnen verbeteren.
Gedanken und Worte. — Man kann
auch seine Gedanken nicht ganz in Worten wiedergeben.
Gedachten en woorden. - Ook je gedachten kun je niet
volledig in woorden weergeven.
245.
Lob in der Wahl. — Der
Künstler wählt seine Stoffe aus: das ist seine Art zu loben.
Loven door te kiezen. - De kunstenaar kiest zijn
onderwerpen uit: Dat is zijn manier om lof te betuigen.
Mathematik. — Wir wollen die
Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften
hineintreiben, so weit diess nur irgend möglich ist, nicht im
Glauben, dass wir auf diesem Wege die Dinge erkennen werden,
sondern um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen
festzustellen . Die Mathematik
ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten
Menschenkenntniss.
Wiskunde - mathematica. - Wij willen de precisie en
gestrengheid van de wiskunde in alle wetenschappen doorvoeren,
voor zover dit maar enigszins mogelijk is. Niet vanuit het
geloof dat we we langs deze weg de dingen echt zullen kennen (Erkenntnis
= inzicht), maar om daarmee ons menselijke relatie tot de dingen
te vast te leggen. Wiskunde is slechts het middel om
tot algemene en uiteindeljke mensenkennis te komen.
Gewohnheit. — Alle Gewohnheit
macht unsere Hand witziger und unseren Witz unbehender.
Gewenning. - Elke vorm van gewenning maakt onze hand
scherpzinniger, en onze scherpzinnigheid onhandiger.
(onvertaalbaar: 'Witz' is immers ook geestigheid, grap.)
248.
Bücher. — Was ist an einem
Buche gelegen, das uns nicht einmal über alle Bücher hinweg
trägt?
Boeken. - Wat voor waarde heeft een boek dat ons niet
eens boven alle boeken uit doet stijgen?
Der Seufzer des Erkennenden. —
„Oh über meine Habsucht! In dieser Seele wohnt keine
Selbstlosigkeit, — vielmehr ein Alles begehrendes Selbst,
welches durch viele Individuen wie durch seine
Augen sehen und wie mit seinen
Händen greifen möchte, — ein auch die ganze Vergangenheit noch
zurückholendes Selbst, welches Nichts verlieren will, was ihm
überhaupt gehören könnte! Oh über diese Flamme meiner
Habsucht! Oh, dass ich in hundert Wesen wiedergeboren würde!“
— Wer diesen Seufzer nicht aus Erfahrung kennt, kennt auch die
Leidenschaft des Erkennenden nicht.
De verzuchting van de
kenniszoeker. - “O, die hebzucht van mij! In deze
ziel woont geen onbaatzuchtigheid — veeleer een alles begerend
Zelf, dat middels vele individuen wil kijken alsof met zijn
ogen, en wil grijpen als met zijn handen — een
Zelf dat zelfs het hele verleden nog zou terughaalt, dat niets
verliezen wil van wat het maar enigszins zou kunnen toebehoren!
O, deze vlam van mijn hebzucht! O, mocht ik in honderd wezens
wedergeboren worden!” Wie deze verzuchting niet uit ervaring
kent, kent ook de hartstocht van de kenniszoeker niet.
Schuld. — Obschon die
scharfsinnigsten Richter der Hexen und sogar die Hexen selber
von der Schuld der Hexerei überzeugt waren, war die Schuld
trotzdem nicht vorhanden. So steht es mit aller Schuld.
Schuld. - Hoewel de scherpzinnigste rechters van de
heksen en zelfs de heksen zelf van de schuldigheid van de
hekserij overtuigd waren, was er nochtans geen schuld
voorhanden. Zo is het met alle schuld.
Verkannte Leidende. — Die
grossartigen Naturen leiden anders, als ihre Verehrer sich
einbilden: sie leiden am härtesten durch die unedlen,
kleinlichen Wallungen mancher bösen Augenblicke, kurz, durch
ihren Zweifel an der eigenen Grossartigkeit, — nicht aber
durch die Opfer und Martyrien, welche ihre Aufgabe von ihnen
verlangt. So lange Prometheus Mitleid mit den Menschen hat und
sich ihnen opfert, ist er glücklich und gross in sich; aber
wenn er neidisch auf Zeus und die Huldigungen wird, welche
Jenem die Sterblichen bringen, — da leidet er!
Lieber schuldig. — „Lieber
schuldig bleiben, als mit einer Münze zahlen, die nicht unser
Bild trägt!“ — so will es unsere Souveränität.
Liever schuldig. "Liever schulden hebben dan met een
munt waarop een andere beeltenaar staat betalen!" - Zo wil het
onze souvereiniteit.
Immer zu Hause. — Eines Tages
erreichen wir unser Ziel
— und weisen nunmehr mit Stolz darauf hin, was für lange
Reisen wir dazu gemacht haben. In Wahrheit merkten wir nicht,
dass wir reisten. Wir kamen aber dadurch so weit, dass wir an
jeder Stelle wähnten, zu Hause
zu sein.
Altijd thuis. - Op een zekere dag bereiken bereiken
we ons doel - en van dan af aan wijzen we er trots
op, wat voor lange reizen we daartoe gemaakt hebben. In
werkelijkheid hadden we niet door dat we op reis waren. We zijn
zover geraakt, doordat we op elke plek meenden thuis te
zijn.
Gegen die Verlegenheit. — Wer
immer tief beschäftigt ist, ist über alle Verlegenheit hinaus.
niet in verlegenheid raken. - Wie steeds druk bezig
is, geraakt nooit in verlegenheid.
(opmerking: "Verlegenheit" in het Duits is niet geassocieerd
met het schuchterheid (zoals het Nederlandse verlegenheid).
Enkel met tekortschieten, hachelijkheid)
255.
Nachahmer. — A.: „Wie? Du
willst keine Nachahmer?“ B.: „Ich will nicht, dass man mir
Etwas nachmache, ich will, dass Jeder sich Etwas vormache: das
Selbe, was ich
thue.“ A.: „Also —?“
Imitatoren- ....
( woordspel 'mir etwas nachmachen' = mij in iets
nadoen - versus sich etwas vormachen'(= zichzelf iets wijsmaken.
Hautlichkeit. — Alle Menschen
der Tiefe haben ihre Glückseligkeit darin, einmal den
fliegenden Fischen zu gleichen und auf den äussersten Spitzen
der Wellen zu spielen; sie schätzen als das Beste an den
Dingen, — dass sie eine Oberfläche haben: ihre Hautlichkeit —
sit venia verbo.
Aus der Erfahrung. — Mancher
weiss nicht, wie reich er ist, bis er erfährt, was für reiche
Menschen an ihm noch zu Dieben werden.
Uit ervaring. - Pas als je ervaart dat
rijken jou willen bestelen, besef je hoe rijk je bent.
Die Leugner des Zufalls. —
Kein Sieger glaubt an den Zufall.
Zij die het toeval ontkennen.- Geen enkele winnaar
gelooft aan het toeval.
Aus dem Paradiese. — „Gut und
böse sind die Vorurtheile Gottes“ — sagte die Schlange.
Uit het paradijs. - "Goed en kwaad zijn de
vooroordelen van God" - zei de slang.
Ein Mal eins. — Einer hat
immer Unrecht: aber mit Zweien beginnt die Wahrheit. — Einer
kann sich nicht beweisen: aber Zweie kann man bereits nicht
widerlegen.
Eén maal één. - Eén heeft altijd ongelijk; maar met
twee begint de waarheid. - Eén kan zichzelf niet bewijzen; maar
twee kan men al niet meer weerleggen.
Originalität. — Was ist
Originalität? Etwas sehen ,
das noch keinen Namen trägt, noch nicht genannt werden kann,
ob es gleich vor Aller Augen liegt. Wie die Menschen
gewöhnlich sind, macht ihnen erst der Name ein Ding überhaupt
sichtbar. — Die Originalen sind zumeist auch die Namengeber
gewesen.
Originaliteit. - Wat is orginaliteit? Iets zien ,
dat nog geen naam draagt, nog niet genoemd kan worden, hoewel
het in het oog springt. Gewoontedieren als de mensen zijn, maakt
een naam voor hen de dingen pas echt zichtbaar. - Originele
mensen zijn meestal ook naamgevers geweest.
Sub specie aeterni. — A.: „Du
entfernst dich immer schneller von den Lebenden: bald werden
sie dich aus ihren Listen streichen!“ — B.: „Es ist das
einzige Mittel, um an dem Vorrecht der Todten theilzuhaben.“ —
A.: „An welchem Vorrecht?“ — B.: „Nicht mehr zu sterben.“
Sub specie aeterni. - A: "Je verwijdert je steeds
sneller van de levenden: straks schrappen ze je nog van hun
lijsten!" - B: "dat is de enige manier om te kunnen delen in het
voorrecht van de doden." - A.: "Welk voorrecht?" - B: "Niet meer
te sterven."
Ohne Eitelkeit. — Wenn wir
lieben, so wollen wir, dass unsere Mängel verborgen bleiben, —
nicht aus Eitelkeit, sondern, weil das geliebte Wesen nicht
leiden soll. Ja, der Liebende möchte ein Gott scheinen, — und
auch diess nicht aus Eitelkeit.
Zonder ijdelheid. - Als we liefhebben, dan willen we
dat onze gebreken verborgen blijven, - niet uit ijdelheid,
maar om het geliefde wezen lijden te besparen. Ja, wie liefheeft
zou graag een God lijken, - en ook die niet uit ijdelheid.
Was wir thun. — Was wir thun,
wird nie verstanden, sondern immer nur gelobt und getadelt.
Wat wij doen wordt nooit begrepen, maar altijd enkel
geloofd of veroordeeld.
Letzte Skepsis. — Was sind
denn zuletzt die Wahrheiten des Menschen? — Es sind die
unwiderlegbaren Irrthümer des
Menschen.
Laatste skepsis. - Wat zijn nu uiteindelijk de
waarheden van de mens? - Zijn onweerlegbare dwalingen.
Wo Grausamkeit noth thut. —
Wer Grösse hat, ist grausam gegen seine Tugenden und
Erwägungen zweiten Ranges.
Waar wreedheid nodig is. - Wie grootheid bezit, is
wreed jegens zijn tweederangs deugden en overwegingen.
Mit einem grossen Ziele. — Mit
einem grossen Ziele ist man sogar der Gerechtigkeit überlegen,
nicht nur seinen Thaten und seinen Richtern.
Met een groot doel staat men zelfs boven de
rechtvaardigheid, niet selchtsboven z'n daden en rechters.
Was macht heroisch? — Zugleich
seinem höchsten Leide und seiner höchsten Hoffnung
entgegengehn.
Wat maakt van de mens een held? - Tegelijk zijn
hoogste pijn en zijn hoogste verwachting tegemoetgaan 🙡
Woran glaubst du? — Daran:
dass die Gewichte aller Dinge neu bestimmt werden müssen.
Waaraan hecht je geloof - Hieraan: dat het
gewicht van alle dingen opnieuw bepaald moet worden..
Was sagt dein Gewissen? — „Du
sollst der werden, der du bist.“
Wat zegt je geweten? - " Gij moet worden, die gij zijt"
Wo liegen deine grössten Gefahren? —
Im Mitleiden.
Waarin schuilen voor jou de grootste gevaren ? - In
het medelijden.
Was liebst du an Anderen? —
Meine Hoffnungen.
Wat bemin je in andere mensen? - Mijn
verwachtingen.
Wen nennst du schlecht? — Den,
der immer beschämen will.
Wie noem je slecht? - Hij die altijd iemand anders in
een ongemakkelijke positie wil manoeuvreren.
("beschämen" is in het Duits en het Nederlands eigenlijk een
breed existentieel begrip. Iemand In een toestand brengen die
schaamte veroorzaakt, te schande maken, in verlegenheid brengen
(embarrass) mentaal klemzetten, vernederen.)
Was ist dir das Menschlichste? —
Jemandem Scham ersparen.
Wat is voor jou het meest menselijke? - Iemand
schaamte besparen.
Was ist das Siegel der erreichten Freiheit?
— Sich nicht mehr vor sich selber schämen.
Wat is het zegel op verworven vrijheid? - Zich niet
langer voor zich zelf schamen.
Zum neuen Jahre.
— Noch lebe ich, noch denke ich: ich muss noch
leben, denn ich muss noch denken. Sum, ergo cogito: cogito, ergo
sum. Heute erlaubt sich Jedermann seinen Wunsch und liebsten
Gedanken auszusprechen: nun, so will auch ich sagen, was ich mir
heute von mir selber wünschte und welcher Gedanke mir dieses
Jahr zuerst über das Herz lief, — welcher Gedanke mir Grund,
Bürgschaft und Süssigkeit alles weiteren Lebens sein soll! Ich
will immer mehr lernen, das Nothwendige an den Dingen als das
Schöne sehen: — so werde ich Einer von Denen sein, welche die
Dinge schön machen. Amor fati: das sei von nun an meine Liebe!
Ich will keinen Krieg gegen das Hässliche führen. Ich will nicht
anklagen, ich will nicht einmal die Ankläger anklagen.
Wegsehen sei meine einzige
Verneinung! Und, Alles in Allem und Grossen: ich will irgendwann
einmal nur noch ein Ja-sagender sein!
Op het nieuwe jaar. — Nog leef iknog, nog denk ik: ik
moet nog leven, want ik moet nog denken. Sum, ergo cogito:
cogito, ergo sum. Vandaag mag iedereen zijn wens en lief
gedachten uitspreken: Welaan, dan wil ook ik zeggen wat ik
mijzelf vandaag toewens en welke gedachte mij dit jaar als
eerste door het hart ging — welke gedachte voor mij grondslag,
waarborg en zoetheid voor de rest van mijn leven moet zijn! Ik
wil steeds beter leren het noodzakelijke van de dingen te zien
als het mooie: dan behoor ik tot hen die de dingen mooi maken.
Amor fati: dat zij van na af aan mijn liefde! Ik wil geen oorlog
voeren tegen het lelijke. Ik wil niet aanklagen, ik wil zelfs de
aanklagers niet aanklagen. Wegkijken zij mijn enige
ontkenning ! Alles tesamen gevat: ik wil ooit nog eens alleen
maar een ja-zegger zijn!
Persönliche Providenz. — Es
giebt einen gewissen hohen Punct des Lebens: haben wir den
erreicht, so sind wir mit all unserer Freiheit, und so sehr
wir dem schönen Chaos des Daseins alle fürsorgende Vernunft
und Güte abgestritten haben, noch einmal in der grössten
Gefahr der geistigen Unfreiheit und haben unsere schwerste
Probe abzulegen. Jetzt nämlich stellt sich erst der Gedanke an
eine persönliche Providenz mit der eindringlichsten Gewalt vor
uns hin und hat den besten Fürsprecher, den Augenschein, für
sich, jetzt wo wir mit Händen greifen, dass uns alle, alle
Dinge, die uns treffen, fortwährend zum
Besten gereichen . Das Leben jedes Tages und jeder
Stunde scheint Nichts mehr zu wollen, als immer nur diesen
Satz neu beweisen; sei es was es sei, böses wie gutes Wetter,
der Verlust eines Freundes, eine Krankheit, eine Verleumdung,
das Ausbleiben eines Briefes, die Verstauchung eines Fusses,
ein Blick in einen Verkaufsladen, ein Gegenargument, das
Aufschlagen eines Buches, ein Traum, ein Betrug: es erweist
sich sofort oder sehr bald nachher als ein Ding, das „nicht
fehlen durfte“, — es ist voll tiefen Sinnes und Nutzens gerade
für uns ! Giebt es eine
gefährlichere Verführung, den Göttern Epikur’s, jenen
sorglosen Unbekannten, den Glauben zu kündigen und an irgend
eine sorgenvolle und kleinliche Gottheit zu glauben, welche
selbst jedes Härchen auf unserem Kopfe persönlich kennt und
keinen Ekel in der erbärmlichsten Dienstleistung findet? Nun —
ich meine trotzalledem! wir wollen die Götter in Ruhe lassen
und die dienstfertigen Genien ebenfalls und uns mit der
Annahme begnügen, dass unsere eigene practische und
theoretische Geschicklichkeit im Auslegen und Zurechtlegen der
Ereignisse jetzt auf ihren Höhepunct gelangt sei. Wir wollen
auch nicht zu hoch von dieser Fingerfertigkeit unserer
Weisheit denken, wenn uns mitunter die wunderbare Harmonie
allzusehr überrascht, welche beim Spiel auf unserem
Instrumente entsteht: eine Harmonie, welche zu gut klingt, als
dass wir es wagten, sie uns selber zuzurechnen. In der That,
hier und da spielt Einer mit
uns — der liebe Zufall: er führt uns gelegentlich die Hand,
und die allerweiseste Providenz könnte keine schönere Musik
erdenken, als dann dieser unserer thörichten Hand gelingt.
