Vertaalproject van de 342 aforismen/gedachten
(verdeeld over vier boeken) van de eerste editie, 1882. Het
vijfde boek en de liederen van Prins Vogelvrij laat ik buiten beschouwing.
Ze zijn van later datum (d.w.z. in 1887 bij de tweede editie aan dit boek toegevoegd). Hoe,
wat, waarom, kunt u lezen in een korte
toelichting . Verder zult u vergeefs zoeken naar een vertaling van de
Reimen en Lieder waarmee het boek opent. Als ik
gedichten vertaal levert dat proza op, of rijmpjes, beide niet gewenst. Tot nu toe ben ik vooral actief in boek III en IV, zeer aangenaam en uitdagend.
Omdat Nietzsche's Duits onvertaalbaar is - echt waar, het is de eenheid van betekenis, klank, ritme that drives the message home ) publiceer ik de originele tekst
naast de vertaling.
Inhoudsopgave (click to expand)
Erstes Buch §
Zweites Buch §
Drittes Buch §
Viertes Buch. Sanctus Januarius §
[1]
Die Lehrer vom Zwecke des Daseins. — Ich mag nun mit
gutem oder bösem Blicke auf die Menschen sehen, ich finde sie immer
bei Einer Aufgabe, Alle und jeden Einzelnen in Sonderheit: Das zu
thun, was der Erhaltung der menschlichen Gattung frommt. Und zwar
wahrlich nicht aus einem Gefühl der Liebe für diese Gattung, sondern
einfach, weil Nichts in ihnen älter, stärker, unerbittlicher,
unüberwindlicher ist, als jener Instinct, — weil dieser Instinct
eben das Wesen unserer Art
und Heerde ist. Ob man schon schnell genug mit der üblichen
Kurzsichtigkeit auf fünf Schritt hin seine Nächsten säuberlich in
nützliche und schädliche, gute und böse Menschen auseinander zu
thun pflegt, bei einer Abrechnung im Grossen, bei einem längeren
Nachdenken über das Ganze wird man gegen dieses Säubern und
Auseinanderthun misstrauisch und lässt es endlich sein. Auch der
schädlichste Mensch ist vielleicht immer noch der
allernützlichste, in Hinsicht auf die Erhaltung der Art; denn er
unterhält bei sich oder, durch seine Wirkung, bei Anderen Triebe,
ohne we lche die Menschheit längst erschlafft oder
verfault wäre. Der Hass, die Schadenfreude, die Raub- und
Herrschsucht und was Alles sonst böse genannt wird: es gehört zu der
erstaunlichen Oekonomie der Arterhaltung, freilich zu einer
kostspieligen, verschwenderischen und im Ganzen höchst thörichten
Oekonomie: — welche aber bewiesener Maassen unser Geschlecht bisher
erhalten hat. Ich weiss nicht mehr, ob du, mein lieber Mitmensch und
Nächster, überhaupt zu Ungunsten der Art, also „unvernünftig“ und
„schlecht“ leben kannst; Das, was der Art hätte schaden können, ist
vielleicht seit vielen Jahrtausenden schon ausgestorben und gehört
jetzt zu den Dingen, die selbst bei Gott nicht mehr möglich sind.
Hänge deinen b esten oder deinen schlechtesten Begierden
nach und vor Allem: geh’ zu Grunde! — in Beidem bist du
wahrscheinlich immer noch irgendwie der Förderer und Wohlthäter
der Menschheit und darfst dir daraufhin deine Lobredner halten —
und ebenso deine Spötter! Aber du wirst nie den finden, der dich,
den Einzelnen, auch in deinem Besten ganz zu verspotten verstünde,
der deine grenzenlose Fliegen- und Frosch-Armseligkeit dir so
genügend, wie es sich mit der Wahrheit vertrüge, zu Gemüthe führen
könnte! Ueber sich selber lachen, wie man lachen müsste, um
aus der ganzen Wahrheit heraus
zu lachen, — dazu hatten bisher die Besten nicht genug
Wahrheitssinn und die Begabtesten viel zu wenig Genie! Es giebt
vielleicht auch für das Lachen noch eine Zukunft! Dann, wenn der
Satz „die Art ist Alles, Einer ist immer Keiner“ — sich der
Menschheit einverleibt hat und Jedem jederzeit der Zugang zu
dieser letzten Befreiung und Unverantwortlichkeit offen steht.
Vielleicht wird sich dann das Lachen mit der Weisheit verbündet
haben, vielleicht giebt es dann nur noch „fröhliche Wissenschaft“.
Einstweilen ist es noch ganz anders, einstweilen ist die Komödie
des Daseins sich selber noch nicht „bewusst geworden“, einstweilen
ist es immer noch die Zeit der Tragödie, die Zeit der Moralen und
Religionen. Was bedeutet das immer neue Erscheinen jener Stifter
der Moralen und Religionen, jener Urheber des Kampfes um sittliche
Schätzungen, jener Lehrer der Gewissensbisse und der
Religionskriege? Was bedeuten diese Helden auf dieser Bühne? Denn
es waren bisher die Helden derselben, und alles Uebrige,
zeitweilig allein Sichtbare und Allzunahe, hat immer nur zur
Vorbereitung dieser Helden gedient, sei es als Maschinerie und
Coulisse oder in der Rolle von Vertrauten und Kammerdienern. (Die
Poeten zum Beispiel waren immer die Kammerdiener irgend einer
Moral.) — Es versteht sich von selber, dass auch diese Tragöden im
Interesse der Art
arbeiten, wenn sie auch glauben mögen, im Interesse Gottes und als
Sendlinge Gottes zu arbeiten. Auch sie fördern das Leben der
Gattung, indem sie den Glauben an
das Leben fördern . „Es ist werth zu leben — so
ruft ein Jeder von ihnen — es hat Etwas auf sich mit diesem Leben,
das Leben hat Etwas hinter sich, unter sich, nehmt euch in Acht!“
Jener Trieb, welcher in den höchsten und gemeinsten Menschen
gleichmässig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit
zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat
dann ein glänzendes Gefolge von Gründen um sich und will mit aller
Gewalt vergessen machen, dass er im Grunde Trieb, Instinct,
Thorheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben
soll geliebt werden,
denn ! Der Mensch
soll sich und seinen Nächsten fördern, denn ! Und wie alle diese Soll’s
und Denn’s heissen und in Zukunft noch heissen mögen! Damit Das,
was nothwendig und immer, von sich aus und ohne allen Zweck
geschieht, von jetzt an auf einen Zweck hin gethan erscheine und
dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte, — dazu
tritt der ethische Lehrer auf, als der Lehrer vom Zweck des
Daseins; dazu erfindet er ein zweites und anderes Dasein und hebt
mittelst seiner neuen Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus
seinen alten gemeinen Angeln. Ja! er will durchaus nicht, dass wir
über das Dasein lachen
, noch auch über uns, — noch auch über ihn; für ihn ist Einer
immer Einer, etwas Erstes und Letztes und Ungeheures, für ihn
giebt es keine Art, keine Summen, keine Nullen. Wie thöricht und
schwärmerisch auch seine Erfindungen und Schätzungen sein mögen,
wie sehr er den Gang der Natur verkennt und ihre Bedingungen
verleugnet: — und alle Ethiken waren zeither bis zu dem Grade
thöricht und widernatürlich, dass an jeder von ihnen die
Menschheit zu Grunde gegangen sein würde, falls sie sich der
Menschheit bemächtigt hätte — immerhin! jedesmal wenn „der Held“
auf die Bühne trat, wurde etwas Neues erreicht, das schauerliche
Gegenstück des Lachens, jene tiefe Erschütterung vieler Einzelner
bei dem Gedanken: „ja, es ist werth zu leben! ja, ich bin werth zu
leben!“ — das Leben und ich und du und wir Alle einander wurden
uns wieder einmal für einige Zeit
interessant . — Es ist nicht zu leugnen, dass
auf die Dauer über jeden
Einzelnen dieser grossen Zwecklehrer bisher das Lachen und die
Vernunft und die Natur Herr geworden ist: die kurze Tragödie gieng
schliesslich immer in die ewige Komödie des Daseins über und
zurück, und die „Wellen unzähligen Gelächters“ — mit Aeschylus zu
reden — müssen zuletzt auch über den grössten dieser Tragöden noch
hinwegschlagen. Aber bei alle diesem corrigirenden Lachen ist im
Ganzen doch durch diess immer neue Erscheinen jener Lehrer vom
Zweck des Daseins die menschliche Natur verändert worden, — sie
hat jetzt ein Bedürfniss mehr, eben das Bedürfniss nach dem immer
neuen Erscheinen solcher Lehrer und Lehren vom „Zweck“. Der Mensch
ist allmählich zu einem phantastischen Thiere geworden, welches
eine Existenz-Bedingung mehr, als jedes andere Thier, zu erfüllen
hat: der Mensch muss
von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen,
warum er existirt, seine Gattung kann nicht
gedeihen ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben
an die Vernunft im Leben
! Und immer wieder wird von Zeit zu Zeit das menschliche
Geschlecht decretiren: „es giebt Etwas, über das absolut nicht
mehr gelacht werden darf!“ Und der vorsichtigste Menschenfreund
wird hinzufügen: „nicht nur das Lachen und die fröhliche Weisheit,
sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft
gehört unter die Mittel und Nothwendigkeiten der Arterhaltung!“ —
Und folglich! Folglich! Folglich! Oh versteht ihr mich, meine
Brüder? Versteht ihr dieses neue Gesetz der Ebbe und Fluth? Auch
wir haben unsere Zeit!
[1]
Zij die leren dat het bestaan een doel heeft en het leven
een zin. - Of ik nu met goedgunstige of boosaardige blik
naar de mensen kijk — ze zijn altijd, allemaal en zonder
uitzondering, bezig met één en dezelfde opdracht: Doen wat dient
tot de instandhouding van de menselijke soort. En dat niet uit
liefde voor deze soort, maar eenvoudigweg omdat niets in hen
ouder, sterker, onverbiddelijker is dan dat instinct — dat
instinct dat juist het wezen van onze soort, onze
kudde uitmaakt. Wat de soort had kunnen schaden, is wellicht sinds
vele millennia al uitgestorven — behoort tot de dingen die zelfs
voor God niet meer mogelijk zijn.
Om/met zichzelf lachen, dat zou men moeten doen om vanuit
de volle waarheid te lachen! — Maar tot op heden hebben
daartoe zelfs de besten niet genoeg gevoel voor de waarheid gehad,
en de begaafdsten veel te weinig vernuft. Voor het lachen is vast
nog een toekomst weggelegd, maar dan moet de stelling “de soort is
alles, de enkeling niets” de mensen zo eigen zijn geworden, dat
iedereen altijd kan grijpen naar deze ultieme daad van bevrijdende
onverantwoordelijkheid. Dan zal het lachen zich wellicht met de
wijsheid hebben verbonden. Dan zal er enkel nog 'vrolijke
wetenschap' zijn. Vooralsnog is het nog anders. Vooralsnog is de
de komedie van het bestaan zich nog niet van zichzelf bewust —
vooralsnog is het nog steeds het tijdperk van de tragedie, de tijd
van moraal en religie. Wat wil dat toch beduiden, dat er steeds
weer nieuwe stichters van moraal en geloof opduiken, uitvinders
van gewetenswroeging en heilige oorlogen? Wat betekenen die helden
op dit toneel? Want tot nu toe waren zij de helden ervan; al het
overige — wat soms zichtbaar was, of te dicht op de voorgrond
stond — heeft altijd alleen maar gediend om op de verschijning van
deze helden voor te bereiden, hetzij als machinerie en
coulisse (techn.term. voor 'toneelmechaniek en
decorstukken'), hetzij in de rol van vertrouwelingen en
kamerdienaren. (De dichters zijn bijvoorbeeld altijd de
kamerdienaren van een of andere moraal geweest.) Het spreekt voor
zich dat ook deze treurspelacteurs in het belang van de
soort actief zijn — ook al geloven ze zelf graag dat ze
handelen in het belang van God, als zijn gezanten. Ook zij
bevorderen het leven van de soort, doordat zij het geloof in
het leven bevorderen . “Het is de moeite waard om te
leven!” — zo roept ieder van hen — “Het leven heeft betekenis, er
steekt iets in dit leven! Er zit iets achter, onder dit leven —
neem u in acht!”
Opdat wat noodzakelijk en eeuwig, uit zichzelf en zonder doel
geschiedt, voortaan zou lijken te geschieden met een doel, en de
mens het als redelijlk en als hoogste gebod zou verstaan — daarvoor
komt nu de ethische leermeester op het toneel, de leermeester van de
zin van het bestaan. Hiervoor verzint hij een tweede, ander bestaan,
en tilt met zijn nieuwe mechaniek het oude, gewone leven uit zijn
gewone hengsels. Ja — hij wil volstrekt niet dat wij
lachen
om het bestaan, netzomin als om onszelf, of om hem.
En telkens als “de held” het toneel betrad, werd er iets nieuws
bereikt — het huiveringwekkende tegendeel van lachen: een diepe
ontroering van vele enkelingen bij die ene gedachte: “Ja, het is
de moeite waard te leven! Ja, ík ben het waard te leven!” — het
leven en ik en jij en wij allen tesamen werden weer enige tijd
interessant, voor onszelf. Het valt niet te ontkennen:
op den duur is over elk deze grote doel-leermeesters het
lachen, de rede en de natuur heer en meester geworden. De korte
tragedie ging uiteindelijk altijd over in de eeuwige komedie van
het bestaan em viel daarin terug, en “ontelbare lach-golven” — om
met Aischylos te spreken — zullen uiteindelij ook over de grootste
van deze treurspelacteurs heenslaan. Maar ondanks al
dat corrigerende lachen is de menselijke natuur wél veranderd: zij
heeft er een behoefte bij gekregen — de behoefte aan het steeds
opnieuw verschijnen van zulke leermeesters van het “doel” en de
bijbehorende theorieën. De mens is gaandeweg een fantastisch dier
geworden, dat een bestaansvoorwaarde meer heeft dan elk ander dier
: de mens moet van tijd tot tijd geloven dat hij weet waarom
hij bestaat. Zijn soort kan niet gedijen zonder een
periodiek vertrouwen in het leven — zonder geloof aan de
redelijkheid van het leven ('Vernunft im Leben'). En
telkens opnieuw zal het menselijk geslacht besluiten: “Er is iets
waarmee absoluut niet meer gelachen mag worden!” En de
voorzichtigste mensenvriend mens zal toevoegen: “Niet alleen het
lachen en de vrolijke wijsheid, maar ook het tragische — met al
zijn verheven onredelijkheid — behoort tot de middelen en de
noodzakelijkheden van het behoud van de soort.”
En dus — dus — dus! Begrijpt gij mij, mijn broeders? Begrijpt gij
deze nieuwe wet van eb en vloed? Ook onze tijd komt nog.
[2]
Das intellectuale Gewissen. —
Ich mache immer wieder die gleiche Erfahrung und sträube mich
ebenso immer von Neuem gegen sie, ich will es nicht glauben, ob
ich es gleich mit Händen greife:
den Allermeisten fehlt das intellectuale Gewissen
; ja es wollte mir oft scheinen, als ob man mit der Forderung
eines solchen in den volkreichsten Städten einsam wie in der
Wüste sei. Es sieht dich Jeder mit fremden Augen an und handhabt
seine Wage weiter, diess gut, jenes böse nennend; es macht
Niemandem eine Schamröthe, wenn du merken lässest, dass diese
Gewichte nicht vollwichtig sind, — es macht auch keine Empörung
gegen dich: vielleicht lacht man über deinen Zweifel. Ich will
sagen: die Allermeisten
finden es nicht verächtlich, diess oder jenes zu glauben
und darnach zu leben, ohne
sich vorher der letzten und sichersten Gründe für und wider
bewusst worden zu sein und ohne sich auch nur die Mühe um solche
Gründe hinterdrein zu geben, — die begabtesten Männer und die
edelsten Frauen gehören noch zu diesen „Allermeisten“. Was ist
mir aber Gutherzigkeit, Feinheit und Genie, wenn der Mensch
dieser Tugenden schlaffe Gefühle im Glauben und Urtheilen bei
sich duldet, wenn das Verlangen
nach Gewissheit ihm nicht als die innerste
Begierde und tiefste Noth gilt, — als Das, was die höheren
Menschen von den niederen scheidet! ...
[2]
Het intellectuaal geweten . —
Telkens weer doe ik dezelfde ervaring op, en ik verzet me er ook
telkens opnieuw tegen, ik wil het niet geloven, ook al is het met
de handen te tasten : de overgrote meerderheid van de mensen heeft
geen intellectuaal geweten ; ja, ik heb vaak het
gevoel gehad dat - als je zoiets zou eisen - je zelfs in de
dichtst bevolkte steden net zo eenzaam zou zijn als in de
woestijn. Iedereen kijkt je dan met grote ogen aan, en gaat
vervolgens verder met zijn afwegingen ( Waage =
weegschaal), noemt dit goed, dat slecht; niemand stijgt het
schaamrood naar de kaken, als je laat doorschemeren dat zijn
gewichten niet 'het volle gewicht' hebben (geijkt zijn
) — verontwaardigd is trouwens ook niemand: het zou kunnen dat
iemand lacht met je twijfel. Wat ik wil zeggen, is dit: De
overgrote meerderheid vindt het niet verachtelijk om iets te
geloven en daarnaar te leven zonder zich vooraf van
de laatste en zekerste argumenten voor en tegen bewust te zijn, en
zonder zich achteraf om dergelijke argumenten druk te maken. Ook
de meest getalenteerde mannen en de nobelste vrouwen horen bij
deze ‘overgrote meerderheid’. Wat koop ik voor goedhartigheid,
verfijning en vernuft, als de mens die deze deugden bezit bij
zichzelf slappe gevoelens duldt op het gebied van geloof en
oordeel, als het verlangen naar zekerheid voor hem
niet geldt als innigste begeerte en diepste nood — als dat wat de
hogerstaande mensen scheidt van de lager-bij-de-grondsen! ...
opmerking: intellectuaa l is
het intellect zelf betreffend, vgl existentieel en existentiaal)
[3]
Edel und Gemein. — Den
gemeinen Naturen erscheinen alle edlen, grossmüthigen Gefühle
als unzweckmässig und desshalb zu allererst als unglaubwürdig:
sie zwinkern mit den Augen, wenn sie von dergleichen hören, und
scheinen sagen zu wollen „es wird wohl irgend ein guter Vortheil
dabei sein, man kann nicht durch alle Wände sehen“: — sie sind
argwöhnisch gegen den Edlen, als ob er den Vortheil auf
Schleichwegen suche. Werden sie von der Abwesenheit selbstischer
Absichten und Gewinnste allzu deutlich überzeugt, so gilt ihnen
der Edle als eine Art von Narren: sie verachten ihn in seiner
Freude und lachen über den Glanz seiner Augen. „Wie kann man
sich darüber freuen im Nachtheil zu sein, wie kann man mit
offnen Augen in Nachtheil gerathen wollen! Es muss eine
Krankheit der Vernunft mit der edlen Affection verbunden sein“ —
so denken sie und blicken geringschätzig dabei: wie sie die
Freude geringschätzen, welche der Irrsinnige von seiner fixen
Idee her hat. Die gemeine Natur ist dadurch ausgezeichnet, dass
sie ihren Vortheil unverrückt im Auge behält und dass diess
Denken an Zweck und Vortheil selbst stärker, als die stärksten
Triebe in ihr ist: sich durch jene Triebe nicht zu
unzweckmässigen Handlungen verleiten lassen — das ist ihre
Weisheit und ihr Selbstgefühl. Im Vergleich mit ihr ist die
höhere Natur die unvernünftigere
: — denn der Edle, Grossmüthige, Aufopfernde
unterliegt in der That seinen Trieben, und in seinen besten
Augenblicken pausirt
seine Vernunft. Ein Thier, das mit Lebensgefahr seine Jungen
beschützt oder in der Zeit der Brunst dem Weibchen auch in den
Tod folgt, denkt nicht an die Gefahr und den Tod, seine Vernunft
pausirt ebenfalls, weil die Lust an seiner Brut oder an dem
Weibchen und die Furcht, dieser Lust beraubt zu werden es ganz
beherrschen; es wird dümmer, als es sonst ist, gleich dem Edlen
und Grossmüthigen. Dieser besitzt einige Lust- und
Unlust-Gefühle in solcher Stärke, dass der Intellect dagegen
schweigen oder sich zu ihrem Dienste hergeben muss: es tritt
dann bei ihnen das Herz in den Kopf und man spricht nunmehr von
„Leidenschaft“. (Hier und da kommt auch wohl der Gegensatz dazu
und gleichsam die „Umkehrung der Leidenschaft“ vor, zum Beispiel
bei Fontenelle, dem Jemand einmal die Hand auf das Herz legte,
mit den Worten: „Was Sie da haben, mein Theuerster, ist auch
Gehirn“.) Die Unvernunft oder Quervernunft der Leidenschaft ist
es, die der Gemeine am Edlen verachtet, zumal wenn diese sich
auf Objecte richtet, deren Werth ihm ganz phantastisch und
willkürlich zu sein scheint. Er ärgert sich über Den, welcher
der Leidenschaft des Bauches unterliegt, aber er begreift doch
den Reiz, welcher hier den Tyrannen macht; aber er begreift es
nicht, wie man zum Beispiel einer Leidenschaft der Erkenntniss
zu Liebe seine Gesundheit und Ehre auf’s Spiel setzen könne. Der
Geschmack der höheren Natur richtet sich auf Ausnahmen, auf
Dinge, die gewöhnlich kalt lassen und keine Süssigkeit zu haben
scheinen; die höhere Natur hat ein singuläres Werthmaass. Dazu
ist sie meistens des Glaubens,
nicht ein singuläres Werthmaass in ihrer
Idiosynkrasie des Geschmacks zu haben, sie setzt vielmehr ihre
Werthe und Unwerthe als die überhaupt gültigen Werthe und
Unwerthe an, und geräth damit in’s Unverständliche und
Unpraktische. Es ist sehr selten, dass eine höhere Natur soviel
Vernunft übrig behält, um Alltags-Menschen als solche zu
verstehen und zu behandeln: zu allermeist glaubt sie an ihre
Leidenschaft als an die verborgen gehaltene Leidenschaft Aller
und ist gerade in diesem Glauben voller Gluth und Beredtsamkeit.
Wenn nun solche Ausnahme-Menschen sich selber nicht als
Ausnahmen fühlen, wie sollten sie jemals die gemeinen Naturen
verstehen und die Regel billig abschätzen können! — und so reden
auch sie von der Thorheit, Zweckwidrigkeit und Phantasterei der
Menschheit, voller Verwunderung, wie toll die Welt laufe und
warum sie sich nicht zu dem bekennen wolle, was „ihr Noth thue“.
— Diess ist die ewige Ungerechtigkeit der Edlen.
[4]
Das Arterhaltende. — Die
stärksten und bösesten Geister haben bis jetzt die Menschheit am
meisten vorwärts gebracht: sie entzündeten immer wieder die
einschlafenden Leidenschaften — alle geordnete Gesellschaft
schläfert die Leidenschaften ein —, sie weckten immer wieder den
Sinn der Vergleichung, des Widerspruchs, der Lust am Neuen,
Gewagten, Unerprobten, sie zwangen die Menschen, Meinungen gegen
Meinungen, Musterbilder gegen Musterbilder zu stellen. Mit den
Waffen, mit Umsturz der Grenzsteine, durch Verletzung der
Pietäten zumeist: aber auch durch neue Religionen und Moralen!
Die selbe „Bosheit“ ist in jedem Lehrer und Prediger des
Neuen , — welche einen
Eroberer verrufen macht, wenn sie auch sich feiner äussert,
nicht sogleich die Muskeln in Bewegung setzt und eben desshalb
auch nicht so verrufen macht! Das Neue ist aber unter allen
Umständen das Böse
, als Das, was erobern, die alten Grenzsteine und die alten
Pietäten umwerfen will; und nur das Alte ist das Gute! Die guten
Menschen jeder Zeit sind die, welche die alten Gedanken in die
Tiefe graben und mit ihnen Frucht tragen, die Ackerbauer des
Geistes. Aber jedes Land wird endlich ausgenützt, und immer
wieder muss die Pflugschar des Bösen kommen. — Es giebt jetzt
eine gründliche Irrlehre der Moral, welche namentlich in England
sehr gefeiert wird: nach ihr sind die Urtheile „gut“ und „böse“
die Aufsammlung der Erfahrungen über „zweckmässig“ und
„unzweckmässig“; nach ihr ist das Gut-Genannte das
Arterhaltende, das Bös-Genannte aber das der Art Schädliche. In
Wahrheit sind aber die bösen Triebe in eben so hohem Grade
zweckmässig, arterhaltend und unentbehrlich wie die guten: — nur
ist ihre Function eine verschiedene.
[4] Wat de soort in stand
houdt.
[5]
Unbedingte Pflichten. —
Alle Menschen, welche fühlen, dass sie die stärksten Worte und
Klänge, die beredtesten Gebärden und Stellungen nöthig haben, um
überhaupt zu
wirken, Revolutions-Politiker, Socialisten, Bussprediger mit und
ohne Christenthum, bei denen allen es keine halben Erfolge geben
darf: alle diese reden von „Pflichten“, und zwar immer von
Pflichten mit dem Charakter des Unbedingten — ohne solche hätten
sie kein Recht zu ihrem grossen Pathos: das wissen sie recht
wohl! So greifen sie nach Philosophieen der Moral, welche irgend
einen kategorischen Imperativ predigen, oder sie nehmen ein
gutes Stück Religion in sich hinein, wie diess zum Beispiel
Mazzini gethan hat. Weil sie wollen, dass ihnen unbedingt
vertraut werde, haben sie zuerst nöthig, dass sie sich selber
unbedingt vertrauen, auf Grund irgend eines letzten
indiscutabeln und an sich erhabenen Gebotes, als dessen Diener
und Werkzeuge sie sich fühlen und ausgeben möchten. Hier haben
wir die natürlichsten und meistens sehr einflussreichen Gegner
der moralischen Aufklärung und Skepsis: aber sie sind selten.
Dagegen giebt es eine sehr umfängliche Classe dieser Gegner
überall dort, wo das Interesse die Unterwerfung lehrt, während
Ruf und Ehre die Unterwerfung zu verbieten scheinen. Wer sich
entwürdigt fühlt bei dem Gedanken, das
Werkzeug eines Fürsten oder einer Partei und
Secte oder gar einer Geldmacht zu sein, zum Beispiel als
Abkömmling einer alten, stolzen Familie, aber eben diess
Werkzeug sein will oder sein muss, vor sich und vor der
Oeffentlichkeit, der hat pathetische Principien nöthig, die man
jederzeit in den Mund nehmen kann: — Principien eines
unbedingten Sollens, welchen man sich ohne Beschämung
unterwerfen und unterworfen zeigen darf. Alle feinere Servilität
hält am kategorischen Imperativ fest und ist der Todfeind Derer,
welche der Pflicht den unbedingten Charakter nehmen wollen: so
fordert es von ihnen der Anstand, und nicht nur der Anstand.
[5]
Onvoorwaardelijke plichten.
[6]
Verlust an Würde. — Das
Nachdenken ist um all seine Würde der Form gekommen, man hat das
Ceremoniell und die feierliche Gebärde des Nachdenkens zum Gespött
gemacht und würde einen weisen Mann alten Stils nicht mehr
aushalten. Wir denken zu rasch, und unterwegs, und mitten im
Gehen, mitten in Geschäften aller Art, selbst wenn wir an das
Ernsthafteste denken; wir brauchen wenig Vorbereitung, selbst
wenig Stille: — es ist, als ob wir eine unaufhaltsam rollende
Maschine im Kopfe herumtrügen, welche selbst unter den
ungünstigsten Umständen noch arbeitet. Ehemals sah man es Jedem
an, dass er einmal denken wollte — es war wohl die Ausnahme! —,
dass er jetzt weiser werden wollte und sich auf einen Gedanken
gefasst machte: man zog ein Gesicht dazu, wie zu einem Gebet, und
hielt den Schritt an; ja man stand stundenlang auf der Strasse
still, wenn der Gedanke „kam“ — auf einem oder auf zwei Beinen. So
war es „der Sache würdig“!
[6]
Verlies van waardigheid.
— Wat de vorm betreft is het nadenken al zijn waardigheid kwijt:
men heeft het ceremonieel en de plechtige gebaren van het nadenken
tot een voorwerp van spot gemaakt: een wijs man van de oude
stempel zou men niet meer kunnen verdragen. Wij denken te snel,
onderweg, onder het lopen, terwijl we bezig zijn met allerlei
dingen, zelfs als wij nadenken over zeer ernstigste zaken;
Voorbereiding hebben we nauwelijks nodig, zelf niet een klein
beetje stilte — het is net of we een onophoudelijk ronddraaiende
machine in ons hoofd meedragen, die zelfs onder de ongunstigste
omstandigheden nog doorwerkt. Vroeger kon je aan iemand zien, dat
hij eens wilde nadenken — waarschijnlijk een uitzondering! — dat
hij op dat moment wijzer wilde worden en zich op een gedachte
voorbereidde: Men trok daarbij een gezicht, zoaals voor een gebed,
en hield zijn pas in; sterker nog, men stond urenlang stil op
straat, als de gedachte ‘kwam’ — op een of twee benen. Zo was het
‘de zaak waardig’!
[7]
Etwas für Arbeitsame. —
Wer jetzt aus den moralischen Dingen ein Studium machen will,
eröffnet sich ein ungeheures Feld der Arbeit. Alle Arten
Passionen müssen einzeln durchdacht, einzeln durch Zeiten,
Völker, grosse und kleine Einzelne verfolgt werden; ihre ganze
Vernunft und alle ihre Werthschätzungen und Beleuchtungen der
Dinge sollen an’s Licht hinaus! Bisher hat alles Das, was dem
Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte: oder wo gäbe es
eine Geschichte der Liebe, der Habsucht, des Neides, des
Gewissens, der Pietät, der Grausamkeit? Selbst eine
vergleichende Geschichte des Rechtes, oder auch nur der Strafe,
fehlt bisher vollständig. Hat man schon die verschiedene
Eintheilung des Tages, die Folgen einer regelmässigen
Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe zum Gegenstand der
Forschung gemacht? Kennt man die moralischen Wirkungen der
Nahrungsmittel? Giebt es eine Philosophie der Ernährung? (Der
immer wieder losbrechende Lärm für und wider den Vegetarianismus
beweist schon, dass es noch keine solche Philosophie giebt!)