Persoonlijke voorzienigheid (theologische term) - Er
is zoiets als een hoogtepunt in het leven, dat - als we het
hebben bereikt- ons met al onze vrijheid, hoezeer we ook aan de
schone chaos van het bestaan alle zorgzame redelijkheid en
goedheid hebben ontzegd, opnieuw in het grootste gevaar brengt,
dat van de geestelijke onvrijheid. Dan moeten we we onze
zwaarste proef afleggen. Nu worden we namelijk op de meest
indringende wijze geconfronteerd met de gedachte aan een
persoonlijke voorzienigheid. En de beste advocaat,
'dat het zich zo laat aanzien', spreekt voor haar ,
nu wij met de handen tasten dat alle, alle dingen, die ons
overkomen, ons voortdurend ten goede komen...
278.
Der Gedanke an
den Tod. — Es macht mir ein melancholisches
Glück, mitten in diesem Gewirr der Gässchen, der Bedürfnisse,
der Stimmen zu leben: wieviel Geniessen, Ungeduld, Begehren,
wieviel durstiges Leben und Trunkenheit des Lebens kommt da
jeden Augenblick an den Tag! Und doch wird es für alle diese
Lärmenden, Lebenden, Lebensdurstigen bald so stille sein! Wie
steht hinter Jedem sein Schatten, sein dunkler Weggefährte! Es
ist immer wie im letzten Augenblicke vor der Abfahrt eines
Auswandererschiffes: man hat einander mehr zu sagen als je, die
Stunde drängt, der Ozean und sein ödes Schweigen wartet
ungeduldig hinter alle dem Lärme — so begierig, so sicher seiner
Beute. Und Alle, Alle meinen, das Bisher sei Nichts oder Wenig,
die nahe Zukunft sei Alles: und daher diese Hast, diess
Geschrei, dieses Sich-Uebertäuben und Sich-Uebervortheilen!
Jeder will der Erste in dieser Zukunft sein, — und doch ist Tod
und Todtenstille das einzig Sichere und das Allen Gemeinsame
dieser Zukunft! Wie seltsam, dass diese einzige Sicherheit und
Gemeinsamkeit fast gar Nichts über die Menschen vermag und dass
sie am Weitesten
davon entfernt sind, sich als die Brüderschaft des Todes zu
fühlen! Es macht mich glücklich, zu sehen, dass die Menschen den
Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte
gern Etwas dazu thun, ihnen den Gedanken an das Leben noch
hundertmal denkenswerther
zu machen.
De gedachte aan de dood. - Het schenkt mij een
melancholisch geluk om te leven te midden van deze wirwar van
steegjes, van behoeften, van stemmen: hoeveel genot, ongeduld en
verlangen, hoeveel dorstig leven en dronkenschap van het leven
komt daar elk moment aan de dag! En toch zal het voor al deze
luidruchtige, levende, levenslustige mensen weldra heel stil
zijn! Achter ieder van hen doemt zijn schaduw op, zijn duistere
reisgenoot! Altijd opnieuw is het, zoals in het laatste ogenblik
vóór het vertrek van een emigrantenschip: Men heeft elkaar meer
te zeggen dan ooit, de tijd dringt, de oceaan met zijn doodse
stilte ligt achter al dat rumoer al ongeduldig te wachten – zo
begerig, zo zeker van zijn buit! En allen, allen denken, dat wat
tot nu toe is geweest, niets is of weinig; en de nabije toekomst
alles zal zijn. Vandaar die haast, dat geroep, dat elkaar
overstemmen en voorsteken! Iedereen wil de eerste zijn in die
toekomst – en toch zijn de dood en de stilte die daar heerst het
enige zekere en enige gemeenschappelijke dat ze in die toekomst
hebben zullen! Merkwaardig, dat juist het enige dat alle mensen
zeker en gemeenschappelijk is, hen toch niet echt bezighoudt en
dat het heel ver van hen afstaat zich een
broederschap des doods te voelen! Het maakt me gelukkig, te
zien, dat de mensen de gedachte aan de dood volstrekt niet
willen doordenken! Ik zou graag een bijdrage daaraan willen
leveren door voor hen de gedachte aan het leven nog 100x gedenkwaardiger
(de moeite van het overdenken,
nadenken, doordenken waard) te maken.
De
cogitatione mortis
. - Felicitas tristi s me subit, dum in his
angiportis, inter clamores, inter studia et cupiditates mortalium
versor. Quanta voluptas, quanta impatientia, quantum sitiens
vivere ac vitae ebrietas cotidie hic effertur in lucem! Et tamen,
brevi cunctis his tumultuantibus, viventibus, vitam sitientibus
silentium erit profundum. Post unumquemque umbra stat, comes
obscurus ac tacitus itineris.
Semper hoc
loco simile est ac si in ipso momento discessus navis migrantium
staremus: plus inter se loquuntur homines quam unquam antea, hora
urget, oceanus autem, taciturnus et vastus, post omnem hunc
strepitum exspectat, praedam suam avidus et certus.
Omnes,
omnes existimant praeterita nihil vel parum fuisse, futurum autem
proximum esse totum: hinc festinatio, hinc clamor, hinc invicem
superare ac superstrepere volunt! Unusquisque cupit primus in illa
futura esse — et tamen mors et mortis silentium sola sunt certa,
sola omnibus communia in illa futura!
Mira res!
Hoc unum certum, hoc commune genus humanum vix tangit, et
longissime absunt a sensu quod fratres mortis sint. Me tamen iuvat videre homines mortis memoriam recusantes:
ego vero velim efficere ut vitam ipsam centies digniorem
cogitatione faciam. (vertaling door Seneca (chatgpt 5), over
hem: zie lied 34: primum scribere, deinde philosophari )
279.
Sternen-Freundschaft.
— Wir waren Freunde und sind uns fremd geworden.
Aber das ist recht so und wir wollen’s uns nicht verhehlen und
verdunkeln, als ob wir uns dessen zu schämen hätten. Wir sind
zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat; wir
können uns wohl kreuzen und ein Fest miteinander feiern, wie wir
es gethan haben, — und dann lagen die braven Schiffe so ruhig in
Einem Hafen und in Einer Sonne, dass es scheinen mochte, sie
seien schon am Ziele und hätten Ein Ziel gehabt. Aber dann trieb
uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander,
in verschiedene Meere und Sonnenstriche und vielleicht sehen wir
uns nie wieder, — vielleicht auch sehen wir uns wohl, aber
erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen
haben uns verändert! Dass wir uns fremd werden müssen, ist das
Gesetz über uns:
ebendadurch sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Ebendadurch
soll der Gedanke an unsere ehemalige Freundschaft heiliger
werden! Es giebt wahrscheinlich eine ungeheure unsichtbare Curve
und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen Strassen und
Ziele als kleine Wegstrecken einbegriffen
sein mögen, — erheben wir uns zu diesem Gedanken! Aber
unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft zu gering, als dass
wir mehr als Freunde im Sinne jener erhabenen Möglichkeit sein
könnten. — Und so wollen wir an unsere Sternen-Freundschaft
glauben , selbst wenn wir
einander Erden-Feinde sein müssten.
Sterrenvriendschap
We zijn vrienden geweest en van elkaar vervreemd. Maar dat is
goed zo, laten we het niet wegstoppen of donkerder maken dan het
is, alsof we ons daarvoor zouden moeten schamen. We zijn twee
schepen, elk met een eigen bestemming/doel en een eigen koers
daarheen; we kunnen elkaar wel kruisen en samen een feest
vieren, zoals we ook hebben gedaan – en toen lagen die brave
schepen zo rustig in één haven en in één zon, dat het wel leek,
dat ze hun bestemming/doel al hadden bereikt, en dat die
bestemming dezelfde was. Maar vervolgens dreef de almachtige
kracht van onze opdracht ons weer uiteen, naar verschillende
zeeën en zonnestreken, en misschien zien we elkaar nooit meer
terug – of we zien elkaar wel terug, maar herkennen elkaar niet
meer: de verschillende zeeën en zonnen hebben ons veranderd! Dat
we vreemden voor elkaar moeten worden, dat is de wet boven
ons : Precies daarom zouden we we elkaar meer eer moeten
bewijzen ! En zouden we de gedachte(nis) aan onze vroegere
vriendschap nog meer moeten heiligen! Wellicht bestaat er een
enorme, onzichtbare boog en sterrenbaan, waarin onze zo
verschillende wegen en bestemmingen als deeltrajecten toch
zijn inbegrepen – laten we ons tot deze
gedachte verheffen! Maar ons leven is te kort en ons
gezichtsvermogen te gering, om meer te kunnen zijn dan vrienden
in de zin van die verheven mogelijkheid. – Laten we dus in onze
sterrenvriendschap geloven , zelfs als we elkaars
aardse vijanden zouden moeten zijn.
Architektur der
Erkennenden. — Es bedarf einmal und
wahrscheinlich bald einmal der Einsicht, was vor Allem unseren
grossen Städten fehlt: stille und weite, weitgedehnte Orte zum
Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für
schlechtes oder allzu sonniges Wetter, wohin kein Geräusch der
Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein feinerer Anstand selbst
dem Priester das laute Beten untersagen würde: Bauwerke und
Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens
und Bei-Seitegehens ausdrücken. Die Zeit ist vorbei, wo die
Kirche das Monopol des Nachdenkens besass, wo die vita
contemplativa immer zuerst vita religiosa sein musste: und
Alles, was die Kirche gebaut hat, drückt diesen Gedanken aus.
Ich wüsste nicht, wie wir uns mit ihren Bauwerken, selbst wenn
sie ihrer kirchlichen Bestimmung entkleidet würden, genügen
lassen könnten; diese Bauwerke reden eine viel zu pathetische
und befangene Sprache, als Häuser Gottes und Prunkstätten eines
überweltlichen Verkehrs, als dass wir Gottlosen hier unsere Gedanken denken könnten. Wir
wollen uns in Stein
und Pflanze übersetzt haben, wir wollen in
uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen
und Gärten wandeln.
Architectuur voor wie wil nadenken. - Ooit, en
waarschijnlijk al snel, zal er inzicht nodig zijn in wat onze
grote steden bovenal ontberen: stille, ruime, uitgestrekte
plaatsen om na te denken; plaatsen met hoge en lange
zuilengangen voor slecht of al te zonnig weer, waar
verkeerslawaai en verkoopspraatjes (lett: geroep van de
marktkramer ) niet doordringen, en waar een nieuwe
fijngevoeligheid (ein feinerer Anstand ) ook de priester
ervan weerhoudt hardop te bidden: bouwwerken en andere
inplantingen (AnlagAnlage ) die als geheel de
verhevenheid van het ‘zich-bezinnen’ en ‘afstand-nemen’ / 'een
stap opzij zetten'(bei-Seitegehenn> ) uitdrukken. De
tijd is voorbij, waarin de Kerk het monopolie op nadenken bezat,
waarin de vita contemplativa eerst en vooral vita religiosa
moest zijn. Alles wat de Kerk gebouwd heeft, brengt deze
gedachte tot uitdrukking. Zelfs als deze gebouwen van hun
kerkelijke bestemming ontdaan zijn, dan nog spreken ze een veel
te pathetische en bevangen taal – huizen van God blijven het,
schouwtonelen van een bovenwereldlijke omgang. Ze voldoen
gewoonweg niet aan de criteria van gebouwen die wij nodig
hebben, wij, godloze mensen. Deze gebouwen laten ons niet toe onze
gedachten te denken. Wij willen ons in steen
en plant vertaald zien. Wij willen in ons
gaan wandelen als wij in deze hallen en tuinen vertoeven. [toelichting ]
Das Ende zu
finden wissen. — Die Meister des ersten Ranges
geben sich dadurch zu erkennen, dass sie im Grossen wie im
Kleinen auf eine vollkommene Weise das Ende zu finden wissen,
sei es das Ende einer Melodie oder eines Gedankens, sei es der
fünfte Act einer Tragödie oder Staats-Action. Die ersten der
zweiten Stufe werden immer gegen das Ende hin unruhig, und
fallen nicht in so stolzem ruhigem Gleichmaasse in’s Meer ab,
wie zum Beispiel das Gebirge bei Porto fino — dort, wo die Bucht
von Genua ihre Melodie zu Ende singt.
Het einde weten te vinden.
— De meesters van de eerste rang kun je hieraan herkennen
dat ze zowel in het grote als het kleine op een volkomen wijze
het einde weten te vinden, of dat nu het einde van een melodie
of een gedachte is, of het vijfde bedrijf van een tragedie of
een politiek klucht. De besten van de tweede rang worden altijd
onrustig tegen het einde, en glijden niet zo trots en rustig in
de zee als bijvoorbeeld het gebergte bij Porto Fino — daar waar
de baai van Genua haar melodie ten einde zingt
Der Gang. —
Es giebt Manieren des Geistes, an denen auch grosse Geister
verrathen, dass sie vom Pöbel oder Halbpöbel herkommen: — der
Gang und Schritt ihrer Gedanken ist es namentlich, der den
Verräther macht; sie können nicht gehen
. So konnte auch Napoleon zu seinem tiefen Verdrusse nicht
fürstenmässig und „legitim“ gehen, bei Gelegenheiten, wo man es
eigentlich verstehen muss, wie bei grossen Krönungs-Processionen
und Aehnlichem: auch da war er immer nur der Anführer einer
Colonne — stolz und hastig zugleich und sich dessen sehr
bewusst. — Man hat Etwas zum Lachen, diese Schriftsteller zu
sehen, welche die faltigen Gewänder der Periode um sich rauschen
machen: sie wollen so ihre Füsse
verdecken.
De tred . — Er zijn gedragingen van de geest, waarmee
ook grote geesten verraden dat ze afkomstig zijn uit het
gepeupel of het halve gepeupel: het zijn met name de gang en de
tred van hun gedachten die hen verraden; ze kunnen niet gaan
( schrijden) . Zo kon ook Napoleon tot zijn
grote ergernis niet vorstelijk en ‘legitiem’ gaan (schrijden )
bij gelegenheden waar je dat eigenlijk wel zou moeten kunnen,
zoals bij grote kroningsprocessies en dergelijke: ook daar was
hij altijd slechts de aanvoerder van een kolonne — trots en
gehaast tegelijk en zich daarvan ten zeerste bewust. — Het is
grappig om te zien hoe schrijvers de geplooide gewaden van de
volzin om zich heen laten ruisen: zo willen ze hun voeten aan
het oog onttrekken.
Vorbereitende Menschen. — Ich
begrüsse alle Anzeichen dafür, dass ein männlicheres, ein
kriegerisches Zeitalter anhebt, das vor allem die Tapferkeit
wieder zu Ehren bringen wird! Denn es soll einem noch höheren
Zeitalter den Weg bahnen und die Kraft einsammeln, welche
jenes einmal nöthig haben wird, — jenes Zeitalter, das den
Heroismus in die Erkenntniss trägt und Kriege
führt um der Gedanken und ihrer Folgen willen.
Dazu bedarf es für jetzt vieler vorbereitender tapferer
Menschen, welche doch nicht aus dem Nichts entspringen können
— und ebensowenig aus dem Sand und Schleim der jetzigen
Civilisation und Grossstadt-Bildung: Menschen, welche es
verstehen, schweigend, einsam, entschlossen, in unsichtbarer
Thätigkeit zufrieden und beständig zu sein: Menschen, die mit
innerlichem Hange an allen Dingen nach dem suchen, was an
ihnen zu überwinden
ist: Menschen, denen Heiterkeit, Geduld, Schlichtheit und
Verachtung der grossen Eitelkeiten ebenso zu eigen ist, als
Grossmuth im Siege und Nachsicht gegen die kleinen Eitelkeiten
aller Besiegten: Menschen mit einem scharfen und freien
Urtheile über alle Sieger und über den Antheil des Zufalls an
jedem Siege und Ruhme: Menschen mit eigenen Festen, eigenen
Werktagen, eigenen Trauerzeiten, gewohnt und sicher im
Befehlen und gleich bereit, wo es gilt, zu gehorchen, im Einen
wie im Anderen gleich stolz, gleich ihrer eigenen Sache
dienend: gefährdetere Menschen, fruchtbarere Menschen,
glücklichere Menschen! Denn, glaubt es mir! — das Geheimniss,
um die grösste Fruchtbarkeit und den grössten Genuss vom
Dasein einzuernten, heisst: gefährlich
leben ! Baut eure Städte an den Vesuv! Schickt
eure Schiffe in unerforschte Meere! Lebt im Kriege mit
Euresgleichen und mit euch selber! Seid Räuber und Eroberer,
so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer sein könnt, ihr
Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es euch genug sein
durfte, gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben!
Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach dem ausstrecken,
was ihr gebührt: — sie wird herrschen
und besitzen
wollen, und ihr mit ihr!
Der Glaube an sich. — Wenige
Menschen überhaupt haben den Glauben an sich: — und von diesen
Wenigen bekommen ihn die Einen mit, als eine nützliche
Blindheit oder theilweise Verfinsterung ihres Geistes — (was
würden sie erblicken, wenn sie sich selber auf
den Grund sehen könnten!), die Anderen müssen ihn
sich erst erwerben: Alles, was sie Gutes, Tüchtiges, Grosses
thun, ist zunächst ein Argument gegen den Skeptiker, der in
ihnen haust: es gilt, diesen
zu überzeugen oder zu überreden, und dazu bedarf es beinahe
des Genie’s. Es sind die grossen Selbst-Ungenügsamen.
Excelsior! — „Du wirst niemals
mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr im endlosen
Vertrauen ausruhen — du versagst es dir, vor einer letzten
Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehen zu bleiben und
deine Gedanken abzuschirren — du hast keinen fortwährenden
Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten — du lebst
ohne den Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte
und Gluthen in seinem Herzen trägt — es giebt für dich keinen
Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr — es giebt
keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem,
was dir geschehen wird — deinem Herzen steht keine Ruhestatt
mehr offen, wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat,
du wehrst dich gegen irgend einen letzten Frieden, du willst
die ewige Wiederkunft von Krieg und Frieden: — Mensch der
Entsagung, in Alledem willst du entsagen? Wer wird dir die
Kraft dazu geben? Noch hatte Niemand diese Kraft!“ — Es giebt
einen See, der es sich eines Tages versagte, abzufliessen, und
einen Damm dort aufwarf, wo er bisher abfloss: seitdem steigt
dieser See immer höher. Vielleicht wird gerade jene Entsagung
uns auch die Kraft verleihen, mit der die Entsagung selber
ertragen werden kann; vielleicht wird der Mensch von da an
immer höher steigen, wo er nicht mehr in einen Gott ausfliesst .
Zwischenrede. — Hier sind
Hoffnungen; was werdet ihr aber von ihnen sehen und hören,
wenn ihr nicht in euren eigenen Seelen Glanz und Gluth und
Morgenröthen erlebt habt? Ich kann nur erinnern — mehr kann
ich nicht! Steine bewegen, Thiere zu Menschen machen — wollt
ihr das von mir? Ach, wenn ihr noch Steine und Thiere seid, so
sucht euch erst euren Orpheus!
Lust an der Blindheit. —
„Meine Gedanken, sagte der Wanderer zu seinem Schatten, sollen
mir anzeigen, wo ich stehe: aber sie sollen mir nicht
verrathen, wohin ich gehe .
Ich liebe die Unwissenheit um die Zukunft und will nicht an
der Ungeduld und dem Vorwegkosten verheissener Dinge zu Grunde
gehen.“
Hohe Stimmungen. — Mir scheint
es, dass die meisten Menschen an hohe Stimmungen überhaupt
nicht glauben, es sei denn für Augenblicke, höchstens
Viertelstunden, — jene Wenigen ausgenommen, welche eine
längere Dauer des hohen Gefühls aus Erfahrung kennen. Aber gar
der Mensch Eines hohen Gefühls, die Verkörperung einer
einzigen grossen Stimmung sein — das ist bisher nur ein Traum
und eine entzückende Möglichkeit gewesen: die Geschichte giebt
uns noch kein sicheres Beispiel davon. Trotzdem könnte sie
einmal auch solche Menschen gebären — dann, wenn eine Menge
günstige Vorbedingungen geschaffen und festgestellt worden
sind, die jetzt auch der glücklichste Zufall nicht
zusammenzuwürfeln vermag. Vielleicht wäre diesen zukünftigen
Seelen eben Das der gewöhnliche Zustand, was bisher als die
mit Schauder empfundene Ausnahme hier und da einmal in unseren
Seelen eintrat: eine fortwährende Bewegung zwischen hoch und
tief und das Gefühl von hoch und tief, ein beständiges
Wie-auf-Treppen-steigen und zugleich Wie-auf-Wolken-ruhen.
Auf die Schiffe! — Erwägt man,
wie auf jeden Einzelnen eine philosophische
Gesammt-Rechtfertigung seiner Art, zu leben und zu denken,
wirkt — nämlich gleich einer wärmenden, segnenden,
befruchtenden, eigens ihm leuchtenden Sonne, wie sie
unabhängig von Lob und Tadel, selbstgenugsam, reich, freigebig
an Glück und Wohlwollen macht, wie sie unaufhörlich das Böse
zum Guten umschafft, alle Kräfte zum Blühen und Reifwerden
bringt und das kleine und grosse Unkraut des Grams und der
Verdriesslichkeit gar nicht aufkommen lässt: — so ruft man
zuletzt verlangend aus: oh dass doch viele solche neue Sonnen
noch geschaffen würden! Auch der Böse, auch der Unglückliche,
auch der Ausnahme-Mensch soll seine Philosophie, sein gutes
Recht, seinen Sonnenschein haben! Nicht Mitleiden mit ihnen
thut noth! — diesen Einfall des Hochmuths müssen wir
verlernen, so lange auch bisher die Menschheit gerade an ihm
gelernt und geübt hat — keine Beichtiger, Seelenbeschwörer und
Sündenvergeber haben wir für sie aufzustellen! Sondern eine
neue Gerechtigkeit
thut noth! Und eine neue Losung! Und neue Philosophen! Auch
die moralische Erde ist rund! Auch die moralische Erde hat
ihre Antipoden! Auch die Antipoden haben ihr Recht des
Daseins! Es giebt noch eine andere Welt zu entdecken — und
mehr als eine! Auf die Schiffe, ihr Philosophen!
Eins ist Noth. — Seinem
Charakter „Stil geben“ — eine grosse und seltene Kunst! Sie
übt Der, welcher Alles übersieht, was seine Natur an Kräften
und Schwächen bietet, und es dann einem künstlerischen Plane
einfügt, bis ein Jedes als Kunst und Vernunft erscheint und
auch die Schwäche noch das Auge entzückt. Hier ist eine grosse
Masse zweiter Natur hinzugetragen worden, dort ein Stück
erster Natur abgetragen: — beidemal mit langer Uebung und
täglicher Arbeit daran. Hier ist das Hässliche, welches sich
nicht abtragen liess, versteckt, dort ist es in’s Erhabene
umgedeutet. Vieles Vage, der Formung Widerstrebende ist für
Fernsichten aufgespart und ausgenutzt worden: — es soll in das
Weite und Unermessliche hinaus winken. Zuletzt, wenn das Werk
vollendet ist, offenbart sich, wie es der Zwang des selben
Geschmacks war, der im Grossen und Kleinen herrschte und
bildete: ob der Geschmack ein guter oder ein schlechter war,
bedeutet weniger, als man denkt, — genug, dass es Ein
Geschmack ist! — Es werden die starken, herrschsüchtigen
Naturen sein, welche in einem solchen Zwange, in einer solchen
Gebundenheit und Vollendung unter dem eigenen Gesetz ihre
feinste Freude geniessen; die Leidenschaft ihres gewaltigen
Wollens erleichtert sich beim Anblick aller stilisirten Natur,
aller besiegten und dienenden Natur; auch wenn sie Paläste zu
bauen und Gärten anzulegen haben, widerstrebt es ihnen, die
Natur frei zu geben. — Umgekehrt sind es die schwachen, ihrer
selber nicht mächtigen Charaktere, welche die Gebundenheit des
Stils hassen : sie
fühlen, dass, wenn ihnen dieser bitterböse Zwang auferlegt
würde, sie unter ihm gemein
werden müssten: — sie werden Sclaven, sobald sie dienen, sie
hassen das Dienen. Solche Geister — es können Geister ersten
Ranges sein — sind immer darauf aus, sich selber und ihre
Umgebungen als freie
Natur — wild, willkürlich, phantastisch, unordentlich,
überraschend — zu gestalten oder auszudeuten: und sie thun
wohl daran, weil sie nur so sich selber wohlthun! Denn Eins
ist Noth: dass der Mensch seine Zufriedenheit mit sich
erreiche — sei es nun durch
diese oder jene Dichtung und Kunst: nur dann erst ist der
Mensch überhaupt erträglich anzusehen! Wer mit sich
unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen:
wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur
darin, dass wir immer seinen hässlichen Anblick zu ertragen
haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht und
düster.
Genua. — Ich habe mir diese
Stadt, ihre Landhäuser und Lustgärten und den weiten Umkreis
ihrer bewohnten Höhen und Hänge eine gute Weile angesehen;
endlich muss ich sagen: ich sehe Gesichter
aus vergangenen Geschlechtern, — diese Gegend ist mit den
Abbildern kühner und selbstherrlicher Menschen übersäet. Sie
haben gelebt und
haben fortleben wollen — das sagen sie mir mit ihren Häusern,
gebaut und geschmückt für Jahrhunderte und nicht für die
flüchtige Stunde: sie waren dem Leben gut, so böse sie oft
gegen sich gewesen sein mögen. Ich sehe immer den Bauenden,
wie er mit seinen Blicken auf allem fern und nah um ihn her
Gebauten ruht und ebenso auf Stadt, Meer und Gebirgslinien,
wie er mit diesem Blick Gewalt und Eroberung ausübt: Alles
diess will er seinem
Plane einfügen und zuletzt zu seinem Eigenthum
machen, dadurch dass es ein Stück desselben wird. Diese ganze
Gegend ist mit dieser prachtvollen unersättlichen Selbstsucht
der Besitz- und Beutelust überwachsen; und wie diese Menschen
in der Ferne keine Grenze anerkannten und in ihrem Durste nach
Neuem eine neue Welt neben die alte hinstellten, so empörte
sich auch in der Heimat immer noch Jeder gegen Jeden und
erfand eine Weise, seine Ueberlegenheit auszudrücken und
zwischen sich und seinen Nachbar seine persönliche
Unendlichkeit dazwischen zu legen. Jeder eroberte sich seine
Heimat noch einmal für sich, indem er sie mit seinen
architektonischen Gedanken überwältigte und gleichsam zur
Augenweide seines Hauses umschuf. Im Norden imponirt das
Gesetz und die allgemeine Lust an Gesetzlichkeit und Gehorsam,
wenn man die Bauweise der Städte ansieht: man erräth dabei
jenes innerliche Sich-Gleichsetzen, Sich-Einordnen, welches
die Seele aller Bauenden beherrscht haben muss. Hier aber
findest du, um jede Ecke biegend, einen Menschen für sich, der
das Meer, das Abenteuer und den Orient kennt, einen Menschen,
welcher dem Gesetze und dem Nachbar wie einer Art von
Langerweile abhold ist und der alles schon Begründete, Alte
mit neidischen Blicken misst: er möchte, mit einer
wundervollen Verschmitztheit der Phantasie, diess Alles
mindestens im Gedanken noch einmal neu gründen, seine Hand
darauf-, seinen Sinn hineinlegen — sei es auch nur für den
Augenblick eines sonnigen Nachmittags, wo seine unersättliche
und melancholische Seele einmal Sattheit fühlt, und seinem
Auge nur Eigenes und nichts Fremdes mehr sich zeigen darf.
An die Moral-Prediger. — Ich
will keine Moral machen, aber Denen, welche es thun, gebe ich
diesen Rath: wollt ihr die besten Dinge und Zustände zuletzt
um alle Ehre und Werth bringen, so fahrt fort, sie in den Mund
zu nehmen, wie bisher! Stellt sie an die Spitze eurer Moral
und redet von früh bis Abend von dem Glück der Tugend, von der
Ruhe der Seele, von der Gerechtigkeit und der immanenten
Vergeltung: so wie ihr es treibt, bekommen alle diese guten
Dinge dadurch endlich eine Popularität und ein Geschrei der
Gasse für sich: aber dann wird auch alles Gold daran
abgegriffen sein und mehr noch: alles Gold darin
wird sich in Blei verwandelt haben. Wahrlich, ihr versteht
euch auf die umgekehrte Kunst der Alchymie, auf die
Entwerthung des Werthvollsten! Greift einmal zum Versuche nach
einem andern Recepte, um nicht wie bisher das Gegentheil von
dem, was ihr sucht, zu erreichen: leugnet
jene guten Dinge, entzieht ihnen den Pöbel-Beifall und den
leichten Umlauf, macht sie wieder zu verborgenen
Schamhaftigkeiten einsamer Seelen, sagt, Moral
sei etwas Verbotenes ! Vielleicht gewinnt ihr so
die Art von Menschen für diese Dinge, auf welche einzig Etwas
ankommt, ich meine die Heroischen .
Aber dann muss Etwas zum Fürchten daran sein und nicht, wie
bisher, zum Ekeln! Möchte man nicht heute in Hinsicht der
Moral sagen, wie Meister Eckardt: „ich bitte Gott, dass er
mich quitt mache Gottes!“
Unsere Luft. — Wir wissen es
wohl: wer nur wie im Spazierengehen einmal einen Blick nach
der Wissenschaft hin thut, nach Art der Frauen und leider auch
vieler Künstler: für den hat die Strenge ihres Dienstes, diese
Unerbittlichkeit im Kleinen wie im Grossen, diese
Schnelligkeit im Wägen, Urtheilen, Verurtheilen etwas
Schwindel- und Furchteinflössendes. Namentlich erschreckt ihn,
wie hier das Schwerste gefordert, das Beste gethan wird, ohne
dass dafür Lob und Auszeichnungen da sind, vielmehr, wie unter
Soldaten, fast nur Tadel und scharfe Verweise laut werden , — denn das Gutmachen
gilt als die Regel, das Verfehlte als die Ausnahme; die Regel
aber hat hier wie überall einen schweigsamen Mund. Mit dieser
„Strenge der Wissenschaft“ steht es nun wie mit der Form und
Höflichkeit der allerbesten Gesellschaft: — sie erschreckt den
Uneingeweihten. Wer aber an sie gewöhnt ist, mag gar nicht
anderswo leben, als in dieser hellen, durchsichtigen,
kräftigen, stark elektrischen Luft, in dieser männlichen Luft. Ueberall sonst ist
es ihm nicht reinlich und luftig genug: er argwöhnt, dass
dort seine beste Kunst
Niemandem recht von Nutzen und ihm selber nicht zur Freude
sein werde, dass unter Missverständnissen ihm sein halbes
Leben durch die Finger schlüpfe, dass fortwährend viel
Vorsicht, viel Verbergen und Ansichhalten noth thue, — lauter
grosse und unnütze Einbussen an Kraft! In diesem
strengen und klaren Elemente aber hat er seine Kraft ganz:
hier kann er fliegen! Wozu sollte er wieder hinab in jene
trüben Gewässer, wo man schwimmen und waten muss und seine
Flügel missfarbig macht! — Nein! Da ist es zu schwer für uns,
zu leben: was können wir dafür, dass wir für die Luft, die
reine Luft geboren sind, wir Nebenbuhler des Lichtstrahls, und
dass wir am liebsten auf Aetherstäubchen, gleich ihm, reiten
würden und nicht von der Sonne weg, sondern zu
der Sonne hin ! Das aber können wir nicht: — so
wollen wir denn thun, was wir einzig können: der Erde Licht
bringen, „das Licht der Erde“ sein! Und dazu haben wir unsere
Flügel und unsere Schnelligkeit und Strenge, um dessenthalben
sind wir männlich und selbst schrecklich, gleich dem Feuer.
Mögen Die uns fürchten, welche sich nicht an uns zu wärmen und
zu erhellen verstehen!
Gegen die Verleumder der Natur. —
Das sind mir unangenehme Menschen, bei denen jeder natürliche
Hang sofort zur Krankheit wird, zu etwas Entstellendem oder
gar Schmählichem, — diese
haben uns zu der Meinung verführt, die Hänge und Triebe des
Menschen seien böse; sie
sind die Ursache unserer grossen Ungerechtigkeit gegen unsere
Natur, gegen alle Natur! Es giebt genug Menschen, die sich
ihren Trieben mit Anmuth und Sorglosigkeit überlassen
dürfen : aber sie thun es nicht,
aus Angst vor jenem eingebildeten „bösen Wesen“ der Natur!
Daher ist es gekommen, dass so
wenig Vornehmheit unter den Menschen zu finden ist: deren
Kennzeichen es immer sein wird, vor sich keine Furcht zu
haben, von sich nichts Schmähliches zu erwarten, ohne Bedenken
zu fliegen, wohin es uns treibt — uns freigeborene Vögel!
Wohin wir auch nur kommen, immer wird es frei und sonnenlicht
um uns sein.
Kurze Gewohnheiten. — Ich
liebe die kurzen Gewohnheiten und halte sie für das
unschätzbare Mittel, viele
Sachen und Zustände kennen zu lernen und hinab bis auf den
Grund ihrer Süssen und Bitterkeiten; meine Natur ist ganz für
kurze Gewohnheiten eingerichtet, selbst in den Bedürfnissen
ihrer leiblichen Gesundheit und überhaupt soweit
ich nur sehen kann: vom Niedrigen bis zum Höchsten. Immer
glaube ich, diess
werde mich nun dauernd befriedigen — auch die kurze Gewohnheit
hat jenen Glauben der Leidenschaft, den Glauben an die
Ewigkeit — und ich sei zu beneiden, es gefunden und erkannt zu
haben: — und nun nährt es mich am Mittage und am Abende und
verbreitet eine tiefe Genügsamkeit um sich und in mich hinein,
sodass mich nach Anderem nicht verlangt, ohne dass ich zu
vergleichen oder zu verachten oder zu hassen hätte. Und eines
Tages hat es seine Zeit gehabt: die gute Sache scheidet von
mir, nicht als Etwas, das mir nun Ekel einflösst — sondern
friedlich und an mir gesättigt, wie ich an ihm, und wie als ob
wir einander dankbar sein müssten und uns so
die Hände zum Abschied reichten. Und schon wartet das Neue an
der Thüre und ebenso mein Glaube — der unverwüstliche Thor und
Weise! — diess Neue werde das Rechte, das letzte Rechte sein.