Sind die Erfahrungen über das Zusammenleben, zum Beispiel die
Erfahrungen der Klöster, schon gesammelt? Ist die Dialektik der
Ehe und Freundschaft schon dargestellt? Die Sitten der
Gelehrten, der Kaufleute, Künstler, Handwerker, — haben sie
schon ihre Denker gefunden? Es ist so viel daran zu denken!
Alles, was bis jetzt die Menschen als ihre
„Existenz-Bedingungen“ betrachtet haben, und alle Vernunft,
Leidenschaft und Aberglauben an dieser Betrachtung, — ist diess
schon zu Ende erforscht? Allein die Beobachtung des
verschiedenen Wachsthums, welches die menschlichen Triebe je
nach dem verschiedenen moralischen Klima gehabt haben und noch
haben könnten, giebt schon zu viel der Arbeit für den ; es
bedarf ganzer Geschlechter und planmässig zusammen arbeitender
Geschlechter von Gelehrten, um hier die Gesichtspuncte und das
Material zu erschöpfen. Das Selbe gilt von der Nachweisung der
Gründe für die Verschiedenheit des moralischen Klimas („
wesshalb leuchtet hier diese
Sonne einArbeitsamstenes moralischen Grundurtheils und
Hauptwerthmessers — und dort jene?“). Und wieder eine neue
Arbeit ist es, welche die Irrthümlichkeit aller dieser Gründe
und das ganze Wesen des bisherigen moralischen Urtheils
feststellt. Gesetzt, alle diese Arbeiten seien gethan, so träte
die heikeligste aller Fragen in den Vordergrund, ob die
Wissenschaft im Stande sei, Ziele des Handelns zu geben , nachdem sie bewiesen
hat, dass sie solche nehmen und vernichten kann — und dann würde
ein Experimentiren am Platze sein, an dem jede Art von Heroismus
sich befriedigen könnte, ein Jahrhunderte langes Experimentiren,
welches alle grossen Arbeiten und Aufopferungen der bisherigen
Geschichte in Schatten stellen könnte. Bisher hat die
Wissenschaft ihre Cyklopen-Bauten noch nicht gebaut; auch dafür
wird die Zeit kommen.
[8]
Unbewusste Tugenden. —
Alle Eigenschaften eines Menschen, deren er sich bewusst ist —
und namentlich, wenn er deren Sichtbarkeit und Evidenz auch für
seine Umgebung voraussetzt — stehen unter ganz anderen Gesetzen
der Entwickelung, als jene Eigenschaften, welche ihm unbekannt
oder schlecht bekannt sind und die sich auch vor dem Auge des
feineren Beobachters durch ihre Feinheit verbergen und wie
hinter das Nichts zu verstecken wissen. So steht es mit den
feinen Sculpturen auf den Schuppen der Reptilien: es würde ein
Irrthum sein, in ihnen einen Schmuck oder eine Waffe zu
vermuthen — denn man sieht sie erst mit dem Mikroskop, also mit
einem so künstlich verschärften Auge, wie es ähnliche Thiere,
für welche es etwa Schmuck oder Waffe zu bedeuten hätte, nicht
besitzen! Unsere sichtbaren moralischen Qualitäten, und
namentlich unsere sichtbar
geglaubten gehen ihren Gang, — und die
unsichtbaren ganz gleichnamigen, welche uns in Hinsicht auf
Andere weder Schmuck noch Waffe sind,
gehen auch ihren Gang : einen ganz anderen
wahrscheinlich, und mit Linien und Feinheiten und Sculpturen,
welche vielleicht einem Gotte mit einem göttlichen Mikroskope
Vergnügen machen könnten. Wir haben zum Beispiel unsern Fleiss,
unsern Ehrgeiz, unsern Scharfsinn: alle Welt weiss darum —, und
ausserdem haben wir wahrscheinlich noch einmal
unseren Fleiss,
unseren Ehrgeiz,
unseren Scharfsinn; aber für diese unsere
Reptilien-Schuppen ist das Mikroskop noch nicht erfunden! — Und
hier werden die Freunde der instinctiven Moralität sagen:
„Bravo! Er hält wenigstens unbewusste Tugenden für möglich, —
das genügt uns!“ — Oh ihr Genügsamen!
[9]
Unsere Eruptionen. —
Unzähliges, was sich die Menschheit auf früheren Stufen
aneignete, aber so schwach und embryonisch, dass es Niemand als
angeeignet wahrzunehmen wusste, stösst plötzlich, lange darauf,
vielleicht nach Jahrhunderten, an’s Licht: es ist inzwischen
stark und reif geworden. Manchen Zeitaltern scheint diess oder
jenes Talent, diese oder jene Tugend ganz zu fehlen, wie manchen
Menschen: aber man warte nur bis auf die Enkel und Enkelskinder,
wenn man Zeit hat, zu warten, — sie bringen das Innere ihrer
Grossväter an die Sonne, jenes Innere, von dem die Grossväter
selbst noch Nichts wussten. Oft ist schon der Sohn der Verräther
seines Vaters: dieser versteht sich selber besser, seit er
seinen Sohn hat. Wir haben Alle verborgene Gärten und
Pflanzungen in uns; und, mit einem andern Gleichnisse, wir sind
Alle wachsende Vulcane, die ihre Stunde der Eruption haben
werden: — wie nahe aber oder wie ferne diese ist, das freilich
weiss Niemand, selbst der liebe Gott nicht.
[10]
Eine Art von Atavismus. —
Die seltenen Menschen einer Zeit verstehe ich am liebsten als
plötzlich auftauchende Nachschösslinge vergangener Culturen und
deren Kräften: gleichsam als den Atavismus eines Volkes und
seiner Gesittung: — so ist wirklich Etwas noch an ihnen zu
verstehen ! Jetzt erscheinen
sie fremd, selten, ausserordentlich: und wer diese Kräfte in
sich fühlt, hat sie gegen eine widerstrebende andere Welt zu
pflegen, zu vertheidigen, zu ehren, gross zu ziehen: und so wird
er damit entweder ein grosser Mensch oder ein verrückter und
absonderlicher, sofern er überhaupt nicht bei Zeiten zu Grunde
geht. Ehedem waren diese selben Eigenschaften gewöhnlich und
galten folglich als gemein: sie zeichneten nicht aus. Vielleicht
wurden sie gefordert, vorausgesetzt; es war unmöglich, mit ihnen
gross zu werden, und schon desshalb, weil die Gefahr fehlte, mit
ihnen auch toll und einsam zu werden. — Die
erhaltenden Geschlechter und Kasten eines
Volkes sind es vornehmlich, in denen solche Nachschläge alter
Triebe vorkommen, während keine Wahrscheinlichkeit für solchen
Atavismus ist, wo Rassen, Gewohnheiten, Werthschätzungen zu
rasch wechseln. Das Tempo bedeutet nämlich unter den Kräften der
Entwickelung bei Völkern ebensoviel wie bei der Musik; für
unseren Fall ist durchaus ein Andante der Entwickelung
nothwendig, als das Tempo eines leidenschaftlichen und langsamen
Geistes: — und der Art ist ja der Geist conservativer
Geschlechter.
[11]
Das Bewusstsein. — Die
Bewusstheit ist die letzte und späteste Entwickelung des
Organischen und folglich auch das Unfertigste und Unkräftigste
daran. Aus der Bewusstheit stammen unzählige Fehlgriffe, welche
machen, dass ein Thier, ein Mensch zu Grunde geht, früher als es
nöthig wäre, „über das Geschick“, wie Homer sagt. Wäre nicht der
erhaltende Verband der Instincte so überaus viel mächtiger,
diente er nicht im Ganzen als Regulator: an ihrem verkehrten
Urtheilen und Phantasiren mit offenen Augen, an ihrer
Ungründlichkeit und Leichtgläubigkeit, kurz eben an ihrer
Bewusstheit müsste die Menschheit zu Grunde gehen: oder
vielmehr, ohne jenes gäbe es diese längst nicht mehr! Bevor eine
Function ausgebildet und reif ist, ist sie eine Gefahr des
Organismus: gut, wenn sie so lange tüchtig tyrannisirt wird! So
wird die Bewusstheit tüchtig tyrannisirt — und nicht am
wenigsten von dem Stolze darauf! Man denkt, hier sei der Kern des Menschen; sein
Bleibendes, Ewiges, Letztes, Ursprünglichstes! Man hält die
Bewusstheit für eine feste gegebene Grösse! Leugnet ihr
Wachsthum, ihre Intermittenzen! Nimmt sie als „Einheit des
Organismus“! — Diese lächerliche Ueberschätzung und Verkennung
des Bewusstseins hat die grosse Nützlichkeit zur Folge, dass
damit eine allzuschnelle Ausbildung desselben
verhindert worden ist. Weil die Menschen die
Bewusstheit schon zu haben glaubten, haben sie sich wenig Mühe
darum gegeben, sie zu erwerben — und auch jetzt noch steht es
nicht anders! Es ist immer noch eine ganz neue und eben erst dem
menschlichen Auge aufdämmernde, kaum noch deutlich erkennbare
Aufgabe, das Wissen sich einzuverleiben
und instinctiv zu machen, — eine Aufgabe, welche nur von
Denen gesehen wird, die begriffen haben, dass bisher nur unsere
Irrthümer uns
einverleibt waren und dass alle unsere Bewusstheit sich auf
Irrthümer bezieht!
[12]
Vom Ziele der Wissenschaft. —
Wie? Das letzte Ziel der Wissenschaft sei, dem Menschen
möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu schaffen? Wie,
wenn nun Lust und Unlust so mit einem Stricke zusammengeknüpft
wären, dass, wer möglichst viel von der einen haben will , auch möglichst viel von
der andern haben muss
, — dass, wer das „Himmelhoch-Jauchzen“ lernen will, sich auch
für das „zum-Tode-betrübt“ bereit halten muss? Und so steht es
vielleicht! Die Stoiker glaubten wenigstens, dass es so stehe,
und waren consequent, als sie nach möglichst wenig Lust
begehrten, um möglichst wenig Unlust vom Leben zu haben (wenn
man den Spruch im Munde führte „Der Tugendhafte ist der
Glücklichste“, so hatte man in ihm sowohl ein Aushängeschild der
Schule für die grosse Masse, als auch eine casuistische Feinheit
für die Feinen). Auch heute noch habt ihr die Wahl: entweder
möglichst wenig Unlust ,
kurz Schmerzlosigkeit — und im Grunde dürften Socialisten und
Politiker aller Parteien ihren Leuten ehrlicher Weise nicht mehr
verheissen — oder möglichst viel
Unlust als Preis für das Wachsthum einer Fülle
von feinen und bisher selten gekosteten Lüsten und Freuden!
Entschliesst ihr euch für das Erstere, wollt ihr also die
Schmerzhaftigkeit der Menschen herabdrücken und vermindern, nun,
so müsst ihr auch ihre Fähigkeit
zur Freude herabdrücken und vermindern. In der
That kann man mit der
Wissenschaft das eine wie das andere Ziel
fördern! Vielleicht ist sie jetzt noch bekannter wegen ihrer
Kraft, den Menschen um seine Freuden zu bringen, und ihn kälter,
statuenhafter, stoischer zu machen. Aber sie könnte auch noch
als die grosse Schmerzbringerin
entdeckt werden! — Und dann würde vielleicht zugleich ihre
Gegenkraft entdeckt sein, ihr ungeheures Vermögen, neue
Sternenwelten der Freude aufleuchten zu lassen!
[13]
Zur Lehre vom Machtgefühl. —
Mit Wohlthun und Wehethun übt man seine Macht an Andern aus —
mehr will man dabei nicht! Mit
Wehethun an Solchen, denen wir unsere Macht
erst fühlbar machen müssen; denn der Schmerz ist ein viel
empfindlicheres Mittel dazu als die Lust: — der Schmerz fragt
immer nach der Ursache, während die Lust geneigt ist, bei sich
selber stehen zu bleiben und nicht rückwärts zu schauen. Mit
Wohlthun und Wohlwollen an
Solchen, die irgendwie schon von uns abhängen (das heisst
gewohnt sind, an uns als ihre Ursache zu denken); wir wollen
ihre Macht mehren, weil wir so die unsere mehren, oder wir
wollen ihnen den Vortheil zeigen, den es hat, in unserer Macht
zu stehen, — so werden sie mit ihrer Lage zufriedener und gegen
die Feinde unserer
Macht feindseliger und kampfbereiter sein. Ob wir beim Wohl-
oder Wehethun Opfer bringen, verändert den letzten Werth unserer
Handlungen nicht; selbst wenn wir unser Leben daran setzen, wie
der Märtyrer zu Gunsten seiner Kirche, es ist ein Opfer,
gebracht unserem
Verlangen nach Macht, oder zum Zweck der Erhaltung unseres
Machtgefühls. Wer da empfindet „ich bin im Besitz der Wahrheit“,
wie viel Besitzthümer lässt der nicht fahren, um diese
Empfindung zu retten! Was wirft er nicht Alles über Bord, um
sich „oben“ zu erhalten, — das heisst
über den Andern, welche der „Wahrheit“
ermangeln! Gewiss ist der Zustand, wo wir wehe thun, selten so
angenehm, so ungemischt-angenehm, wie der, in welchem wir wohl
thun, — es ist ein Zeichen, dass uns noch Macht fehlt, oder
verräth den Verdruss über diese Armuth, es bringt neue Gefahren
und Unsicherheiten für unseren vorhandenen Besitz von Macht mit
sich und umwölkt unsern Horizont durch die Aussicht auf Rache,
Hohn, Strafe, Misserfolg. Nur für die reizbarsten und
begehrlichsten Menschen des Machtgefühles mag es lustvoller
sein, dem Widerstrebenden das Siegel der Macht aufzudrücken; für
solche, denen der Anblick des bereits Unterworfenen (als welcher
der Gegenstand des Wohlwollens ist) Last und Langeweile macht.
Es kommt darauf an, wie man gewöhnt ist, sein Leben zu
würzen ; es ist eine Sache
des Geschmackes, ob man lieber den langsamen oder den
plötzlichen, den sicheren oder den gefährlichen und verwegenen
Machtzuwachs haben will, — man sucht diese oder jene Würze immer
nach seinem Temperamente. Eine leichte Beute ist stolzen Naturen
etwas Verächtliches, sie empfinden ein Wohlgefühl erst beim
Anblick ungebrochener Menschen, welche ihnen Feind werden
könnten, und ebenso beim Anblick aller schwer zugänglichen
Besitzthümer; gegen den Leidenden sind sie oft hart, denn er ist
ihres Strebens und Stolzes nicht werth, — aber um so
verbindlicher zeigen sie sich gegen die
Gleichen , mit denen ein Kampf und Ringen
jedenfalls ehrenvoll wäre, wenn
sich einmal eine Gelegenheit dazu finden sollte. Unter dem
Wohlgefühle dieser
Perspective haben sich die Menschen der ritterlichen Kaste gegen
einander an eine ausgesuchte Höflichkeit gewöhnt. — Mitleid ist
das angenehmste Gefühl bei Solchen, welche wenig stolz sind und
keine Aussicht auf grosse Eroberungen haben: für sie ist die
leichte Beute — und das ist jeder Leidende — etwas Entzückendes.
Man rühmt das Mitleid als die Tugend der Freudenmädchen.
[14]
Was Alles Liebe genannt wird. —
Habsucht und Liebe: wie verschieden empfinden wir bei jedem
dieser Worte! — und doch könnte es der selbe Trieb sein, zweimal
benannt, das eine Mal verunglimpft vom Standpuncte der bereits
Habenden aus, in denen der Trieb etwas zur Ruhe gekommen ist und
die nun für ihre „Habe“ fürchten; das andere Mal vom Standpuncte
der Unbefriedigten, Durstigen aus, und daher verherrlicht als
„gut“. Unsere Nächstenliebe — ist sie nicht ein Drang nach neuem
Eigenthum ? Und
ebenso unsere Liebe zum Wissen, zur Wahrheit und überhaupt all
jener Drang nach Neuigkeiten? Wir werden des Alten, sicher
Besessenen allmählich überdrüssig und strecken die Hände wieder
aus; selbst die schönste Landschaft, in der wir drei Monate
leben, ist unserer Liebe nicht mehr gewiss, und irgend eine
fernere Küste reizt unsere Habsucht an: der Besitz wird durch
das Besitzen zumeist geringer. Unsere Lust an uns selber will
sich so aufrecht erhalten, dass sie immer wieder etwas Neues
in uns selber verwandelt, —
das eben heisst Besitzen. Eines Besitzes überdrüssig werden, das
ist: unserer selber überdrüssig werden. (Man kann auch am Zuviel
leiden, — auch die Begierde, wegzuwerfen, auszutheilen, kann
sich den Ehrennamen „Liebe“ zulegen.) Wenn wir Jemanden leiden
sehen, so benutzen wir gerne die jetzt gebotene Gelegenheit,
Besitz von ihm zu ergreifen; diess thut zum Beispiel der
Wohlthätige und Mitleidige, auch er nennt die in ihm erweckte
Begierde nach neuem Besitz „Liebe“, und hat seine Lust dabei wie
bei einer neuen ihm winkenden Eroberung. Am deutlichsten aber
verräth sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach
Eigenthum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der
von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht
über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und
als das Höchste und Begehrenswertheste in der andern Seele
wohnen und herrschen. Erwägt man, dass diess nichts Anderes
heisst, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und
Genusse ausschliessen
: erwägt man, dass der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung
aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines
goldenen Hortes werden möchte, als der rücksichtsloseste und
selbstsüchtigste aller „Eroberer“ und Ausbeuter: erwägt man
endlich, dass dem Liebenden selber die ganze andere Welt
gleichgültig, blass, werthlos erscheint und er jedes Opfer zu
bringen, jede Ordnung zu stören, jedes Interesse hintennach zu
setzen bereit ist: so wundert man sich in der That, dass diese
wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe
dermaassen verherrlicht und vergöttlicht worden ist, wie zu
allen Zeiten geschehen, ja, dass man aus dieser Liebe den
Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat,
während sie vielleicht gerade der unbefangenste Ausdruck des
Egoismus ist. Hier haben offenbar die Nichtbesitzenden und
Begehrenden den Sprachgebrauch gemacht, — es gab wohl ihrer
immer zu viele. Solche, welchen auf diesem Bereiche viel Besitz
und Sättigung gegönnt war, haben wohl hier und da ein Wort vom
„wüthenden Dämon“ fallen lassen, wie jener liebenswürdigste und
geliebteste aller Athener, Sophokles: aber Eros lachte jederzeit
über solche Lästerer, — es waren immer gerade seine grössten
Lieblinge. — Es giebt wohl hier und da auf Erden eine Art
Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsüchtige Verlangen
zweier Personen nach einander einer neuen Begierde und Habsucht,
einem gemeinsamen
höheren Durste nach einem über ihnen stehenden Ideale gewichen
ist: aber wer kennt diese Liebe? Wer hat sie erlebt? Ihr rechter
Name ist Freundschaft
.
[15]
Aus der Ferne. — Dieser
Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise
reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir diess uns zum
hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernünftig und so
dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der Geber
dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein —
und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttäuscht. Plötzlich
ist er selber, und die ganze Landschaft um uns, unter uns wie
entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche Grösse, wie manche
Güte, nur auf eine gewisse Distanz hin gesehen werden will, und
durchaus von unten, nicht von oben, — so allein wirkt sie . Vielleicht kennst du
Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen
Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder
anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist
ihnen zu widerrathen.
[16]
Ueber den Steg. — Im
Verkehre mit Personen, welche gegen ihre Gefühle schamhaft sind,
muss man sich verstellen können; sie empfinden einen plötzlichen
Hass gegen Den, welcher sie auf einem zärtlichen oder
schwärmerischen und hochgehenden Gefühle ertappt, wie als ob er
ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen
Augenblicken wohl thun, so mache man sie lachen oder sage irgend
eine kalte scherzhafte Bosheit: — ihr Gefühl erfriert dabei, und
sie sind ihrer wieder mächtig. Doch ich gebe die Moral vor der
Geschichte. — Wir sind uns Einmal im Leben so nahe gewesen, dass
Nichts unsere Freund- und Bruderschaft mehr zu hemmen schien und
nur noch ein kleiner Steg zwischen uns war. Indem du ihn eben
betreten wolltest, fragte ich dich: „willst du zu mir über den
Steg?“ — Aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals
bat, schwiegst du. Seitdem sind Berge und reissende Ströme, und
was nur trennt und fremd macht, zwischen uns geworfen, und wenn
wir auch zu einander wollten, wir könnten es nicht mehr!
Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht
Worte mehr, — nur noch Schluchzen und Verwunderung.
[17]
Seine Armuth motiviren. —
Wir können freilich durch kein Kunststück aus einer armen Tugend
eine reiche, reichfliessende machen, aber wohl können wir ihre
Armuth schön in die Nothwendigkeit umdeuten, sodass ihr Anblick
uns nicht mehr wehe thut, und wir ihrethalben dem Fatum keine
vorwurfsvollen Gesichter machen. So thut der weise Gärtner, der
das arme Wässerchen seines Gartens einer Quellnymphe in den Arm
legt und also die Armuth motivirt: — und wer hätte nicht gleich
ihm die Nymphen nöthig!
[18]
Antiker Stolz. — Die
antike Färbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserem Gefühle
der antike Sclave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen
seiner Höhe und jener letzten Niedrigkeit solche ungeheure
Zwischen-Stufen und eine solche Ferne, dass er den Sclaven kaum
noch deutlich sehen konnte: selbst Plato hat ihn nicht ganz mehr
gesehen. Anders wir, gewöhnt wie wir sind an die Lehre von der Gleichheit der
Menschen, wenn auch nicht an die Gleichheit selber. Ein Wesen,
das nicht über sich selber verfügen kann und dem die Musse
fehlt, — das gilt unserem Auge noch keineswegs als etwas
Verächtliches; es ist von derlei Sclavenhaftem vielleicht zu
viel an Jedem von uns, nach den Bedingungen unserer
gesellschaftlichen Ordnung und Thätigkeit, welche
grundverschieden von denen der Alten sind. — Der griechische
Philosoph gieng durch das Leben mit dem geheimen Gefühle, dass
es viel mehr Sclaven gebe, als man vermeine — nämlich, dass
Jedermann Sclave sei, der nicht Philosoph sei; sein Stolz
schwoll über, wenn er erwog, dass auch die Mächtigsten der Erde
unter diesen seinen Sclaven seien. Auch dieser Stolz ist uns
fremd und unmöglich; nicht einmal im Gleichniss hat das Wort
„Sclave“ für uns seine volle Kraft.
[19]
Das Böse. — Prüfet das
Leben der besten und fruchtbarsten Menschen und Völker und fragt
euch, ob ein Baum, der stolz in die Höhe wachsen soll, des
schlechten Wetters und der Stürme entbehren könne: ob Ungunst
und Widerstand von aussen, ob irgend welche Arten von Hass,
Eifersucht, Eigensinn, Misstrauen, Härte, Habgier und
Gewaltsamkeit nicht zu den
begünstigenden Umständen gehören, ohne welche
ein grosses Wachsthum selbst in der Tugend kaum möglich ist? Das
Gift, an dem die schwächere Natur zu Grunde geht, ist für den
Starken Stärkung — und er nennt es auch nicht Gift.
[20]
Würde der Thorheit. —
Einige Jahrtausende weiter auf der Bahn des letzten
Jahrhunderts! — und in Allem, was der Mensch thut, wird die
höchste Klugheit sichtbar sein: aber eben damit wird die
Klugheit alle ihre Würde verloren haben. Es ist dann zwar
nothwendig, klug zu sein, aber auch so gewöhnlich und so gemein,
dass ein eklerer Geschmack diese Nothwendigkeit als eine
Gemeinheit empfinden wird.
Und ebenso wie eine Tyrannei der Wahrheit und Wissenschaft im
Stande wäre, die Lüge hoch im Preise steigen zu machen, so
könnte eine Tyrannei der Klugheit eine neue Gattung von Edelsinn
hervortreiben. Edel sein — dass hiesse dann vielleicht:
Thorheiten im Kopfe haben.
[21]
An die Lehrer der Selbstlosigkeit. —
Man nennt die Tugenden eines Menschen
gut , nicht in Hinsicht auf die Wirkungen,
welche sie für ihn selber haben, sondern in Hinsicht auf die
Wirkungen, welche wir von ihnen für uns und die Gesellschaft
voraussetzen: — man ist von jeher im Lobe der Tugenden sehr
wenig „selbstlos“, sehr wenig „unegoistisch“ gewesen! Sonst
nämlich hätte man sehen müssen, dass die Tugenden (wie Fleiss,
Gehorsam, Keuschheit, Pietät, Gerechtigkeit) ihren Inhabern
meistens schädlich
sind, als Triebe, welche allzu heftig und begehrlich in ihnen
walten und von der Vernunft sich durchaus nicht im Gleichgewicht
zu den andern Trieben halten lassen wollen. Wenn du eine Tugend
hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht nur ein Triebchen
nach einer Tugend!) — so bist du ihr
Opfer ! Aber der Nachbar lobt eben desshalb
deine Tugend! Man lobt den Fleissigen, ob er gleich die Sehkraft
seiner Augen oder die Ursprünglichkeit und Frische seines
Geistes mit diesem Fleisse schädigt; man ehrt und bedauert den
Jüngling, welcher sich „zu Schanden gearbeitet hat“, weil man
urtheilt: „Für das ganze Grosse der Gesellschaft ist auch der
Verlust des besten Einzelnen nur ein kleines Opfer! Schlimm,
dass das Opfer Noth thut! Viel schlimmer freilich, wenn der
Einzelne anders denken und seine Erhaltung und Entwickelung
wichtiger nehmen sollte, als seine Arbeit im Dienste der
Gesellschaft!“ Und so bedauert man diesen Jüngling, nicht um
seiner selber willen, sondern weil ein ergebenes und gegen sich
rücksichtsloses Werkzeug
— ein sogenannter „braver Mensch“ — durch diesen Tod der
Gesellschaft verloren gegangen ist. Vielleicht erwägt man noch,
ob es im Interesse der Gesellschaft nützlicher gewesen sein
würde, wenn er minder rücksichtslos gegen sich gearbeitet und
sich länger erhalten hätte, — ja man gesteht sich wohl einen
Vortheil davon zu, schlägt aber jenen anderen Vortheil, dass ein
Opfer gebracht und
die Gesinnung des Opferthiers sich wieder einmal augenscheinlich bestätigt hat,
für höher und nachhaltiger an. Es ist also einmal die
Werkzeug-Natur in den Tugenden, die eigentlich gelobt wird, wenn
die Tugenden gelobt werden, und sodann der blinde in jeder
Tugend waltende Trieb, welcher durch den Gesammt-Vortheil des
Individuums sich nicht in Schranken halten lässt, kurz: die
Unvernunft in der Tugend, vermöge deren das Einzelwesen sich zur
Function des Ganzen umwandeln lässt. Das Lob der Tugenden ist
das Lob von etwas Privat-Schädlichem, — das Lob von Trieben,
welche dem Menschen seine edelste Selbstsucht und die Kraft zur
höchsten Obhut über sich selber nehmen. — Freilich: zur
Erziehung und zur Einverleibung tugendhafter Gewohnheiten kehrt
man eine Reihe von Wirkungen der Tugend heraus, welche Tugend
und Privat-Vortheil als verschwistert erscheinen lassen, — und
es giebt in der That eine solche Geschwisterschaft! Der
blindwüthende Fleiss zum Beispiel, diese typische Tugend eines
Werkzeuges, wird dargestellt als der Weg zu Reichthum und Ehre
und als das heilsamste Gift gegen die Langeweile und die
Leidenschaften: aber man verschweigt seine Gefahr, seine höchste
Gefährlichkeit. Die Erziehung verfährt durchweg so: sie sucht
den Einzelnen durch eine Reihe von Reizen und Vortheilen zu
einer Denk- und Handlungsweise zu bestimmen, welche, wenn sie
Gewohnheit, Trieb und Leidenschaft geworden ist, wider seinen letzten Vortheil ,
aber „zum allgemeinen Besten“ in ihm und über ihn herrscht. Wie
oft sehe ich es, dass der blindwüthende Fleiss zwar Reichthümer
und Ehre schafft, aber zugleich den Organen die Feinheit nimmt,
vermöge deren es einen Genuss an Reichthum und Ehren geben
könnte, ebenso, dass jenes Hauptmittel gegen die Langeweile und
die Leidenschaften zugleich die Sinne stumpf und den Geist
widerspänstig gegen neue Reize macht. (Das fleissigste aller
Zeitalter — unser Zeitalter — weiss aus seinem vielen Fleisse
und Gelde Nichts zu machen, als immer wieder mehr Geld und immer
wieder mehr Fleiss: es gehört eben mehr Genie dazu, auszugeben,
als zu erwerben! — Nun, wir werden unsere „Enkel“ haben!)
Gelingt die Erziehung, so ist jede Tugend des Einzelnen eine
öffentliche Nützlichkeit und ein privater Nachtheil im Sinne des
höchsten privaten Zieles, — wahrscheinlich irgend eine
geistig-sinnliche Verkümmerung oder gar der frühzeitige
Untergang: man erwäge der Reihe nach von diesem Gesichtspuncte
aus die Tugend des Gehorsams, der Keuschheit, der Pietät, der
Gerechtigkeit. Das Lob des Selbstlosen, Aufopfernden,
Tugendhaften — also Desjenigen, der nicht seine ganze Kraft und
Vernunft auf seine
Erhaltung, Entwickelung, Erhebung, Förderung, Macht-Erweiterung
verwendet, sondern in Bezug auf sich bescheiden und gedankenlos,
vielleicht sogar gleichgültig oder ironisch lebt, — dieses Lob
ist jedenfalls nicht aus dem Geiste der Selbstlosigkeit
entsprungen! Der „Nächste“ lobt die Selbstlosigkeit, weil
er durch sie Vortheile hat !
Dächte der Nächste selber „selbstlos“, so würde er jenen Abbruch
an Kraft, jene Schädigung zu
seinen Gunsten abweisen, der Entstehung solcher
Neigungen entgegenarbeiten und vor Allem seine Selbstlosigkeit
eben dadurch bekunden, dass er dieselbe
nicht gut nennte! — Hiermit ist der
Grundwiderspruch jener Moral angedeutet, welche gerade jetzt
sehr in Ehren steht: die Motive
zu dieser Moral stehen im Gegensatz zu ihrem Principe ! Das, womit sich diese
Moral beweisen will, widerlegt sie aus ihrem Kriterium des
Moralischen! Der Satz „du sollst dir selber entsagen und dich
zum Opfer bringen“ dürfte, um seiner eigenen Moral nicht
zuwiderzugehen, nur von einem Wesen decretirt werden, welches
damit selber seinem Vortheil entsagte und vielleicht in der
verlangten Aufopferung der Einzelnen seinen eigenen Untergang
herbeiführte. Sobald aber der Nächste (oder die Gesellschaft)
den Altruismus um des Nutzens
willen anempfiehlt, wird der gerade
entgegengesetzte Satz „du sollst den Vortheil auch auf Unkosten
alles Anderen suchen“ zur Anwendung gebracht, also in Einem
Athem ein „Du sollst“ und „Du sollst nicht“ gepredigt!
[22]
L’ordre du jour pour le roi. —
Der Tag beginnt: beginnen wir für diesen Tag die Geschäfte und
Feste unseres allergnädigsten Herrn zu ordnen, der jetzt noch zu
ruhen geruht. Seine Majestät hat heute schlechtes Wetter: wir
werden uns hüten, es schlecht zu nennen; man wird nicht vom
Wetter reden, — aber wir werden die Geschäfte heute etwas
feierlicher und die Feste etwas festlicher nehmen, als sonst
nöthig wäre. Seine Majestät wird vielleicht sogar krank sein:
wir werden zum Frühstück die letzte gute Neuigkeit vom Abend
präsentiren, die Ankunft des Herrn von Montaigne, der so
angenehm über seine Krankheit zu scherzen weiss, — er leidet am
Stein. Wir werden einige Personen empfangen (Personen! — was
würde jener alte aufgeblasene Frosch, der unter ihnen sein wird,
sagen, wenn er diess Wort hörte! „Ich bin keine Person, würde er
sagen, sondern immer die Sache selber“.) — und der Empfang wird
länger dauern, als irgend Jemandem angenehm ist: Grund genug,
von jenem Dichter zu erzählen, der auf seine Thüre schrieb: „wer
hier eintritt, wird mir eine Ehre erweisen; wer es nicht thut —
ein Vergnügen.“ — Diess heisst fürwahr eine Unhöflichkeit auf
höfliche Manier sagen! Und vielleicht hat dieser Dichter für
seinen Theil ganz Recht, unhöflich zu sein: man sagt, dass seine
Verse besser seien, als der Verse-Schmied. Nun, so mag er noch
viele machen und sich selber möglichst der Welt entziehen: und
das ist ja der Sinn seiner artigen Unart! Umgekehrt ist ein
Fürst immer mehr werth, als sein „Vers“, selbst wenn — doch was
machen wir? Wir plaudern, und der ganze Hof meint, wir
arbeiteten schon und zerbrächen uns die Köpfe: man sieht kein
Licht früher, als das in unserem Fenster brennen. — Horch! War
das nicht die Glocke? Zum Teufel! Der Tag und der Tanz beginnt,
und wir wissen seine Touren nicht! So müssen wir improvisiren, —
alle Welt improvisirt ihren Tag. Machen wir es heute einmal wie
alle Welt! — Und damit verschwand mein wunderlicher Morgentraum,
wahrscheinlich vor den harten Schlägen der Thurmuhr, die eben
mit all der Wichtigkeit, die ihr eigen ist, die fünfte Stunde
verkündete. Es scheint mir, dass diessmal der Gott der Träume
sich über meine Gewohnheiten lustig machen wollte, — es ist
meine Gewohnheit, den Tag so zu beginnen, dass ich ihn
für mich zurecht lege und
erträglich mache, und es mag sein, dass ich diess öfters zu
förmlich und zu prinzenhaft gethan habe.
[23]
Die Anzeichen der Corruption. —
Man beachte an jenen von Zeit zu Zeit nothwendigen Zuständen der
Gesellschaft, welche mit dem Wort „Corruption“ bezeichnet
werden, folgende Anzeichen. Sobald irgend wo die Corruption
eintritt, nimmt ein bunter
Aberglaube überhand und der bisherige
Gesammtglaube eines Volkes wird blass und ohnmächtig dagegen:
der Aberglaube ist nämlich die Freigeisterei zweiten Ranges, —
wer sich ihm ergiebt, wählt gewisse ihm zusagende Formen und
Formeln aus und erlaubt sich ein Recht der Wahl. Der
Abergläubische ist, im Vergleich mit dem Religiösen, immer viel
mehr „Person“, als dieser, und eine abergläubische Gesellschaft
wird eine solche sein, in der es schon viele Individuen und Lust
am Individuellen giebt. Von diesem Standpuncte aus gesehen,
erscheint der Aberglaube immer als ein
Fortschritt gegen den Glauben und als Zeichen
dafür, dass der Intellect unabhängiger wird und sein Recht haben
will. Ueber Corruption klagen dann die Verehrer der alten
Religion und Religiosität, — sie haben bisher auch den
Sprachgebrauch bestimmt und dem Aberglauben eine üble Nachrede
selbst bei den freiesten Geistern gemacht. Lernen wir, dass er
ein Symptom der Aufklärung
ist. — Zweitens beschuldigt man eine Gesellschaft, in der
die Corruption Platz greift, der
Erschlaffung : und ersichtlich nimmt in ihr die
Schätzung des Krieges und die Lust am Kriege ab, und die
Bequemlichkeiten des Lebens werden jetzt eben so heiss erstrebt,
wie ehedem die kriegerischen und gymnastischen Ehren. Aber man
pflegt zu übersehen, dass jene alte Volks-Energie und
Volks-Leidenschaft, welche durch den Krieg und die Kampfspiele
eine prachtvolle Sichtbarkeit bekam, jetzt sich in unzählige
Privat-Leidenschaften umgesetzt hat und nur weniger sichtbar
geworden ist; ja, wahrscheinlich ist in Zuständen der
„Corruption“ die Macht und Gewalt der jetzt verbrauchten Energie
eines Volkes grösser, als je, und das Individuum giebt so
verschwenderisch davon aus, wie es ehedem nicht konnte, — es war
damals noch nicht reich genug dazu! Und so sind es gerade die
Zeiten der „Erschlaffung“, wo die Tragödie durch die Häuser und
Gassen läuft, wo die grosse Liebe und der grosse Hass geboren
werden, und die Flamme der Erkenntniss lichterloh zum Himmel
aufschlägt. — Drittens pflegt man, gleichsam zur Entschädigung
für den Tadel des Aberglaubens und der Erschlaffung, solchen
Zeiten der Corruption nachzusagen, dass sie milder seien und
dass jetzt die Grausamkeit, gegen die ältere gläubigere und
stärkere Zeit gerechnet, sehr in Abnahme komme. Aber auch dem
Lobe kann ich nicht beipflichten, ebensowenig als jenem Tadel:
nur so viel gebe ich zu, dass jetzt die Grausamkeit sich
verfeinert, und dass ihre älteren Formen von nun an wider den
Geschmack gehen; aber die Verwundung und Folterung durch Wort
und Blick erreicht in Zeiten der Corruption ihre höchste
Ausbildung, — jetzt erst wird die
Bosheit geschaffen und die Lust an der Bosheit.
Die Menschen der Corruption sind witzig und verläumderisch; sie
wissen, dass es noch andere Arten des Mordes giebt, als durch
Dolch und Ueberfall, — sie wissen auch, dass alles Gutgesagte geglaubt wird. —
Viertens: wenn „die Sitten verfallen“, so tauchen zuerst jene
Wesen auf, welche man Tyrannen nennt: es sind die Vorläufer und
gleichsam die frühreifen
Erstlinge der Individuen . Noch eine kleine
Weile: und diese Frucht der Früchte hängt reif und gelb am Baume
eines Volkes, — und nur um dieser Früchte willen gab es diesen
Baum! Ist der Verfall auf seine Höhe gekommen und der Kampf
aller Art Tyrannen ebenfalls, so kommt dann immer der Cäsar, der
Schluss-Tyrann, der dem ermüdeten Ringen um Alleinherrschaft ein
Ende macht, indem er die Müdigkeit für sich arbeiten lässt. Zu
seiner Zeit ist gewöhnlich das Individuum am reifsten und
folglich die „Cultur“ am höchsten und fruchtbarsten, aber nicht
um seinetwillen und nicht durch ihn: obwohl die höchsten
Cultur-Menschen ihrem Cäsar damit zu schmeicheln lieben, dass
sie sich als sein
Werk ausgeben. Die Wahrheit aber ist, dass sie Ruhe von Aussen
nöthig haben, weil sie ihre Unruhe und Arbeit in sich haben. In
diesen Zeiten ist die Bestechlichkeit und der Verrath am
grössten: denn die Liebe zu dem eben erst entdeckten ego ist
jetzt viel mächtiger, als die Liebe zum alten, verbrauchten,
todtgeredeten „Vaterlande“; und das Bedürfniss, sich irgendwie
gegen die furchtbaren Schwankungen des Glückes sicherzustellen,
öffnet auch edlere Hände, sobald ein Mächtiger und Reicher sich
bereit zeigt, Gold in sie zu schütten. Es giebt jetzt so wenig
sichere Zukunft: da lebt man für heute: ein Zustand der Seele,
bei dem alle Verführer ein leichtes Spiel spielen, — man lässt
sich nämlich auch nur „für heute“ verführen und bestechen und
behält sich die Zukunft und die Tugend vor! Die Individuen,
diese wahren An- und Für-sich’s, sorgen, wie bekannt, mehr für
den Augenblick, als ihre Gegensätze, die Heerden-Menschen, weil
sie sich selber für ebenso unberechenbar halten wie die Zukunft;
ebenso knüpfen sie sich gerne an Gewaltmenschen an, weil sie
sich Handlungen und Auskünfte zutrauen, die bei der Menge weder
auf Verständniss noch auf Gnade rechnen können, — aber der
Tyrann oder Cäsar versteht das Recht des Individuums auch in
seiner Ausschreitung und hat ein Interesse daran, einer kühneren
Privatmoral das Wort zu reden und selbst die Hand zu bieten.
Denn er denkt von sich und will über sich gedacht haben, was
Napoleon einmal in seiner classischen Art und Weise
ausgesprochen hat: „ich habe das Recht, auf Alles, worüber man
gegen mich Klage führt, durch ein ewiges „Das-bin-ich“ zu
antworten. Ich bin abseits von aller Welt, ich nehme von
Niemandem Bedingungen an. Ich will, dass man sich auch meinen
Phantasieen unterwerfe und es ganz einfach finde, wenn ich mich
diesen oder jenen Zerstreuungen hingebe.“ So sprach Napoleon
einmal zu seiner Gemahlin, als diese Gründe hatte, die eheliche
Treue ihres Gatten in Frage zu ziehen. — Die Zeiten der
Corruption sind die, in welchen die Aepfel vom Baume fallen: ich
meine die Individuen, die Samenträger der Zukunft, die Urheber
der geistigen Colonisation und Neubildung von Staats- und
Gesellschaftsverbänden. Corruption ist nur ein Schimpfwort für
die Herbstzeiten
eines Volkes.
[24]
Verschiedene Unzufriedenheit. —
Die schwachen und gleichsam weiblichen Unzufriedenen sind die
Erfindsamen für die Verschönerung und Vertiefung des Lebens; die
starken Unzufriedenen — die Mannspersonen unter ihnen, im Bilde
zu bleiben — für Verbesserung und Sicherung des Lebens. Die
Ersteren zeigen darin ihre Schwäche und Weiberart, dass sie sich
gerne zeitweilig täuschen lassen und wohl schon mit ein Wenig
Rausch und Schwärmerei einmal fürlieb nehmen, aber im Ganzen nie
zu befriedigen sind und an der Unheilbarkeit ihrer
Unzufriedenheit leiden; überdiess sind sie die Förderer aller
Derer, welche opiatische und narkotische Tröstungen zu schaffen
wissen, und eben darum Jenen gram, die den Arzt höher als den
Priester schätzen, — dadurch unterhalten sie die Fortdauer der wirklichen
Nothstände! Hätte es nicht seit den Zeiten des Mittelalters eine
Ueberzahl von Unzufriedenen dieser Art in Europa gegeben, so
würde vielleicht die berühmte europäische Fähigkeit zur
beständigen Verwandelung
gar nicht entstanden sein: denn die Ansprüche der starken
Unzufriedenen sind zu grob und im Grunde zu anspruchslos, um
nicht endlich einmal zur Ruhe gebracht werden zu können. China
ist das Beispiel eines Landes, wo die Unzufriedenheit im Grossen
und die Fähigkeit der Verwandelung seit vielen Jahrhunderten
ausgestorben ist; und die Socialisten und Staats-Götzendiener
Europa’s könnten es mit ihren Maassregeln zur Verbesserung und
Sicherung des Lebens auch in Europa leicht zu chinesischen
Zuständen und einem chinesischen „Glücke“ bringen,
vorausgesetzt, dass sie hier zuerst jene kränklichere, zartere,
weiblichere, einstweilen noch überreichlich vorhandene
Unzufriedenheit und Romantik ausrotten könnten. Europa ist ein
Kranker, der seiner Unheilbarkeit und ewigen Verwandelung seines
Leidens den höchsten Dank schuldig ist; diese beständigen neuen
Lagen, diese ebenso beständigen neuen Gefahren, Schmerzen und
Auskunftsmittel haben zuletzt eine intellectuale Reizbarkeit
erzeugt, welche beinahe so viel, als Genie, und jedenfalls die
Mutter alles Genie’s ist.
[25]
Nicht zur Erkenntniss vorausbestimmt. —
Es giebt eine gar nicht seltene blöde Demüthigkeit, mit der
behaftet man ein für alle Mal nicht zum Jünger der Erkenntniss
taugt. Nämlich: in dem Augenblick, wo ein Mensch dieser Art
etwas Auffälliges wahrnimmt, dreht er sich gleichsam auf dem
Fusse um und sagt sich: „Du hast dich getäuscht! Wo hast du
deine Sinne gehabt! Diess darf nicht die Wahrheit sein!“ — und
nun, statt noch einmal schärfer hinzusehen und hinzuhören, läuft
er wie eingeschüchtert dem auffälligen Dinge aus dem Wege und
sucht es sich so schnell wie möglich aus dem Kopfe zu schlagen.
Sein innerlicher Kanon nämlich lautet: „Ich will Nichts sehen,
was der üblichen Meinung über die Dinge widerspricht! Bin
ich dazu gemacht, neue
Wahrheiten zu entdecken? Es giebt schon der alten zu viele.“
[25]
Niet tot kennis (inzicht) voorbestemd. — Er bestaat
een bepaald niet zeldzame domme deemoedigheid. Als men daarmee
behept is dan is men voor eens en voorgoed ongeschikt om een
leerling van de Kennis te worden. Immers: Op het ogenblik zelf dat
dit soort mens iets opvallends waarneemt, maakt hij op slag
rechtsomkeert en zegt tot zichzelf : “Je hebt je vergist! Waar zat
je met je gedachten ( Sinne is meerduidig)! Dit kan
gewoon niet waar zijn!” — en dan, in plaats van nog eens scherper
toe te zien en beter te luisteren, gaat hij, als geïntimideerd,
wat hem opgevallen was uit de weg, en probeert het zo snel
mogelijk uit zijn hoofd te zetten. Zijn innerlijke canon luidt
immers: “Ik wil niets zien dat de gangbare opvatting over de
dingen tegenspreekt! Ben ik ervoor in de wieg gelegd
om nieuwe waarheden te ontdekken? Van de oude zijn er al meer dan
genoeg.”
[26]
Was heisst Leben? — Leben
— das heisst: fortwährend Etwas von sich abstossen, das sterben
will; Leben — das heisst: grausam und unerbittlich gegen Alles
sein, was schwach und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.
Leben — das heisst also: ohne Pietät gegen Sterbende, Elende und
Greise sein? Immerfort Mörder sein? — Und doch hat der alte
Moses gesagt: „Du sollst nicht tödten!“
[26]
Wat is leven? - Leven - dat is: voortdurend iets van
zich afstoten, dat sterven wil; Leven - dat is: wreed en
onverbiddelijk zijn tegen alles, dat zwak en oud aan ons wordt, en
niet enkel aan ons. Leven - dat is dus: Piëteitsloos zijn jegens
stervende, ellendige en grijze mensen? Aldoor moordenaar zijn? -
En toch heeft de oude Mozes gezegd: "Gij zult niet doodslaan".
[27]
Der Entsagende. — Was
thut der Entsagende? Er strebt nach einer höheren Welt, er will
weiter und ferner und höher fliegen, als alle Menschen der
Bejahung, — er wirft Vieles weg
, was seinen Flug beschweren würde, und Manches darunter,
was ihm nicht unwerth, nicht unliebsam ist: er opfert es seiner
Begierde zur Höhe. Dieses Opfern, dieses Wegwerfen ist nun
gerade Das, was allein sichtbar an ihm wird: darnach giebt man
ihm den Namen des Entsagenden, und als dieser steht er vor uns,
eingehüllt in seine Kapuze und wie die Seele eines härenen
Hemdes. Mit diesem Effecte, den er auf uns macht, ist er aber
wohl zufrieden: er will vor uns seine Begierde, seinen Stolz,
seine Absicht, über
uns hinauszufliegen, verborgen halten. — Ja! Er ist klüger, als
wir dachten, und so höflich gegen uns — dieser Bejahende! Denn
das ist er gleich uns, auch indem er entsagt.
[28]
Mit seinem Besten schaden. —
Unsere Stärken treiben uns mitunter so weit vor, dass wir unsere
Schwächen nicht mehr aushalten können und an ihnen zu Grunde
gehen: wir sehen auch wohl diesen Ausgang voraus und wollen es
trotzdem nicht anders. Da werden wir hart gegen Das an uns, was
geschont sein will, und unsere Grösse ist auch unsere
Unbarmherzigkeit. — Ein solches Erlebniss, das wir zuletzt mit
dem Leben bezahlen müssen, ist ein Gleichniss für das gesammte
Wirken grosser Menschen auf Andere und auf ihre Zeit: — gerade
mit ihrem Besten, mit dem, was nur sie können, richten sie viele
Schwache, Unsichere, Werdende, Wollende zu Grunde, und sind
hierdurch schädlich. Ja es kann der Fall vorkommen, dass sie, im
Ganzen gerechnet, nur schaden, weil ihr Bestes allein von
Solchen angenommen und gleichsam aufgetrunken wird, welche an
ihm, wie an einem zu starken Getränke, ihren Verstand und ihre
Selbstsucht verlieren: sie werden so berauscht, dass sie ihre
Glieder auf allen den Irrwegen brechen müssen, wohin sie der
Rausch treibt.
[29]
Die Hinzu-Lügner. — Als
man in Frankreich die Einheiten des Aristoteles zu bekämpfen und
folglich auch zu vertheidigen anfieng, da war es wieder einmal
zu sehen, was so oft zu sehen ist, aber so ungern gesehen wird:
— man log sich Gründe vor
, um derenthalben jene Gesetze bestehen sollten, blos um
sich nicht einzugestehen, dass man sich an die Herrschaft dieser
Gesetze gewöhnt
habe und es nicht mehr anders haben wolle. Und so macht man es
innerhalb jeder herrschenden Moral und Religion und hat es von
jeher gemacht: die Gründe und die Absichten hinter der
Gewohnheit werden immer zu ihr erst hinzugelogen, wenn Einige
anfangen, die Gewohnheit zu bestreiten und nach Gründen und
Absichten zu fragen
. Hier steckt die grosse Unehrlichkeit der Conservativen aller
Zeiten: — es sind die Hinzu-Lügner.
[30]
Komödienspiel der Berühmten. —
Berühmte Männer, welche ihren Ruhm
nöthig haben , wie zum Beispiel alle Politiker,
wählen ihre Verbündeten und Freunde nie mehr ohne
Hintergedanken: von diesem wollen sie ein Stück Glanz und
Abglanz seiner Tugend, von jenem das Furchteinflössende gewisser
bedenklicher Eigenschaften, die Jedermann an ihm kennt, einem
andern stehlen sie den Ruf seines Müssigganges, seines
In-der-Sonne-liegens, weil es ihren eigenen Zwecken frommt,
zeitweilig für unachtsam und träge zu gelten: — es verdeckt,
dass sie auf der Lauer liegen; bald brauchen sie den Phantasten,
bald den Kenner, bald den Grübler, bald den Pedanten in ihrer
Nähe und gleichsam als ihr gegenwärtiges Selbst, aber eben so
bald brauchen sie dieselben nicht mehr! Und so sterben
fortwährend ihre Umgebungen und Aussenseiten ab, während Alles
sich in diese Umgebung zu drängen scheint und zu ihrem
„Charakter“ werden will: darin gleichen sie den grossen Städten.
Ihr Ruf ist fortwährend im Wandel wie ihr Charakter, denn ihre
wechselnden Mittel verlangen diesen Wechsel, und schieben bald
diese, bald jene wirkliche oder erdichtete Eigenschaft hervor
und auf die Bühne hinaus
: ihre Freunde und Verbündeten gehören, wie gesagt, zu
diesen Bühnen-Eigenschaften. Dagegen muss Das, was sie wollen,
um so mehr fest und ehern und weithin glänzend stehen bleiben, —
und auch diess hat bisweilen seine Komödie und sein Bühnenspiel
nöthig.
[31]
Handel und Adel. — Kaufen
und verkaufen gilt jetzt als gemein, wie die Kunst des Lesens
und Schreibens; Jeder ist jetzt darin eingeübt, selbst wenn er
kein Handelsmann ist, und übt sich noch an jedem Tage in dieser
Technik: ganz wie ehemals, im Zeitalter der wilderen Menschheit,
Jedermann Jäger war und sich Tag für Tag in der Technik der Jagd
übte. Damals war die Jagd gemein: aber wie diese endlich ein
Privilegium der Mächtigen und Vornehmen wurde und damit den
Charakter der Alltäglichkeit und Gemeinheit verlor — dadurch,
dass sie aufhörte nothwendig zu sein und eine Sache der Laune
und des Luxus wurde: — so könnte es irgendwann einmal mit dem
Kaufen und Verkaufen werden. Es sind Zustände der Gesellschaft
denkbar, wo nicht verkauft und gekauft wird und wo die
Nothwendigkeit dieser Technik allmählich ganz verloren geht:
vielleicht, dass dann Einzelne, welche dem Gesetze des
allgemeinen Zustandes weniger unterworfen sind, sich dann das
Kaufen und Verkaufen wie einen
Luxus der Empfindung erlauben. Dann erst bekäme
der Handel Vornehmheit, und die Adeligen würden sich dann
vielleicht ebenso gern mit dem Handel abgeben, wie bisher mit
dem Kriege und der Politik: während umgekehrt die Schätzung der
Politik sich dann völlig geändert haben könnte. Schon jetzt hört
sie auf, das Handwerk des Edelmannes zu sein: und es wäre
möglich, dass man sie eines Tages so gemein fände, um sie,
gleich aller Partei- und Tageslitteratur, unter die Rubrik
„Prostitution des Geistes“ zu bringen.
[32]
Unerwünschte Jünger. —
Was soll ich mit diesen beiden Jünglingen machen! rief mit
Unmuth ein Philosoph, welcher die Jugend „verdarb“, wie Sokrates
sie einst verdorben hat, — es sind mir unwillkommene Schüler.
Der da kann nicht Nein sagen und Jener sagt zu Allem: „Halb und
halb.“ Gesetzt, sie ergriffen meine Lehre, so würde der Erstere
zu viel leiden ,
denn meine Denkweise erfordert eine kriegerische Seele, ein
Wehethun-Wollen, eine Lust am Neinsagen, eine harte Haut, — er
würde an offenen und inneren Wunden dahin siechen. Und der
Andere wird sich aus jeder Sache, die er vertritt, eine
Mittelmässigkeit zurecht machen und sie dergestalt zur
Mittelmässigkeit machen, — einen solchen Jünger wünsche ich
meinem Feinde.
[33]
Ausserhalb des Hörsaales. —
„Um Ihnen zu beweisen, dass der Mensch im Grunde zu den
gutartigen Thieren gehört, würde ich Sie daran erinnern, wie
leichtgläubig er so lange gewesen ist. Jetzt erst ist er, ganz
spät und nach ungeheurer Selbstüberwindung, ein misstrauisches Thier geworden, —
ja! der Mensch ist jetzt böser als je.“ — Ich verstehe diess
nicht: warum sollte der Mensch jetzt misstrauischer und böser
sein? — „Weil er jetzt eine Wissenschaft hat, — nöthig hat!“ —
[34]
Historia abscondita. —
Jeder grosse Mensch hat eine rückwirkende Kraft: alle Geschichte
wird um seinetwillen wieder auf die Wage gestellt, und tausend
Geheimnisse der Vergangenheit kriechen aus ihren Schlupfwinkeln
— hinein in seine
Sonne. Es ist gar nicht abzusehen, was Alles einmal noch
Geschichte sein wird. Die Vergangenheit ist vielleicht immer
noch wesentlich unentdeckt! Es bedarf noch so vieler
rückwirkender Kräfte!
[35]
Ketzerei und Hexerei. —
Anders denken, als Sitte ist — das ist lange nicht so sehr die
Wirkung eines besseren Intellectes, als die Wirkung starker,
böser Neigungen, loslösender, isolirender, trotziger,
schadenfroher, hämischer Neigungen. Die Ketzerei ist das
Seitenstück zur Hexerei und gewiss ebensowenig, als diese, etwas
Harmloses oder gar an sich selber Verehrungswürdiges. Die Ketzer
und die Hexen sind zwei Gattungen böser Menschen: gemeinsam ist
ihnen, dass sie sich auch als böse fühlen, dass aber ihre
unbezwingliche Lust ist, an dem, was herrscht (Menschen oder
Meinungen), sich schädigend auszulassen. Die Reformation, eine
Art Verdoppelung des mittelalterlichen Geistes, zu einer Zeit,
als er bereits das gute Gewissen nicht mehr bei sich hatte,
brachte sie beide in grösster Fülle hervor.
[36]
Letzte Worte. — Man wird
sich erinnern, dass der Kaiser Augustus, jener fürchterliche
Mensch, der sich ebenso in der Gewalt hatte und der ebenso
schweigen konnte wie irgend ein weiser Sokrates, mit seinem
letzten Worte indiscret gegen sich selber wurde: er liess zum
ersten Male seine Maske fallen, als er zu verstehen gab, dass er
eine Maske getragen und eine Komödie gespielt habe, — er hatte
den Vater des Vaterlandes und die Weisheit auf dem Throne
gespielt, gut bis zur Illusion! Plaudite amici, comoedia finita
est! — Der Gedanke des sterbenden Nero: qualis artifex pereo!
war auch der Gedanke des sterbenden Augustus:
Histrionen-Eitelkeit! Histrionen-Schwatzhaftigkeit! Und recht
das Gegenstück zum sterbenden Sokrates! — Aber Tiberius starb
schweigsam, dieser gequälteste aller Selbstquäler, — der war ächt und kein
Schauspieler! Was mag dem wohl zuletzt durch den Kopf gegangen
sein! Vielleicht diess: „Das Leben — das ist ein langer Tod. Ich
Narr, der ich so Vielen das Leben verkürzte! War ich dazu gemacht, ein Wohltäter
zu sein? Ich hätte ihnen das ewige Leben geben sollen: so hätte
ich sie ewig sterben sehen
können. Dafür
hatte ich ja so gute Augen: qualis spectator pereo!“ Als er nach
einem langen Todeskampfe doch wieder zu Kräften zu kommen
schien, hielt man es für rathsam, ihn mit Bettkissen zu
ersticken, — er starb eines doppelten Todes.
[37]
Aus drei Irrthümern. —
Man hat in den letzten Jahrhunderten die Wissenschaft gefördert,
theils weil man mit ihr und durch sie Gottes Güte und Weisheit
am besten zu verstehen hoffte — das Hauptmotiv in der Seele der
grossen Engländer (wie Newton) —, theils weil man an die
absolute Nützlichkeit der Erkenntniss glaubte, namentlich an den
innersten Verband von Moral, Wissen und Glück — das Hauptmotiv
in der Seele der grossen Franzosen (wie Voltaire) —, theils weil
man in der Wissenschaft etwas Selbstloses, Harmloses,
Sich-selber-Genügendes, wahrhaft Unschuldiges zu haben und zu
lieben meinte, an dem die bösen Triebe des Menschen überhaupt
nicht betheiligt seien — das Hauptmotiv in der Seele Spinoza’s,
der sich als Erkennender göttlich fühlte: also aus drei
Irrthümern.
[37]
Vanuit drie misvattingen . — In de afgelopen eeuwen
heeft men de wetenschap vooruitgeholpen, deels omdat men hoopte
met en door haar Gods goedheid en wijsheid beter te kunnen
begrijpen — de belangrijkste drijfveer in de ziel van de grote
Engelsen (zoals Newton) —, deels omdat men geloofde in het
absolute nut van kennis, met name in het innerlijke verband tussen
moraal, kennis en geluk — de belangrijkste drijfveer in de ziel
van de grote Fransen (zoals Voltaire) —, deels omdat men dacht in
de wetenschap iets onbaatzuchtigs, onschuldigs,
zichzelf-geheel-genoegzaams, echt onschuldigs te hebben en te
beminnen, (iets) waaraan de slechte aandriften van de mens
helemaal geen deel hadden — de belangrijkste drijfveer in de ziel
van Spinoza, die zich als kenniszoeker (Erkennende)
goddelijk voelde: - ergo: vanuit drie misvattingen.
[38]
Die Explosiven. — Erwägt
man, wie explosionsbedürftig die Kraft junger Männer daliegt, so
wundert man sich nicht, sie so unfein und so wenig wählerisch
sich für diese oder jene Sache entscheiden zu sehen: Das, was
sie reizt, ist der Anblick des Eifers, der um eine Sache ist,
und gleichsam der Anblick der brennenden Lunte, — nicht die
Sache selber. Die feineren Verführer verstehen sich desshalb
darauf, ihnen die Explosion in Aussicht zu stellen und von der
Begründung ihrer Sache abzusehen: mit Gründen gewinnt man diese
Pulverfässer nicht!
[39]
Veränderter Geschmack. —
Die Veränderung des allgemeinen Geschmackes ist wichtiger, als
die der Meinungen; Meinungen mit allen Beweisen, Widerlegungen
und der ganzen intellectuellen Maskerade sind nur Symptome des
veränderten Geschmacks und ganz gewiss gerade Das nicht , wofür man sie noch so
häufig anspricht, dessen Ursachen. Wie verändert sich der
allgemeine Geschmack? Dadurch, dass Einzelne, Mächtige,
Einflussreiche ohne Schamgefühl
ihr hoc est ridiculum, hoc est absurdum, also
das Urtheil ihres Geschmacks und Ekels, aussprechen und
tyrannisch durchsetzen: — sie legen damit Vielen einen Zwang
auf, aus dem allmählich eine Gewöhnung noch Mehrerer und zuletzt
ein Bedürfniss Aller
wird. Dass diese Einzelnen aber anders empfinden und
„schmecken“, das hat gewöhnlich seinen Grund in einer
Absonderlichkeit ihrer Lebensweise, Ernährung, Verdauung,
vielleicht in einem Mehr oder Weniger der anorganischen Salze in
ihrem Blute und Gehirn, kurz in der Physis: sie haben aber den
Muth, sich zu ihrer Physis zu bekennen und deren Forderungen
noch in ihren feinsten Tönen Gehör zu schenken: ihre
ästhetischen und moralischen Urtheile sind solche „feinste Töne“
der Physis.