So geht es mir mit Speisen, Gedanken, Menschen, Städten,
Gedichten, Musiken, Lehren, Tagesordnungen, Lebensweisen. —
Dagegen hasse ich die dauernden
Gewohnheiten und meine, dass ein Tyrann in meine Nähe kommt
und dass meine Lebensluft sich verdickt ,
wo die Ereignisse sich so gestalten, dass dauernde
Gewohnheiten daraus mit Nothwendigkeit zu wachsen scheinen:
zum Beispiel durch ein Amt, durch ein beständiges Zusammensein
mit den selben Menschen, durch einen festen Wohnsitz, durch
eine einmalige Art Gesundheit. Ja, ich bin allem meinem Elend
und Kranksein, und was nur immer unvollkommen an mir ist, — im
untersten Grunde meiner Seele erkenntlich gesinnt, weil
dergleichen mir hundert Hinterthüren lässt, durch die ich den
dauernden Gewohnheiten entrinnen kann. — Das Unerträglichste
freilich, das eigentlich Fürchterliche, wäre mir ein Leben
ganz ohne Gewohnheiten, ein Leben, das fortwährend die
Improvisation verlangt: — diess wäre meine Verbannung und mein
Sibirien.
Der feste Ruf. — Der feste Ruf
war ehedem eine Sache der äussersten Nützlichkeit; und wo nur
immer die Gesellschaft noch vom Heerden-Instinct beherrscht
wird, ist es auch jetzt noch für jeden Einzelnen am
zweckmässigsten, seinen Charakter und seine Beschäftigung als
unveränderlich zu geben ,
— selbst wenn sie es im Grunde nicht sind. „Man kann sich auf
ihn verlassen, er bleibt sich gleich“: — das ist in allen
gefährlichen Lagen der Gesellschaft das Lob, welches am
meisten zu bedeuten hat. Die Gesellschaft fühlt mit
Genugthuung, ein zuverlässiges, jederzeit bereites Werkzeug in der Tugend Dieses, in
dem Ehrgeize Jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des
Dritten zu haben, — sie ehrt diese Werkzeug-Natur ,
diess Sich-Treubleiben, diese Unwandelbarkeit in Ansichten,
Bestrebungen, und selbst in Untugenden, mit ihren höchsten
Ehren. Eine solche Schätzung, welche überall zugleich mit der
Sittlichkeit der Sitte blüht und geblüht hat, erzieht
„Charaktere“ und bringt alles Wechseln, Umlernen,
Sich-Verwandeln in Verruf .
Diess ist nun jedenfalls, mag sonst der Vortheil dieser
Denkweise noch so gross sein, für die
Erkenntniss die allerschädlichste Art des
allgemeinen Urtheils: denn gerade der gute Wille des
Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen
seine bisherige Meinung zu erklären und überhaupt in Bezug auf
Alles, was in uns fest
werden will, misstrauisch zu sein, — ist hier verurtheilt und
in Verruf gebracht. Die Gesinnung des Erkennenden als im
Widerspruch mit dem „festen Rufe“ gilt als unehrenhaft ,
während die Versteinerung der Ansichten alle Ehre für sich
hat: — unter dem Banne solcher Geltung müssen wir heute noch
leben! Wie schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler
Jahrtausende gegen sich und um sich fühlt! Es ist
wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit
dem schlechten Gewissen behaftet war, und dass viel
Selbstverachtung und geheimes Elend in der Geschichte der
grössten Geister gewesen sein muss.
<
span class="space">Widersprechen
können. —
Jeder weiss jetzt, dass
Widerspruch-Vertragen-können ein hohes Zeichen von Cultur ist.
Einige wissen sogar, dass der höhere Mensch den Widerspruch
gegen sich wünscht und hervorruft, um einen Fingerzeig über
seine ihm bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber
das Widersprechen- Können ,
das erlangte gute
Gewissen bei der Feindseligkeit gegen das Gewohnte,
Ueberlieferte, Geheiligte, — das ist mehr als jenes Beides und
das eigentlich Grosse, Neue, Erstaunliche unserer Cultur, der
Schritt aller Schritte des befreiten Geistes: wer weiss das? —
Kunnen tegenspreken . — Iedereen weet nu wel, dat het
kunnen verdragen van tegenspraak een teken van hoge cultuur is.
Sommigen weten zelfs dat de hogere mens graag tegenspraak krijgt
en ook bewust oproept. Voor hem kan dat een vingerwijzing zijn
met betrekking tot ee, hem tot dan toe onbekende
onrechtmatigheid. Maar het kunnen tegenspreken, dat
men zich een goed geweten heeft verworven terwijl men
al het gebruikelijke, het overgeleverde, het geheiligde vijandig
gezind is. — dat is meer dan die eerste twee tesamen. Dat is het
echt grote, nieuwe, verbazingwekkende van onze cultuur, de alles
overtreffende stap/trap van de bevrijde geest: wie weet dat? —
Seufzer. —
Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch die
nächsten schlechten Worte, sie festzumachen, damit sie mir nicht
wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an diesen dürren Worten
gestorben und hängt und schlottert in ihnen — und ich weiss kaum
mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Glück haben
konnte, als ich diesen Vogel fieng.
Verzuchting . – Ik ving dit inzicht onderweg op en
greep snel de dichtstbijzijnde slechte woorden om het vast te
leggen, om te voorkomen dat het me weer zou ontvliegen. En nu is
het voor mijn ogen aan deze dorre woorden gestorven en hangt en
sloddert in hen – en als ik ernaar kijk, weet ik nauwelijks
meer, hoe ik zo gelukkig kon zijn, toen ik deze vogel ving.
<
span class="space">Was man den
Künstlern ablernen soll. — Welche Mittel haben wir, uns die
Dinge schön, anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es
nicht sind? — und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier
haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel
das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug
thun; aber noch mehr von den Künstlern, welche eigentlich
fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststücke
zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von
ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen — oder die
Dinge um die Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen — oder sie
so stellen, dass sie sich theilweise verstellen und nur
perspectivische Durchblicke gestatten — oder sie durch gefärbtes
Glas oder im Lichte der Abendröthe anschauen — oder ihnen eine
Oberfläche und Haut geben, welche keine volle Transparenz hat:
das Alles sollen wir den Künstlern ablernen und im Uebrigen
weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hört gewöhnlich diese ihre
feine Kraft auf, wo die Kunst aufhört und das Leben beginnt;
wir aber wollen die Dichter
unseres Lebens sein, und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.
Wat men van de kunstenaars moet leren. Welke middelen
hebben we om voor ons de dingen mooi, aantrekkelijk,
begerenswaardig te maken, als ze dat niet zijn? – en ze zijn dat
van zichzelf nooit, denk ik ! Hier kunnen we iets leren van de
artsen, die bijvoorbeeld het bittere verdunnen of wijn en suiker
in de mengkroes doen; maar nog meer van de kunstenaars, die er
eigenlijk voortdurend op uit zijn zulke dingen uit te vinden,
kunststukken te verrichten. Zich van de dingen verwijderen,
totdat men veel ervan niet meer ziet en er veel bij moet zien, om
ze nog te zien – of de dingen om de hoek en als in
een uitsnede (gekadreerd?) te zien – of ze zo voorstellen, dat
ze zich gedeeltelijk verstellen en enkel perspectivische
doorkijkjes toestaan – of ze door gekleurd glas of in het licht
van het avondrood bekijken – of ze een oppervlak en een huid
geven die niet helemaal transparant is: dat alles moeten we van
de kunstenaars leren en voor het overige wijzer zijn, dan zij.
Want bij hen houdt dit fijnzinnig vermogen gewoonlijk op, waar
de kunst ophoudt en het leven begint, maar wij willen
de dichters van ons leven zijn, en met het kleinste en meest
alledaagse beginnen
Vorspiele der
Wissenschaft. — Glaubt ihr denn, dass die
Wissenschaften entstanden und gross geworden wären, wenn ihnen
nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen
vorangelaufen wären als Die, welche mit ihren Verheissungen und
Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack an
verborgenen und verbotenen
Mächten schaffen mussten? Ja, dass unendlich mehr hat verheissen werden müssen, als je
erfüllt werden kann, damit überhaupt Etwas im Reiche der
Erkenntniss sich erfülle? — Vielleicht erscheint in gleicher
Weise, wie uns sich hier Vorspiele und Vorübungen der
Wissenschaft darstellen, die durchaus nicht
als solche geübt und empfunden wurden, auch irgend einem
fernen Zeitalter die gesammte Religion
als Uebung und Vorspiel: vielleicht könnte sie das seltsame
Mittel dazu gewesen sein, dass einmal einzelne Menschen die
ganze Selbstgenügsamkeit eines Gottes und alle seine Kraft der
Selbsterlösung geniessen können: Ja! — darf man fragen — würde
denn der Mensch überhaupt ohne jene religiöse Schule und
Vorgeschichte es gelernt haben, nach sich
Hunger und Durst zu spüren und aus sich
Sattheit und Fülle zu nehmen? Musste Prometheus erst
wähnen , das Licht gestohlen zu haben und dafür
büssen, — um endlich zu entdecken, dass er das Licht geschaffen
habe, indem er nach dem Lichte
begehrte , und dass nicht nur der Mensch, sondern
auch der Gott das
Werk seiner Hände
und Thon in seinen Händen gewesen sei? Alles nur Bilder des
Bildners? — ebenso wie der Wahn, der Diebstahl, der Kaukasus,
der Geier und die ganze tragische Prometheia aller Erkennenden?
wetenschappelijke preludes . — Geloven jullie echt, dat
de wetenschappen vanzelf zijn ontstaan en tot bloei gekomen? Zou
niet eerst een stoet tovenaars, alchemisten, astrologen en
heksen de weg voor hen hebben moeten banen? Zij hebben immers
met hun beloften en illusies eerst dorst en honger naar verborgen
en verboden krachten gecreeërd. Eetlust, appetijt. En er
moest ook oneindig veel meer beloofd worden dan er
ooit vervuld zou kunnen worden, opdat er tenminste toch nog iets
van de grond zou komen in het rijk der kennis — Wellicht komt -
ooit - ook nog wel eens aan het licht dat voor alles wat met religie
te maken heeft, iets soortgelijks geldt. Dat wil zeggen,
Wellicht was ook religie een oefening een voorspel, om van
goddelijke vermogens zoals zelfgenoegzaamheid en zelfverlossing
te kunnen proeven, net zoals zoals bij de voorspelen en
vooroefeningen van de wetenschap, die natuurlijk helemaal niet
als zodanig werden beoefend en ervaren. Ja!, dan zou je je ook
kunnen afvragen of de mens zonder die religieuze school en
voorgeschiedenis überhaupt zou hebben geleerd om honger en dorst
te voelen, en uit zichzelf verzadiging en volheid te putten?
Moest Prometheus eerst in de waan verkeren dat hij
het licht had gestolen en daarvoor boeten — om
tenslotte te ontdekken dat hij het licht had geschapen juist doordat
hij het licht begeerde en dat niet alleen de mens, maar
ook de god het werk van zijn handen en de
klei in zijn handen was? Allemaal beelden van de beeldhouwer? —
net als de waanzin, de diefstal, de Kaukasus, de gier, en de
hele tragische Prometheia van iedereen die kennis
zoekt?
Wahn der Contemplativen. — Die
hohen Menschen unterscheiden sich von den niederen dadurch,
dass sie unsäglich mehr sehen und hören und denkend sehen und
hören — und eben diess unterscheidet den Menschen vom Thiere
und die oberen Thiere von den unteren. Die Welt wird für Den
immer voller, welcher in die Höhe der Menschlichkeit hinauf
wächst; es werden immer mehr Angelhaken des Interesses nach
ihm ausgeworfen; die Menge seiner Reize ist beständig im
Wachsen und ebenso die Menge seiner Arten von Lust und Unlust,
— der höhere Mensch wird immer zugleich glücklicher und
unglücklicher. Dabei aber bleibt ein Wahn
sein beständiger Begleiter: er meint, als Zuschauer
und Zuhörer vor das
grosse Schau- und Tonspiel gestellt zu sein, welches das Leben
ist: er nennt seine Natur eine contemplative
und übersieht dabei, dass er selber auch der eigentliche
Dichter und Fortdichter des Lebens ist, — dass er sich
freilich vom Schauspieler
dieses Drama’s, dem sogenannten handelnden Menschen, sehr
unterscheidet, aber noch mehr von einem blossen Betrachter und
Festgaste vor der
Bühne. Ihm, als dem Dichter, ist gewiss vis contemplativa und
der Rückblick auf sein Werk zu eigen, aber zugleich und
vorerst die vis creativa, welche dem handelnden Menschen
fehlt , was auch der Augenschein
und der Allerweltsglaube sagen mag. Wir, die
Denkend-Empfindenden, sind es, die wirklich und immerfort
Etwas machen , das
noch nicht da ist: die ganze ewig wachsende Welt von
Schätzungen, Farben, Gewichten, Perspectiven, Stufenleitern,
Bejahungen und Verneinungen. Diese von uns erfundene Dichtung
wird fortwährend von den sogenannten practischen Menschen
(unsern Schauspielern wie gesagt) eingelernt, eingeübt, in
Fleisch und Wirklichkeit, ja Alltäglichkeit übersetzt. Was nur
Werth hat in der
jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach, —
die Natur ist immer werthlos: — sondern dem hat man einen
Werth einmal gegeben, geschenkt, und wir
waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt,
die den Menschen Etwas angeht ,
geschaffen! — Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn
wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im
nächsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft
und schätzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering,
— wir sind weder so stolz, noch
so glücklich , als wir sein könnten.
Gefahr des Glücklichsten. —
Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das
Ausgesuchte und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und
nächste Kost gewöhnt sein; einer starken, kühnen, verwegenen
Seele geniessen; mit ruhigem Auge und festem Schritt durch das
Leben gehen, immer zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste
und voll des Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren,
Menschen und Göttern; auf jede heitere Musik hinhorchen, als
ob dort wohl tapfere Männer, Soldaten, Seefahrer sich eine
kurze Rast und Lust machen, und im tiefsten Genusse des
Augenblicks überwältigt werden von Thränen und von der ganzen
purpurnen Schwermuth des Glücklichen: wer möchte nicht, dass
das Alles gerade sein
Besitz, sein Zustand wäre! Es war das Glück
Homer’s ! Der Zustand Dessen, der den Griechen
ihre Götter, — nein, sich selber seine
Götter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit
diesem Glücke Homer’s in der Seele ist man auch das
leidensfähigste Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen
Preis kauft man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des
Daseins bisher an’s Ufer gespült haben! Man wird als ihr
Besitzer immer feiner im Schmerz und zuletzt zu fein: ein
kleiner Missmuth und Ekel genügte am Ende, um Homer das Leben
zu verleiden. Er hatte ein thörichtes Räthselchen, das ihm
junge Fischer aufgaben, nicht zu rathen vermocht! Ja, die
kleinen Räthsel sind die Gefahr der Glücklichsten! —
Zwei Glückliche. — Wahrlich,
dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf die
Improvisation des Lebens und
setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: — es scheint
nämlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon
fortwährend das gewagteste Spiel spielt. Man wird an jene
improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch der
Zuhörer eine göttliche Unfehlbarkeit
der Hand zuschreiben möchte, trotzdem, dass sie sich hier und
da vergreifen, wie jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie
sind geübt und erfinderisch, und im Augenblicke immer bereit,
den zufälligsten Ton, wohin ein Wurf des Fingers, eine Laune
sie treibt, sofort in das thematische Gefüge einzuordnen und
dem Zufalle einen schönen Sinn und eine Seele einzuhauchen. —
Hier ist ein ganz anderer Mensch: dem missräth im Grunde
Alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich sein
Herz gehängt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund
und in die nächste Nähe des Unterganges; und wenn er dem noch
entwischte, so doch gewiss nicht nur „mit einem blauen Auge“.
Glaubt ihr, dass er darüber unglücklich ist? Er hat längst bei
sich beschlossen, eigene Wünsche und Pläne nicht so wichtig zu
nehmen. „Gelingt mir Diess nicht, so redet er sich zu, dann
gelingt mir vielleicht Jenes; und im Ganzen weiss ich nicht,
ob ich nicht meinem Misslingen mehr zu Danke verpflichtet bin,
als irgend welchem Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig
zu sein und die Hörner des Stieres zu tragen? Das, was
mir Werth und Ergebniss des
Lebens ausmacht, liegt wo anders; mein Stolz und ebenso mein
Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr vom Leben, weil ich so
oft daran war, es zu verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben, als ihr
Alle!“
Indem wir thun, lassen wir. —
Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche sagen:
„Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!“ — ich bin
dagegen jenen Moralen gut, welche mich antreiben, Etwas zu
thun und wieder zu thun und von früh bis Abend, und Nachts
davon zu träumen, und an gar Nichts zu denken als: diess
gut zu thun, so gut als es eben
mir allein möglich
ist! Wer so lebt, von dem fällt fortwährend Eins um das Andere
ab, was nicht zu einem solchen Leben gehört: ohne Hass und
Widerwillen sieht er heute Diess und morgen Jenes von sich
Abschied nehmen, den vergilbten Blättern gleich, welche jedes
bewegtere Lüftchen dem Baume entführt: oder er sieht gar
nicht, dass es Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach
seinem Ziele und überhaupt vorwärts, nicht seitwärts,
rückwärts, abwärts. „Unser Thun soll bestimmen, was wir
lassen: indem wir thun, lassen wir“ — so gefällt es mir, so
lautet mein
placitum. Aber ich will nicht mit offenen Augen meine
Verarmung anstreben, ich mag alle negativen Tugenden nicht, —
Tugenden, deren Wesen das Verneinen und Sichversagen selber
ist.