[40]
Vom Mangel der vornehmen Form. —
Soldaten und Führer haben immer noch ein viel höheres
Verhalten zu einander, als Arbeiter und Arbeitgeber. Einstweilen
wenigstens steht alle militärisch begründete Cultur noch hoch
über aller sogenannten industriellen Cultur: letztere in ihrer
jetzigen Gestalt ist überhaupt die gemeinste Daseinsform, die es
bisher gegeben hat. Hier wirkt einfach das Gesetz der Noth: man
will leben und muss sich verkaufen, aber man verachtet Den, der
diese Noth ausnützt und sich den Arbeiter
kauft . Es ist seltsam, dass die Unterwerfung
unter mächtige, furchterregende, ja schreckliche Personen, unter
Tyrannen und Heerführer, bei Weitem nicht so peinlich empfunden
wird, als diese Unterwerfung unter unbekannte und uninteressante
Personen, wie es alle Grössen der Industrie sind: in dem
Arbeitgeber sieht der Arbeiter gewöhnlich nur einen listigen,
aussaugenden, auf alle Noth speculirenden Hund von Menschen,
dessen Name, Gestalt, Sitte und Ruf ihm ganz gleichgültig sind.
Den Fabricanten und Gross-Unternehmern des Handels fehlten
bisher wahrscheinlich allzusehr alle jene Formen und Abzeichen
der höheren Rasse
, welche erst die Personen
interessant werden lassen; hätten sie die Vornehmheit des
Geburts-Adels im Blick und in der Gebärde, so gäbe es vielleicht
keinen Socialismus der Massen. Denn diese sind im Grunde bereit
zur Sclaverei
jeder Art, vorausgesetzt, dass der Höhere über ihnen sich
beständig als höher, als zum Befehlen
geboren legitimirt — durch die vornehme Form!
Der gemeinste Mann fühlt, dass die Vornehmheit nicht zu
improvisiren ist und dass er in ihr die Frucht langer Zeiten zu
ehren hat, — aber die Abwesenheit der höheren Form und die
berüchtigte Fabricanten-Vulgarität mit rothen, feisten Händen,
bringen ihn auf den Gedanken, dass nur Zufall und Glück hier den
Einen über den Andern erhoben habe: wohlan, so schliesst er bei
sich, versuchen wir
einmal den Zufall und das Glück! Werfen wir einmal die Würfel! —
und der Socialismus beginnt.
[41]
Gegen die Reue. — Der
Denker sieht in seinen eigenen Handlungen Versuche und Fragen,
irgend worüber Aufschluss zu erhalten: Erfolg und Misserfolg
sind ihm zu allererst Antworten .
Sich aber darüber, dass Etwas missräth, ärgern oder gar Reue
empfinden — das überlässt er Denen, welche handeln, weil es
ihnen befohlen wird, und welche Prügel zu erwarten haben, wenn
der gnädige Herr mit dem Erfolg nicht zufrieden ist.
[41]
Tegen de spijt . — De denker ziet in zijn eigen
handelingen pogingen en vragen om ergens uitsluitsel over te
krijgen: succes en mislukking zijn voor hem allereerst
antwoorden . Zich ergeren aan het feit dat iets misgaat,
of zelfs spijt hebben — dat laat hij over aan degenen die handelen
omdat het hun bevolen wordt, en die een pak slaag kunnen
verwachten als de genadige heer niet tevreden is met het
resultaat.
[42]
Arbeit und Langeweile. —
Sich Arbeit suchen um des Lohnes willen — darin sind sich in den
Ländern der Civilisation jetzt fast alle Menschen gleich; ihnen
allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel; wesshalb
sie in der Wahl der Arbeit wenig fein sind, vorausgesetzt, dass
sie einen reichlichen Gewinn abwirft. Nun giebt es seltenere
Menschen, welche lieber zu Grunde gehen wollen, als ohne
Lust an der Arbeit arbeiten:
jene Wählerischen, schwer zu Befriedigenden, denen mit einem
reichlichen Gewinn nicht gedient wird, wenn die Arbeit nicht
selber der Gewinn aller Gewinne ist. Zu dieser seltenen Gattung
von Menschen gehören die Künstler und Contemplativen aller Art,
aber auch schon jene Müssiggänger, die ihr Leben auf der Jagd,
auf Reisen oder in Liebeshändeln und Abenteuern zubringen. Alle
diese wollen Arbeit und Noth, sofern sie mit Lust verbunden ist,
und die schwerste, härteste Arbeit, wenn es sein muss. Sonst
aber sind sie von einer entschlossenen Trägheit, sei es selbst,
dass Verarmung, Unehre, Gefahr der Gesundheit und des Lebens an
diese Trägheit geknüpft sein sollte. Sie fürchten die Langeweile
nicht so sehr, als die Arbeit ohne Lust: ja, sie haben viel
Langeweile nöthig, wenn ihnen
ihre Arbeit gelingen soll. Für den Denker und
für alle erfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme
„Windstille“ der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den
lustigen Winden vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre
Wirkung bei sich abwarten
: — das gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus
nicht von sich erlangen können! Langeweile auf jede Weise von
sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist. Es
zeichnet vielleicht die Asiaten vor den Europäern aus, dass sie
einer längeren, tieferen Ruhe fähig sind, als diese; selbst ihre
Narcotica wirken langsam und verlangen Geduld, im Gegensatz zu
der widrigen Plötzlichkeit des europäischen Giftes, des
Alkohols.
[43]
Was die Gesetze verrathen. —
Man vergreift sich sehr, wenn man die Strafgesetze eines Volkes
studirt, als ob sie ein Ausdruck seines Charakters wären; die
Gesetze verrathen nicht Das, was ein Volk ist, sondern Das, was
ihm fremd, seltsam, ungeheuerlich, ausländisch erscheint. Die
Gesetze beziehen sich auf die Ausnahmen der Sittlichkeit der
Sitte; und die härtesten Strafen treffen Das, was der Sitte des
Nachbarvolkes gemäss ist. So giebt es bei den Wahabiten nur zwei
Todsünden: einen anderen Gott haben als den Wahabiten-Gott und —
rauchen (es wird bei ihnen bezeichnet als „die schmachvolle Art
des Trinkens“). „Und wie steht es mit Mord und Ehebruch?“ —
fragte erstaunt der Engländer, der diese Dinge erfuhr. „Nun,
Gott ist gnädig und barmherzig!“ — sagte der alte Häuptling. —
So gab es bei den alten Römern die Vorstellung, dass ein Weib
sich nur auf zweierlei Art tödtlich versündigen könne: einmal
durch Ehebruch, sodann — durch Weintrinken. Der alte Cato
meinte, man habe das Küssen unter Verwandten nur desshalb zur
Sitte gemacht, um die Weiber in diesem Puncte unter Controle zu
halten; ein Kuss bedeute: riecht sie nach Wein? Man hat wirklich
Frauen, die beim Weine ertappt wurden, mit dem Tode gestraft:
und gewiss nicht nur, weil die Weiber mitunter unter der
Einwirkung des Weines alles Nein-Sagen verlernen; die Römer
fürchteten vor Allem das orgiastische und dionysische Wesen, von
dem die Weiber des europäischen Südens damals, als der Wein noch
neu in Europa war, von Zeit zu Zeit heimgesucht wurden, als eine
ungeheuerliche Ausländerei, welche den Grund der römischen
Empfindung umwarf; es war ihnen wie ein Verrath an Rom, wie die
Einverleibung des Auslandes.
[44]
Die geglaubten Motive. —
So wichtig es sein mag, die Motive zu wissen, nach denen
wirklich die Menschheit bisher gehandelt hat: vielleicht ist der
Glaube an diese
oder jene Motive, also Das, was die Menschheit sich selber als
die eigentlichen Hebel ihres Thuns bisher untergeschoben und
eingebildet hat, etwas noch Wesentlicheres für den Erkennenden.
Das innere Glück und Elend der Menschen ist ihnen nämlich je
nach ihrem Glauben an diese oder jene Motive zu Theil geworden,
— nicht aber
durch Das, was wirklich Motiv war! Alles diess Letztere hat ein
Interesse zweiten Ranges.
[45]
Epikur. — Ja, ich bin
stolz darauf, den Charakter Epikur’s anders zu empfinden, als
irgend Jemand vielleicht, und bei Allem, was ich von ihm höre
und lese, das Glück des Nachmittags des Alterthums zu geniessen:
— ich sehe sein Auge auf ein weites weissliches Meer blicken,
über Uferfelsen hin, auf denen die Sonne liegt, während grosses
und kleines Gethier in ihrem Lichte spielt, sicher und ruhig wie
diess Licht und jenes Auge selber. Solch ein Glück hat nur ein
fortwährend Leidender erfinden können, das Glück eines Auges,
vor dem das Meer des Daseins stille geworden ist, und das nun an
seiner Oberfläche und an dieser bunten, zarten, schaudernden
Meeres-Haut sich nicht mehr satt sehen kann: es gab nie zuvor
eine solche Bescheidenheit der Wollust.
[46]
Unser Erstaunen. — Es
liegt ein tiefes und gründliches Glück darin, dass die
Wissenschaft Dinge ermittelt, die
Stand halten und die immer wieder den Grund zu
neuen Ermittelungen abgeben: — es könnte ja anders sein! Ja, wir
sind so sehr von all der Unsicherheit und Phantasterei unserer
Urtheile und von dem ewigen Wandel aller menschlichen Gesetze
und Begriffe überzeugt, dass es uns eigentlich ein Erstaunen
macht, wie sehr
die Ergebnisse der Wissenschaft Stand halten! Früher wusste man
Nichts von dieser Wandelbarkeit alles Menschlichen, die Sitte
der Sittlichkeit hielt den Glauben aufrecht, dass das ganze
innere Leben des Menschen mit ewigen Klammern an die eherne
Nothwendigkeit geheftet sei: vielleicht empfand man damals eine
ähnliche Wollust des Erstaunens, wenn man sich Märchen und
Feengeschichten erzählen liess. Das Wunderbare that jenen
Menschen so wohl, die der Regel und der Ewigkeit mitunter wohl
müde werden mochten. Einmal den Boden verlieren! Schweben!
Irren! Toll sein! — das gehörte zum Paradies und zur Schwelgerei
früherer Zeiten: während unsere Glückseligkeit der des
Schiffbrüchigen gleicht, der an’s Land gestiegen ist und mit
beiden Füssen sich auf die alte feste Erde stellt — staunend,
dass sie nicht schwankt.
[47]
Von der Unterdrückung der Leidenschaften.
— Wenn man sich anhaltend den Ausdruck der
Leidenschaften verbietet, wie als etwas den „Gemeinen“, den
gröberen, bürgerlichen, bäuerlichen Naturen zu Ueberlassendes, —
also nicht die Leidenschaften selber unterdrücken will, sondern
nur ihre Sprache und Gebärde: so erreicht man nichtsdestoweniger
eben Das mit ,
was man nicht will: die Unterdrückung der Leidenschaften selber,
mindestens ihre Schwächung und Veränderung: — wie diess zum
belehrendsten Beispiele der Hof Ludwig’s des Vierzehnten und
Alles, was von ihm abhängig war, erlebt hat. Das Zeitalter
darauf , erzogen in der
Unterdrückung des Ausdrucks, hatte die Leidenschaften selber
nicht mehr und ein anmuthiges, flaches, spielendes Wesen an
ihrer Stelle, — ein Zeitalter, das mit der Unfähigkeit behaftet
war, unartig zu sein: sodass selbst eine Beleidigung nicht
anders als mit verbindlichen Worten angenommen und zurückgegeben
wurde. Vielleicht giebt unsere Gegenwart das merkwürdigste
Gegenstück dazu ab: ich sehe überall, im Leben und auf dem
Theater, und nicht am wenigsten in Allem, was geschrieben wird,
das Wohlbehagen an allen gröberen
Ausbrüchen und Gebärden der Leidenschaft: es wird
jetzt eine gewisse Convention der Leidenschaftlichkeit verlangt,
— nur nicht die Leidenschaft selber! Trotzdem wird man
sie damit zuletzt erreichen,
und unsere Nachkommen werden eine
ächte Wildheit haben und nicht nur eine
Wildheit und Ungebärdigkeit der Formen.
[48]
Kenntniss der Noth. —
Vielleicht werden die Menschen und Zeiten durch Nichts so sehr
von einander geschieden, als durch den verschiedenen Grad von
Kenntniss der Noth, den sie haben: Noth der Seele wie des
Leibes. In Bezug auf letztere sind wir Jetzigen vielleicht
allesammt, trotz unserer Gebrechen und Gebrechlichkeiten, aus
Mangel an reicher Selbst-Erfahrung Stümper und Phantasten
zugleich: im Vergleich zu einem Zeitalter der Furcht — dem
längsten aller Zeitalter —, wo der Einzelne sich selber gegen
Gewalt zu schützen hatte und um dieses Zieles willen selber
Gewaltmensch sein musste. Damals machte ein Mann seine reiche
Schule körperlicher Qualen und Entbehrungen durch und begriff
selbst in einer gewissen Grausamkeit gegen sich, in einer
freiwilligen Uebung des Schmerzes, ein ihm nothwendiges Mittel
seiner Erhaltung; damals erzog man seine Umgebung zum Ertragen
des Schmerzes, damals fügte man gern Schmerz zu und sah das
Furchtbarste dieser Art über Andere ergehen, ohne ein anderes
Gefühl, als das der eigenen Sicherheit. Was die Noth der Seele
aber betrifft, so sehe ich mir jetzt jeden Menschen darauf an,
ob er sie aus Erfahrung oder Beschreibung kennt; ob er diese
Kenntniss zu heucheln doch noch für nöthig hält, etwa als ein
Zeichen der feineren Bildung, oder ob er überhaupt an grosse
Seelenschmerzen im Grunde seiner Seele nicht glaubt und es ihm
bei Nennung derselben ähnlich ergeht, wie bei Nennung grosser
körperlicher Erduldungen: wobei ihm seine Zahn- und
Magenschmerzen einfallen. So aber scheint es mir bei den Meisten
jetzt zu stehen. Aus der allgemeinen Ungeübtheit im Schmerz
beiderlei Gestalt und einer gewissen Seltenheit des Anblicks
eines Leidenden ergiebt sich nun eine wichtige Folge: man hasst
jetzt den Schmerz viel mehr, als frühere Menschen, und redet ihm
viel übler nach als je, ja, man findet schon das Vorhandensein
des Schmerzes als eines Gedankens
kaum erträglich und macht dem gesammten Dasein
eine Gewissenssache und einen Vorwurf daraus. Das Auftauchen
pessimistischer Philosophien ist durchaus nicht das Merkmal
grosser, furchtbarer Nothstände; sondern diese Fragezeichen am
Werthe alles Lebens werden in Zeiten gemacht, wo die
Verfeinerung und Erleichterung des Daseins bereits die
unvermeidlichen Mückenstiche der Seele und des Leibes als gar zu
blutig und bösartig befindet und in der Armuth an wirklichen
Schmerz-Erfahrungen am liebsten schon
quälende allgemeine Vorstellungen als das Leid
höchster Gattung erscheinen lassen möchte. — Es gäbe schon ein
Recept gegen pessimistische Philosophien und die übergrosse
Empfindlichkeit, welche mir die eigentliche „Noth der Gegenwart“
zu sein scheint: — aber vielleicht klingt diess Recept schon zu
grausam und würde selber unter die Anzeichen gerechnet werden,
auf Grund deren hin man jetzt urtheilt: „Das Dasein ist etwas
Böses“. Nun! Das Recept gegen „die Noth“ lautet: Noth .
[49]
Grossmuth und Verwandtes. —
Jene paradoxen Erscheinungen, wie die plötzliche Kälte im
Benehmen des Gemüthsmenschen, wie der Humor des Melancholikers,
wie vor Allem die Grossmuth
, als eine plötzliche Verzichtleistung auf Rache oder
Befriedigung des Neides — treten an Menschen auf, in denen eine
mächtige innere Schleuderkraft ist, an Menschen der plötzlichen
Sättigung und des plötzlichen Ekels. Ihre Befriedigungen sind so
schnell und so stark, dass diesen sofort Ueberdruss und
Widerwille und eine Flucht in den entgegengesetzten Geschmack
auf dem Fusse folgt: in diesem Gegensatze löst sich der Krampf
der Empfindung aus, bei Diesem durch plötzliche Kälte, bei Jenem
durch Gelächter, bei einem Dritten durch Thränen und
Selbstaufopferung. Mir erscheint der Grossmüthige — wenigstens
jene Art des Grossmüthigen, die immer am meisten Eindruck
gemacht hat — als ein Mensch des äussersten Rachedurstes, dem
eine Befriedigung sich in der Nähe zeigt und der sie so
reichlich, gründlich und bis zum letzten Tropfen schon in der Vorstellung
austrinkt, dass ein ungeheurer schneller Ekel dieser schnellen
Ausschweifung folgt, — er erhebt sich nunmehr „über sich“, wie
man sagt, und verzeiht seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn.
Mit dieser Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhöhnung
seines eben noch so mächtigen Rachetriebes giebt er aber nur dem
neuen Triebe nach, der eben jetzt in ihm mächtig geworden ist
(dem Ekel), und thut diess ebenso ungeduldig und ausschweifend
wie er kurz vorher die Freude an der Rache mit der Phantasie
vorwegnahm und gleichsam
ausschöpfte. Es ist in der Grossmuth der selbe Grad von Egoismus
wie in der Rache, aber eine andere Qualität des Egoismus.
[50]
Das Argument der Vereinsamung. —
Der Vorwurf des Gewissens ist auch beim Gewissenhaftesten
schwach gegen das Gefühl: „Diess und Jenes ist wider die gute
Sitte deiner
Gesellschaft.“ Ein kalter Blick, ein verzogener Mund von Seiten
Derer, unter denen und für die man erzogen ist, wird auch vom
Stärksten noch gefürchtet
. Was wird da eigentlich gefürchtet? Die Vereinsamung! als
das Argument, welches auch die besten Argumente für eine Person
oder Sache niederschlägt! — So redet der Heerden-Instinct aus
uns.
[51]
Wahrheitssinn. — Ich lobe
mir eine jede Skepsis, auf welche mir erlaubt ist zu antworten:
„Versuchen wir’s!“ Aber ich mag von allen Dingen und allen
Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr hören.
Diess ist die Grenze meines „Wahrheitssinnes“: denn dort hat die
Tapferkeit ihr Recht verloren.
[52]
Was Andere von uns wissen. —
Das, was wir von uns selber wissen und im Gedächtniss haben, ist
für das Glück unseres Lebens nicht so entscheidend, wie man
glaubt. Eines Tages stürzt Das, was
Andere von uns wissen (oder zu wissen meinen)
über uns her — und jetzt erkennen wir, dass es das Mächtigere
ist. Man wird mit seinem schlechten Gewissen leichter fertig,
als mit seinem schlechten Rufe.
[53]
Wo das Gute beginnt. — Wo
die geringe Sehkraft des Auges den bösen Trieb wegen seiner
Verfeinerung nicht mehr als solchen zu sehen vermag, da setzt
der Mensch das Reich des Guten an, und die Empfindung, nunmehr
in’s Reich des Guten übergetreten zu sein, bringt alle die
Triebe in Miterregung, welche durch die bösen Triebe bedroht und
eingeschränkt waren, wie das Gefühl der Sicherheit, des
Behagens, des Wohlwollens. Also: je stumpfer das Auge, desto
weiter reicht das Gute! Daher die ewige Heiterkeit des Volkes
und der Kinder! Daher die Düsterkeit und der dem schlechten
Gewissen verwandte Gram der grossen Denker!
[54]
Das Bewusstsein vom Scheine. —
Wie wundervoll und neu und zugleich wie schauerlich und ironisch
fühle ich mich mit meiner Erkenntniss zum gesammten Dasein
gestellt! Ich habe für mich
entdeckt , dass die alte Mensch- und Thierheit,
ja die gesammte Urzeit und Vergangenheit alles empfindenden
Seins in mir fortdichtet, fortliebt, forthasst, fortschliesst, —
ich bin plötzlich mitten in diesem Traume erwacht, aber nur zum
Bewusstsein, dass ich eben träume und dass ich weiterträumen
muss , um nicht zu Grunde zu
gehen: wie der Nachtwandler weiterträumen muss, um nicht
hinabzustürzen. Was ist mir jetzt „Schein“! Wahrlich nicht der
Gegensatz irgend eines Wesens, — was weiss ich von irgend
welchem Wesen auszusagen, als eben nur die Prädicate seines
Scheines! Wahrlich nicht eine todte Maske, die man einem
unbekannten X aufsetzen und auch wohl abnehmen könnte! Schein
ist für mich das Wirkende und Lebende selber, das soweit in
seiner Selbstverspottung geht, mich fühlen zu lassen, dass hier
Schein und Irrlicht und Geistertanz und nichts Mehr ist, — dass
unter allen diesen Träumenden auch ich, der „Erkennende“, meinen
Tanz tanze, dass der Erkennende ein Mittel ist, den irdischen
Tanz in die Länge zu ziehen und insofern zu den Festordnern des
Daseins gehört, und dass die erhabene Consequenz und
Verbundenheit aller Erkenntnisse vielleicht das höchste Mittel
ist und sein wird, die Allgemeinheit der Träumerei und die
Allverständlichkeit aller dieser Träumenden unter einander und
eben damit die Dauer des Traumes
aufrecht zu erhalten .
[55]
Der letzte Edelsinn. —
Was macht denn „edel“? Gewiss nicht, dass man Opfer bringt; auch
der rasend Wolllüstige bringt Opfer. Gewiss nicht, dass man
überhaupt einer Leidenschaft folgt; es giebt verächtliche
Leidenschaften. Gewiss nicht, dass man für Andere Etwas thut und
ohne Selbstsucht: vielleicht ist die Consequenz der Selbstsucht
gerade bei dem Edelsten am grössten. — Sondern dass die
Leidenschaft, die den Edeln befällt, eine Sonderheit ist, ohne
dass er um diese Sonderheit weiss: der Gebrauch eines seltenen
und singulären Maassstabes und beinahe eine Verrücktheit: das
Gefühl der Hitze in Dingen, welche sich für alle Anderen kalt
anfühlen: ein Errathen von Werthen, für die die Wage noch nicht
erfunden ist: ein Opferbringen auf Altären, die einem
unbekannten Gotte geweiht sind: eine Tapferkeit ohne den Willen
zur Ehre: eine Selbstgenügsamkeit, welche Ueberfluss hat und an
Menschen und Dinge mittheilt. Bisher war es also das Seltene und
die Unwissenheit um diess Seltensein, was edel machte. Dabei
erwäge man aber, dass durch diese Richtschnur alles Gewöhnte,
Nächste und Unentbehrliche, kurz, das am meisten Arterhaltende,
und überhaupt die Regel
in der bisherigen Menschheit, unbillig beurtheilt und im
Ganzen verleumdet worden ist, zu Gunsten der Ausnahmen. Der
Anwalt der Regel werden — das könnte vielleicht die letzte Form
und Feinheit sein, in welcher der Edelsinn auf Erden sich
offenbart.
[56]
Die Begierde nach Leiden. —
Denke ich an die Begierde, Etwas zu thun, wie sie die Millionen
junger Europäer fortwährend kitzelt und stachelt, welche alle
die Langeweile und sich selber nicht ertragen können, — so
begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas zu leiden, sein
muss, um aus ihrem Leiden einen probablen Grund zum Thun, zur
That herzunehmen. Noth ist nöthig! Daher das Geschrei der
Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, übertriebenen
„Nothstände“ aller möglichen Classen und die blinde
Bereitwilligkeit, an sie zu glauben. Diese junge Welt verlangt,
von Aussen her
solle — nicht etwa das Glück — sondern das Unglück kommen oder
sichtbar werden; und ihre Phantasie ist schon voraus geschäftig,
ein Ungeheuer daraus zu formen, damit sie nachher mit einem
Ungeheuer kämpfen könne. Fühlten diese Nothsüchtigen in sich die
Kraft, von Innen her sich selber wohlzuthun, sich selber Etwas
anzuthun, so würden sie auch verstehen, von Innen her sich eine
eigene, selbsteigene Noth zu schaffen. Ihre Erfindungen könnten
dann feiner sein und ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik
klingen: während sie jetzt die Welt mit ihrem Nothgeschrei und
folglich gar zu oft erst mit dem
Nothgefühle anfüllen! Sie verstehen mit sich
Nichts anzufangen — und so malen sie das Unglück Anderer an die
Wand: sie haben immer Andere nöthig! Und immer wieder andere
Andere! — Verzeihung, meine Freunde, ich habe gewagt, mein
Glück an die Wand zu malen.
[57]
An die Realisten. — Ihr
nüchternen Menschen, die ihr euch gegen Leidenschaft und
Phantasterei gewappnet fühlt und gerne einen Stolz und einen
Zierath aus eurer Leere machen möchtet, ihr nennt euch Realisten
und deutet an, so wie euch die Welt erscheine, so sei sie
wirklich beschaffen: vor euch allein stehe die Wirklichkeit
entschleiert, und ihr selber wäret vielleicht der beste Theil
davon, — oh ihr geliebten Bilder von Sais! Aber seid nicht auch
ihr in eurem entschleiertsten Zustande noch höchst
leidenschaftliche und dunkle Wesen, verglichen mit den Fischen,
und immer noch einem verliebten Künstler allzu ähnlich? — und
was ist für einen verliebten Künstler „Wirklichkeit“! Immer noch
tragt ihr die Schätzungen der Dinge mit euch herum, welche in
den Leidenschaften und Verliebtheiten früherer Jahrhunderte
ihren Ursprung haben! Immer noch ist eurer Nüchternheit eine
geheime und unvertilgbare Trunkenheit einverleibt! Eure Liebe
zur „Wirklichkeit“ zum Beispiel — oh das ist eine alte uralte
„Liebe“! In jeder Empfindung, in jedem Sinneseindruck ist ein
Stück dieser alten Liebe: und ebenso hat irgend eine
Phantasterei, ein Vorurtheil, eine Unvernunft, eine
Unwissenheit, eine Furcht und was sonst noch Alles! daran
gearbeitet und gewebt. Da jener Berg! Da jene Wolke! Was ist
denn daran „wirklich“? Zieht einmal das Phantasma und die ganze
menschliche Zuthat
davon ab, ihr Nüchternen! Ja, wenn ihr
das könntet! Wenn ihr eure Herkunft,
Vergangenheit, Vorschule vergessen könntet, — eure gesammte
Menschheit und Thierheit! Es giebt für uns keine „Wirklichkeit“
— und auch für euch nicht, ihr Nüchternen —, wir sind einander
lange nicht so fremd, als ihr meint, und vielleicht ist unser
guter Wille, über die Trunkenheit hinauszukommen, ebenso achtbar
als euer Glaube, der Trunkenheit überhaupt
unfähig zu sein.
[58]
Nur als Schaffende! —
Diess hat mir die grösste Mühe gemacht und macht mir noch
immerfort die grösste Mühe: einzusehen, dass unsäglich mehr
daran liegt, wie die Dinge
heissen , als was sie sind. Der Ruf, Name und
Anschein, die Geltung, das übliche Maass und Gewicht eines
Dinges — im Ursprunge zuallermeist ein Irrthum und eine
Willkürlichkeit, den Dingen übergeworfen wie ein Kleid und
seinem Wesen und selbst seiner Haut ganz fremd — ist durch den
Glauben daran und sein Fortwachsen von Geschlecht zu Geschlecht
dem Dinge allmählich gleichsam an- und eingewachsen und zu
seinem Leibe selber geworden: der Schein von Anbeginn wird
zuletzt fast immer zum Wesen und
wirkt als Wesen! Was wäre das für ein Narr, der
da meinte, es genüge, auf diesen Ursprung und diese Nebelhülle
des Wahnes hinzuweisen, um die als wesenhaft geltende Welt, die
sogenannte „ Wirklichkeit
“, zu vernichten
! Nur als Schaffende können wir vernichten! — Aber vergessen wir
auch diess nicht: es genügt, neue Namen und Schätzungen und
Wahrscheinlichkeiten zu schaffen, um auf die Länge hin neue
„Dinge“ zu schaffen.
[58]
Enkel door te scheppen ! — Dit heeft mij de grootste
moeite gekost en kost mij nog altijd opnieuw de grootste moeite:
In te zien dat er onnoemelijk veel meer afhangt van hoe de
dingen heten dan van wat ze zijn. De naam, faam en schijn,
de geldigheid, de gebruikelijke maat en het gebruikelijke gewicht
van een ding — aanvankelijk meestal een dwaling en willekeurig,
als een kleed erover geworpen, vreemd aan hun wezen, vreemd zelfs
aan hun huid — zijn doordat men erin geloofde en het van geslacht
op geslacht liet voortwoekeren langzamerhand als het ware daaraan
vast- en ingegroeid, en zijn zijn lichaam zelf geworden: de
aanvankelijke schijn wordt uiteindelijk bijna altijd het wezen, en
gaat ook als het wezen functioneren! Wat een dwaas zou
dat zijn, die denkt dat het volstaat om op deze oorsprong en deze
bedrieglijke nevelsluier te wijzen om de als wezenlijk geldende
wereld, de zogenaamde ‘werkelijkheid’, te vernietigen
! Enkel door te scheppen kunnen wij vernietigen! — Maar
laat ons ook niet vergeten: het volstaat nieuwe namen en
waarderingen en waarschijnlijkheden te scheppen, om op den duur
nieuwe ‘dingen’ te scheppen.
[59]
Wir Künstler! — Wenn wir
ein Weib lieben, so haben wir leicht einen Hass auf die Natur,
aller der widerlichen Natürlichkeiten gedenkend, denen jedes
Weib ausgesetzt ist; gerne denken wir überhaupt daran vorbei,
aber wenn einmal unsere Seele diese Dinge streift, so zuckt sie
ungeduldig und blickt, wie gesagt, verächtlich nach der Natur
hin: — wir sind beleidigt, die Natur scheint in unsern Besitz
einzugreifen und mit den ungeweihtesten Händen. Da macht man die
Ohren zu gegen alle Physiologie und decretirt für sich insgeheim
„ich will davon, dass der Mensch noch etwas Anderes ist, ausser
Seele und Form ,
Nichts hören!“ „Der Mensch unter der Haut“ ist allen Liebenden
ein Greuel und Ungedanke, eine Gottes- und Liebeslästerung. —
Nun, so wie jetzt noch der Liebende empfindet, in Hinsicht der
Natur und Natürlichkeit, so empfand ehedem jeder Verehrer Gottes
und seiner „heiligen Allmacht“: bei Allem, was von der Natur
gesagt wurde, durch Astronomen, Geologen, Physiologen, Aerzte,
sah er einen Eingriff in seinen köstlichsten Besitz und folglich
einen Angriff, — und noch dazu eine Schamlosigkeit des
Angreifenden! Das „Naturgesetz “ klang ihm schon wie eine
Verleumdung Gottes; im Grunde hätte er gar zu gerne alle
Mechanik auf moralische Willens- und Willküracte zurückgeführt
gesehn: — aber weil ihm Niemand diesen Dienst erweisen konnte,
so verhehlte er
sich die Natur und Mechanik, so gut er konnte und lebte im
Traum. Oh diese Menschen von ehedem haben verstanden zu
träumen und hatten nicht
erst nöthig, einzuschlafen! — und auch wir Menschen von heute
verstehen es noch viel zu gut, mit allem unseren guten Willen
zum Wachsein und zum Tage! Es genügt, zu lieben, zu hassen, zu
begehren, überhaupt zu empfinden, —
sofort kommt der Geist und die Kraft des
Traumes über uns, und wir steigen offenen Auges und kalt gegen
alle Gefahr auf den gefährlichsten Wegen empor, hinauf auf die
Dächer und Thürme der Phantasterei, und ohne allen Schwindel,
wie geboren zum Klettern — wir Nachtwandler des Tages! Wir
Künstler! Wir Verhehler der Natürlichkeit! Wir Mond- und
Gottsüchtigen! Wir todtenstillen unermüdlichen Wanderer, auf
Höhen, die wir nicht als Höhen sehen, sondern als unsere Ebenen,
als unsere Sicherheiten!
[60]
Die Frauen und ihre Wirkung in die Ferne.
— Habe ich noch Ohren? Bin ich nur noch Ohr und
Nichts weiter mehr? Hier stehe ich inmitten des Brandes der
Brandung, deren weisse Flammen bis zu meinem Fusse
heraufzüngeln: — von allen Seiten heult, droht, schreit,
schrillt es auf mich zu, während in der tiefsten Tiefe der alte
Erderschütterer seine Arie singt, dumpf wie ein brüllender
Stier: er stampft sich dazu einen solchen Erderschütterer-Tact,
dass selbst diesen verwetterten Felsunholden hier das Herz
darüber im Leibe zittert. Da, plötzlich, wie aus dem Nichts
geboren, erscheint vor dem Thore dieses höllischen Labyrinthes,
nur wenige Klafter weit entfernt, — ein grosses Segelschiff,
schweigsam wie ein Gespenst dahergleitend. Oh diese
gespenstische Schönheit! Mit welchem Zauber fasst sie mich an!
Wie? Hat alle Ruhe und Schweigsamkeit der Welt sich hier
eingeschifft? Sitzt mein Glück selber an diesem stillen Platze,
mein glücklicheres Ich, mein zweites verewigtes Selbst? Nicht
todt sein und doch auch nicht mehr lebend? Als ein
geisterhaftes, stilles, schauendes, gleitendes, schwebendes
Mittelwesen? Dem Schiffe gleichend, welches mit seinen weissen
Segeln wie ein ungeheurer Schmetterling über das dunkle Meer
hinläuft! Ja! Ueber
das Dasein hinlaufen! Das ist es! Das wäre es! — — Es scheint,
der Lärm hier hat mich zum Phantasten gemacht? Aller grosse Lärm
macht, dass wir das Glück in die Stille und Ferne setzen. Wenn
ein Mann inmitten seines
Lärmes steht, inmitten seiner Brandung von Würfen und
Entwürfen: da sieht er auch wohl stille zauberhafte Wesen an
sich vorübergleiten, nach deren Glück und Zurückgezogenheit er
sich sehnt, — es sind die Frauen
. Fast meint er, dort bei den Frauen wohne sein
besseres Selbst: an diesen stillen Plätzen werde auch die
lauteste Brandung zur Todtenstille und das Leben selber zum
Traume über das Leben. Jedoch! Jedoch! Mein edler Schwärmer, es
giebt auch auf dem schönsten Segelschiffe so viel Geräusch und
Lärm und leider so viel kleinen erbärmlichen Lärm! Der Zauber
und die mächtigste Wirkung der Frauen ist, um die Sprache der
Philosophen zu reden, eine Wirkung in die Ferne, eine actio in
distans: dazu gehört aber, zuerst und vor Allem — Distanz !
[61]
Zu Ehren der Freundschaft. —
Dass das Gefühl der Freundschaft dem Alterthum als das höchste
Gefühl galt, höher selbst als der gerühmteste Stolz des
Selbstgenügsamen und Weisen, ja gleichsam als dessen einzige und
noch heiligere Geschwisterschaft: diess drückt sehr gut die
Geschichte von jenem macedonischen Könige aus, der einem
weltverachtenden Philosophen Athen’s ein Talent zum Geschenk
machte und es von ihm zurückerhielt. „Wie? sagte der König, hat
er denn keinen Freund?“ Damit wollte er sagen: „ich ehre diesen
Stolz des Weisen und Unabhängigen, aber ich würde seine
Menschlichkeit noch höher ehren, wenn der Freund in ihm den Sieg
über seinen Stolz davongetragen hätte. Vor mir hat sich der
Philosoph herabgesetzt, indem er zeigte, dass er eines der
beiden höchsten Gefühle nicht kennt, — und zwar das höhere
nicht!“
[62]
Liebe. — Die Liebe
vergiebt dem Geliebten sogar die Begierde.
[63]
Das Weib in der Musik. —
Wie kommt es, dass warme und regnerische Winde auch die
musikalische Stimmung und die erfinderische Lust der Melodie mit
sich führen? Sind es nicht die selben Winde, welche die Kirchen
füllen und den Frauen verliebte Gedanken geben?
[63] De vrouw in de
muziek . — Hoe komt het dat warme en regenachtige winden
ook de muzikale stemming en de lust om melodieën te verzinnen met
zich meebrengen? Zijn het niet dezelfde winden die de kerken vullen
en de vrouwen verliefde gedachten inblazen?
[64]
Skeptiker. — Ich fürchte,
dass altgewordene Frauen im geheimsten Verstecke ihres Herzens
skeptischer sind, als alle Männer: sie glauben an die
Oberflächlichkeit des Daseins als an sein Wesen, und alle Tugend
und Tiefe ist ihnen nur Verhüllung dieser „Wahrheit“, die sehr
wünschenswerthe Verhüllung eines pudendum —, also eine Sache des
Anstandes und der Scham, und nicht mehr!
[65]
Hingebung. — Es giebt
edle Frauen mit einer gewissen Armuth des Geistes, welche, um
ihre tiefste Hingebung
auszudrücken , sich nicht anders zu helfen
wissen, als so, dass sie ihre Tugend und Scham anbieten: es ist
ihnen ihr Höchstes. Und oft wird diess Geschenk angenommen, ohne
so tief zu verpflichten, als die Geberinnen voraussetzen, — eine
sehr schwermüthige Geschichte!
[66]
Die Stärke der Schwachen. —
Alle Frauen sind fein darin, ihre Schwäche zu übertreiben, ja
sie sind erfinderisch in Schwächen, um ganz und gar als
zerbrechliche Zierathen zu erscheinen, denen selbst ein
Stäubchen wehe thut: ihr Dasein soll dem Manne seine Plumpheit
zu Gemüthe führen und in’s Gewissen schieben. So wehren sie sich
gegen die Starken und alles „Faustrecht“.
[67]
Sich selber heucheln. —
Sie liebt ihn nun und blickt seitdem mit so ruhigem Vertrauen
vor sich hin wie eine Kuh: aber wehe! Gerade diess war seine
Bezauberung, dass sie durchaus veränderlich und unfassbar
schien! Er hatte eben schon zu viel beständiges Wetter an sich
selber! Sollte sie nicht gut thun, ihren alten Charakter zu
heucheln? Lieblosigkeit zu heucheln? Räth ihr also nicht — die
Liebe? Vivat comoedia!
[68]
Wille und Willigkeit. —
Man brachte einen Jüngling zu einem weisen Manne und sagte:
„Siehe, das ist Einer, der durch die Weiber verdorben wird!“ Der
weise Mann schüttelte den Kopf und lächelte. „Die Männer sind
es, rief er, welche die Weiber verderben: und Alles, was die
Weiber fehlen, soll an den Männern gebüsst und gebessert werden,
— denn der Mann macht sich das Bild des Weibes, und das Weib
bildet sich nach diesem Bilde.“ — „Du bist zu mildherzig gegen
die Weiber, sagte einer der Umstehenden, du kennst sie nicht!“
Der weise Mann antwortete: „Des Mannes Art ist Wille, des Weibes
Art Willigkeit, — so ist es das Gesetz der Geschlechter,
wahrlich! ein hartes Gesetz für das Weib! Alle Menschen sind
unschuldig für ihr Dasein, die Weiber aber sind unschuldig im
zweiten Grade: wer könnte für sie des Oels und der Milde genug
haben.“ — Was Oel! Was Milde! rief ein Anderer aus der Menge;
man muss die Weiber besser erziehen! — „Man muss die Männer
besser erziehen,“ sagte der weise Mann und winkte dem Jünglinge,
dass er ihm folge. — Der Jüngling aber folgte ihm nicht.
[68]
Willen en gewilligheid. — Men bracht een jongeling
naar een wijze man en zei: “Kijk, hier heb je iemand die door de
vrouwen wordt bedorven!” De wijze man schudde zijn hoofd en
glimlachte. “Het zijn de mannen,” riep hij uit, “die de vrouwen
bederven: en alles wat de vrouwen ontbreekt, moet op de mannen
verhaald en verbeterd worden, — want de man vormt zich een beeld
van de vrouw, en de vrouw vormt zich naar dit beeld.” — “Je bent
te mild voor de vrouwen,” zei een van de omstanders, “je kent ze
niet!” De wijze man antwoordde: “De aard van de man is te willen,
de aard van de vrouw is gewilligheid, zo is de wet van de seksen;
voorwaar een harde wet voor de vrouw! Alle mensen zijn onschuldig
aan hun bestaan, maar de vrouwen zijn onschuldig in de tweede
graad: wie zou voor hen genoeg balsem en mildheid kunnen hebben.”
“Wat, balsem! Wat, mildheid!” riep een ander uit de menigte; men
moet de vrouwen beter opvoeden! - “Men moet de mannen beter
opvoeden,” zei de wijze man en wenkte de jongeling om hem te
volgen. Maar de jongeling volgde hem niet.
[69]
Fähigkeit zur Rache. —
Dass Einer sich nicht vertheidigen kann und folglich auch nicht
will, gereicht ihm in unsern Augen noch nicht zur Schande: aber
wir schätzen Den gering, der zur Rache weder das Vermögen noch
den guten Willen hat, — gleichgültig ob Mann oder Weib. Würde
uns ein Weib festhalten (oder wie man sagt „fesseln“) können,
dem wir nicht zutrauten, dass es unter Umständen den Dolch
(irgend eine Art von Dolch) gegen
uns gut zu handhaben wüsste? Oder gegen sich: was
in einem bestimmten Falle die empfindlichere Rache wäre (die
chinesische Rache).
[70]
Die Herrinnen der Herren. —
Eine tiefe mächtige Altstimme, wie man sie bisweilen im Theater
hört, zieht uns plötzlich den Vorhang vor Möglichkeiten auf, an
die wir für gewöhnlich nicht glauben: wir glauben mit Einem Male
daran, dass es irgendwo in der Welt Frauen mit hohen,
heldenhaften, königlichen Seelen geben könne, fähig und bereit
zu grandiosen Entgegnungen, Entschliessungen und Aufopferungen,
fähig und bereit zur Herrschaft über Männer, weil in ihnen das
Beste vom Manne, über das Geschlecht hinaus, zum leibhaften
Ideale geworden ist. Zwar sollen solche Stimmen nach der Absicht
des Theaters gerade nicht
diesen Begriff vom Weibe geben: gewöhnlich sollen sie den
idealen männlichen Liebhaber, zum Beispiel einen Romeo,
darstellen; aber nach meiner Erfahrung zu urtheilen, verrechnet
sich dabei das Theater und der Musiker, der von einer solchen
Stimme solche Wirkungen erwartet, ganz regelmässig. Man glaubt
nicht an diese
Liebhaber: diese Stimmen enthalten immer noch eine Farbe des
Mütterlichen und Hausfrauenhaften, und gerade dann am meisten,
wenn Liebe in ihrem Klange ist.
[71]
Von der weiblichen Keuschheit. —
Es ist etwas ganz Erstaunliches und Ungeheures in der
Erziehung der vornehmen Frauen, ja vielleicht giebt es nichts
Paradoxeres. Alle Welt ist darüber einverstanden, sie in
eroticis so unwissend wie möglich zu erziehen und ihnen eine
tiefe Scham vor dergleichen und die äusserste Ungeduld und
Flucht beim Andeuten dieser Dinge in die Seele zu geben. Alle
„Ehre“ des Weibes steht im Grunde nur hier auf dem Spiele: was
verziehe man ihnen sonst nicht! Aber hierin sollen sie unwissend
bis in’s Herz hinein bleiben: — sie sollen weder Augen, noch
Ohren, noch Worte, noch Gedanken für diess ihr „Böses“ haben: ja
das Wissen ist hier schon das Böse. Und nun! Wie mit einem
grausigen Blitzschlage in die Wirklichkeit und das Wissen
geschleudert werden, mit der Ehe — und zwar durch Den, welchen
sie am meisten lieben und hochhalten: Liebe und Scham im
Widerspruch ertappen, ja Entzücken, Preisgebung, Pflicht,
Mitleid und Schrecken über die unerwartete Nachbarschaft von
Gott und Thier und was Alles sonst noch! in Einem empfinden
müssen! — Da hat man in der That sich einen Seelen-Knoten
geknüpft, der seines Gleichen sucht! Selbst die mitleidige
Neugier des weisesten Menschenkenners reicht nicht aus, zu
errathen, wie sich dieses und jenes Weib in diese Lösung des
Räthsels und in diess Räthsel von Lösung zu finden weiss, und
was für schauerliche, weithin greifende Verdachte sich dabei in
der armen aus den Fugen gerathenen Seele regen müssen, ja wie
die letzte Philosophie und Skepsis des Weibes an diesem Puncte
ihre Anker wirft! — Hinterher das selbe tiefe Schweigen wie
vorher: und oft ein Schweigen vor sich selber, ein
Augen-Zuschliessen vor sich selber. — Die jungen Frauen bemühen
sich sehr darum, oberflächlich und gedankenlos zu erscheinen;
die feinsten unter ihnen erheucheln eine Art Frechheit. — Die
Frauen empfinden leicht ihre Männer als ein Fragezeichen ihrer
Ehre und ihre Kinder als eine Apologie oder Busse, — sie
bedürfen der Kinder und wünschen sie sich, in einem ganz anderen
Sinne als ein Mann sich Kinder wünscht. — Kurz, man kann nicht
mild genug gegen die Frauen sein!
[72]
Die Mütter. — Die Thiere
denken anders über die Weiber, als die Menschen; ihnen gilt das
Weibchen als das productive Wesen. Vaterliebe giebt es bei ihnen
nicht, aber so Etwas wie Liebe zu den Kindern einer Geliebten
und Gewöhnung an sie. Die Weibchen haben an den Kindern
Befriedigung ihrer Herrschsucht, ein Eigenthum, eine
Beschäftigung, etwas ihnen ganz Verständliches, mit dem man
schwätzen kann: diess Alles zusammen ist Mutterliebe, — sie ist
mit der Liebe des Künstlers zu seinem Werke zu vergleichen. Die
Schwangerschaft hat die Weiber milder, abwartender, furchtsamer,
unterwerfungslustiger gemacht; und ebenso erzeugt die geistige
Schwangerschaft den Charakter der Contemplativen, welcher dem
weiblichen Charakter verwandt ist: — es sind die männlichen
Mütter. — Bei den Thieren gilt das männliche Geschlecht als das
schöne.
[73]
Heilige Grausamkeit. — Zu
einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in den
Händen hielt. „Was soll ich mit dem Kinde machen? fragte er, es
ist elend, missgestaltet und hat nicht genug Leben, um zu
sterben.“ „Tödte es, rief der Heilige mit schrecklicher Stimme,
tödte es und halte es dann drei Tage und drei Nächte lang in
deinen Armen, auf dass du dir ein Gedächtniss machest: — so
wirst du nie wieder ein Kind zeugen, wenn es nicht an der Zeit
für dich ist, zu zeugen.“ — Als der Mann diess gehört hatte,
gieng er enttäuscht davon; und Viele tadelten den Heiligen, weil
er zu einer Grausamkeit gerathen hatte, denn er hatte gerathen,
das Kind zu tödten. „Aber ist es nicht grausamer, es leben zu
lassen?“ sagte der Heilige.
[74]
Die Erfolglosen. — Jenen
armen Frauen fehlt es immer an Erfolg, welche in Gegenwart
Dessen, den sie lieben, unruhig und unsicher werden und zu viel
reden: denn die Männer werden am sichersten durch eine gewisse
heimliche und phlegmatische Zärtlichkeit verführt.
[75]
Das dritte Geschlecht. —
„Ein kleiner Mann ist eine Paradoxie, aber doch ein Mann, — aber
die kleinen Weibchen scheinen mir, im Vergleich mit
hochwüchsigen Frauen, von einem anderen Geschlechte zu sein“ —
sagte ein alter Tanzmeister. Ein kleines Weib ist niemals schön
— sagte der alte Aristoteles.
[76]
Die grösste Gefahr. —
Hätte es nicht allezeit eine Ueberzahl von Menschen gegeben,
welche die Zucht ihres Kopfes — ihre „Vernünftigkeit“ — als
ihren Stolz, ihre Verpflichtung, ihre Tugend fühlten, welche
durch alles Phantasiren und Ausschweifen des Denkens beleidigt
oder beschämt wurden, als die Freunde „des gesunden
Menschenverstandes“: so wäre die Menschheit längst zu Grunde
gegangen! Ueber ihr schwebte und schwebt fortwährend als ihre
grösste Gefahr der ausbrechende
Irrsinn — das heisst eben das Ausbrechen des
Beliebens im Empfinden, Sehen und Hören, der Genuss in der
Zuchtlosigkeit des Kopfes, die Freude am Menschen-Unverstande.
Nicht die Wahrheit und Gewissheit ist der Gegensatz der Welt des
Irrsinnigen, sondern die Allgemeinheit und Allverbindlichkeit
eines Glaubens, kurz das Nicht-Beliebige im Urtheilen. Und die
grösste Arbeit der Menschen bisher war die, über sehr viele
Dinge mit einander übereinzustimmen und sich ein Gesetz der Uebereinstimmung
aufzulegen — gleichgültig, ob diese Dinge wahr oder falsch sind.
Diess ist die Zucht des Kopfes, welche die Menschheit erhalten
hat; — aber die Gegentriebe sind immer noch so mächtig, dass man
im Grunde von der Zukunft der Menschheit mit wenig Vertrauen
reden darf. Fortwährend schiebt und verschiebt sich noch das
Bild der Dinge, und vielleicht von jetzt ab mehr und schneller
als je; fortwährend sträuben sich gerade die ausgesuchtesten
Geister gegen jene Allverbindlichkeit — die Erforscher der
Wahrheit voran! Fortwährend
erzeugt jener Glaube als Allerweltsglaube einen Ekel und eine
neue Lüsternheit bei feineren Köpfen: und schon das langsame
Tempo, welches er für alle geistigen Processe verlangt, jene
Nachahmung der Schildkröte, welche hier als die Norm anerkannt
wird, macht Künstler und Dichter zu Ueberläufern: — diese
ungeduldigen Geister sind es, in denen eine förmliche Lust am
Irrsinn ausbricht, weil der Irrsinn ein so fröhliches Tempo hat!
Es bedarf also der tugendhaften Intellecte, — ach! ich will das
unzweideutigste Wort gebrauchen — es bedarf der tugendhaften Dummheit , es
bedarf unerschütterlicher Tactschläger des
langsamen Geistes, damit die Gläubigen des
grossen Gesammtglaubens bei einander bleiben und ihren Tanz
weitertanzen: es ist eine Nothdurft ersten Ranges, welche hier
gebietet und fordert. Wir Andern
sind die Ausnahme und die Gefahr , — wir
bedürfen ewig der Vertheidigung! — Nun, es lässt sich wirklich
etwas zu Gunsten der Ausnahme sagen,
vorausgesetzt, dass sie nie Regel werden will .
[77]
Das Thier mit gutem Gewissen. —
Das Gemeine in Alledem, was im Süden Europa’s gefällt — sei
diess nun die italiänische Oper (zum Beispiel Rossini’s und
Bellini’s) oder der spanische Abenteuer-Roman (uns in der
französischen Verkleidung des Gil Blas am besten zugänglich) —
bleibt mir nicht verborgen, aber es beleidigt mich nicht,
ebensowenig als die Gemeinheit, der man bei einer Wanderung
durch Pompeji und im Grunde selbst beim Lesen jedes antiken
Buches begegnet: woher kommt diess? Ist es, dass hier die Scham
fehlt und dass alles Gemeine so sicher und seiner gewiss
auftritt, wie irgend etwas Edles, Liebliches und
Leidenschaftliches in der selben Art Musik oder Roman? „Das
Thier hat sein Recht wie der Mensch: so mag es frei herumlaufen,
und du, mein lieber Mitmensch, bist auch diess Thier noch, trotz
Alledem!“ — das scheint mir die Moral der Sache und die
Eigenheit der südländischen Humanität zu sein. Der schlechte
Geschmack hat sein Recht wie der gute, und sogar ein Vorrecht
vor ihm, falls er das grosse Bedürfniss, die sichere
Befriedigung und gleichsam eine allgemeine Sprache, eine
unbedingt verständliche Larve und Gebärde ist: der gute,
gewählte Geschmack hat dagegen immer etwas Suchendes,
Versuchtes, seines Verständnisses nicht völlig Gewisses, — er
ist und war niemals volksthümlich! Volksthümlich ist und bleibt
die Maske ! So
mag denn alles diess Maskenhafte in den Melodien und Cadenzen,
in den Sprüngen und Lustigkeiten des Rhythmus dieser Opern
dahinlaufen! Gar das antike Leben! Was versteht man von dem,
wenn man die Lust an der Maske, das gute Gewissen alles
Maskenhaften nicht versteht! Hier ist das Bad und die Erholung
des antiken Geistes: — und vielleicht war diess Bad den seltenen
und erhabenen Naturen der alten Welt noch nöthiger, als den
gemeinen. — Dagegen beleidigt mich eine gemeine Wendung in
nordischen Werken, zum Beispiel in deutscher Musik, unsäglich.
Hier ist Scham
dabei, der Künstler ist vor sich selber hinabgestiegen und
konnte es nicht einmal verhüten, dabei zu erröthen: wir schämen
uns mit ihm und sind so beleidigt, weil wir ahnen, dass er
unseretwegen glaubte hinabsteigen zu müssen.
[78]
Wofür wir dankbar sein sollen. —
Erst die Künstler, und namentlich die des Theaters, haben
den Menschen Augen und Ohren eingesetzt, um Das mit einigem
Vergnügen zu hören und zu sehen, was Jeder selber ist, selber
erlebt, selber will; erst sie haben uns die Schätzung des
Helden, der in jedem von allen diesen Alltagsmenschen verborgen
ist, und die Kunst gelehrt, wie man sich selber als Held, aus
der Ferne und gleichsam vereinfacht und verklärt ansehen könne,
— die Kunst, sich vor sich selber „in Scene zu setzen“. So
allein kommen wir über einige niedrige Details an uns hinweg!
Ohne jene Kunst würden wir Nichts als Vordergrund sein und ganz
und gar im Banne jener Optik leben, welche das Nächste und
Gemeinste als ungeheuer gross und als die Wirklichkeit an sich
erscheinen lässt. — Vielleicht giebt es ein Verdienst ähnlicher
Art an jener Religion, welche die Sündhaftigkeit jedes einzelnen
Menschen mit dem Vergrösserungsglase ansehen hiess und aus dem
Sünder einen grossen, unsterblichen Verbrecher machte: indem sie
ewige Perspectiven um ihn beschrieb, lehrte sie den Menschen,
sich aus der Ferne und als etwas Vergangenes, Ganzes sehen.
[78]
Waarvoor we dankbaar moeten zijn. — Pas de
kunstenaars, en wel met name die van het theater, hebben mensen
ogen en oren gegeven, om met enig geneogen dàt te horen en te
zien, wat elke mens zelf is, zelf beleeft, zelf wil; Zij hebben
ons geleerd de held te waarderen die in al die alledaagse mensen
verborgen zit, en ook de kunst om onszelf als held te zien, door
ons van een afstand en als het ware vereenvoudigd en verheerlijkt
waar te nemen — de kunst om ons voor onszelf ‘in scène te zetten’.
Alleen zo kunnen we enkele banale details die ons aankleven,
overstijgen! Zonder die kunst zouden we niets anders zijn dan
voorgrond, en zouden we volledig in de ban leven van die optische
illusie, dat het meest nabije en gewone ontzettend groot, ja de
werkelijkheid zelf, is. — Misschien heeft ook die
religie, die de zondigheid van elke individuele mens onder het
vergrootglas legde, en de zondaar zo tot een grote, onsterfelijke
misdadiger maakte, wel een soortgelijk verdienste: door eeuwige
perspectieven om hem heen te schetsen, leerde zij de mens zichzelf
van een afstand te bekijken, d.w.z. als iets dat voorbij gaant,
als een afgerond geheel.
[79]
Reiz der Unvollkommenheit. —
Ich sehe hier einen Dichter, der, wie so mancher Mensch, durch
seine Unvollkommenheiten einen höheren Reiz ausübt, als durch
alles Das, was sich unter seiner Hand rundet und vollkommen
gestaltet, — ja er hat den Vortheil und den Ruhm vielmehr von
seinem letzten Unvermögen, als von seiner reichen Kraft. Sein
Werk spricht es niemals ganz aus, was er eigentlich aussprechen
möchte, was er gesehen haben
möchte : es scheint, dass er den Vorgeschmack
einer Vision gehabt hat, und niemals sie selber: — aber eine
ungeheure Lüsternheit nach dieser Vision ist in seiner Seele
zurückgeblieben, und aus ihr nimmt er seine ebenso ungeheure
Beredtsamkeit des Verlangens und Heisshungers. Mit ihr hebt er
Den, welcher ihm zuhört, über sein Werk und alle „Werke“ hinaus
und giebt ihm Flügel, um so hoch zu steigen, wie Zuhörer nie
sonst steigen: und so, selber zu Dichtern und Sehern geworden,
zollen sie dem Urheber ihres Glückes eine Bewunderung, wie als
ob er sie unmittelbar zum Schauen seines Heiligsten und Letzten
geführt hätte, wie als ob er sein Ziel erreicht und seine Vision
wirklich gesehen
und mitgetheilt hätte. Es kommt seinem Ruhme zu Gute, nicht
eigentlich an’s Ziel gekommen zu sein.
[80]
Kunst und Natur. — Die
Griechen (oder wenigstens die Athener) hörten gerne gut reden:
ja sie hatten einen gierigen Hang darnach, der sie mehr als
alles Andere von den Nicht-Griechen unterscheidet. Und so
verlangten sie selbst von der Leidenschaft auf der Bühne, dass
sie gut rede, und liessen die Unnatürlichkeit des dramatischen
Verses mit Wonne über sich ergehen: — in der Natur ist ja die
Leidenschaft so wortkarg! so stumm und verlegen! Oder wenn sie
Worte findet, so verwirrt und unvernünftig und sich selber zur
Scham! Nun haben wir uns Alle, Dank den Griechen, an diese
Unnatur auf der Bühne gewöhnt, wie wir jene andere Unnatur, die
singende
Leidenschaft ertragen und gerne ertragen, Dank den Italiänern. —
Es ist uns ein Bedürfniss geworden, welches wir aus der
Wirklichkeit nicht befriedigen können: Menschen in den
schwersten Lagen gut und ausführlich reden zu hören: es entzückt
uns jetzt, wenn der tragische Held da noch Worte, Gründe,
beredte Gebärden und im Ganzen eine helle Geistigkeit findet, wo
das Leben sich den Abgründen nähert, und der wirkliche Mensch
meistens den Kopf und gewiss die schöne Sprache verliert. Diese
Art Abweichung von der Natur
ist vielleicht die angenehmste Mahlzeit für den Stolz des
Menschen; ihretwegen überhaupt liebt er die Kunst, als den
Ausdruck einer hohen, heldenhaften Unnatürlichkeit und
Convention. Man macht mit Recht dem dramatischen Dichter einen
Vorwurf daraus, wenn er nicht Alles in Vernunft und Wort
verwandelt, sondern immer einen Rest
Schweigen in der Hand zurückbehält: — so wie
man mit dem Musiker der Oper unzufrieden ist, der für den
höchsten Affect nicht eine Melodie, sondern nur ein affectvolles
„natürliches“ Stammeln und Schreien zu finden weiss. Hier
soll eben der Natur
widersprochen werden! Hier soll
eben der gemeine Reiz der Illusion einem höheren Reize
weichen! Die Griechen gehen auf diesem Wege weit, weit — zum
Erschrecken weit! Wie sie die Bühne so schmal wie möglich bilden
und alle Wirkung durch tiefe Hintergründe sich verbieten, wie
sie dem Schauspieler das Mienenspiel und die leichte Bewegung
unmöglich machen und ihn in einen feierlichen, steifen,
maskenhaften Popanz verwandeln, so haben sie auch der
Leidenschaft selber den tiefen Hintergrund genommen und ihr ein
Gesetz der schönen Rede dictirt, ja sie haben überhaupt Alles
gethan, um der elementaren Wirkung furcht- und
mitleiderweckender Bilder entgegenzuwirken:
sie wollten eben nicht Furcht und Mitleid , —
Aristoteles in Ehren und höchsten Ehren! aber er traf sicherlich
nicht den Nagel, geschweige den Kopf des Nagels, als er vom
letzten Zweck der griechischen Tragödie sprach! Man sehe sich
doch die griechischen Dichter der Tragödie darauf hin an,
was am Meisten ihren Fleiss,
ihre Erfindsamkeit, ihren Wetteifer erregt hat, — gewiss nicht
die Absicht auf Ueberwältigung der Zuschauer durch Affecte! Der
Athener gieng in’s Theater, um
schöne Reden zu hören ! Und um schöne Reden war
es dem Sophokles zu thun! — man vergebe mir diese Ketzerei! —
Sehr verschieden steht es mit der
ernsten Oper : alle ihre Meister lassen es sich
angelegen sein, zu verhüten, dass man ihre Personen verstehe.