Selbstbeherrschung. — Jene
Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen
anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit
eine eigenthümliche Krankheit über ihn: nämlich eine
beständige Reizbarkeit bei allen natürlichen Regungen und
Neigungen und gleichsam eine Art Juckens. Was auch fürderhin
ihn stossen, ziehen, anlocken, antreiben mag, von innen oder
von aussen her — immer scheint es diesem Reizbaren, als ob
jetzt seine Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich
keinem Instincte, keinem freien Flügelschlage mehr
anvertrauen, sondern steht beständig mit abwehrender Gebärde
da, bewaffnet gegen sich selber, scharfen und misstrauischen
Auges, der ewige Wächter seiner Burg, zu der er sich gemacht
hat. Ja, er kann gross
damit sein! Aber wie unausstehlich ist er nun für Andere
geworden, wie schwer für sich selber, wie verarmt und
abgeschnitten von den schönsten Zufälligkeiten der Seele! Ja
auch von aller weiteren Belehrung !
Denn man muss sich auf Zeiten verlieren können, wenn man den
Dingen, die wir nicht selber sind, Etwas ablernen will.
Stoiker und Epikureer. — Der
Epikureer sucht sich die Lage, die Personen und selbst die
Ereignisse aus, welche zu seiner äusserst reizbaren
intellectuellen Beschaffenheit passen, er verzichtet auf das
Uebrige — das heisst das Allermeiste —, weil es eine zu starke
und schwere Kost für ihn sein würde. Der Stoiker dagegen übt
sich, Steine und Gewürm, Glassplitter und Skorpionen zu
verschlucken und ohne Ekel zu sein; sein Magen soll endlich
gleichgültig gegen Alles werden, was der Zufall des Daseins in
ihn schüttet: — er erinnert an jene arabische Secte der
Assaua, die man in Algier kennen lernt; und gleich diesen
Unempfindlichen hat auch er gerne ein eingeladenes Publicum
bei der Schaustellung seiner Unempfindlichkeit, dessen gerade
der Epikureer gerne enträth: — der hat ja seinen „Garten!“ Für
Menschen, mit denen das Schicksal improvisirt, für solche, die
in gewaltsamen Zeiten und abhängig von plötzlichen und
veränderlichen Menschen leben, mag der Stoicismus sehr rathsam
sein. Wer aber einigermaassen absieht ,
dass das Schicksal ihm einen
langen Faden zu spinnen erlaubt, thut wohl, sich
epikureisch einzurichten; alle Menschen der geistigen Arbeit
haben es bisher gethan! Ihnen wäre es nämlich der Verlust der
Verluste, die feine Reizbarkeit einzubüssen und die stoische
harte Haut mit Igelstacheln dagegen geschenkt zu bekommen.
Zu Gunsten der Kritik. — Jetzt
erscheint dir Etwas als Irrthum, das du ehedem als eine
Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit geliebt hast: du stösst es
von dir ab und wähnst, dass deine Vernunft darin einen Sieg
erfochten habe. Aber vielleicht war jener Irrthum damals, als
du noch ein Anderer warst — du bist immer ein Anderer —, dir
ebenso nothwendig wie alle deine jetzigen „Wahrheiten“,
gleichsam als eine Haut, die dir Vieles verhehlte und
verhüllte, was du noch nicht sehen durftest. Dein neues Leben
hat jene Meinung für dich getödtet, nicht deine Vernunft:
du brauchst sie nicht mehr , und
nun bricht sie in sich selbst zusammen, und die Unvernunft
kriecht wie ein Gewürm aus ihr an’s Licht. Wenn wir Kritik
üben, so ist es nichts Willkürliches und Unpersönliches, — es
ist, wenigstens sehr oft, ein Beweis davon, dass lebendige
treibende Kräfte in uns da sind, welche eine Rinde abstossen.
Wir verneinen und müssen verneinen, weil Etwas in uns leben
und sich bejahen will ,
Etwas, das wir vielleicht noch nicht kennen, noch nicht sehen!
— Diess zu Gunsten der Kritik.
Die Geschichte jedes Tages. —
Was macht bei dir die Geschichte jedes Tages? Siehe deine
Gewohnheiten an, aus denen sie besteht: sind sie das
Erzeugniss zahlloser kleiner Feigheiten und Faulheiten oder
das deiner Tapferkeit und erfinderischen Vernunft? So
verschieden beide Fälle sind, es wäre möglich, dass die
Menschen dir das gleiche Lob spendeten und dass du ihnen auch
wirklich so wie so den gleichen Nutzen brächtest. Aber Lob und
Nutzen und Respectabilität mögen genug für Den sein, der nur
ein gutes Gewissen haben will, — nicht aber für dich
Nierenprüfer, der du ein Wissen
um das Gewissen hast!
Aus der siebenten Einsamkeit. —
Eines Tages warf der Wanderer eine Thür hinter sich zu, blieb
stehen und weinte. Dann sagte er: „Dieser Hang und Drang zum
Wahren, Wirklichen, Un-Scheinbaren, Gewissen! Wie bin ich ihm
böse! Warum folgt mir
gerade dieser düstere und leidenschaftliche Treiber! Ich
möchte ausruhen, aber er lässt es nicht zu. Wie Vieles
verführt mich nicht, zu verweilen! Es giebt überall Gärten
Armidens für mich: und daher immer neue Losreissungen und neue
Bitternisse des Herzens! Ich muss den Fuss weiter heben,
diesen müden, verwundeten Fuss: und weil ich muss, so habe ich
oft für das Schönste, das mich nicht halten konnte, einen
grimmigen Rückblick, — weil
es mich nicht halten konnte!“
Wille und Welle.
— Wie gierig kommt diese Welle heran, als ob es
Etwas zu erreichen gälte! Wie kriecht sie mit furchterregender
Hast in die innersten Winkel des felsigen Geklüftes hinein! Es
scheint, sie will Jemandem zuvorkommen; es scheint, dass dort
Etwas versteckt ist, das Werth, hohen Werth hat. — Und nun kommt
sie zurück, etwas langsamer, immer noch ganz weiss vor Erregung,
— ist sie enttäuscht? Hat sie gefunden, was sie suchte? Stellt
sie sich enttäuscht? — Aber schon naht eine andere Welle,
gieriger und wilder noch als die erste, und auch ihre Seele
scheint voll von Geheimnissen und dem Gelüste der Schatzgräberei
zu sein. So leben die Wellen, — so leben wir, die Wollenden! —
mehr sage ich nicht. — So? Ihr misstraut mir? Ihr zürnt auf
mich, ihr schönen Unthiere? Fürchtet ihr, dass ich euer
Geheimniss ganz verrathe? Nun! Zürnt mir nur, hebt eure grünen
gefährlichen Leiber so hoch ihr könnt, macht eine Mauer zwischen
mir und der Sonne — so wie jetzt! Wahrlich, schon ist Nichts
mehr von der Welt übrig, als grüne Dämmerung und grüne Blitze.
Treibt es wie ihr wollt, ihr Uebermüthigen, brüllt vor Lust und
Bosheit — oder taucht wieder hinunter, schüttet eure Smaragden
hinab in die tiefste Tiefe, werft euer unendliches weisses
Gezottel von Schaum und Gischt darüber weg — es ist mir Alles
recht, denn Alles steht euch so gut, und ich bin euch für Alles
so gut: wie werde ich euch
verrathen! Denn — hört es wohl! — ich kenne euch und euer
Geheimniss, ich kenne euer Geschlecht! Ihr und ich, wir sind ja
aus Einem Geschlecht! — Ihr und ich, wir haben ja Ein
Geheimniss!
Wil en golf (onvertaalbaar, want in het Duits
woordgelijkenis) - Hoe gulzig komt deze golf eraan, alsof er
iets te bereiken valt! Hoe kruipt ze met vreeswekkende haast in
de binnenste hoeken van de rotskloof! Het lijkt wel alsof ze
iemand vóór wil zijn; het lijkt wel alsof daar iets verstopt is,
iets van waarde, grote waarde. – En nu komt ze terug, iets
langzamer, nog steeds helemaal wit van opwinding, – is ze
teleurgesteld? Heeft ze gevonden wat ze zocht? Is ze
teleurgesteld? – Maar daar komt al een andere golf aan, nog
gulziger en wilder dan de eerste, en ook haar ziel lijkt vol te
zijn van geheimen en de lusten van de schatgraverij. Zo leven de
golven (Wellen ) – zo leven wij, de willenden (Wollenden)
! – meer zeg ik niet. – Wat? Wantrouwt ge mij? Zijt ge
toornig op mij, gij schone ondieren ? Vreest gij, dat ik uw
geheim geheel verraad? Welnu, Stort uw toorn maar over mij uit,
richt uw groene, gevaarlijke lichamen maar op zo hoog ge kunt,
bouwt maar een muur tussen mij en de zon – zoals nu! Waarlijk,
er is al niets meer over van de wereld, dan groene schemering en
groene bliksemschichten. Drijf het maar door, zoals ge wilt, gij
overmoedigen, brul maar van wellust en boosheid – of duikt weer
onder, schut uw smaragden af, de diepste diepte in, en werpt uw
eindeloze witte wirwar van opspattend schuim erover heen – ik
vind het allemaal best, want alles staat u zo goed en ik ben u
voor alles zo dankbaar: hoe zou ik u verraden! Want –
luister goed! – ik ken u en uw geheim, ik ken uw geslacht/soort!
Gij en ik, wij zijn immers uit één geslacht! – Gij en ik, ons
geheim is één.
Gebrochenes Licht. — Man ist
nicht immer tapfer, und wenn man müde wird, dann jammert unser
Einer auch wohl einmal in dieser Weise. „Es ist so schwer, den
Menschen wehe zu thun — oh, dass es nöthig ist! Was nützt es
uns, verborgen zu leben, wenn wir nicht Das für uns behalten
wollen, was Aergerniss giebt? Wäre es nicht räthlicher, im
Gewühle zu leben und an den Einzelnen gutzumachen, was an
Allen gesündigt werden soll und muss? Thöricht mit dem Thoren,
eitel mit dem Eitelen, schwärmerisch mit dem Schwärmer zu
sein? Wäre es nicht billig, bei einem solchen übermüthigen
Grade der Abweichung im Ganzen? Wenn ich von den Bosheiten
Anderer gegen mich höre, — ist nicht mein erstes Gefühl das
einer Genugthuung? So ist es recht! — scheine ich mir zu ihnen
zu sagen — ich stimme so wenig zu euch und habe so viel
Wahrheit auf meiner Seite: macht euch immerhin einen guten Tag
auf meine Kosten, so oft ihr könnt! Hier sind meine Mängel und
Fehlgriffe, hier ist mein Wahn, mein Ungeschmack, meine
Verwirrung, meine Thränen, meine Eitelkeit, meine
Eulen-Verborgenheit, meine Widersprüche! Hier habt ihr zu
lachen! So lacht denn auch und freut euch! Ich bin nicht böse
auf Gesetz und Natur der Dinge, welche wollen, dass Mängel und
Fehlgriffe Freude machen! — Freilich, es gab einmal „schönere“
Zeiten, wo man sich noch mit jedem einigermaassen neuen
Gedanken so unentbehrlich
fühlen konnte, um mit ihm auf die Strasse zu treten und
Jedermann zuzurufen: „Siehe! Das Himmelreich ist nahe
herbeigekommen!“ — Ich würde mich nicht vermissen, wenn ich
fehlte. Entbehrlich sind wir Alle!“ — Aber, wie gesagt, so
denken wir nicht, wenn wir tapfer sind; wir denken nicht
daran .
Mein Hund. —
Ich habe meinem Schmerze einen Namen gegeben und rufe ihn
„Hund“, — er ist ebenso treu, ebenso zudringlich und schamlos,
ebenso unterhaltend, ebenso klug, wie jeder andere Hund — und
ich kann ihn anherrschen und meine bösen Launen an ihm
auslassen: wie es Andere mit ihren Hunden, Dienern und Frauen
machen.
Mijn hond. - Ik heb mijn pijn een naam gegeven en noem/roep hem
"hond", – hij is net zo trouw, net zo opdringerig en
schaamteloos, net zo onderhoudend, net zo slim, als elke andere
hond – en ik kan de baas over hem spelen en mijn slechte
stemmingen op hem afreageren: zoals anderen met hun honden,
bedienden en vrouwen doen.
Kein Marterbild. — Ich will es
machen wie Raffael und kein Marterbild mehr malen. Es giebt
der erhabenen Dinge genug, als dass man die Erhabenheit dort
aufzusuchen hätte, wo sie mit der Grausamkeit in
Schwesterschaft lebt; und mein Ehrgeiz würde zudem kein
Genügen daran finden, wenn ich mich zum sublimen Folterknecht
machen wollte.
Neue Hausthiere. — Ich will
meinen Löwen und meinen Adler um mich haben, damit ich
allezeit Winke und Vorbedeutungen habe, zu wissen, wie gross
oder wie gering meine Stärke ist. Muss ich heute zu ihnen
hinabblicken und mich vor ihnen fürchten? Und wird die Stunde
wiederkommen, wo sie zu mir hinaufblicken und in Furcht? —
Vom letzten Stündlein. —
Stürme sind meine Gefahr: werde ich meinen Sturm haben, an dem
ich zu Grunde gehe, wie Oliver Cromwell an seinem Sturme zu
Grunde gieng? Oder werde ich verlöschen wie ein Licht, das
nicht erst der Wind ausbläst, sondern das seiner selber müde
und satt wurde, — ein ausgebranntes Licht? Oder endlich: werde
ich mich ausblasen, um nicht auszubrennen? —
de laatste ure - Stormen zijn gevaarlijk voor mij:
zal ik mijn storm krijgen, waaraan ik te gronde ga, zoals Oliver
Cromwell ten onder ging aan zijn storm? Of zal ik uitdoven als
een licht dat niet door de wind wordt uitgeblazen, maar dat
zichzelf moe en zat werd – een opgebrand licht? Of - laatste
mogelijkheid : zal ik uitblazen om niet op te branden? —
Prophetische
Menschen. — Ihr habt kein Gefühl dafür, dass
prophetische Menschen sehr leidende Menschen sind: ihr meint
nur, es sei ihnen eine schöne „Gabe“ gegeben, und möchtet diese
wohl gern selber haben, — doch ich will mich durch ein
Gleichniss ausdrücken. Wie viel mögen die Thiere durch die Luft-
und Wolken-Electricität leiden! Wir sehen, dass einige Arten von
ihnen ein prophetisches Vermögen hinsichtlich des Wetters haben,
zum Beispiel die Affen (wie man selbst noch in Europa gut
beobachten kann, und nicht nur in Menagerien, nämlich auf
Gibraltar). Aber wir denken nicht daran, dass ihre Schmerzen — für sie die Propheten
sind! Wenn eine starke positive Electricität plötzlich unter dem
Einflusse einer heranziehenden, noch lange nicht sichtbaren
Wolke in negative Electricität umschlägt und eine Veränderung
des Wetters sich vorbereitet, da benehmen sich diese Thiere so,
als ob ein Feind herannahe, und richten sich zur Abwehr oder zur
Flucht ein; meistens verkriechen sie sich, — sie verstehen das
schlechte Wetter nicht als Wetter, sondern als Feind, dessen
Hand sie schon fühlen !
Profetische mensen. — Jullie voelen niet aan, dat
profetische mensen lijdende mensen zijn: jullie menen slechts,
dat ze een mooie "gave" gekregen hebben, en zouden die zelf ook
wel willen hebben, — maar ik zal me middels een gelijkenis
uitspreken. Hoeveel moeten dieren wel niet lijden door de
elektriciteit die in de lucht en wolken hangt! We zien dat
sommige soorten een profetisch vermogen hebben met betrekking
tot het weer, bijvoorbeeld apen (zoals men zelfs in Europa nog
prima kan observeren, en niet alleen in dierentuinen, namelijk
op Gibraltar). Maar we denken er niet aan dat hun pijnen —
voor hen de profeten zijn! Wanneer een sterke positieve
elektrische lading plotseling onder invloed van een naderende,
nog lang niet zichtbare wolk in negatieve elektriciteit omslaat
en er een verandering in het weer op komst is, dan gedragen deze
dieren zich alsof er een vijand nadert en maken ze zich op om
zich te verdedigen of te vluchten; meestal verstoppen ze zich –
ze zien het slechte weer niet als weer, maar als een vijand van
wie ze de hand al voelen !
Rückblick. —
Wir werden uns des eigentlichen Pathos jeder Lebensperiode
selten als eines solchen bewusst, so lange wir in ihr stehen,
sondern meinen immer, es sei der einzig uns nunmehr mögliche und
vernünftige Zustand und durchaus Ethos
, nicht Pathos — mit den Griechen zu reden und zu trennen.
Ein paar Töne von Musik riefen mir heute einen Winter und ein
Haus und ein höchst einsiedlerisches Leben in’s Gedächtniss
zurück und zugleich das Gefühl, in dem ich damals lebte: — ich
meinte ewig so fortleben zu können. Aber jetzt begreife ich,
dass es ganz und gar Pathos und Leidenschaft war, ein Ding,
vergleichbar dieser schmerzhaft-muthigen und trostsichern Musik,
— dergleichen darf man nicht auf Jahre oder gar auf Ewigkeiten
haben: man würde für diesen Planeten damit zu „überirdisch“.
Terugblik. — Het is maar heel zelden, dat we ons
bewust worden van wat werkelijk het pathos was in elke
levensfase, zolang we ons daarin bevinden, maar zijn altijd van
mening dat het de enige mogelijke en redelijke toestand is, en
zeker geen pathos, maar ethos — om met de Grieken te
spreken en te onderscheiden. Een paar tonen muziek riepen me
vandaag een winter en een huis en een zeer kluizenaarsachtig
leven terug in herinnering en tegelijk het gevoel waarin ik toen
leefde: — ik dacht eeuwig zo te kunnen voortleven. Maar nu
begrijp ik dat het een en al pathos en passie (Leidenschaft)
was, vergelijkbaar met deze pijnlijk-moedige en troostrijke
muziek – zoiets mag je niet jarenlang, laat staan voor eeuwig
bezitten: je zou daarmee voor deze planeet te "bovenaards"
worden. [opmerking: pathos is 'aangedaan zijn', emoties, heeft
dus iets dat je ondergaat, passief. Dat hoor iik ook in het
woord 'Leidenschaft/passie'; in een ethos voel je je thuis,
dat spreekt voor zich.
Weisheit im Schmerz. — Im
Schmerz ist soviel Weisheit wie in der Lust: er gehört gleich
dieser zu den arterhaltenden Kräften ersten Ranges. Wäre er
diess nicht, so würde er längst zu Grunde gegangen sein; dass
er weh thut, ist kein Argument gegen ihn, es ist sein Wesen.
Ich höre im Schmerze den Commandoruf des Schiffscapitains:
„zieht die Segel ein!“ Auf tausend Arten die Segel zu stellen,
muss der kühne Schifffahrer „Mensch“ sich eingeübt haben,
sonst wäre es gar zu schnell mit ihm vorbei, und der Ozean
schlürfte ihn zu bald hinunter. Wir müssen auch mit
verminderter Energie zu leben wissen: sobald der Schmerz sein
Sicherheitssignal giebt, ist es an der Zeit, sie zu
vermindern, — irgend eine grosse Gefahr, ein Sturm ist im
Anzuge, und wir thun gut, uns so wenig als möglich
„aufzubauschen“. — Es ist wahr, dass es Menschen giebt, welche
beim Herannahen des grossen Schmerzes gerade den
entgegengesetzten Commandoruf hören, und welche nie stolzer,
kriegerischer und glücklicher dreinschauen, als wenn der Sturm
heraufzieht; ja, der Schmerz selber giebt ihnen ihre grössten
Augenblicke! Das sind die heroischen Menschen, die grossen
Schmerzbringer der Menschheit:
jene Wenigen oder Seltenen, die eben die selbe Apologie nöthig
haben, wie der Schmerz überhaupt, — und wahrlich! man soll sie
ihnen nicht versagen! Es sind arterhaltende, artfördernde
Kräfte ersten Ranges: und wäre es auch nur dadurch, dass sie
der Behaglichkeit widerstreben und vor dieser Art Glück ihren
Ekel nicht verbergen.
Als Interpreten unserer Erlebnisse. —
Eine Art von Redlichkeit ist allen Religionsstiftern und
Ihresgleichen fremd gewesen: — sie haben nie sich aus ihren
Erlebnissen eine Gewissenssache der Erkenntniss gemacht. „Was
habe ich eigentlich erlebt? Was gieng damals in mir und um
mich vor? War meine Vernunft hell genug? War mein Wille gegen
alle Betrügereien der Sinne gewendet und tapfer in seiner
Abwehr des Phantastischen?“ — so hat Keiner von ihnen gefragt,
so fragen alle die lieben Religiösen auch jetzt noch nicht:
sie haben vielmehr einen Durst nach Dingen, welche wider die Vernunft sind, und wollen
es sich nicht zu schwer machen, ihn zu befriedigen, — so
erleben sie denn „Wunder“ und „Wiedergeburten“ und hören die
Stimmen der Englein! Aber wir, wir Anderen,
Vernunft-Durstigen, wollen unseren Erlebnissen so streng in’s
Auge sehen, wie einem wissenschaftlichen Versuche, Stunde für
Stunde, Tag um Tag! Wir selber wollen unsere Experimente und
Versuchs-Thiere sein.
Als interpreten van onze belevenissen . — Een type
eerlijkheid was alle stichters van religies en hun soortgenoten
vreemd: — zij hebben nooit van hun belevenisseneen een
gewetenszaak gemaakt qua kennis. "Wat heb ik eigenlijk beleefd?
Wat ging er toen in mij om en wat gebeurde er om mij heen? Was
mijn verstand helder genoeg? Was mijn wil tegen alle zintuiglijk
bedrog gekeerd, dapper in zijn verzet tegen het fantastische?” —
Dat heeft geen van hen zich afgevraagd, en dat vragen al die
lieve religieuze mensen zich ook nu nog niet af: zij hebben
veeleer een dorst naar dingen die tegen het verstand indruisen,
en willen het zichzelf niet te moeilijk maken om die (dorst) te
bevredigen — dus beleven ze “wonderen” en “wedergeboorten” en
horen de engelen zingen! Maar wij, de anderen, die dorsten naar
rede, willen onze ervaringen net zo gestreng onder ogen zien,
als ware het een wetenschappelijke proef, uur na uur, dag na
dag! Wij willen zelf onze experimenten en proefdieren zijn.
Beim Wiedersehen. — A.:
Verstehe ich dich noch ganz? Du suchst? Wo ist inmitten der
jetzt wirklichen Welt dein
Winkel und Stern? Wo kannst du
dich in die Sonne legen, sodass auch dir ein Ueberschuss von
Wohl kommt und dein Dasein sich rechtfertigt? Möge das Jeder
für sich selber thun — scheinst du mir zu sagen — und das
Reden in’s Allgemeine, das Sorgen für den Anderen und die
Gesellschaft sich aus dem Sinne schlagen! — B.: Ich will mehr,
ich bin kein Suchender. Ich will für mich eine eigene Sonne
schaffen.
Neue Vorsicht. —
Lasst uns nicht mehr so viel an Strafen, Tadeln und Bessern
denken! Einen Einzelnen werden wir selten verändern; und wenn es
uns gelingen sollte, so ist vielleicht unbesehens auch Etwas
mitgelungen: wir
sind durch ihn verändert worden! Sehen wir vielmehr zu, dass
unser eigener Einfluss auf alles
Kommende seinen Einfluss aufwiegt und überwiegt!
Ringen wir nicht im directen Kampfe! — und das ist auch alles
Tadeln, Strafen und Bessernwollen. Sondern erheben wir uns
selber um so höher! Geben wir unserm Vorbilde immer leuchtendere
Farben! Verdunkeln wir den Andern durch unser Licht! Nein! Wir
wollen nicht um seinetwillen selber dunkler
werden, gleich allen Strafenden und Unzufriedenen! Gehen
wir lieber bei Seite! Sehen wir weg!
Nieuwe bedachtzaamheid. — Laten we niet meer zo veel
bezig zijn met straffen, berispen en verbeteren! Een individu
zullen we zelden veranderen; en als het ons toch zou lukken, dan
is er misschien onopgemerkt ook iets anders meegelukt: wij
zijn door hem veranderd! Laten we er veeleer op toezien dat onze
eigen invloed op alles wat komt , tegen zijn invloed
opweegt, en die overtreft! We moeten vermijden in een
rechtstreekse worsteling verzeild te raken! — dat is al dat
verwijten, straffen en beter willen maken. Laten we daarentegen
onszelf des te hoger verheffen! Laten we ons voorbeeld steeds
stralendere kleuren geven! Laten we de ander in het duister
zetten door ons licht! Nee! Omwille van hem willen we niet zelf
donkerder worden, zoals alle straffenden en
ontevredenen! Laten we liever opzij gaan ( afstand nemen ,
een stap opzij zetten ). Laten we wegkijken (de
andere kant opkijken )!
>
Gleichniss. — Jene Denker, in
denen alle Sterne sich in kyklischen Bahnen bewegen, sind
nicht die tiefsten; wer in sich wie in einen ungeheuren
Weltraum hineinsieht und Milchstrassen in sich trägt, der
weiss auch, wie unregelmässig alle Milchstrassen sind; sie
führen bis in’s Chaos und Labyrinth des Daseins hinein.
Glück im Schicksal. — Die
grösste Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns
eine Zeit lang auf der Seite unserer Gegner hat kämpfen
lassen. Damit sind wir vorherbestimmt
zu einem grossen Siege.
In media vita. — Nein! Das Leben
hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es
vielmehr wahrer, begehrenswerther und geheimnissvoller, — von
jenem Tage an, wo der grosse Befreier über mich kam, jener
Gedanke, dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein
dürfe — und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhängniss, nicht
eine Betrügerei! — Und die Erkenntniss selber: mag sie für
Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der
Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein
Müssiggang, — für mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege,
in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und Tummelplätze
haben. „ Das Leben ein Mittel der
Erkenntniss “ — mit diesem Grundsatze im Herzen
kann man nicht nur tapfer, sondern sogar fröhlich
leben und fröhlich lachen ! Und wer verstünde
überhaupt gut zu lachen und zu leben, der sich nicht vorerst auf
Krieg und Sieg gut verstünde?
In media vita . — Nee! Het
leven heeft me niet teleurgesteld! Van jaar tot jaar vind ik het
juist steeds echter, begeerlijker en mysterieuzer — vanaf de dag
waarop de grote bevrijder over me kwam: de gedachte, dat leven een
experiment van de kenniszoeker (
Erkennende )mag zijn — en
niet een plicht, een noodlot, een schijnvertoning! — En de
kennis/het inzicht zelf: voor anderen mag het een rustbed of de
weg naar een rustbed, of een vorm van vermaak, of van niets-doen,
— voor mij is het een wereld van gevaren en overwinningen, waarin
ook heroïsche gevoelens hun dans- en speelplaats hebben.
Het
leven een instrument van kennis ” – met dit grondbeginsel in
het hart kun je niet alleen moedig, maar zelfs
vrolijk leven
en vrolijk lachen ! Ja, kun je eigenlijk wel goed lachen en
leven, als je je niet eerst oorlog en overwinning hebt
eigengemaakt.
Was zur Grösse gehört. — Wer
wird etwas Grosses erreichen, wenn er nicht die Kraft und den
Willen in sich fühlt, grosse Schmerzen zuzufügen ?
Das Leidenkönnen ist das Wenigste: darin bringen es schwache
Frauen und selbst Sclaven oft zur Meisterschaft. Aber nicht an
innerer Noth und Unsicherheit zu Grunde gehn, wenn man grosses
Leid zufügt und den Schrei dieses Leides hört — das ist gross,
das gehört zur Grösse.
Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. —
Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine
gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie
befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte
radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen
Lehren ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang
hingehalten haben, ist zuletzt wirklich Etwas von jenem
Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie
übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit
sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben zu finden und
miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar
schwer auszuhalten
sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in
dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und
Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und
Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass
vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben
geredet werde, wie als ob es eine Sache der guten Lebensart
sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich
davon, dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel
giebt, wie Betäubungen, oder die fieberhafte Hast der
Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme
Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz
und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von Anästheticis haben:
während bei den höchsten Graden des Schmerzes schon von selber
Ohnmachten eintreten. Wir verstehen uns ganz gut darauf,
Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu träufeln, namentlich
auf die Bitternisse der Seele; wir haben Hülfsmittel in
unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren
Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist
kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns damit auch ein
Geschenk vom Himmel gefallen — eine neue Kraft zum Beispiel:
und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben
die Moralprediger vom inneren „Elend“ der bösen Menschen
phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der
leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen !
— ja, lügen ist hier das rechte Wort: sie haben um das
überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl gewusst,
aber es todtgeschwiegen, weil es eine Widerlegung ihrer
Theorie war, nach der alles Glück erst mit der Vernichtung der
Leidenschaft und dem Schweigen des Willens entsteht! Und was
zuletzt das Recept aller dieser Seelen-Aerzte betrifft und
ihre Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist es erlaubt,
zu fragen: ist dieses unser Leben wirklich schmerzhaft und
lästig genug, um mit Vortheil eine stoische Lebensweise und
Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir befinden uns
nicht schlecht genug , um uns
auf stoische Art schlecht befinden zu müssen!
Ernst nehmen. — Der Intellect
ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere und
knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie
nennen es „die Sache ernst
nehmen “, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten
und gut denken wollen — oh wie lästig muss ihnen das
Gut-Denken sein! Die liebliche Bestie Mensch verliert
jedesmal, wie es scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt;
sie wird „ernst“! Und „wo Lachen und Fröhlichkeit ist, da
taugt das Denken Nichts“: — so lautet das Vorurtheil dieser
ernsten Bestie gegen alle „fröhliche Wissenschaft“. — Wohlan!
Zeigen wir, dass es ein Vorurtheil ist!
Serieus nemen . — Bij de
meesten is het intellect een logge, sombere en knarsende machine,
die maar moeilijk op gang te brengen is: ze noemen het ‘de zaak serieus
nemen ’, wanneer ze met deze machine willen werken en goed
willen denken — oh, wat moet goed denken toch zwaar (lästig <
last) voor hen zijn! Het lieve beest mens lijkt elke keer zijn
goede humeur te verliezen als het goed nadenkt; het wordt
‘serieus’! En ‘waar gelach en vrolijkheid is, daar heeft het
denken niets te zoeken’: zo luidt het vooroordeel van dit serieuze
beest tegen alle ‘vrolijke wetenschap’. Welnu! Laten we aantonen
dat het een vooroordeel is!
Der Dummheit Schaden thun. —
Gewiss hat der so hartnäckig und überzeugt gepredigte Glaube
von der Verwerflichkeit des Egoismus im Ganzen dem Egoismus
Schaden gethan ( zu Gunsten ,
wie ich hundertmal wiederholen werde, der
Heerden-Instincte !), namentlich dadurch, dass er
ihm das gute Gewissen nahm und in ihm die eigentliche Quelle
alles Unglücks suchen hiess. „Deine Selbstsucht ist das Unheil
deines Lebens“ — so klang die Predigt Jahrtausende lang: es
that, wie gesagt, der Selbstsucht Schaden und nahm ihr viel
Geist, viel Heiterkeit, viel Erfindsamkeit, viel Schönheit, es
verdummte und verhässlichte und vergiftete die Selbstsucht! —
Das philosophische Alterthum lehrte dagegen eine andere
Hauptquelle des Unheils: von Sokrates an wurden die Denker
nicht müde, zu predigen: „eure Gedankenlosigkeit und Dummheit,
euer Dahinleben nach der Regel, eure Unterordnung unter die
Meinung des Nachbars ist der Grund, wesshalb ihr es so selten
zum Glück bringt, — wir Denker sind als Denker die
Glücklichsten.“ Entscheiden wir hier nicht, ob diese Predigt
gegen die Dummheit bessere Gründe für sich hatte, als jene
Predigt gegen die Selbstsucht; gewiss aber ist das, dass sie
der Dummheit das gute Gewissen nahm: — diese Philosophen haben
der Dummheit Schaden gethan .
De domheid schade berokkenen .
— Het zo hardnekkig en vol overtuiging gepredikte geloof van de
totale verwerpelijkheid van egoïsme heeft zeker schade toegebracht
aan het egoïsme (ten gunste van - zoals ik niet moe wordt te
herhalen -
de kudde-geest ). En wel met name omdat ze
het egoïsme van zijn goede geweten beroofde, en in haar aanwees
als de eigenlijke bron van alle ellende “Het komt door je
zelfzucht dat je leven in het ongeluk stort” — zo klonk het
duizenden jaren lang in de preek: zoals gezegd schaadde dit het
egoïsme: het beroofde haar van veel geest (esprit), veel
vrolijkheid, veel vindingrijkheid, veel schoonheid, het maakte de
zelfzucht dom, lelijk en vergiftigde het! In de filosofische
oudheid wees men daarentegen iets heel anders aan als hoofdbron
van het ongeluk: sinds Socrates werden de denkers niet moe om te
prediken: “Jullie gedachtenloosheid en domheid, dat jullie maar
gewoon voortleven volgens de regels, en je ondergeschikt maakt aan
de mening van de buren, dat is de reden waarom jullie het zo
zelden tot geluk brengen — wij denkers zijn de gelukkigsten, omdat
wij nadenken.” Enfin, laten we hier in het midden laten of deze
preek tegen domheid betere argumenten had dan die preek tegen het
zelfzucht; zeker is echter dat ze de domheid het goede geweten
ontnam: — deze filosofen hebben de domheid
schade berokkend.