Ein gelegentlich aufgerafftes Wort mag dem unaufmerksamen
Zuhörer zu Hülfe kommen: im Ganzen muss die Situation sich
selber erklären, — es liegt Nichts an den Reden! — so denken sie
Alle und so haben sie Alle mit den Worten ihre Possen getrieben.
Vielleicht hat es ihnen nur an Muth gefehlt, um ihre letzte
Geringschätzung des Wortes ganz auszudrücken: ein wenig
Frechheit mehr bei Rossini und er hätte durchweg la-la-la-la
singen lassen — und es wäre Vernunft dabei gewesen! Es soll den
Personen der Oper eben nicht „auf’s Wort“ geglaubt werden,
sondern auf den Ton! Das ist der Unterschied, das ist die schöne
Unnatürlichkeit ,
derentwegen man in die Oper geht! Selbst das recitativo secco
will nicht eigentlich als Wort und Text angehört sein: diese Art
von Halbmusik soll vielmehr dem musicalischen Ohre zunächst eine
kleine Ruhe geben (die Ruhe von der
Melodie , als dem sublimsten und desshalb auch
anstrengendsten Genusse dieser Kunst) —, aber sehr bald etwas
Anderes: nämlich eine wachsende Ungeduld, ein wachsendes
Widerstreben, eine neue Begierde nach
ganzer Musik, nach Melodie. — Wie verhält es
sich, von diesem Gesichtspuncte aus gesehen, mit der Kunst
Richard Wagner’s? Vielleicht anders? Oft wollte es mir scheinen,
als ob man Wort und
Musik seiner Schöpfungen vor der Aufführung auswendig gelernt
haben müßte: denn ohne diess — so schien es mir — höre man weder die Worte noch
selber die Musik.
[81]
Griechischer Geschmack. —
„Was ist Schönes daran? — sagte jener Feldmesser nach einer
Aufführung der Iphigenie — es wird Nichts darin bewiesen!“
Sollten die Griechen so fern von diesem Geschmacke gewesen sein?
Bei Sophokles wenigstens wird „Alles bewiesen“.
[82]
Der esprit ungriechisch. —
Die Griechen sind in allem ihrem Denken unbeschreiblich logisch
und schlicht; sie sind dessen, wenigstens für ihre lange gute
Zeit, nicht überdrüssig geworden, wie die Franzosen es so häufig
werden: welche gar zu gerne einen kleinen Sprung in’s Gegentheil
machen und den Geist der Logik eigentlich nur vertragen, wenn er
durch eine Menge solcher kleiner Sprünge in’s Gegentheil seine
gesellige Artigkeit, seine
gesellige Selbstverleugnung verräth. Logik erscheint ihnen als
nothwendig, wie Brod und Wasser, aber auch gleich diesen als
eine Art Gefangenenkost, sobald sie rein und allein genossen
werden sollen. In der guten Gesellschaft muss man niemals
vollständig und allein Recht haben wollen, wie es alle reine
Logik will: daher die kleine Dosis Unvernunft in allem
französischen esprit. — Der gesellige Sinn der Griechen war bei
Weitem weniger entwickelt, als der der Franzosen es ist und war:
daher so wenig esprit bei ihren geistreichsten Männern, daher so
wenig Witz selbst bei ihren Witzbolden, daher — ach! Man wird
mir schon diese meine Sätze nicht glauben, und wie viele der Art
habe ich noch auf der Seele! — Est res magna tacere — sagt
Martial mit allen Geschwätzigen.
[83]
Uebersetzungen. — Man
kann den Grad des historischen Sinnes, welchen eine Zeit
besitzt, daran abschätzen, wie diese Zeit
Uebersetzungen macht und vergangene Zeiten und
Bücher sich einzuverleiben sucht. Die Franzosen Corneille’s, und
auch noch die der Revolution, bemächtigten sich des römischen
Alterthums in einer Weise, zu der wir nicht den Muth mehr hätten
— Dank unserem höheren historischen Sinne. Und das römische
Alterthum selbst: wie gewaltsam und naiv zugleich legte es seine
Hand auf alles Gute und Hohe des griechischen älteren
Alterthums! Wie übersetzten sie in die römische Gegenwart
hinein! Wie verwischten sie absichtlich und unbekümmert den
Flügelstaub des Schmetterlings Augenblick! So übersetzte Horaz
hier und da den Alcäus oder den Archilochus, so Properz den
Callimachus und Philetas (Dichter gleichen Ranges mit Theokrit,
wenn wir urtheilen dürfen
): was lag ihnen daran, dass der eigentliche Schöpfer Diess
und Jenes erlebt und die Zeichen davon in sein Gedicht
hineingeschrieben hatte! — als Dichter waren sie dem
antiquarischen Spürgeiste, der dem historischen Sinne
voranläuft, abhold, als Dichter liessen sie diese ganz
persönlichen Dinge und Namen und Alles, was einer Stadt, einer
Küste, einem Jahrhundert als seine Tracht und Maske zu eigen
war, nicht gelten, sondern stellten flugs das Gegenwärtige und
das Römische an seine Stelle. Sie scheinen uns zu fragen:
„Sollen wir das Alte nicht für uns neu machen und uns in ihm zurechtlegen? Sollen
wir nicht unsere Seele diesem todten Leibe einblasen dürfen?
denn todt ist er nun einmal: wie hässlich ist alles Todte!“ —
Sie kannten den Genuss des historischen Sinnes nicht; das
Vergangene und Fremde war ihnen peinlich, und als Römern ein
Anreiz zu einer römischen Eroberung. In der That, man eroberte
damals, wenn man übersetzte, — nicht nur so, dass man das
Historische wegliess: nein, man fügte die Anspielung auf das
Gegenwärtige hinzu, man strich vor Allem den Namen des Dichters
hinweg und setzte den eigenen an seine Stelle — nicht im Gefühl
des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen des
imperium Romanum.
[84]
Vom Ursprunge der Poesie. —
Die Liebhaber des Phantastischen am Menschen, welche zugleich
die Lehre von der instinctiven Moralität vertreten, schliessen
so: „gesetzt, man habe zu allen Zeiten den Nutzen als die
höchste Gottheit verehrt, woher dann in aller Welt ist die
Poesie gekommen? — diese Rhythmisirung der Rede, welche der
Deutlichkeit der Mittheilung eher entgegenwirkt, als förderlich
ist, und die trotzdem wie ein Hohn auf alle nützliche
Zweckmässigkeit überall auf Erden aufgeschossen ist und noch
aufschiesst! Die wildschöne Unvernünftigkeit der Poesie
widerlegt euch, ihr Utilitarier! Gerade vom Nutzen einmal
loskommen wollen — das hat
den Menschen erhoben, das hat ihn zur Moralität und Kunst
inspirirt!“ Nun ich muss hierin einmal den Utilitariern zu
Gefallen reden, — sie haben ja so selten Recht, dass es zum
Erbarmen ist! Man hatte in jenen alten Zeiten, welche die Poesie
in’s Dasein riefen, doch die Nützlichkeit dabei im Auge und eine
sehr grosse Nützlichkeit — damals als man den Rhythmus in die
Rede dringen liess, jene Gewalt die alle Atome des Satzes neu
ordnet, die Worte wählen heisst und den Gedanken neu färbt und
dunkler, fremder, ferner macht: freilich eine
abergläubische Nützlichkeit ! Es sollte vermöge
des Rhythmus den Göttern ein menschliches Anliegen tiefer
eingeprägt werden, nachdem man bemerkt hatte, dass der Mensch
einen Vers besser im Gedächtniss behält, als eine ungebundene
Rede; ebenfalls meinte man durch das rhythmische Tiktak über
grössere Fernen hin sich hörbar zu machen; das rhythmisirte
Gebet schien den Göttern näher an’s Ohr zu kommen. Vor Allem
aber wollte man den Nutzen von jener elementaren Ueberwältigung
haben, welche der Mensch an sich beim Hören der Musik erfährt:
der Rhythmus ist ein Zwang; er erzeugt eine unüberwindliche
Lust, nachzugeben, mit einzustimmen; nicht nur der Schritt der
Füsse, auch die Seele selber geht dem Tacte nach, —
wahrscheinlich, so schloss man, auch die Seele der Götter! Man
versuchte sie also durch den Rhythmus zu
zwingen und eine Gewalt über sie auszuüben: man
warf ihnen die Poesie wie eine magische Schlinge um. Es gab noch
eine wunderlichere Vorstellung: und diese gerade hat vielleicht
am mächtigsten zur Entstehung der Poesie gewirkt. Bei den
Phythagoreern erscheint sie als philosophische Lehre und als
Kunstgriff der Erziehung: aber längst bevor es Philosophen gab,
gestand man der Musik die Kraft zu, die Affecte zu entladen, die
Seele zu reinigen, die ferocia animi zu mildern — und zwar
gerade durch das Rhythmische in der Musik. Wenn die richtige
Spannung und Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste
man tanzen , in
dem Tacte des Sängers, — das war das Recept dieser Heilkunst.
Mit ihr stillte Terpander einen Aufruhr, besänftigte Empedokles
einen Rasenden, reinigte Damon einen liebessiechen Jüngling; mit
ihr nahm man auch die wildgewordenen rachsüchtigen Götter in
Cur. Zuerst dadurch, dass man den Taumel und die Ausgelassenheit
ihrer Affecte auf’s Höchste trieb, also den Rasenden toll, den
Rachsüchtigen rachetrunken machte: — alle orgiastischen Culte
wollen die ferocia einer Gottheit auf Ein Mal entladen und zur
Orgie machen, damit sie hinterher sich freier und ruhiger fühle
und den Menschen in Ruhe lasse. Melos bedeutet seiner Wurzel
nach ein Besänftigungsmittel, nicht weil es selber sanft ist,
sondern weil seine Nachwirkung sanft macht. — Und nicht nur im
Cultusliede, auch bei dem weltlichen Liede der ältesten Zeiten
ist die Voraussetzung, dass das Rhythmische eine magische Kraft
übe, zum Beispiel beim Wasserschöpfen oder Rudern, das Lied ist
eine Bezauberung der hierbei thätig gedachten Dämonen, es macht
sie willfährig, unfrei und zum Werkzeug des Menschen. Und so oft
man handelt, hat man einen Anlass zu singen, —
jede Handlung ist an die Beihülfe von Geistern
geknüpft: Zauberlied und Besprechung scheinen die Urgestalt der
Poesie zu sein. Wenn der Vers auch beim Orakel verwendet wurde —
die Griechen sagten, der Hexameter sei in Delphi erfunden —, so
sollte der Rhythmus auch hier einen Zwang ausüben. Sich
prophezeien lassen — das bedeutet ursprünglich (nach der mir
wahrscheinlichen Ableitung des griechischen Wortes): sich Etwas
bestimmen lassen; man glaubt die Zukunft erzwingen zu können
dadurch, dass man Apollo für sich gewinnt: er, der nach der
ältesten Vorstellung viel mehr, als ein vorhersehender Gott ist.
So wie die Formel ausgesprochen wird, buchstäblich und
rhythmisch genau, so bindet sie die Zukunft: die Formel aber ist
die Erfindung Apollo’s, welcher als Gott der Rhythmen auch die
Göttinnen des Schicksals binden kann. — Im Ganzen gesehen und
gefragt: gab es für die alte abergläubische Art des Menschen
überhaupt etwas Nützlicheres
, als den Rhythmus? Mit ihm konnte man Alles: eine Arbeit
magisch fördern; einen Gott nöthigen, zu erscheinen, nahe zu
sein, zuzuhören; die Zukunft sich nach seinem Willen zurecht
machen; die eigene Seele von irgend einem Uebermaasse (der
Angst, der Manie, des Mitleids, der Rachsucht) entladen, und
nicht nur die eigene Seele, sondern die des bösesten Dämons, —
ohne den Vers war man Nichts, durch den Vers wurde man beinahe
ein Gott. Ein solches Grundgefühl lässt sich nicht mehr völlig
ausrotten, — und noch jetzt, nach Jahrtausende langer Arbeit in
der Bekämpfung solchen Aberglaubens, wird auch der Weiseste von
uns gelegentlich zum Narren des Rhythmus, sei es auch nur darin,
dass er einen Gedanken als wahrer
empfindet , wenn er eine metrische Form hat und
mit einem göttlichen Hopsasa daher kommt. Ist es nicht eine sehr
lustige Sache, dass immer noch die ernstesten Philosophen, so
streng sie es sonst mit aller Gewissheit nehmen, sich auf
Dichtersprüche berufen, um
ihren Gedanken Kraft und Glaubwürdigkeit zu geben? — und doch
ist es für eine Wahrheit gefährlicher, wenn der Dichter ihr
zustimmt, als wenn er ihr widerspricht! Denn wie Homer sagt:
„Viel ja lügen die Sänger!“ —
[85]
Das Gute und das Schöne. —
Die Künstler verherrlichen
fortwährend — sie thun nichts Anderes —: und zwar alle jene
Zustände und Dinge, welche in dem Rufe stehen, dass bei ihnen
und in ihnen der Mensch sich einmal gut oder gross, oder
trunken, oder lustig, oder wohl und weise fühlen kann. Diese
ausgelesenen Dinge und
Zustände, deren Werth für das menschliche
Glück als sicher und abgeschätzt gilt, sind die
Objecte der Künstler: sie liegen immer auf der Lauer,
dergleichen zu entdecken und in’s Gebiet der Kunst
hinüberzuziehen. Ich will sagen: sie sind nicht selber die
Taxatoren des Glückes und des Glücklichen, aber sie drängen sich
immer in die Nähe dieser Taxatoren, mit der grössten Neugierde
und Lust, sich ihre Schätzungen sofort zu Nutze zu machen. So
werden sie, weil sie ausser ihrer Ungeduld auch die grossen
Lungen der Herolde und die Füsse der Läufer haben, immer auch
unter den Ersten sein, die das
neue Gute verherrlichen, und oft als Die
erscheinen , welche es
zuerst gut nennen und als gut taxiren. Diess aber ist, wie
gesagt, ein Irrthum: sie sind nur geschwinder und lauter, als
die wirklichen Taxatoren. — Und wer sind denn diese? — Es sind
die Reichen und die Müssigen.
[86]
Vom Theater. — Dieser Tag
gab mir wieder starke und hohe Gefühle, und wenn ich an seinem
Abende Musik und Kunst haben könnte, so weiss ich wohl, welche
Musik und Kunst ich nicht
haben möchte, nämlich alle jene nicht, welche ihre Zuhörer
berauschen und zu einem Augenblicke starken und hohen Gefühls
emportreiben möchte, — jene
Menschen des Alltags der Seele, die am Abende nicht Siegern auf
Triumphwägen gleichen, sondern müden Maulthieren, an denen das
Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was würden jene
Menschen überhaupt von „höheren Stimmungen“ wissen, wenn es
nicht rauscherzeugende Mittel und idealische Peitschenschläge
gäbe! — und so haben sie ihre Begeisterer, wie sie ihre Weine
haben. Aber was ist mir
ihr Getränk und ihre Trunkenheit! Was braucht der
Begeisterte den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel
auf die Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne
zureichenden Grund erzeugen sollen, — eine Nachäffung der hohen
Seelenfluth! — Wie? Man schenkt dem Maulwurf Flügel und stolze
Einbildungen, — vor Schlafengehen, bevor er in seine Höhle
kriecht? Man schickt ihn in’s Theater und setzt ihm grosse
Gläser vor seine blinden und müden Augen? Menschen, deren Leben
keine „Handlung“, sondern ein Geschäft ist, sitzen vor der Bühne
und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das Leben mehr ist, als
ein Geschäft? „So ist es anständig“, sagt ihr, „so ist es
unterhaltend, so will es die Bildung!“ — Nun denn! So fehlt mir
allzuoft die Bildung: denn dieser Anblick ist mir allzuoft
ekelhaft. Wer an sich der Tragödie und Komödie genug hat, bleibt
wohl am Liebsten fern vom Theater; oder, zur Ausnahme, der ganze
Vorgang — Theater und Publicum und Dichter eingerechnet — wird
ihm zum eigentlichen tragischen und komischen Schauspiel, sodass
das aufgeführte Stück dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer Etwas
wie Faust und Manfred ist, was liegt dem an den Fausten und
Manfreden des Theaters! — während es ihm gewiss noch zu denken
giebt, dass man
überhaupt dergleichen Figuren auf’s Theater bringt. Die
stärksten Gedanken und
Leidenschaften vor Denen, welche des Denkens und der
Leidenschaft nicht fähig sind — aber des
Rausches ! Und
jene als ein Mittel zu diesem! Und Theater und
Musik das Haschisch-Rauchen und Betel-Kauen der Europäer! Oh wer
erzählt uns die ganze Geschichte der Narcotica! — Es ist beinahe
die Geschichte der „Bildung“, der sogenannten höheren Bildung!
[87]
Von der Eitelkeit der Künstler. —
Ich glaube, dass die Künstler oft nicht wissen, was sie am
besten können, weil sie zu eitel sind und ihren Sinn auf etwas
Stolzeres gerichtet haben, als diese kleinen Pflanzen zu sein
scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher
Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen vermögen. Das letzthin
Gute ihres eigenen Gartens und Weinbergs wird von ihnen obenhin
abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht sind nicht
gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein
Musiker darin seine Meisterschaft hat, die Töne aus dem Reiche
leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch
noch den stummen Thieren Sprache zu geben. Niemand kommt ihm
gleich in den Farben des späten Herbstes, dem unbeschreiblich
rührenden Glücke eines letzten, allerletzten, allerkürzesten
Geniessens, er kennt einen Klang für jene heimlich-unheimlichen
Mitternächte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen
gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick Etwas „aus dem
Nichts“ entstehen kann; er schöpft am glücklichsten von Allen
aus dem unteren Grunde des menschlichen Glückes und gleichsam
aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten
Tropfen zu guter- und böserletzt mit den süssesten
zusammengelaufen sind; er kennt jenes müde Sich-schieben der
Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht mehr gehen
kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des
Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Geständniss; ja,
als der Orpheus alles heimlichen Elendes ist er grösser, als
irgend Einer, und Manches ist durch ihn überhaupt der Kunst
hinzugefügt worden, was bisher unausdrückbar und selbst der
Kunst unwürdig erschien, und mit Worten namentlich nur zu
verscheuchen, nicht zu fassen war, — manches ganz Kleine und
Mikroskopische der Seele: ja, es ist der Meister des ganz
Kleinen. Aber er will
es nicht sein! Sein Charakter
liebt vielmehr die grossen Wände und die verwegene
Wandmalerei! Es entgeht ihm, dass sein
Geist einen anderen Geschmack und Hang hat und
am liebsten still in den Winkeln zusammengestürzter Häuser
sitzt: — da, verborgen, sich selber verborgen, malt er seine
eigentlichen Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur
Einen Tact lang, — da erst wird er ganz gut, gross und
vollkommen, da vielleicht allein. — Aber er weiss es nicht! Er
ist zu eitel dazu, es zu wissen.
[88]
Der Ernst um die Wahrheit. —
Ernst um die Wahrheit! Wie Verschiedenes verstehen die Menschen
bei diesen Worten! Eben die selben Ansichten und Arten von
Beweis und Prüfung, welche ein Denker an sich wie eine
Leichtfertigkeit empfindet, der er zu seiner Scham in dieser
oder jener Stunde unterlegen ist, — eben die selben Ansichten
können einem Künstler, der auf sie stösst und mit ihnen
zeitweilig lebt, das Bewusstsein geben, jetzt habe ihn der
tiefste Ernst um die Wahrheit erfasst, und es sei
bewunderungswürdig, dass er, obschon Künstler, doch zugleich die
ernsthafteste Begierde nach dem Gegensatze des Scheinenden
zeige. So ist es möglich, dass Einer gerade mit seinem Pathos
von Ernsthaftigkeit verräth, wie oberflächlich und genügsam sein
Geist bisher im Reiche der Erkenntniss gespielt hat. — Und ist
nicht Alles, was wir wichtig
nehmen, unser Verräther? Es zeigt, wo unsere Gewichte
liegen und wofür wir keine Gewichte besitzen.
[89]
Jetzt und ehedem. — Was
liegt an aller unsrer Kunst der Kunstwerke, wenn jene höhere
Kunst, die Kunst der Feste, uns abhanden kommt! Ehemals waren
alle Kunstwerke an der grossen Feststrasse der Menschheit
aufgestellt, als Erinnerungszeichen und Denkmäler hoher und
seliger Momente. Jetzt will man mit den Kunstwerken die armen
Erschöpften und Kranken von der grossen Leidensstrasse der
Menschheit bei Seite locken, für ein lüsternes Augenblickchen;
man bietet ihnen einen kleinen Rausch und Wahnsinn an.
[90]
Lichter und Schatten. —
Die Bücher und Niederschriften sind bei verschiedenen Denkern
Verschiedenes: der Eine hat im Buche die Lichter
zusammengebracht, die er geschwind aus den Strahlen einer ihm
aufleuchtenden Erkenntniss wegzustehlen und heimzutragen wusste;
ein Anderer giebt nur die Schatten, die Nachbilder in Grau und
Schwarz von dem wieder, was Tags zuvor in seiner Seele sich
aufbaute.
[91]
Vorsicht. — Alfieri hat,
wie bekannt, sehr viel gelogen, als er den erstaunten
Zeitgenossen seine Lebensgeschichte erzählte. Er log aus jenem
Despotismus gegen sich selber, den er zum Beispiel in der Art
bewies, wie er sich seine eigene Sprache schuf und sich zum
Dichter tyrannisirte: — er hatte endlich eine strenge Form von
Erhabenheit gefunden, in welche er sein Leben und sein
Gedächtniss hineinpresste
: es wird viel Qual dabei gewesen sein. — Ich würde auch
einer Lebensgeschichte Platon’s, von ihm selber geschrieben,
keinen Glauben schenken: so wenig, als der Rousseau’s, oder der
vita nuova Dante’s.
[92]
Prosa und Poesie. — Man
beachte doch, dass die grossen Meister der Prosa fast immer auch
Dichter gewesen sind, sei es öffentlich, oder auch nur im
Geheimen und für das „Kämmerlein“; und fürwahr, man schreibt nur
im Angesichte der Poesie
gute Prosa! Denn diese ist ein ununterbrochener artiger Krieg
mit der Poesie: alle ihre Reize bestehen darin, dass beständig
der Poesie ausgewichen und widersprochen wird; jedes Abstractum
will als Schalkheit gegen diese und wie mit spöttischer Stimme
vorgetragen sein; jede Trockenheit und Kühle soll die liebliche
Göttin in eine liebliche Verzweifelung bringen; oft giebt es
Annäherungen, Versöhnungen des Augenblickes und dann ein
plötzliches Zurückspringen und Auslachen; oft wird der Vorhang
aufgezogen und grelles Licht hereingelassen, während gerade die
Göttin ihre Dämmerungen und dumpfen Farben geniesst; oft wird
ihr das Wort aus dem Munde genommen und nach einer Melodie
abgesungen, bei der sie die feinen Hände vor die feinen Oehrchen
hält — und so giebt es tausend Vergnügungen des Krieges, die
Niederlagen mitgezählt, von denen die Unpoetischen, die
sogenannten Prosa-Menschen, gar Nichts wissen: — diese schreiben
und sprechen denn auch nur schlechte Prosa!
Der Krieg ist der Vater aller guten Dinge , der
Krieg ist auch der Vater der guten Prosa! — Vier sehr seltsame
und wahrhaft dichterische Menschen waren es in diesem
Jahrhundert, welche an die Meisterschaft der Prosa gereicht
haben, für die sonst diess Jahrhundert nicht gemacht ist — aus
Mangel an Poesie, wie angedeutet. Um von Goethe abzusehen,
welchen billigerweise das Jahrhundert in Anspruch nimmt, das ihn
hervorbrachte: so sehe ich nur Giacomo Leopardi, Prosper
Mérimée, Ralph Waldo Emerson und Walter Savage Landor, den
Verfasser der Imaginary Conversations, als würdig an, Meister
der Prosa zu heissen.
[93]
Aber warum schreibst denn du? —
A.: Ich gehöre nicht zu Denen, welche mit der nassen Feder in
der Hand denken
; und noch weniger zu Jenen, die sich gar vor dem offenen
Tintenfasse ihren Leidenschaften überlassen, auf ihrem Stuhle
sitzend und auf’s Papier starrend. Ich ärgere oder schäme mich
alles Schreibens; Schreiben ist für mich eine Nothdurft, —
selbst im Gleichniss davon zu reden, ist mir widerlich. B.: Aber
warum schreibst du dann? A.: Ja, mein Lieber, im Vertrauen
gesagt: ich habe bisher noch kein anderes Mittel gefunden, meine
Gedanken los zu
werden. B.: Und warum willst du sie los werden? A.: Warum ich
will? Will ich denn? Ich muss. — B.: Genug! Genug!
[94]
Wachsthum nach dem Tode. —
Jene kleinen verwegenen Worte über moralische Dinge, welche
Fontenelle in seinen unsterblichen Todtengesprächen hinwarf,
galten seiner Zeit als Paradoxien und Spiele eines nicht
unbedenklichen Witzes; selbst die höchsten Richter des
Geschmackes und des Geistes sahen nicht mehr darin, — ja,
vielleicht Fontenelle selber nicht. Nun ereignet sich etwas
Unglaubliches: diese Gedanken werden Wahrheiten! Die
Wissenschaft beweist sie! Das Spiel wird zum Ernst! Und wir
lesen jene Dialoge mit einer anderen Empfindung, als Voltaire
und Helvetius sie lasen, und heben unwillkürlich ihren Urheber
in eine andere und viel höhere
Rangclasse der Geister, als Jene thaten, — mit Recht? Mit
Unrecht?
[95]
Chamfort. — Dass ein
solcher Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben
der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und
Abwehr seitwärts stehen blieb, das weiss ich mir nicht anders zu
erklären, als so: Ein Instinct war in ihm stärker, als seine
Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen alle
Noblesse des Geblüts: vielleicht der alte nur zu erklärliche
Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur Mutter in ihm
heilig gesprochen war, — ein Instinct der Rache von seinen
Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die Mutter zu
rächen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie, und ach! am
meisten wohl das väterliche Blut in seinen Adern dazu verführt,
eben dieser Noblesse sich einzureihen und gleichzustellen —
viele viele Jahre lang! Endlich ertrug er aber seinen eigenen
Anblick, den Anblick des „alten Menschen“ unter dem alten Regime
nicht mehr; er gerieth in eine heftige Leidenschaft der Busse,
und in dieser
zog er das Gewand des Pöbels an, als
seine Art von härener Kutte! Sein böses
Gewissen war die Versäumniss der Rache. — Gesetzt, Chamfort wäre
damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben, so hätte die
Revolution ihren tragischen Witz und ihren schärfsten Stachel
nicht bekommen: sie würde als ein viel dümmeres Ereigniss gelten
und keine solche Verführung der Geister sein. Aber der Hass und
die Rache Chamfort’s erzogen ein ganzes Geschlecht: und die
erlauchtesten Menschen machten diese Schule durch. Man erwäge
doch, dass Mirabeau zu Chamfort wie zu seinem höheren und
älteren Selbst aufsah, von dem er Antriebe, Warnungen und
Richtersprüche erwartete und ertrug, — Mirabeau, der als Mensch
zu einem ganz anderen Range der Grösse gehört, als selbst die
Ersten unter den staatsmännischen Grössen von gestern und heute.
— Seltsam, dass trotz einem solchen Freunde und Fürsprecher —
man hat ja die Briefe Mirabeau’s an Chamfort — dieser witzigste
aller Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht
anders, als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen
dieses Jahrhunderts die
gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, dass
Letzterer im Grunde zu viel von einem Deutschen und Engländer an
sich hatte, um den Parisern noch erträglich zu sein? — während
Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergründen der
Seele, düster, leidend, glühend, — ein Denker, der das Lachen
als das Heilmittel gegen das Leben nöthig fand, und der sich
beinahe verloren gab, an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte,
— vielmehr wie ein Italiäner und Blutsverwandter Dante’s und
Leopardi’s erscheint, als wie ein Franzose! Man kennt die
letzten Worte Chamfort’s: „Ah! mon ami, sagte er zu Sieyès, je
m’en vais enfin de ce monde, où il faut que le coeur se brise ou
se bronze —“. Das sind sicherlich nicht Worte eines sterbenden
Franzosen.
[96]
Zwei Redner. — Von diesen
beiden Rednern erreicht der eine die ganze Vernunft seiner Sache
nur dann, wenn er sich der Leidenschaft überlässt: erst diese
pumpt genug Blut und Hitze ihm in’s Gehirn, um seine hohe
Geistigkeit zur Offenbarung zu zwingen. Der Andere versucht wohl
hier und da das Selbe: mit Hülfe der Leidenschaft seine Sache
volltönend, heftig und hinreissend vorzubringen, — aber
gewöhnlich mit einem schlechten Erfolge. Er redet dann sehr bald
dunkel und verwirrt, er übertreibt, macht Auslassungen und
erregt gegen die Vernunft seiner Sache Misstrauen: ja, er selber
empfindet dabei diess Misstrauen, und daraus erklären sich
plötzliche Sprünge in die kältesten und abstossendsten Töne,
welche in dem Zuhörer einen Zweifel erregen, ob seine ganze
Leidenschaftlichkeit ächt gewesen sei. Bei ihm überfluthet jedes
Mal die Leidenschaft den Geist; vielleicht, weil sie stärker
ist, als bei dem Ersten. Aber er ist auf der Höhe seiner Kraft,
wenn er dem andringenden Sturme seiner Empfindung widersteht und
ihn gleichsam verhöhnt: da erst tritt sein Geist ganz aus seinem
Versteck heraus, ein logischer, spöttischer, spielender, und
doch furchtbarer Geist.