1
329.
Musse und Müssiggang. — Es ist
eine indianerhafte, dem Indianer-Bluthe eigenthümliche
Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten:
und ihre athemlose Hast der Arbeit — das eigentliche Laster
der neuen Welt — beginnt bereits durch Ansteckung das alte
Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit
darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das
lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit
der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das
Börsenblatt gerichtet, — man lebt, wie Einer, der fortwährend
Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als
Nichts“ — auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller
Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und
so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu
Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das
Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der
Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten plumpen Deutlichkeit , in allen den
Lagen, wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im
Verkehre mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern,
Schülern, Führern und Fürsten, — man hat keine Zeit und keine
Kraft mehr für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit
Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für
alles Otium . Denn
das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu,
seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen
Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die
eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun,
als ein Anderer. Und so giebt es nur selten Stunden der
erlaubten Redlichkeit: in
diesen aber ist man müde und möchte sich nicht nur „gehen
lassen“, sondern lang und breit und plump sich hinstrecken . Gemäss diesem Hange
schreibt man jetzt seine Briefe ;
deren Stil und Geist immer das eigentliche „Zeichen der Zeit“
sein werden. Giebt es noch ein Vergnügen an Gesellschaft und
an Künsten, so ist es ein Vergnügen, wie es müde-gearbeitete
Sclaven sich zurecht machen. Oh über diese Genügsamkeit der
„Freude“ bei unsern Gebildeten und Ungebildeten! Oh über diese
zunehmende Verdächtigung aller Freude! Die Arbeit
bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der
Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“
und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es
seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer
Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen,
dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum
Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne
Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. — Nun!
Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte
Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Noth
ihn zum Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck
des Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: — das „Thun“
selber war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre
sind allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des
antiken Vorurtheils!
Beifall. — Der Denker bedarf
des Beifalls und des Händeklatschens nicht, vorausgesetzt,
dass er seines eigenen Händeklatschens sicher ist: diess aber
kann er nicht entbehren. Giebt es Menschen, welche auch dessen
und überhaupt jeder Gattung von Beifall entrathen könnten? Ich
zweifle: und selbst in Betreff der Weisesten sagt Tacitus, der
kein Verleumder der Weisen ist, quando etiam sapientibus
gloriae cupido novissima exuitur — das heisst bei ihm:
niemals.
Lieber taub, als betäubt. —
Ehemals wollte man sich einen Ruf
machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross
geworden ist, — es muss ein Geschrei
sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich überschreien,
und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden;
ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie
mehr. — Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den
Denker: er muss lernen, zwischen zwei Lärmen noch seine Stille
zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So
lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in
Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.
Die böse Stunde. — Es hat wohl
für jeden Philosophen eine böse Stunde gegeben, wo er dachte:
was liegt an mir, wenn man mir nicht auch meine schlechten
Argumente glaubt! — Und dann flog irgend ein schadenfrohes
Vögelchen an ihm vorüber und zwitscherte: „Was liegt an dir?
Was liegt an dir?“
Was heisst erkennen. — Non
ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt
Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist.
Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes,
als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar
werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich
widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-,
Verwünschen-wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss
jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das
Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand
der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine
Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten,
eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der
Gerechtigkeit und des Vertrags können alle diese Triebe sich
im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir,
denen nur die letzten Versöhnungsscenen und
Schluss-Abrechnungen dieses langen Processes zum Bewusstsein
kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versöhnliches,
Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben
Entgegengesetztes; während es nur ein gewisses
Verhalten der Triebe zu einander ist . Die
längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das
Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die
Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen
Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; ich meine aber,
diese Triebe, die hier mit einander kämpfen, werden recht wohl
verstehen, sich einander
dabei fühlbar zu machen und wehe zu thun —: jene gewaltige
plötzliche Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht
werden, mag da ihren Ursprung haben (es ist die Erschöpfung
auf dem Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm
kämpfenden Innern manches verborgene Heroenthum ,
aber gewiss nichts Göttliches, Ewig-in-sich-Ruhendes, wie
Spinoza meinte. Das bewusste
Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die
unkräftigste und desshalb auch die verhältnissmässig mildeste
und ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph
am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt
werden.
Man muss lieben lernen. — So
geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und Weise
überhaupt hören lernen ,
heraushören, unterscheiden, als ein Leben für sich isoliren
und abgrenzen; dann braucht es Mühe und guten Willen, sie zu
ertragen , trotz ihrer
Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck,
Mildherzigkeit gegen das Wunderliche an ihr zu üben: — endlich
kommt ein Augenblick, wo wir ihrer gewohnt
sind, wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie uns fehlen
würde, wenn sie fehlte; und nun wirkt sie ihren Zwang und
Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre
demüthigen und entzückten Liebhaber geworden sind, die nichts
Besseres von der Welt mehr wollen, als sie und wieder sie. —
So geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade so haben
wir alle Dinge, die wir jetzt lieben, lieben
gelernt . Wir werden schließlich immer für unseren
guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit, Sanftmüthigkeit gegen
das Fremde belohnt, indem das Fremde langsam seinen Schleier
abwirft und sich als neue unsägliche Schönheit darstellt: — es
ist sein Dank für
unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich selber liebt, wird es
auf diesem Wege gelernt haben: es giebt keinen anderen Weg.
Auch die Liebe muss man lernen.
Hoch die Physik! — Wie viel
Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den wenigen,
die es verstehen, — wie viele beobachten sich selber! „Jeder
ist sich selber der Fernste“ — das wissen alle Nierenprüfer,
zu ihrem Unbehagen; und der Spruch „erkenne dich selbst!“ ist,
im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet, beinahe eine
Bosheit. Dass es
aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht, dafür
zeugt Nichts mehr, als die Art, wie über das Wesen einer
moralischen Handlung fast von
Jedermann gesprochen wird, diese schnelle,
bereitwillige, überzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick,
ihrem Lächeln, ihrem gefälligen Eifer! Man scheint dir sagen
zu wollen: „Aber, mein Lieber, das gerade ist meine Sache! Du wendest dich mit
deiner Frage an Den, der antworten darf :
ich bin zufällig in Nichts so weise, wie hierin. Also: wenn
der Mensch urtheilt „ so ist es
recht “, wenn er darauf schliesst „ darum
muss es geschehen !“ und nun thut ,
was er dergestalt als recht erkannt und als nothwendig
bezeichnet hat, — so ist das Wesen seiner Handlung moralisch !“ Aber, mein Freund, du
sprichst mir da von drei Handlungen statt von einer: auch dein
Urtheilen zum Beispiel „so ist es recht“ ist eine Handlung, —
könnte nicht schon auf eine moralische und auf eine
unmoralische Weise geurtheilt werden? Warum
hältst du diess und gerade diess für recht? — „Weil mein
Gewissen es mir sagt; das Gewissen redet nie unmoralisch, es
bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!“ — Aber warum
hörst du auf die Sprache deines
Gewissens? Und inwiefern hast du ein Recht, ein solches
Urtheil als wahr und untrüglich anzusehen? Für diesen
Glauben — giebt es da kein
Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem intellectuellen
Gewissen? Einem Gewissen hinter deinem „Gewissen“? Dein
Urtheil „so ist es recht“ hat eine Vorgeschichte in deinen
Trieben, Neigungen, Abneigungen, Erfahrungen und
Nicht-Erfahrungen; „ wie
ist es da entstanden?“ musst du fragen, und hinterher noch: „ was treibt mich eigentlich, ihm
Gehör zu schenken?“ Du kannst seinem Befehle Gehör schenken,
wie ein braver Soldat, der den Befehl seines Offiziers
vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der befiehlt. Oder
wie ein Schmeichler und Feigling, der sich vor dem Befehlenden
fürchtet. Oder wie ein Dummkopf, welcher folgt, weil er Nichts
dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten kannst du deinem
Gewissen Gehör geben. Dass
du aber diess und jenes Urtheil als Sprache des Gewissens
hörst, also, dass
du Etwas als recht empfindest, kann seine Ursache darin haben,
dass du nie über dich nachgedacht hast und blindlings
annahmst, was dir als recht
von Kindheit an bezeichnet worden ist: oder darin, dass dir
Brod und Ehren bisher mit dem zu Theil wurde, was du deine
Pflicht nennst, — es gilt dir als „recht“, weil es dir
deine „Existenz-Bedingung“
scheint (dass du aber ein Recht
auf Existenz habest, dünkt dich unwiderleglich!). Die
Festigkeit deines moralischen
Urtheils könnte immer noch ein Beweis gerade von persönlicher
Erbärmlichkeit, von Unpersönlichkeit sein, deine „moralische
Kraft“ könnte ihre Quelle in deinem Eigensinn haben — oder in
deiner Unfähigkeit, neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt:
wenn du feiner gedacht, besser beobachtet und mehr gelernt
hättest, würdest du diese deine „Pflicht“ und diess dein
„Gewissen“ unter allen Umständen nicht mehr Pflicht und
Gewissen benennen: die Einsicht darüber, wie
überhaupt jemals moralische Urtheile entstanden sind ,
würde dir diese pathetischen Worte verleiden, — so wie dir
schon andere pathetische Worte, zum Beispiel „Sünde“,
„Seelenheil“, „Erlösung“ verleidet sind. — Und nun rede mir
nicht vom kategorischen Imperativ, mein Freund! — diess Wort
kitzelt mein Ohr, und ich muss lachen, trotz deiner so
ernsthaften Gegenwart: ich gedenke dabei des alten Kant, der,
zur Strafe dafür, dass er „das Ding an sich“ — auch eine sehr
lächerliche Sache! — sich erschlichen
hatte, vom „kategorischen Imperativ“ beschlichen wurde und mit
ihm im Herzen sich wieder zu „Gott“, „Seele“, „Freiheit“ und
„Unsterblichkeit“ zurückverirrte ,
einem Fuchse gleich, der sich in seinen Käfig zurückverirrt: —
und seine Kraft und
Klugheit war es gewesen, welche diesen Käfig erbrochen
hatte! — Wie? Du bewunderst den kategorischen Imperativ in
dir? Diese „Festigkeit“ deines sogenannten moralischen
Urtheils? Diese „Unbedingtheit“ des Gefühls „so wie ich,
müssen hierin Alle urtheilen“? Bewundere vielmehr deine
Selbstsucht darin! Und die
Blindheit, Kleinlichkeit und Anspruchslosigkeit deiner
Selbstsucht! Selbstsucht nämlich ist es, sein
Urtheil als Allgemeingesetz zu empfinden; und eine blinde,
kleinliche und anspruchslose Selbstsucht hinwiederum, weil sie
verräth, dass du dich selber noch nicht entdeckt, dir selber
noch kein eigenes, eigenstes Ideal geschaffen hast: — diess
nämlich könnte niemals das eines Anderen sein, geschweige denn
Aller, Aller! — — Wer noch urtheilt „so müsste in diesem Falle
Jeder handeln“, ist noch nicht fünf Schritt weit in der
Selbsterkenntniss gegangen: sonst würde er wissen, dass es
weder gleiche Handlungen giebt, noch geben kann, — dass jede
Handlung, die gethan worden ist, auf eine ganz einzige und
unwiederbringliche Art gethan wurde, und dass es ebenso mit
jeder zukünftigen Handlung stehen wird, — dass alle
Vorschriften des Handelns sich nur auf die gröbliche
Aussenseite beziehen (und selbst die innerlichsten und
feinsten Vorschriften aller bisherigen Moralen), — dass mit
ihnen wohl ein Schein der Gleichheit, aber
eben nur ein Schein erreicht werden kann, — dass
jede Handlung, beim
Hinblick oder Rückblick auf sie, eine undurchdringliche Sache
ist und bleibt, — dass unsere Meinungen von „gut“, „edel“,
„gross“ durch unsere Handlungen nie bewiesen
werden können, weil jede Handlung unerkennbar ist, — dass
sicherlich unsere Meinungen, Werthschätzungen und Gütertafeln
zu den mächtigsten Hebeln im Räderwerk unserer Handlungen
gehören, dass aber für jeden einzelnen Fall das Gesetz ihrer
Mechanik unnachweisbar ist. Beschränken
wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und
Werthschätzungen und auf die Schöpfung
neuer eigener Gütertafeln : — über den
„moralischen Werth unserer Handlungen“ aber wollen wir nicht
mehr grübeln! Ja, meine Freunde! In Hinsicht auf das ganze
moralische Geschwätz der Einen über die Andern ist der Ekel an
der Zeit! Moralisch zu Gericht sitzen soll uns wider den
Geschmack gehen! Ueberlassen wir diess Geschwätz und diesen
üblen Geschmack Denen, welche nicht mehr zu thun haben, als
die Vergangenheit um ein kleines Stück weiter durch die Zeit
zu schleppen und welche selber niemals Gegenwart sind, — den
Vielen also, den Allermeisten! Wir aber wollen
Die werden, die wir sind , — die Neuen, die
Einmaligen, die Unvergleichbaren, die
Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und
dazu müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles
Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir müssen
Physiker sein, um, in jenem
Sinne, Schöpfer
sein zu können, — während bisher alle Werthschätzungen und
Ideale auf Unkenntniss
der Physik oder im Widerspruch
mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und höher
noch das, was uns zu ihr zwingt ,
— unsre Redlichkeit!
Geiz der Natur. — Warum ist
die Natur so kärglich gegen den Menschen gewesen, dass sie ihn
nicht leuchten liess, Diesen mehr, Jenen weniger, je nach
seiner innern Lichtfülle? Warum haben grosse Menschen nicht
eine so schöne Sichtbarkeit in ihrem Aufgange und Niedergange,
wie die Sonne? Wie viel unzweideutiger wäre alles Leben unter
Menschen!
Die zukünftige „Menschlichkeit“. —
Wenn ich mit den Augen eines fernen Zeitalters nach diesem
hinsehe, so weiss ich an dem gegenwärtigen Menschen nichts
Merkwürdigeres zu finden, als seine eigenthümliche Tugend und
Krankheit, genannt „der historische Sinn“. Es ist ein Ansatz
zu etwas ganz Neuem und Fremdem in der Geschichte: gebe man
diesem Keime einige Jahrhunderte und mehr, so könnte daraus am
Ende ein wundervolles Gewächs mit einem eben so wundervollen
Geruche werden, um dessentwillen unsere alte Erde angenehmer
zu bewohnen wäre, als bisher. Wir Gegenwärtigen fangen eben
an, die Kette eines zukünftigen sehr mächtigen Gefühls zu
bilden, Glied um Glied, — wir wissen kaum, was wir thun. Fast
scheint es uns, als ob es sich nicht um ein neues Gefühl,
sondern um die Abnahme aller alten Gefühle handele: — der
historische Sinn ist noch etwas so Armes und Kaltes, und Viele
werden von ihm wie von einem Froste befallen und durch ihn
noch ärmer und kälter gemacht. Anderen erscheint er als das
Anzeichen des heranschleichenden Alters, und unser Planet gilt
ihnen als ein schwermüthiger Kranker, der, um seine Gegenwart
zu vergessen, sich seine Jugendgeschichte aufschreibt. In der
That: diess ist Eine Farbe dieses neuen Gefühls: wer die
Geschichte der Menschen insgesammt als eigene
Geschichte zu fühlen weiss, der empfindet in
einer ungeheuren Verallgemeinerung allen jenen Gram des
Kranken, der an die Gesundheit, des Greises, der an den
Jugendtraum denkt, des Liebenden, der der Geliebten beraubt
wird, des Märtyrers, dem sein Ideal zu Grunde geht, des Helden
am Abend der Schlacht, welche Nichts entschieden hat und doch
ihm Wunden und den Verlust des Freundes brachte —; aber diese
ungeheure Summe von Gram aller Art tragen, tragen können und
nun doch noch der Held sein, der beim Anbruch eines zweiten
Schlachttages die Morgenröthe und sein Glück begrüsst, als der
Mensch eines Horizontes von Jahrtausenden vor sich und hinter
sich, als der Erbe aller Vornehmheit alles vergangenen Geistes
und der verpflichtete Erbe, als der Adeligste aller alten
Edlen und zugleich der Erstling eines neuen Adels, dessen
Gleichen noch keine Zeit sah und träumte: diess Alles auf
seine Seele nehmen, Aeltestes, Neuestes, Verluste, Hoffnungen,
Eroberungen, Siege der Menschheit: diess Alles endlich in
Einer Seele haben und in Ein Gefühl zusammendrängen: — diess
müsste doch ein Glück ergeben, das bisher der Mensch noch
nicht kannte, — eines Gottes Glück voller Macht und Liebe,
voller Thränen und voll Lachens, ein Glück, welches, wie die
Sonne am Abend, fortwährend aus seinem unerschöpflichen
Reichthume wegschenkt und in’s Meer schüttet und, wie sie,
sich erst dann am reichsten fühlt, wenn auch der ärmste
Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Dieses göttliche
Gefühl hiesse dann — Menschlichkeit!
Der Wille zum Leiden und die Mitleidigen. —
Ist es euch selber zuträglich, vor Allem mitleidige Menschen
zu sein? Und ist es den Leidenden zuträglich, wenn ihr es
seid? Doch lassen wir die erste Frage für einen Augenblick
ohne Antwort. — Das, woran wir am tiefsten und persönlichsten
leiden, ist fast allen Anderen unverständlich und
unzugänglich: darin sind wir dem Nächsten verborgen, und wenn
er mit uns aus Einem Topfe isst. Ueberall aber, wo wir als
Leidende bemerkt
werden, wird unser Leiden flach ausgelegt; es gehört zum Wesen
der mitleidigen Affection, dass sie das fremde Leid des
eigentlich Persönlichen entkleidet :
— unsre „Wohlthäter“ sind mehr als unsre Feinde die
Verkleinerer unsres Werthes und Willens. Bei den meisten
Wohlthaten, die Unglücklichen erwiesen werden, liegt etwas
Empörendes in der intellectuellen Leichtfertigkeit, mit der da
der Mitleidige das Schicksal spielt: er weiss Nichts von der
ganzen inneren Folge und Verflechtung, welche Unglück für
mich oder für dich
heisst! Die gesammte Oekonomie meiner Seele und deren
Ausgleichung durch das „Unglück“, das Aufbrechen neuer Quellen
und Bedürfnisse, das Zuwachsen alter Wunden, das Abstossen
ganzer Vergangenheiten — das Alles, was mit dem Unglück
verbunden sein kann, kümmert den lieben Mitleidigen nicht: er
will helfen und
denkt nicht daran, dass es eine persönliche Nothwendigkeit des
Unglücks giebt, dass mir und dir Schrecken, Entbehrungen,
Verarmungen, Mitternächte, Abenteuer, Wagnisse, Fehlgriffe so
nöthig sind, wie ihr Gegentheil, ja dass, um mich mystisch
auszudrücken, der Pfad zum eigenen Himmel immer durch die
Wollust der eigenen Hölle geht. Nein, davon weiss er Nichts:
die „Religion des Mitleidens“ (oder „das Herz“) gebietet, zu
helfen, und man glaubt am besten geholfen zu haben, wenn man
am schnellsten geholfen hat! Wenn ihr Anhänger dieser Religion
die selbe Gesinnung, die ihr gegen die Mitmenschen habt, auch
wirklich gegen euch selber habt, wenn ihr euer eigenes Leiden
nicht eine Stunde auf euch liegen lassen wollt und immerfort
allem möglichen Unglücke von ferne her schon vorbeugt, wenn
ihr Leid und Unlust überhaupt als böse, hassenswerth,
vernichtungswürdig, als Makel am Dasein empfindet: nun, dann
habt ihr, ausser eurer Religion des Mitleidens, auch noch eine
andere Religion im Herzen, und diese ist vielleicht die Mutter
von jener: — die Religion der
Behaglichkeit . Ach, wie wenig wisst ihr vom
Glücke des Menschen, ihr
Behaglichen und Gutmüthigen! — denn das Glück und das Unglück
sind zwei Geschwister und Zwillinge, die mit einander gross
wachsen oder, wie bei euch, mit einander — klein
bleiben ! Aber nun zur ersten Frage zurück. — Wie
ist es nur möglich, auf seinem
Wege zu bleiben! Fortwährend ruft uns irgend ein Geschrei
seitwärts; unser Auge sieht da selten Etwas, wobei es nicht
nöthig wird, augenblicklich unsre eigne Sache zu lassen und
zuzuspringen. Ich weiss es: es giebt hundert anständige und
rühmliche Arten, um mich von
meinem Wege zu verlieren, und wahrlich höchst
„moralische“ Arten! Ja, die Ansicht der jetzigen
Mitleid-Moralprediger geht sogar dahin, dass eben Diess und
nur Diess allein moralisch sei: — sich dergestalt von
seinem Wege zu verlieren und
dem Nächsten beizuspringen. Ich weiss es ebenso gewiss: ich
brauche mich nur dem Anblicke einer wirklichen Noth
auszuliefern, so bin
ich auch verloren! Und wenn ein leidender Freund zu mir sagte:
„Siehe, ich werde bald sterben; versprich mir doch, mit mir zu
sterben“ — ich verspräche es, ebenso wie mich der Anblick
jenes für seine Freiheit kämpfenden Bergvölkchens dazu bringen
würde, ihm meine Hand und mein Leben anzubieten: — um einmal
aus guten Gründen schlechte Beispiele zu wählen. Ja, es giebt
eine heimliche Verführung sogar in alle diesem
Mitleid-Erweckenden und Hülfe-Rufenden: eben unser „eigener
Weg“ ist eine zu harte und anspruchsvolle Sache und zu ferne
von der Liebe und Dankbarkeit der Anderen, — wir entlaufen ihm
gar nicht ungerne, ihm und unserm eigensten Gewissen, und
flüchten uns unter das Gewissen der Anderen und hinein in den
lieblichen Tempel der „Religion des Mitleidens“. Sobald jetzt
irgend ein Krieg ausbricht, so bricht damit immer auch gerade
in den Edelsten eines Volkes eine freilich geheim gehaltene
Lust aus: sie werfen sich mit Entzücken der neuen Gefahr des
Todes entgegen, weil sie in der
Aufopferung für das Vaterland endlich jene lange gesuchte
Erlaubniss zu haben glauben — die Erlaubniss, ihrem Ziele auszuweichen : — der
Krieg ist für sie ein Umweg zum Selbstmord, aber ein Umweg mit
gutem Gewissen. Und, um hier Einiges zu verschweigen: so will
ich doch meine Moral nicht verschweigen, welche zu mir sagt:
Lebe im Verborgenen, damit du dir leben kannst !
Lebe unwissend über
Das, was deinem Zeitalter das Wichtigste dünkt! Lege zwischen
dich und heute wenigstens die Haut von drei Jahrhunderten! Und
das Geschrei von heute, der Lärm der Kriege und Revolutionen,
soll dir ein Gemurmel sein! Du wirst auch helfen wollen: aber
nur Denen, deren Noth du ganz verstehst ,
weil sie mit dir Ein Leid und Eine Hoffnung haben — deinen
Freunden : und nur auf die
Weise, wie du dir selber hilfst: — ich will sie muthiger,
aushaltender, einfacher, fröhlicher machen! Ich will sie Das
lehren, was jetzt so Wenige verstehen und jene Prediger des
Mitleidens am wenigsten: — die
Mitfreude !
Vita femina. — Die letzten
Schönheiten eines Werkes zu sehen — dazu reicht alles Wissen
und aller guter Wille nicht aus; es bedarf der seltensten
glücklichen Zufälle, damit einmal der Wolkenschleier von
diesen Gipfeln für uns weiche und die Sonne auf ihnen glühe.
Nicht nur müssen wir gerade an der rechten Stelle stehen,
diess zu sehen: es muss gerade unsere Seele selber den
Schleier von ihren Höhen weggezogen haben und eines äusseren
Ausdruckes und Gleichnisses bedürftig sein, wie um einen Halt
zu haben und ihrer selber mächtig zu bleiben. Diess Alles aber
kommt so selten gleichzeitig zusammen, dass ich glauben
möchte, die höchsten Höhen alles Guten, sei es Werk, That,
Mensch, Natur, seien bisher für die Meisten und selbst für die
Besten etwas Verborgenes und Verhülltes gewesen: — was sich
aber uns enthüllt, das enthüllt
sich uns Ein Mal ! — Die Griechen beteten wohl:
„Zwei und drei Mal alles Schöne!“ Ach, sie hatten da einen
guten Grund, Götter anzurufen, denn die ungöttliche
Wirklichkeit giebt uns das Schöne gar nicht oder Ein Mal! Ich
will sagen, dass die Welt übervoll von schönen Dingen ist,
aber trotzdem arm, sehr arm an schönen Augenblicken und
Enthüllungen dieser Dinge. Aber vielleicht ist diess der
stärkste Zauber des Lebens: es liegt ein golddurchwirkter
Schleier von schönen Möglichkeiten über ihm, verheissend,
widerstrebend, schamhaft, spöttisch, mitleidig, verführerisch.
Ja, das Leben ist ein Weib!
Der sterbende Sokrates. — Ich
bewundere die Tapferkeit und Weisheit des Sokrates in Allem,
was er that, sagte — und nicht sagte. Dieser spöttische und
verliebte Unhold und Rattenfänger Athens, der die
übermüthigsten Jünglinge zittern und schluchzen machte, war
nicht nur der weiseste Schwätzer, den es gegeben hat: er war
ebenso gross im Schweigen. Ich wollte, er wäre auch im letzten
Augenblicke des Lebens schweigsam gewesen, — vielleicht
gehörte er dann in eine noch höhere Ordnung der Geister. War
es nun der Tod oder das Gift oder die Frömmigkeit oder die
Bosheit — irgend Etwas löste ihm in jenem Augenblick die Zunge
und er sagte: „Oh Kriton, ich bin dem Asklepios einen Hahn
schuldig“. Dieses lächerliche und furchtbare „letzte Wort“
heisst für Den, der Ohren hat: „Oh Kriton, das
Leben ist eine Krankheit !“ Ist es möglich! Ein
Mann, wie er, der heiter und vor Aller Augen wie ein Soldat
gelebt hat, — war Pessimist! Er hatte eben nur eine gute Miene
zum Leben gemacht und zeitlebens sein letztes Urtheil, sein
innerstes Gefühl versteckt! Sokrates, Sokrates hat am Leben gelitten ! Und er hat noch
seine Rache dafür genommen — mit jenem verhüllten,
schauerlichen, frommen und blasphemischen Worte! Musste ein
Sokrates sich auch noch rächen? War ein Gran Grossmuth zu
wenig in seiner überreichen Tugend? — Ach Freunde! Wir müssen
auch die Griechen überwinden!
Das grösste Schwergewicht. —
Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine
einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: „Dieses Leben,
wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und
noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran
sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und
Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss
dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge — und
ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen,
und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr
des Daseins wird immer wieder umgedreht — und du mit ihr,
Stäubchen vom Staube!“ — Würdest du dich nicht niederwerfen und
mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so
redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt,
wo du ihm antworten würdest: „du bist ein Gott und nie hörte ich
Göttlicheres!“ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er
würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen;
die Frage bei Allem und Jedem „willst du diess noch einmal und
noch unzählige Male?“ würde als das grösste Schwergewicht auf
deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem
Leben gut werden, um nach Nichts mehr
zu verlangen , als nach dieser letzten ewigen
Bestätigung und Besiegelung?
[Nederlandse vertaling hier]
Incipit
tragoedia. — Als Zarathustra dreissig Jahr alt war,
verliess er seine Heimath und den See Urmi und gieng in das
Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und
wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich
sein Herz, — und eines Morgens stand er mit der Morgenröthe auf,
trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: „Du grosses
Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen
du leuchtest! Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du
würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne
mich, meinen Adler und meine Schlange; aber wir warteten deiner an
jedem Morgen, nahmen dir deinen Ueberfluss ab und segneten dich
dafür. Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene,
die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die
sich ausstrecken, ich möchte verschenken und austheilen, bis die
Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die
Armen wieder einmal ihres Reichthums froh geworden sind. Dazu muss
ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter
das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du
überreiches Gestirn! — ich muss, gleich dir, untergehen
, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will. So
segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein
allzugrosses Glück sehen kann! Segne den Becher, welcher
überfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse und
überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher
will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch
werden.“ — Also begann Zarathustra’s Untergang.
Incipit tragoedia. - Toen Zarathustra dertig jaar oud
was, verliet hij zijn vaderland en het meer van Urmi en ging het
gebergte in. Hier genoot hij zijn geest en zijn eenzaamheid, en
tien jaar lang werd hij dit niet moe. Tenslotte echter
veranderde zijn hart, - en op een morgen stond hij op bij het
ochtendgloren, trad voor de zon en sprak tot haar aldus: ‘Gij
grote ster! Wat zou uw geluk zijn, als gij hen niet hadt, over
wie gij schijnt! Tien jaren kwaamt gij hier op, bij mijn grot;
gij zoudt uw licht en deze weg beu geworden zijn, zonder mij,
mijn arend en mijn slang. Maar wij wachtten op u, elke morgen,
namen deel aan uw overvloed (abnehmen hoeft niet
negatief te zijn), en zegenden u daarvoor. Ziet! Ik heb genoeg
van mijn wijsheid, gelijk de bij, die te veel honing verzameld
heeft, ik heb behoefte aan handen, die zich uitstrekken, ik wil
wegschenken en uitdelen, totdat de wijzen onder de mensen
andermaal vrede gevonden hebben met hun dwaasheid en de armen
met hun rijkdom. Daartoe moet ik afdalen naar de diepte: gelijk
gij des avonds doet, wanneer gij achter de zee afdaalt en zelfs
de onderwereld van licht voorziet, gij overrijke ster! Ik moet,
evenals gij, ondergaan , zoals de mensen het noemen,
naar wie ik wens af te dalen. Zegen mij derhalve, gij vredig
oog, dat ook zonder nijd een al te groot geluk kan aanzien!
Zegen de beker, die wil overvloeien: dat het water in gulden
pracht uit hem strome en zo de afglans uwer zaligheid alom
verspreide! Ziet! Deze beker wil weer leeg worden, en
Zarathustra wil weer mens worden.’ - Aldus begon Zarathustra’s
ondergang.
Dit aforisme - met een kleine wijziging in de
eerste zin - opent ook Nietzsche's grote werk: Also sprach
Zarathustra (1883). Voor de aardigheid geef ik de twee meest
recente vertalingen die van dat werk in omloop zijn:
Vertaling: W. Oranje m.m. (uit “Aldus
Sprak Zarathoestra”, 2006/2025)
Toen Zarathoestra dertig jaar oud was, verliet
hij zijn vaderland en het meer Urmi en trok het gebergte
in. Hij proefde hier de vreugden van zijn geest en zijn eenzaamheid
en werd ze tien jaar lang niet moe. Eindelijk echter onderging hij
een verandering in zijn hart, — en op een ochtend stond hij met het
morgenrood op, trad de zon tegemoet en sprak haar aldus toe: ‘O
groot gesternte! Wat zou jouw geluk zijn als je hen niet had voor
wie jij straalt! Tien jaar lang kwam je hierboven naar mijn grot: je
licht en deze weg zou jij moe zijn geworden zonder mij, mijn adelaar
en mijn slang. Maar we wachtten jou elke ochtend op, namen van je
overvloed en zegenden jou hierom. Zie! Ik ben mijn wijsheid zat, als
de bij die te veel honing heeft vergaard, ik heb handen nodig die
zich uitstrekken. Ik zou graag weggeven en uitdelen, tot ooit de
wijzen onder de mensen in hun dwaasheid, en de armen in hun rijkdom
weer vreugde hebben gevonden. Daartoe moet ik in de diepte afdalen:
zoals jij ’s avonds doet als je heengaat achter de zee en nog aan de
onderwereld licht brengt, o overrijk gesternte! — Zoals jij moet ik
ondergaan , zoals de mensen het noemen tot wie ik omlaag wil.
Zegen mij dus, o kalm oog, dat zonder afgunst ook al te groot geluk
kan aanzien! Zegen de beker die wil overvloeien, opdat het water als
goud eraan ontvloeit en het de weerglans van jouw verrukking overal
heen zal dragen! Zie! Deze beker wil leeg worden, en Zarathoestra
wil weer mens worden.’ — Aldus begon Zarathoestra’s ondergang.
Vertaling Ria van Hengel m.m. (uit “Zo
sprak Zarathoestra”, 2016)
Toen Zarathoestra dertig jaar oud was, verliet
hij zijn vaderland en het meer Urmi en trok hij het
gebergte in. Daar genoot hij van zijn geest en van zijn eenzaamheid
en tien jaar lang werd hij dat niet moe. Maar ten slotte veranderde
zijn hart, – en op een morgen stond hij bij het ochtendgloren op,
hij ging voor de zon staan en sprak tot haar: ‘O grote ster! Waar
zou uw geluk zijn zonder hen die u beschijnt! Tien jaar lang kwam u
hier naar mijn grot. U zou het beu zijn geworden om te schijnen en
die weg af te leggen als ik, mijn adelaar en mijn slang er niet
waren geweest. Maar wij wachtten elke morgen op u, namen van uw
overvloed en prezen u daarom. Zie! Ik heb genoeg van mijn wijsheid,
zoals bijen die te veel honing hebben verzameld. Ik heb handen nodig
die zich uitstrekken. Ik wil weggeven en uitdelen totdat ooit de
wijzen onder de mensen zich weer verheugen in hun dwaasheid en de
armen in hun rijkdom. Daartoe moet ik afdalen naar de diepte, zoals
u ’s avonds doet wanneer u ondergaat achter de zee om ook nog licht
te brengen aan de onderwereld, o overvloedige ster! — Ik moet, net
zoals u, ondergaan, zoals de mensen het noemen naar wie ik wil
afdalen. Dus zegen mij, o rustig oog, dat zonder jaloezie zelfs een
te groot geluk kan aanzien! Zegen de beker die zal óverstromen,
opdat het water eruit vloeit als goud en overal de weerschijn van uw
gelukzaligheid verspreidt! Zie! Deze beker wil weer leeg worden, en
Zarathoestra wil weer mens worden.’ — Zo begon Zarathoestra’s
ondergang.
Explicit liber iste.
AD 1882
⁂
continuatio
huius operis.
AD 1887