[97]
Von der Geschwätzigkeit der
Schriftsteller. — Es giebt eine Geschwätzigkeit
des Zornes, — häufig bei Luther, auch bei Schopenhauer. Eine
Geschwätzigkeit aus einem zu grossen Vorrathe von
Begriffsformeln wie bei Kant. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an
immer neuen Wendungen der selben Sache: man findet sie bei
Montaigne. Eine Geschwätzigkeit hämischer Naturen: wer Schriften
dieser Zeit liest, wird sich hierbei zweier Schriftsteller
erinnern. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an guten Worten und
Sprachformen: nicht selten in der Prosa Goethe’s. Eine
Geschwätzigkeit aus innerem Wohlgefallen an Lärm und Wirrwarr
der Empfindungen: zum Beispiel bei Carlyle.
[98]
Zum Ruhme Shakespeare’s. —
Das Schönste, was ich zum Ruhme Shakespeare’s,
des Menschen , zu sagen wüsste, ist diess: er
hat an Brutus geglaubt und kein Stäubchen Misstrauens auf diese
Art Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragödie geweiht —
sie wird jetzt immer noch mit einem falschen Namen genannt —,
ihm und dem furchtbarsten Inbegriff hoher Moral. Unabhängigkeit
der Seele! — das gilt es hier! Kein Opfer kann da zu gross sein:
seinen liebsten Freund selbst muss man ihr opfern können, und
sei er noch dazu der herrlichste Mensch, die Zierde der Welt,
das Genie ohne Gleichen, — wenn man nämlich die Freiheit als die
Freiheit grosser Seelen liebt, und durch ihn
dieser Freiheit Gefahr droht: — derart muss
Shakespeare gefühlt haben! Die Höhe, in welche er Cäsar stellt,
ist die feinste Ehre, die er Brutus erweisen konnte: so erst
erhebt er dessen inneres Problem in’s Ungeheure und ebenso die
seelische Kraft, welche diesen
Knoten zu zerhauen vermochte! — Und war es
wirklich die politische Freiheit, welche diesen Dichter zum
Mitgefühl mit Brutus trieb, — zum Mitschuldigen des Brutus
machte? Oder war die politische Freiheit nur eine Symbolik für
irgend etwas Unaussprechbares? Stehen wir vielleicht vor irgend
einem unbekannt gebliebenen dunklen Ereignisse und Abenteuer aus
des Dichters eigener Seele, von dem er nur durch Zeichen reden
mochte? Was ist alle Hamlet-Melancholie gegen die Melancholie
des Brutus! — und vielleicht kennt Shakespeare auch diese, wie
er jene kannte, aus Erfahrung! Vielleicht hatte auch er seine
finstere Stunde und seinen bösen Engel, gleich Brutus! — Was es
aber auch derart von Aehnlichkeiten und geheimen Bezügen gegeben
haben mag: vor der ganzen Gestalt und Tugend des Brutus warf
Shakespeare sich auf den Boden und fühlte sich unwürdig und
ferne: — das Zeugniss dafür hat er in seine Tragödie
hineingeschrieben. Zweimal hat er in ihr einen Poeten vorgeführt
und zweimal eine solche ungeduldige und allerletzte Verachtung
über ihn geschüttet, dass es wie ein Schrei klingt, — wie der
Schrei der Selbstverachtung. Brutus, selbst Brutus verliert die
Geduld, als der Poet auftritt, eingebildet, pathetisch,
zudringlich, wie Poeten zu sein pflegen, als ein Wesen, welches
von Möglichkeiten der Grösse, auch der sittlichen Grösse, zu
strotzen scheint und es doch in der Philosophie der That und des
Lebens selten selbst bis zur gemeinen Rechtschaffenheit bringt.
„Kennt er die Zeit, so kenn’ ich
seine Launen , — fort mit dem
Schellen-Hanswurst!“ — ruft Brutus. Man übersetze sich diess
zurück in die Seele des Poeten, der es dichtete.
[99]
Die Anhänger Schopenhauer’s. —
Was man bei der Berührung von Cultur-Völkern und Barbaren zu
sehen bekommt: dass regelmässig die niedrigere Cultur von der
höheren zuerst deren Laster, Schwächen und Ausschweifungen
annimmt, von da aus einen Reiz auf sich ausgeübt fühlt und
endlich vermittelst der angeeigneten Laster und Schwächen Etwas
von der werthhaltigen Kraft der höheren Cultur mit auf sich
überströmen lässt: — das kann man auch in der Nähe und ohne
Reisen zu Barbaren-Völkern mit ansehen, freilich etwas
verfeinert und vergeistigt und nicht so leicht mit Händen zu
greifen. Was pflegen doch die Anhänger
Schopenhauer’s in Deutschland von ihrem Meister
zuerst anzunehmen? — als welche, im Vergleich zu dessen
überlegener Cultur, sich barbarenhaft genug vorkommen müssen, um
auch durch ihn zuerst barbarenhaft fascinirt und verführt zu
werden. Ist es sein harter Thatsachen-Sinn, sein guter Wille zu
Helligkeit und Vernunft, der ihn oft so englisch und so wenig
deutsch erscheinen lässt? Oder die Stärke seines intellectuellen
Gewissens, das einen lebenslangen Widerspruch zwischen Sein und
Wollen aushielt
und ihn dazu zwang, sich auch in seinen Schriften beständig und
fast in jedem Puncte zu widersprechen? Oder seine Reinlichkeit
in Dingen der Kirche und des christlichen Gottes? — denn hierin
war er reinlich wie kein deutscher Philosoph bisher, so dass er
„als Voltairianer“ lebte und starb. Oder seine unsterblichen
Lehren von der Intellectualität der Anschauung, von der
Apriorität des Causalitätsgesetzes, von der Werkzeug-Natur des
Intellects und der Unfreiheit des Willens? Nein, diess Alles
bezaubert nicht und wird nicht als bezaubernd gefühlt: aber die
mystischen Verlegenheiten und Ausflüchte Schopenhauer’s, an
jenen Stellen, wo der Thatsachen-Denker sich vom eitlen Triebe,
der Enträthseler der Welt zu sein, verführen und verderben
liess, die unbeweisbare Lehre von
Einem Willen („alle Ursachen sind nur
Gelegenheitsursachen der Erscheinung des Willens zu dieser Zeit,
an diesem Orte“, „der Wille zum Leben ist in jedem Wesen, auch
dem geringsten, ganz und ungetheilt vorhanden, so vollständig,
wie in Allen, die je waren, sind und sein werden,
zusammengenommen“), die Leugnung
des Individuums („alle Löwen sind im Grunde nur
Ein Löwe“, „die Vielheit der Individuen ist ein Schein“; sowie
auch die Entwicklung
nur ein Schein ist: — er nennt den Gedanken de Lamarck’s „einen
genialen, absurden Irrthum“), die Schwärmerei vom Genie („in der ästhetischen
Anschauung ist das Individuum nicht mehr Individuum, sondern
reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subject der
Erkenntniss“; „das Subject, indem es in dem angeschauten
Gegenstande ganz aufgeht, ist dieser Gegenstand selbst
geworden“), der Unsinn vom
Mitleide und der in ihm ermöglichten
Durchbrechung des principii individuationis als der Quelle aller
Moralität, hinzugerechnet solche Behauptungen „das Sterben ist
eigentlich der Zweck des Daseins“, „es lässt sich a priori nicht
geradezu die Möglichkeit ableugnen, dass eine magische Wirkung
nicht auch sollte von einem bereits Gestorbenen ausgehen
können“: diese und ähnliche
Ausschweifungen und Laster des Philosophen
werden immer am ersten angenommen und zur Sache des Glaubens
gemacht: — Laster und Ausschweifungen sind nämlich immer am
leichtesten nachzuahmen und wollen keine lange Vorübung. Doch
reden wir von dem berühmtesten der lebenden Schopenhauerianer,
von Richard Wagner. — Ihm ist es ergangen, wie es schon manchem
Künstler ergangen ist: er vergriff sich in der Deutung der
Gestalten, die er schuf, und verkannte die unausgesprochene
Philosophie seiner eigensten Kunst. Richard Wagner hat sich bis
in die Mitte seines Lebens durch Hegel irreführen lassen; er
that das Selbe noch einmal, als er später Schopenhauer’s Lehre
aus seinen Gestalten herauslas und mit „Wille“, „Genie“ und
„Mitleid“ sich selber zu formuliren begann. Trotzdem wird es
wahr bleiben: Nichts geht gerade so sehr wider den Geist
Schopenhauer’s, als das eigentlich Wagnerische an den Helden
Wagner’s: ich meine die Unschuld der höchsten Selbstsucht, der
Glaube an die grosse Leidenschaft als an das Gute an sich, mit
Einem Worte, das Siegfriedhafte im Antlitze seiner Helden. „Das
Alles riecht eher noch nach Spinoza als nach mir“ — würde
vielleicht Schopenhauer sagen. So gute Gründe also Wagner hätte,
sich gerade nach anderen Philosophen umzusehen als nach
Schopenhauer: die Bezauberung, der er in Betreff dieses Denkers
unterlegen ist, hat ihn nicht nur gegen alle anderen
Philosophen, sondern sogar gegen die Wissenschaft selber blind
gemacht; immer mehr will seine ganze Kunst sich als Seitenstück
und Ergänzung der Schopenhauerschen Philosophie geben und immer
ausdrücklicher verzichtet sie auf den höheren Ehrgeiz,
Seitenstück und Ergänzung der menschlichen Erkenntniss und
Wissenschaft zu werden. Und nicht nur reizt ihn dazu der ganze
geheimnissvolle Prunk dieser Philosophie, welche auch einen
Cagliostro gereizt haben würde: auch die einzelnen Gebärden und
die Affecte der Philosophen waren stets Verführer!
Schopenhauerisch ist zum Beispiel Wagner’s Ereiferung über die
Verderbniss der deutschen Sprache; und wenn man hierin die
Nachahmung gut heissen sollte, so darf doch auch nicht
verschwiegen werden, dass Wagner’s Stil selber nicht wenig an
all den Geschwüren und Geschwülsten krankt, deren Anblick
Schopenhauern so wüthend machte, und dass, in Hinsicht auf die
deutsch schreibenden Wagnerianer, die Wagnerei sich so
gefährlich zu erweisen beginnt, als nur irgend eine Hegelei sich
erwiesen hat. Schopenhauerisch ist Wagner’s Hass gegen die
Juden, denen er selbst in ihrer grössten That nicht gerecht zu
werden vermag: die Juden sind ja die Erfinder des Christenthums.
Schopenhauerisch ist der Versuch Wagner’s, das Christenthum als
ein verwehtes Korn des Buddhismus aufzufassen und für Europa,
unter zeitweiliger Annäherung an katholisch-christliche Formeln
und Empfindungen, ein buddhistisches Zeitalter vorzubereiten.
Schopenhauerisch ist Wagner’s Predigt zu Gunsten der
Barmherzigkeit im Verkehre mit Thieren; Schopenhauer’s Vorgänger
hierin war bekanntlich Voltaire, der vielleicht auch schon,
gleich seinen Nachfolgern, seinen Hass gegen gewisse Dinge und
Menschen als Barmherzigkeit gegen Thiere zu verkleiden wusste.
Wenigstens ist Wagner’s Hass gegen die Wissenschaft, der aus
seiner Predigt spricht, gewiss nicht vom Geiste der
Mildherzigkeit und Güte eingegeben — noch auch, wie es sich von
selber versteht, vom Geiste
überhaupt. — Zuletzt ist wenig an der Philosophie eines
Künstlers gelegen, falls sie eben nur eine nachträgliche
Philosophie ist und seiner Kunst selber keinen Schaden thut. Man
kann sich nicht genug davor hüten, einem Künstler um einer
gelegentlichen, vielleicht sehr unglücklichen und anmaasslichen
Maskerade willen gram zu werden; vergessen wir doch nicht, dass
die lieben Künstler sammt und sonders ein wenig Schauspieler
sind und sein müssen und ohne Schauspielerei es schwerlich auf
die Länge aushielten. Bleiben wir Wagnern in dem treu, was an
ihm wahr und
ursprünglich ist, — und namentlich dadurch, dass wir, seine
Jünger, uns selber in dem treu bleiben, was an uns wahr und
ursprünglich ist. Lassen wir ihm seine intellectuellen Launen
und Krämpfe, erwägen wir vielmehr in Billigkeit, welche
seltsamen Nahrungen und Nothdürfte eine Kunst, wie die seine,
haben darf , um
leben und wachsen zu können! Es liegt Nichts daran, dass er als
Denker so oft Unrecht hat; Gerechtigkeit und Geduld sind nicht
seine Sache. Genug, dass
sein Leben vor sich selber Recht hat und Recht behält: — dieses
Leben, welches Jedem von uns zuruft: „Sei ein Mann und folge mir
nicht nach, — sondern dir! Sondern dir!“ Auch
unser Leben soll vor uns selber Recht behalten!
Auch wir sollen frei und furchtlos, in unschuldiger Selbstigkeit
aus uns selber wachsen und blühen! Und so klingen mir, bei der
Betrachtung eines solchen Menschen, auch heute noch, wie ehedem,
diese Sätze an’s Ohr: „dass Leidenschaft besser ist, als
Stoicismus und Heuchelei, dass Ehrlich-sein, selbst im Bösen,
besser ist, als sich selber an die Sittlichkeit des Herkommens
verlieren, dass der freie Mensch sowohl gut als böse sein kann,
dass aber der unfreie Mensch eine Schande der Natur ist, und an
keinem himmlischen noch irdischen Troste Antheil hat; endlich
dass Jeder, der frei werden will,
es durch sich selber werden muss , und dass
Niemandem die Freiheit als ein Wundergeschenk in den Schooss
fällt“. (Richard Wagner in Bayreuth S. 94.)
[100]
Huldigen lernen. — Auch
das Huldigen müssen die Menschen lernen wie das Verachten.
Jeder, der auf neuen Bahnen geht und Viele auf neue Bahnen
geführt hat, entdeckt mit Staunen, wie ungeschickt und arm diese
Vielen im Ausdruck ihrer Dankbarkeit sind, ja wie selten sich
überhaupt auch nur die Dankbarkeit äussern
kann . Es ist als ob ihr immer, wenn sie einmal
reden will, Etwas in die Kehle komme, sodass sie sich nur
räuspert und im Räuspern wieder verstummt. Die Art, wie ein
Denker die Wirkung seiner Gedanken und ihre umbildende und
erschütternde Gewalt zu spüren bekommt, ist beinahe eine
Komödie; mitunter hat es das Ansehen, als ob Die, auf welche
gewirkt worden ist, sich im Grunde dadurch beleidigt fühlten und
ihre, wie sie fürchten, bedrohte Selbständigkeit nur in allerlei
Unarten zu äussern wüssten. Es bedarf ganzer Geschlechter, um
auch nur eine höfliche Convention des Dankes zu erfinden: und
erst sehr spät kommt jener Zeitpunct, wo selbst in die
Dankbarkeit eine Art Geist und Genialität gefahren ist: dann ist
gewöhnlich auch Einer da, welcher der grosse Dank-Empfänger ist,
nicht nur für Das, was er selber Gutes gethan hat, sondern
zumeist für Das, was von seinen Vorgängern als ein Schatz des
Höchsten und Besten allmählich aufgehäuft worden ist.
[101]
Voltaire. — Ueberall, wo
es einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut-Sprechens und damit
auch das Gesetz des Stils für alle Schreibenden gegeben. Die
höfische Sprache ist aber die Sprache des Höflings, der kein Fach hat und der sich
selbst in Gesprächen über wissenschaftliche Dinge alle bequemen
technischen Ausdrücke verbietet, weil sie nach dem Fache
schmecken, desshalb ist der technische Ausdruck und Alles, was
den Specialisten verräth, in den Ländern einer höfischen Cultur
ein Flecken des Stils
. Man ist jetzt, wo alle Höfe Caricaturen von sonst und jetzt
geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire in diesem Puncte
unsäglich spröde und peinlich zu finden (zum Beispiel in seinem
Urtheil über solche Stilisten, wie Fontenelle und Montesquieu),
— wir sind eben alle vom höfischen Geschmack emancipirt, während
Voltaire dessen Vollender
war!
[102]
Ein Wort für die Philologen. —
Dass es Bücher giebt, so werthvolle und königliche, dass ganze
Gelehrten-Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre Mühe
diese Bücher rein erhalten und verständlich erhalten werden, —
diesen Glauben immer wieder zu befestigen ist die Philologie da.
Sie setzt voraus, dass es an jenen seltenen Menschen nicht fehlt
(wenn man sie gleich nicht sieht), die so werthvolle Bücher
wirklich zu benutzen wissen: — es werden wohl die sein, welche
selber solche Bücher machen oder machen könnten. Ich wollte
sagen, die Philologie setzt einen vornehmen Glauben voraus, —
dass zu Gunsten einiger Weniger, die immer „kommen werden“ und
nicht da sind, eine sehr grosse Menge von peinlicher, selbst
unsauberer Arbeit voraus abzuthun sei: es ist Alles Arbeit in
usum Delphinorum.
[103]
Von der deutschen Musik. —
Die deutsche Musik ist jetzt schon desshalb, mehr als jede
andere, die europäische Musik, weil in ihr allein die
Veränderung, welche Europa durch die Revolution erfuhr, einen
Ausdruck bekommen hat: nur die deutschen Musiker verstehen sich
auf den Ausdruck bewegter Volksmassen, auf jenen ungeheuren
künstlichen Lärm, der nicht einmal sehr laut zu sein braucht, —
während zum Beispiel die italiänische Oper nur Chöre von
Bedienten oder Soldaten kennt, aber kein „Volk“. Es kommt hinzu,
dass aus aller deutschen Musik eine tiefe bürgerliche Eifersucht
auf die noblesse herauszuhören ist, namentlich auf esprit und
élégance, als den Ausdruck einer höfischen, ritterlichen, alten,
ihrer selber sicheren Gesellschaft. Das ist keine Musik, wie die
des Goethischen Sängers vor dem Thore, die auch „im Saale“, und
zwar dem Könige wohlgefällt; da heisst es nicht: „die Ritter
schauten muthig drein und in den Schooss die Schönen“. Schon die
Grazie tritt nicht ohne Anwandelung von Gewissensbissen in der
deutschen Musik auf; erst bei der Anmuth, der ländlichen
Schwester der Grazie, fängt der Deutsche an, sich ganz moralisch
zu fühlen — und von da an immer mehr bis hinauf zu seiner
schwärmerischen, gelehrten, oft bärbeissigen „Erhabenheit“, der
Beethoven’schen Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu
dieser Musik denken, nun, so
denke man sich eben Beethoven, wie er neben Goethe, etwa bei
jener Begegnung in Teplitz, erscheint: als die Halbbarbarei
neben der Cultur, als Volk neben Adel, als der gutartige Mensch
neben dem guten und mehr noch als „guten“ Menschen, als der
Phantast neben dem Künstler, als der Trostbedürftige neben dem
Getrösteten, als der Uebertreiber und Verdächtiger neben dem
Billigen, als der Grillenfänger und Selbstquäler, als der
Närrisch-Verzückte, der Selig-Unglückliche, der
Treuherzig-Maasslose, als der Anmaassliche und Plumpe — und
Alles in Allem als der „ungebändigte Mensch“: so empfand und
bezeichnete ihn Goethe selber, Goethe der Ausnahme-Deutsche, zu
dem eine ebenbürtige Musik noch nicht gefunden ist! — Zuletzt
erwäge man noch, ob nicht jene jetzt immer mehr um sich
greifende Verachtung der Melodie und Verkümmerung des
melodischen Sinnes bei Deutschen als eine demokratische Unart
und Nachwirkung der Revolution zu verstehen ist. Die Melodie hat
nämlich eine solche offene Lust an der Gesetzlichkeit und einen
solchen Widerwillen bei allem Werdenden, Ungeformten,
Willkürlichen, dass sie wie ein Klang aus der
alten Ordnung der europäischen Dinge und wie
eine Verführung und Rückführung zu dieser klingt.
[104]
Vom Klange der deutschen Sprache. —
Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit ein paar
Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. Die Deutschen,
mit ihrer Ehrfurcht vor Allem, was vom
Hofe kam, haben sich geflissentlich die
Kanzleien zum Muster genommen, in Allem, was sie zu schreiben hatten, also
namentlich in ihren Briefen, Urkunden, Testamenten und so
weiter. Kanzleimässig schreiben, das war hof- und
regierungsmässig schreiben, — das war etwas Vornehmes, gegen das
Deutsch der Stadt gehalten, in der man gerade lebte. Allmählich
zog man den Schluss und sprach auch so, wie man schrieb, — so
wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in der Wahl der
Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange: man affectirte
einen höfischen Klang, wenn man sprach, und die Affectation
wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas ganz Gleiches
nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des Schreibestils über die
Rede und die Ziererei und Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als
Grundlage einer gemeinsamen nicht mehr dialektischen Sprache.
Ich glaube, der Klang der deutschen Sprache war im Mittelalter,
und namentlich nach dem Mittelalter, tief bäuerisch und gemein:
er hat sich in den letzten Jahrhunderten etwas veredelt,
hauptsächlich dadurch, dass man sich genöthigt fand, so viel
französische, italiänische und spanische Klänge nachzuahmen und
zwar gerade von Seiten des deutschen (und österreichischen)
Adels, der mit der Muttersprache sich durchaus nicht begnügen
konnte. Aber für Montaigne oder gar Racine muss trotz dieser
Uebung Deutsch unerträglich gemein geklungen haben: und selbst
jetzt klingt es, im Munde der Reisenden, mitten unter
italiänischem Pöbel, noch immer sehr roh, wälderhaft, heiser,
wie aus räucherigen Stuben und unhöflichen Gegenden stammend. —
Nun bemerke ich, dass jetzt wieder unter den ehemaligen
Bewunderern der Kanzleien ein ähnlicher Drang nach Vornehmheit
des Klanges um sich greift, und dass die Deutschen einem ganz
absonderlichen „Klangzauber“ sich zu fügen anfangen, der auf die
Dauer eine wirkliche Gefahr für die deutsche Sprache werden
könnte, — denn abscheulichere Klänge sucht man in Europa
vergebens. Etwas Höhnisches, Kaltes, Gleichgültiges,
Nachlässiges in der Stimme: das klingt jetzt den Deutschen
„vornehm“ — und ich höre den guten Willen zu dieser Vornehmheit
in den Stimmen der jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja
die kleinen Mädchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach.
Denn der Offizier, und zwar der preussische, ist der Erfinder
dieser Klänge: dieser selbe Offizier, der als Militär und Mann
des Fachs jenen bewunderungswürdigen Tact der Bescheidenheit
besitzt, an dem die Deutschen allesammt zu lernen hätten (die
deutschen Professoren und Musicanten eingerechnet!). Aber sobald
er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste und
geschmackwidrigste Figur im alten Europa — sich selber
unbewusst, ohne allen Zweifel! Und auch den guten Deutschen
unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und vornehmsten
Gesellschaft anstaunen und sich gerne „den Ton von ihm angeben“
lassen. Das thut er denn auch! — und zunächst sind es die
Feldwebel und Unteroffiziere, welche seinen Ton nachahmen und
vergröbern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen die
deutschen Städte förmlich umbrüllt werden, jetzt wo man vor
allen Thoren exerciert: welche Anmaassung, welches wüthende
Autoritätsgefühl, welche höhnische Kälte klingt aus diesem
Gebrüll heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein musicalisches
Volk sein? — Sicher ist, dass die Deutschen sich jetzt im Klange
ihrer Sprache militarisiren: wahrscheinlich ist, dass sie,
eingeübt militärisch zu sprechen, endlich auch militärisch
schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte Klänge greift
tief in den Charakter: — man hat bald die Worte und Wendungen
und schliesslich auch die Gedanken, welche eben zu diesem Klange
passen! Vielleicht schreibt man jetzt schon offiziermäßig;
vielleicht lese ich nur zu wenig von dem, was man jetzt in
Deutschland schreibt. Aber Eines weiss ich um so sicherer: die
öffentlichen deutschen Kundgebungen, die auch in’s Ausland
dringen, sind nicht von der deutschen Musik inspirirt, sondern
von eben jenem neuen Klange einer geschmackwidrigen Anmaassung.
Fast in jeder Rede des ersten deutschen Staatsmannes und selbst
dann, wenn er sich durch sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen
lässt, ist ein Accent, den das Ohr eines Ausländers mit
Widerwillen zurückweist: aber die Deutschen ertragen ihn, — sie
ertragen sich selber.
[105]
Die Deutschen als Künstler. —
Wenn der Deutsche einmal wirklich in Leidenschaft geräth (und
nicht nur, wie gewöhnlich, in den guten Willen zur
Leidenschaft!), so benimmt er sich dann in derselben, wie er
eben muss, und denkt nicht weiter an sein Benehmen. Die Wahrheit
aber ist, dass er sich dann sehr ungeschickt und hässlich und
wie ohne Tact und Melodie benimmt, sodass die Zuschauer ihre
Pein oder ihre Rührung dabei haben und nicht mehr: — es sei denn , dass er sich in
das Erhabene und Entzückte hinaufhebt, dessen manche Passionen
fähig sind. Dann wird sogar der Deutsche
schön ! Die Ahnung davon,
auf welcher Höhe erst die Schönheit ihren
Zauber selbst über Deutsche ausgiesst, treibt die deutschen
Künstler in die Höhe und Ueberhöhe und in die Ausschweifungen
der Leidenschaft: ein wirkliches tiefes Verlangen also, über die
Hässlichkeit und Ungeschicktheit hinauszukommen, mindestens
hinauszublicken — hin nach einer besseren, leichteren,
südlicheren, sonnenhafteren Welt. Und so sind ihre Krämpfe
oftmals nur Anzeichen dafür, dass sie
tanzen möchten: diese armen Bären, in denen
versteckte Nymphen und Waldgötter ihr Wesen treiben — und
mitunter noch höhere Gottheiten!
[106]
Musik als Fürsprecherin. —
„Ich habe Durst nach einem Meister der Tonkunst, sagte ein
Neuerer zu seinem Jünger, dass er mir meine Gedanken ablerne und
sie fürderhin in seiner Sprache rede: so werde ich den Menschen
besser zu Ohr und Herzen dringen. Mit Tönen kann man die
Menschen zu jedem Irrthume und jeder Wahrheit verführen: wer
vermöchte einen Ton zu widerlegen
?“ — „Also möchtest du für unwiderlegbar gelten?“
sagte sein Jünger. Der Neuerer erwiderte: „Ich möchte, dass der
Keim zum Baume werde. Damit eine Lehre zum Baume werde, muss sie
eine gute Zeit geglaubt werden: damit sie geglaubt werde, muss
sie für unwiderlegbar gelten. Dem Baume thun Stürme, Zweifel,
Gewürm, Bosheit noth, damit er die Art und Kraft seines Keimes
offenbar mache; mag er brechen, wenn er nicht stark genug ist!
Aber ein Keim wird immer nur vernichtet, — nicht widerlegt!“ —
Als er das gesagt hatte, rief sein Jünger mit Ungestüm: „Aber
ich glaube an deine Sache und halte sie für so stark, dass ich
Alles, Alles sagen werde, was ich noch gegen sie auf dem Herzen
habe“. — Der Neuerer lachte bei sich und drohte ihm mit dem
Finger. „Diese Art Jüngerschaft, sagte er dann, ist die beste,
aber sie ist gefährlich und nicht jede Art Lehre verträgt sie“.
[107]
Unsere letzte Dankbarkeit gegen die Kunst.
— Hätten wir nicht die Künste gut geheissen und
diese Art von Cultus des Unwahren erfunden: so wäre die Einsicht
in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die uns jetzt
durch die Wissenschaft gegeben wird — die Einsicht in den Wahn
und Irrthum als in eine Bedingung des erkennenden und
empfindenden Daseins —, gar nicht auszuhalten. Die Redlichkeit würde den Ekel und
den Selbstmord im Gefolge haben. Nun aber hat unsere Redlichkeit
eine Gegenmacht, die uns solchen Consequenzen ausweichen hilft:
die Kunst, als den guten
Willen zum Scheine. Wir verwehren es unserm Auge nicht
immer, auszurunden, zu Ende zu dichten: und dann ist es nicht
mehr die ewige Unvollkommenheit, die wir über den Fluss des
Werdens tragen — dann meinen wir, eine
Göttin zu tragen und sind stolz und kindlich in
dieser Dienstleistung. Als ästhetisches Phänomen ist uns das
Dasein immer noch erträglich
, und durch die Kunst ist uns Auge und Hand und vor Allem
das gute Gewissen dazu gegeben, aus uns selber ein solches
Phänomen machen zu können
. Wir müssen zeitweilig von uns ausruhen, dadurch, dass wir
auf uns hin und hinab sehen und, aus einer künstlerischen Ferne
her, über uns
lachen oder über
uns weinen; wir müssen den Helden
und ebenso den
Narren entdecken, der in unsrer Leidenschaft
der Erkenntniss steckt, wir müssen unsrer Thorheit ab und zu
froh werden, um unsrer Weisheit froh bleiben zu können! Und
gerade weil wir im letzten Grunde schwere und ernsthafte
Menschen und mehr Gewichte als Menschen sind, so thut uns Nichts
so gut als die Schelmenkappe
: wir brauchen sie vor uns selber — wir brauchen alle
übermüthige, schwebende, tanzende, spottende, kindische und
selige Kunst, um jener Freiheit
über den Dingen nicht verlustig zu gehen,
welche unser Ideal von uns fordert. Es wäre ein Rückfall für uns, gerade mit
unsrer reizbaren Redlichkeit ganz in die Moral zu gerathen und
um der überstrengen Anforderungen willen, die wir hierin an uns
stellen, gar noch selber zu tugendhaften Ungeheuern und
Vogelscheuchen zu werden. Wir sollen auch
über der Moral stehen
können : und nicht nur stehen, mit der
ängstlichen Steifigkeit eines Solchen, der jeden Augenblick
auszugleiten und zu fallen fürchtet, sondern auch über ihr
schweben und spielen! Wie könnten wir dazu der Kunst, wie des
Narren entbehren? — Und so lange ihr euch noch irgendwie vor
euch selber schämt
, gehört ihr noch nicht zu uns!
[108]
Neue Kämpfe. — Nachdem
Buddha todt war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen
Schatten in einer Höhle, — einen ungeheuren schauerlichen
Schatten. Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist,
wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höhlen geben, in denen
man seinen Schatten zeigt. — Und wir — wir müssen auch noch
seinen Schatten besiegen!
[108]
Nieuwe gevechten . — Nadat Boeddha dood was, toonde
men nog eeuwenlang zijn schaduw in een grot — een enorme,
huiveringwekkende schaduw. God is dood: maar gezien de aard van de
mens, zullen er wellicht nog millennia lang grotten zijn, waarin
men zijn schaduw toont. — En wij — wij moeten ook nog zijn schaduw
overwinnen!
opm. denk ook aan Plato's grot
[109]
Hüten wir uns! — Hüten
wir uns, zu denken, dass die Welt ein lebendiges Wesen sei.
Wohin sollte sie sich ausdehnen? Wovon sollte sie sich nähren?
Wie könnte sie wachsen und sich vermehren? Wir wissen ja
ungefähr, was das Organische ist: und wir sollten das unsäglich
Abgeleitete, Späte, Seltene, Zufällige, das wir nur auf der
Kruste der Erde wahrnehmen, zum Wesentlichen, Allgemeinen,
Ewigen umdeuten, wie es Jene thun, die das All einen Organismus
nennen? Davor ekelt mir. Hüten wir uns schon davor, zu glauben,
dass das All eine Maschine sei; es ist gewiss nicht auf Ein Ziel
construirt, wir thun ihm mit dem Wort „Maschine“ eine viel zu
hohe Ehre an. Hüten wir uns, etwas so Formvolles, wie die
kyklischen Bewegungen unserer Nachbar-Sterne überhaupt und
überall vorauszusetzen; schon ein Blick in die Milchstrasse
lässt Zweifel auftauchen, ob es dort nicht viel rohere und
widersprechendere Bewegungen giebt, ebenfalls Sterne mit ewigen
geradlinigen Fallbahnen und dergleichen. Die astrale Ordnung, in
der wir leben, ist eine Ausnahme; diese Ordnung und die
ziemliche Dauer, welche durch sie bedingt ist, hat wieder die
Ausnahme der Ausnahmen ermöglicht: die Bildung des Organischen.
Der Gesammt-Charakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit
Chaos, nicht im Sinne der fehlenden Nothwendigkeit, sondern der
fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit, und
wie alle unsere ästhetischen Menschlichkeiten heissen. Von
unserer Vernunft aus geurtheilt, sind die verunglückten Würfe
weitaus die Regel, die Ausnahmen sind nicht das geheime Ziel,
und das ganze Spielwerk wiederholt ewig seine Weise, die nie
eine Melodie heissen darf, — und zuletzt ist selbst das Wort
„verunglückter Wurf“ schon eine Vermenschlichung, die einen
Tadel in sich schliesst. Aber wie dürften wir das All tadeln
oder loben! Hüten wir uns, ihm Herzlosigkeit und Unvernunft oder
deren Gegensätze nachzusagen: es ist weder vollkommen, noch
schön, noch edel, und will Nichts von alledem werden, es strebt
durchaus nicht darnach, den Menschen nachzuahmen! Es wird
durchaus durch keines unserer ästhetischen und moralischen
Urtheile getroffen! Es hat auch keinen Selbsterhaltungstrieb und
überhaupt keine Triebe; es kennt auch keine Gesetze. Hüten wir
uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe. Es giebt nur
Nothwendigkeiten: da ist Keiner, der befiehlt, Keiner, der
gehorcht, Keiner, der übertritt. Wenn ihr wisst, dass es keine
Zwecke giebt, so wisst ihr auch, dass es keinen Zufall giebt:
denn nur neben einer Welt von Zwecken hat das Wort „Zufall“
einen Sinn. Hüten wir uns, zu sagen, dass Tod dem Leben
entgegengesetzt sei. Das Lebende ist nur eine Art des Todten,
und eine sehr seltene Art. — Hüten wir uns, zu denken, die Welt
schaffe ewig Neues. Es giebt keine ewig dauerhaften Substanzen;
die Materie ist ein eben solcher Irrthum, wie der Gott der
Eleaten. Aber wann werden wir am Ende mit unserer Vorsicht und
Obhut sein! Wann werden uns alle diese Schatten Gottes nicht
mehr verdunkeln? Wann werden wir die Natur ganz entgöttlicht
haben! Wann werden wir anfangen dürfen, uns Menschen mit der
reinen, neu gefundenen, neu erlösten Natur zu
vernatürlichen !
[110]
Ursprung der Erkenntniss. —
Der Intellect hat ungeheure Zeitstrecken hindurch Nichts als
Irrthümer erzeugt; einige davon ergaben sich als nützlich und
arterhaltend: wer auf sie stiess, oder sie vererbt bekam,
kämpfte seinen Kampf für sich und seinen Nachwuchs mit grösserem
Glücke. Solche irrthümliche Glaubenssätze, die immer weiter
vererbt und endlich fast zum menschlichen Art- und Grundbestand
wurden, sind zum Beispiel diese: dass es dauernde Dinge gebe,
dass es gleiche Dinge gebe, dass es Dinge, Stoffe, Körper gebe,
dass ein Ding Das sei, als was es erscheine, dass unser Wollen
frei sei, dass was für mich gut ist, auch an und für sich gut
sei. Sehr spät erst traten die Leugner und Anzweifler solcher
Sätze auf, — sehr spät erst trat die Wahrheit auf, als die
unkräftigste Form der Erkenntniss. Es schien, dass man mit ihr
nicht zu leben vermöge, unser Organismus war auf ihren Gegensatz
eingerichtet; alle seine höheren Functionen, die Wahrnehmungen
der Sinne und jede Art von Empfindung überhaupt, arbeiteten mit
jenen uralt einverleibten Grundirrthümern. Mehr noch: jene Sätze
wurden selbst innerhalb der Erkenntniss zu den Normen, nach
denen man „wahr“ und „unwahr“ bemass — bis hinein in die
entlegensten Gegenden der reinen Logik. Also: die Kraft der Erkenntnisse liegt
nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, ihrer
Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung. Wo Leben
und Erkennen in Widerspruch zu kommen schienen, ist nie
ernstlich gekämpft worden; da galt Leugnung und Zweifel als
Tollheit. Jene Ausnahme-Denker, wie die Eleaten, welche trotzdem
die Gegensätze der natürlichen Irrthümer aufstellten und
festhielten, glaubten daran, dass es möglich sei, dieses
Gegentheil auch zu leben
: sie erfanden den Weisen als den Menschen der
Unveränderlichkeit, Unpersönlichkeit, Universalität der
Anschauung, als Eins und Alles zugleich, mit einem eigenen
Vermögen für jene umgekehrte Erkenntniss; sie waren des
Glaubens, dass ihre Erkenntniss zugleich das Princip des
Lebens sei. Um diess Alles
aber behaupten zu können, mussten sie sich über ihren eigenen
Zustand täuschen
: sie mussten sich Unpersönlichkeit und Dauer ohne Wechsel
andichten, das Wesen des Erkennenden verkennen, die Gewalt der
Triebe im Erkennen leugnen und überhaupt die Vernunft als völlig
freie, sich selbst entsprungene Activität fassen; sie hielten
sich die Augen dafür zu, dass auch sie im Widersprechen gegen
das Gültige, oder im Verlangen nach Ruhe oder Alleinbesitz oder
Herrschaft zu ihren Sätzen gekommen waren. Die feinere
Entwickelung der Redlichkeit und der Skepsis machte endlich auch
diese Menschen unmöglich; auch ihr Leben und Urtheilen ergab
sich als abhängig von den uralten Trieben und Grundirrthümern
alles empfindenden Daseins. — Jene feinere Redlichkeit und
Skepsis hatte überall dort ihre Entstehung, wo zwei
entgegengesetzte Sätze auf das Leben
anwendbar erschienen, weil sich beide mit den
Grundirrthümern vertrugen, wo also über den höheren oder
geringeren Grad des Nutzens
für das Leben gestritten werden konnte; ebenfalls dort, wo
neue Sätze sich dem Leben zwar nicht nützlich, aber wenigstens
auch nicht schädlich zeigten, als Aeusserungen eines
intellectuellen Spieltriebes, und unschuldig und glücklich
gleich allem Spiele. Allmählich füllte sich das menschliche
Gehirn mit solchen Urtheilen und Ueberzeugungen, so entstand in
diesem Knäuel Gährung, Kampf und Machtgelüst. Nützlichkeit und
Lust nicht nur, sondern jede Art von Trieben nahm Partei in dem
Kampfe um die „Wahrheiten“; der intellectuelle Kampf wurde
Beschäftigung, Reiz, Beruf, Pflicht, Würde —: das Erkennen und
das Streben nach dem Wahren ordnete sich endlich als Bedürfniss
in die anderen Bedürfnisse ein. Von da an war nicht nur der
Glaube und die Ueberzeugung, sondern auch die Prüfung, die
Leugnung, das Misstrauen, der Widerspruch eine
Macht , alle „bösen“ Instincte waren der
Erkenntniss untergeordnet und in ihren Dienst gestellt und
bekamen den Glanz des Erlaubten, Geehrten, Nützlichen und
zuletzt das Auge und die Unschuld des
Guten . Die Erkenntniss wurde also zu einem
Stück Leben selber und als Leben zu einer immerfort wachsenden
Macht: bis endlich die Erkenntnisse und jene uralten
Grundirrthümer auf einander stiessen, beide als Leben, beide als
Macht, beide in dem selben Menschen. Der Denker: das ist jetzt
das Wesen, in dem der Trieb zur Wahrheit und jene
lebenerhaltenden Irrthümer ihren ersten Kampf kämpfen, nachdem
auch der Trieb zur Wahrheit sich als eine lebenerhaltende Macht
bewiesen hat. Im
Verhältniss zu der Wichtigkeit dieses Kampfes ist alles Andere
gleichgültig: die letzte Frage um die Bedingung des Lebens ist
hier gestellt, und der erste Versuch wird hier gemacht, mit dem
Experiment auf diese Frage zu antworten. Inwieweit verträgt die
Wahrheit die Einverleibung? — das ist die Frage, das ist das
Experiment.
[111]
Herkunft des Logischen. —
Woher ist die Logik im menschlichen Kopfe entstanden? Gewiss aus
der Unlogik, deren Reich ursprünglich ungeheuer gewesen sein
muss. Aber unzählig viele Wesen, welche anders schlossen, als
wir jetzt schliessen, giengen zu Grunde: es könnte immer noch
wahrer gewesen sein! Wer zum Beispiel das „Gleiche“ nicht oft
genug aufzufinden wusste, in Betreff der Nahrung oder in Betreff
der ihm feindlichen Thiere, wer also zu langsam subsumirte, zu
vorsichtig in der Subsumption war, hatte nur geringere
Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als Der, welcher bei allem
Aehnlichen sofort auf Gleichheit rieth. Der überwiegende Hang
aber, das Aehnliche als gleich zu behandeln, ein unlogischer
Hang — denn es giebt an sich nichts Gleiches —, hat erst alle
Grundlage der Logik geschaffen. Ebenso musste, damit der Begriff
der Substanz entstehe, der unentbehrlich für die Logik ist, ob
ihm gleich im strengsten Sinne nichts Wirkliches entspricht, —
lange Zeit das Wechselnde an den Dingen nicht gesehen, nicht
empfunden worden sein; die nicht genau sehenden Wesen hatten
einen Vorsprung vor denen, welche Alles „im Flusse“ sahen. An
und für sich ist schon jeder hohe Grad von Vorsicht im
Schliessen, jeder skeptische Hang eine grosse Gefahr für das
Leben. Es würden keine lebenden Wesen erhalten sein, wenn nicht
der entgegengesetzte Hang, lieber zu bejahen als das Urtheil
auszusetzen, lieber zu irren und zu dichten als abzuwarten,
lieber zuzustimmen als zu verneinen, lieber zu urtheilen als
gerecht zu sein — ausserordentlich stark angezüchtet worden
wäre. — Der Verlauf logischer Gedanken und Schlüsse in unserem
jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von
Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht
sind; wir erfahren gewöhnlich nur das Resultat des Kampfes: so
schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte
Mechanismus in uns ab.
[112]
Ursache und Wirkung. —
„Erklärung“ nennen wir’s: aber „Beschreibung“ ist es, was uns
vor älteren Stufen der Erkenntniss und Wissenschaft auszeichnet.
Wir beschreiben besser, — wir erklären ebenso wenig wie alle
Früheren. Wir haben da ein vielfaches Nacheinander aufgedeckt,
wo der naive Mensch und Forscher älterer Culturen nur Zweierlei
sah, „Ursache“ und „Wirkung“, wie die Rede lautete; wir haben
das Bild des Werdens vervollkommnet, aber sind über das Bild,
hinter das Bild nicht hinaus gekommen. Die Reihe der „Ursachen“
steht viel vollständiger in jedem Falle vor uns, wir schliessen:
diess und das muss erst vorangehen, damit jenes folge, — aber
begriffen haben wir damit
Nichts. Die Qualität, zum Beispiel bei jedem chemischen Werden,
erscheint nach wie vor als ein „Wunder“, ebenso jede
Fortbewegung; Niemand hat den Stoss „erklärt“. Wie könnten wir
auch erklären! Wir operiren mit lauter Dingen, die es nicht
giebt, mit Linien, Flächen, Körpern, Atomen, theilbaren Zeiten,
theilbaren Räumen —, wie soll Erklärung auch nur möglich sein,
wenn wir Alles erst zum Bilde
machen, zu unserem Bilde! Es ist genug, die Wissenschaft als
möglichst getreue Anmenschlichung der Dinge zu betrachten, wir
lernen immer genauer uns selber beschreiben, indem wir die Dinge
und ihr Nacheinander beschreiben. Ursache und Wirkung: eine solche
Zweiheit giebt es wahrscheinlich nie, — in Wahrheit steht ein
continuum vor uns, von dem wir ein paar Stücke isoliren; so wie
wir eine Bewegung immer nur als isolirte Puncte wahrnehmen, also
eigentlich nicht sehen, sondern erschliessen. Die Plötzlichkeit,
mit der sich viele Wirkungen abheben, führt uns irre; es ist aber
nur eine Plötzlichkeit für uns. Es giebt eine unendliche Menge von
Vorgängen in dieser Secunde der Plötzlichkeit, die uns entgehen.
Ein Intellect, der Ursache und Wirkung als continuum, nicht nach
unserer Art als willkürliches Zertheilt- und Zerstücktsein, sähe,
der den Fluss des Geschehens sähe, — würde den Begriff Ursache und
Wirkung verwerfen und alle Bedingtheit leugnen.
[112]
Oorzaak en gevolg. “Verklaring” noemen wij het;
maar “beschrijving” is het, wat ons onderscheidt van eerdere
stadia van kennis en wetenschap. Wij beschrijven beter, — wij
verklaren even weinig als alle vroegere mensen. Wij hebben een
veelvoudig 'na-elkaar' blootgelegd, waar de naïeve mens en de
onderzoeker van oudere culturen slechts twee zaken zagen —
“oorzaak” en “gevolg”, zoals men dat noemde; wij hebben het beeld
van het worden vervolmaakt, maar boven of achter dat beeld zijn we
niet uitgekomen. Ons staat voor alles 'wat het geval is' een veel
volledigere reeks “oorzaken” voor ogen, en wij concluderen (nog
steeds): dit moet wel voorafgaan, anders kan dat niet volgen —
maar begrepen hebben wij daarmee niets. [...]
[113]
Zur Lehre von den Giften. —
Es gehört so viel zusammen, damit ein wissenschaftliches Denken
entstehe: und alle diese nöthigen Kräfte haben einzeln erfunden,
geübt, gepflegt werden müssen! In ihrer Vereinzelung haben sie
aber sehr häufig eine ganz andere Wirkung gehabt als jetzt, wo
sie innerhalb des wissenschaftlichen Denkens sich gegenseitig
beschränken und in Zucht halten: — sie haben als Gifte gewirkt,
zum Beispiel der anzweifelnde Trieb, der verneinende Trieb, der
abwartende Trieb, der sammelnde Trieb, der auflösende Trieb.
Viele Hekatomben von Menschen sind zum Opfer gebracht worden,
ehe diese Triebe lernten, ihr Nebeneinander zu begreifen und
sich mit einander als Functionen Einer organisirenden Gewalt in
Einem Menschen zu fühlen! Und wie ferne sind wir noch davon,
dass zum wissenschaftlichen Denken sich auch noch die
künstlerischen Kräfte und die practische Weisheit des Lebens
hinzufinden, dass ein höheres organisches System sich bildet, in
Bezug auf welches der Gelehrte, der Arzt, der Künstler und der
Gesetzgeber, so wie wir jetzt diese kennen, als dürftige
Alterthümer erscheinen müssten!
[114]
Umfang des Moralischen. —
Wir construiren ein neues Bild, das wir sehen, sofort mit Hülfe
aller alten Erfahrungen, die wir gemacht haben, je nach dem Grade unserer
Redlichkeit und Gerechtigkeit. Es giebt gar keine anderen als
moralische Erlebnisse, selbst nicht im Bereiche der
Sinneswahrnehmung.
[115]
Die vier Irrthümer. — Der
Mensch ist durch seine Irrthümer erzogen worden: er sah sich
erstens immer nur unvollständig, zweitens legte er sich
erdichtete Eigenschaften bei, drittens fühlte er sich in einer
falschen Rangordnung zu Thier und Natur, viertens erfand er
immer neue Gütertafeln und nahm sie eine Zeit lang als ewig und
unbedingt, sodass bald dieser, bald jener menschliche Trieb und
Zustand an der ersten Stelle stand und in Folge dieser Schätzung
veredelt wurde. Rechnet man die Wirkung dieser vier Irrthümer
weg, so hat man auch Humanität, Menschlichkeit und
„Menschenwürde“ hinweggerechnet.
[116]
Heerden-Instinct. — Wo
wir eine Moral antreffen, da finden wir eine Abschätzung und
Rangordnung der menschlichen Triebe und Handlungen. Diese
Schätzungen und Rangordnungen sind immer der Ausdruck der
Bedürfnisse einer Gemeinde und Heerde: Das, was ihr am ersten frommt — und am
zweiten und dritten —, das ist auch der oberste Maassstab für
den Werth aller Einzelnen. Mit der Moral wird der Einzelne
angeleitet, Function der Heerde zu sein und nur als Function
sich Werth zuzuschreiben. Da die Bedingungen der Erhaltung einer
Gemeinde sehr verschieden von denen einer anderen Gemeinde
gewesen sind, so gab es sehr verschiedene Moralen; und in
Hinsicht auf noch bevorstehende wesentliche Umgestaltungen der
Heerden und Gemeinden, Staaten und Gesellschaften kann man
prophezeien, dass es noch sehr abweichende Moralen geben wird.
Moralität ist Heerden-Instinct im Einzelnen.
[117]
Heerden-Gewissensbiss. —
In den längsten und fernsten Zeiten der Menschheit gab es einen
ganz anderen Gewissensbiss als heut zu Tage. Heute fühlt man
sich nur verantwortlich für Das, was man will und thut, und hat
in sich selber seinen Stolz: alle unsere Rechtslehrer gehen von
diesem Selbst- und Lustgefühle des Einzelnen aus, wie als ob
hier von jeher die Quelle des Rechts entsprungen sei. Aber die
längste Zeit der Menschheit hindurch gab es nichts
Fürchterlicheres, als sich einzeln zu fühlen. Allein sein,
einzeln empfinden, weder gehorchen noch herrschen, ein
Individuum bedeuten — das war damals keine Lust, sondern eine
Strafe; man wurde verurtheilt „zum Individuum“. Gedankenfreiheit
galt als das Unbehagen selber. Während wir Gesetz und Einordnung
als Zwang und Einbusse empfinden, empfand man ehedem den
Egoismus als eine peinliche Sache, als eine eigentliche Noth.
Selbst sein, sich selber nach eigenem Maass und Gewicht schätzen
— das gieng damals wider den Geschmack. Die Neigung dazu würde
als Wahnsinn empfunden worden sein: denn mit dem Alleinsein war
jedes Elend und jede Furcht verknüpft. Damals hatte der „freie
Wille“ das böse Gewissen in seiner nächsten Nachbarschaft: und
je unfreier man handelte, je mehr der Heerden-Instinct und nicht
der persönliche Sinn aus der Handlung sprach, um so moralischer
schätzte man sich. Alles, was der Heerde Schaden that, sei es,
dass der Einzelne es gewollt oder nicht gewollt hatte, machte
damals dem Einzelnen Gewissensbisse — und seinem Nachbar noch
dazu, ja der ganzen Heerde! — Darin haben wir am allermeisten
umgelernt.
[118]
Wohlwollen. — Ist es
tugendhaft, wenn eine Zelle sich in die Function einer stärkeren
Zelle verwandelt? Sie muss es. Und ist es böse, wenn die
stärkere jene sich assimilirt? Sie muss es ebenfalls; so ist es
für sie nothwendig, denn sie strebt nach überreichlichem Ersatz
und will sich regeneriren. Demnach hat man im Wohlwollen zu
unterscheiden: den Aneignungstrieb und den Unterwerfungstrieb,
je nachdem der Stärkere oder der Schwächere Wohlwollen
empfindet. Freude und Begehren sind bei dem Stärkeren, der Etwas
zu seiner Function umbilden will, beisammen: Freude und
Begehrtwerdenwollen bei dem Schwächeren, der Function werden
möchte. — Mitleid ist wesentlich das Erstere, eine angenehme
Regung des Aneignungstriebes, beim Anblick des Schwächeren:
wobei noch zu bedenken ist, dass „stark“ und „schwach“ relative
Begriffe sind.
[119]
Kein Altruismus! — Ich
sehe an vielen Menschen eine überschüssige Kraft und Lust,
Function sein zu wollen; sie drängen sich dorthin und haben die
feinste Witterung für alle jene Stellen, wo gerade sie Function sein können. Dahin
gehören jene Frauen, die sich in die Function eines Mannes
verwandeln, welche an ihm gerade schwach entwickelt ist, und
dergestalt zu seinem Geldbeutel oder zu seiner Politik oder zu
seiner Geselligkeit werden. Solche Wesen erhalten sich selber am
besten, wenn sie sich in einen fremden Organismus einfügen;
gelingt es ihnen nicht, so werden sie ärgerlich, gereizt und
fressen sich selber auf.
[120]
Gesundheit der Seele. —
Die beliebte medicinische Moralformel (deren Urheber Ariston von
Chios ist): „Tugend ist die Gesundheit der Seele“ — müsste
wenigstens, um brauchbar zu sein, dahin abgeändert werden:
„deine Tugend ist die Gesundheit deiner Seele“. Denn eine
Gesundheit an sich giebt es nicht, und alle Versuche, ein Ding
derart zu definiren, sind kläglich missrathen. Es kommt auf dein
Ziel, deinen Horizont, deine Kräfte, deine Antriebe, deine
Irrthümer und namentlich auf die Ideale und Phantasmen deiner
Seele an, um zu bestimmen, was
selbst für deinen Leib
Gesundheit zu bedeuten habe. Somit giebt es unzählige
Gesundheiten des Leibes; und je mehr man dem Einzelnen und
Unvergleichlichen wieder erlaubt, sein Haupt zu erheben, je mehr
man das Dogma von der „Gleichheit der Menschen“ verlernt, um so
mehr muss auch der Begriff einer Normal-Gesundheit, nebst
Normal-Diät, Normal-Verlauf der Erkrankung unsern Medicinern
abhanden kommen. Und dann erst dürfte es an der Zeit sein, über
Gesundheit und Krankheit der
Seele nachzudenken und die eigenthümliche
Tugend eines Jeden in deren Gesundheit zu setzen: welche
freilich bei dem Einen so aussehen könnte wie der Gegensatz der
Gesundheit bei einem Anderen. Zuletzt bliebe noch die grosse
Frage offen, ob wir der Erkrankung
entbehren könnten, selbst zur Entwickelung
unserer Tugend, und ob nicht namentlich unser Durst nach
Erkenntniss und Selbsterkenntniss der kranken Seele so gut
bedürfe als der gesunden: kurz, ob nicht der alleinige Wille zur
Gesundheit ein Vorurtheil, eine Feigheit und vielleicht ein
Stück feinster Barbarei und Rückständigkeit sei.
[121]
Das Leben kein Argument. —
Wir haben uns eine Welt zurecht gemacht, in der wir leben können
— mit der Annahme von Körpern, Linien, Flächen, Ursachen und
Wirkungen, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Inhalt: ohne diese
Glaubensartikel hielte es jetzt Keiner aus zu leben! Aber damit
sind sie noch nichts Bewiesenes. Das Leben ist kein Argument;
unter den Bedingungen des Lebens könnte der Irrthum sein.
[122]
Die moralische Skepsis im Christenthum. —
Auch das Christenthum hat einen grossen Beitrag
zur Aufklärung gegeben: es lehrte die moralische Skepsis auf
eine sehr eindringliche und wirksame Weise: anklagend,
verbitternd, aber mit unermüdlicher Geduld und Feinheit: es
vernichtete in jedem einzelnen Menschen den Glauben an seine
„Tugenden“: es liess für immer jene grossen Tugendhaften von der
Erde verschwinden, an denen das Alterthum nicht arm war, jene
populären Menschen, die im Glauben an ihre Vollendung mit der
Würde eines Stiergefechtshelden umherzogen. Wenn wir jetzt,
erzogen in dieser christlichen Schule der Skepsis, die
moralischen Bücher der Alten, zum Beispiel Seneca’s und
Epiktet’s, lesen, so fühlen wir eine kurzweilige Ueberlegenheit
und sind voller geheimer Einblicke und Ueberblicke, es ist uns
dabei zu Muthe, als ob ein Kind vor einem alten Manne oder eine
junge schöne Begeisterte vor La Rochefoucauld redete: wir kennen
Das, was Tugend ist, besser! Zuletzt haben wir aber diese selbe
Skepsis auch auf alle religiösen
Zustände und Vorgänge, wie Sünde, Reue, Gnade,
Heiligung, angewendet und den Wurm so gut graben lassen, dass
wir nun auch beim Lesen aller christlichen Bücher das selbe
Gefühl der feinen Ueberlegenheit und Einsicht haben: — wir
kennen auch die religiösen Gefühle besser! Und es ist Zeit, sie
gut zu kennen und gut zu beschreiben, denn auch die Frommen des
alten Glaubens sterben aus: — retten wir ihr Abbild und ihren
Typus wenigstens für die Erkenntniss!
[123]
Die Erkenntniss mehr, als ein Mittel. —
Auch ohne
diese neue Leidenschaft — ich meine die Leidenschaft der
Erkenntniss — würde die Wissenschaft gefördert werden: die
Wissenschaft ist ohne sie bisher gewachsen und gross geworden.
Der gute Glaube an die Wissenschaft, das ihr günstige
Vorurtheil, von dem unsere Staaten jetzt beherrscht sind (ehedem
war es sogar die Kirche), ruht im Grunde darauf, dass jener
unbedingte Hang und Drang sich so selten in ihr offenbart hat,
und dass Wissenschaft eben nicht
als Leidenschaft, sondern als Zustand und „Ethos“
gilt. Ja, es genügt oft schon amour-plaisir der Erkenntniss
(Neugierde), es genügt amour-vanité, Gewöhnung an sie, mit der
Hinterabsicht auf Ehre und Brod, es genügt selbst für Viele,
dass sie mit einem Ueberschuss von Musse Nichts anzufangen
wissen als lesen, sammeln, ordnen, beobachten, weiter erzählen:
ihr „wissenschaftlicher Trieb“ ist ihre Langeweile. Der Papst
Leo der Zehnte hat einmal (im Breve an Beroaldus) das Lob der
Wissenschaft gesungen: er bezeichnet sie als den schönsten
Schmuck und den grössten Stolz unseres Lebens, als eine edle
Beschäftigung in Glück und Unglück; „ohne sie, sagt er endlich,
wäre alles menschliche Unternehmen ohne festen Halt, — auch mit
ihr ist es ja noch veränderlich und unsicher genug!“ Aber dieser
leidlich skeptische Papst verschweigt, wie alle anderen
kirchlichen Lobredner der Wissenschaft, sein letztes Urtheil
über sie. Mag man nun aus seinen Worten heraushören, was für
einen solchen Freund der Kunst merkwürdig genug ist, dass er die
Wissenschaft über die Kunst stellt; zuletzt ist es doch nur eine
Artigkeit, wenn er hier nicht von dem redet, was auch er hoch
über alle Wissenschaft stellt: von der „geoffenbarten Wahrheit“
und von dem „ewigen Heil der Seele“, — was sind ihm dagegen
Schmuck, Stolz, Unterhaltung, Sicherung des Lebens! „Die
Wissenschaft ist Etwas von zweitem Range, nichts Letztes,
Unbedingtes, kein Gegenstand der Passion“, — diess Urtheil blieb
in der Seele Leo’s zurück: das eigentlich christliche Urtheil
über die Wissenschaft! Im Alterthum war ihre Würde und
Anerkennung dadurch verringert, dass selbst unter ihren
eifrigsten Jüngern das Streben nach der
Tugend voranstand, und dass man der Erkenntniss
schon ihr höchstes Lob gegeben zu haben glaubte, wenn man sie
als das beste Mittel der Tugend feierte. Es ist etwas Neues in
der Geschichte, dass die Erkenntniss mehr sein will, als ein
Mittel.
[124]
Im Horizont des Unendlichen. —
Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir
haben die Brücke hinter uns, — mehr noch, wir haben das Land
hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh’ dich vor! Neben
dir liegt der Ocean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und
mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der Güte.
Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich
ist und dass es nichts Furchtbareres giebt, als Unendlichkeit.
Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die
Wände dieses Käfigs stösst! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich
befällt, als ob dort mehr
Freiheit gewesen wäre, — und es giebt kein
„Land“ mehr!
[124]
Tegen de horizon van het oneindige. - We hebben het
land verlaten en zijn scheep gegaan! We hebben de bruggen achter
ons, - meer nog, we hebben het land achter ons afgebroken! Welnu,
scheepje, opgepast ! Naast je ligt de oceaan, het is waar, hij
brult niet altijd, en af en toe ligt hij erbij als vergulde zijde,
een en al dromerige goedheid. Maar er komen tijden, dat je zult
ontdekken, dat hij oneindig is en dat er niets vreselijkers
bestaat dan oneindigheid. Oh, die arme vogel, die zich vrij
gevoeld heeft en nu tegen de wanden van deze kooi stoot. Wee,
wanneer het heimwee naar het land je overvalt, alsof daar daar
meer vrijheid geweest zou zijn, - en er is geen 'land' meer.
[125]
Der tolle Mensch. — Habt
ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen
Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und
unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ — Da dort
gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott
glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn
verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein
Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er
sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? — so
schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang
mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin
ist Gott? rief er, ich will es euch sagen!
Wir haben ihn getödtet , — ihr und ich! Wir
Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie
vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm,
um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir
diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich
nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir
nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach
allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir
nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der
leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht
immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am
Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm
der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts
von der göttlichen Verwesung? — auch Götter verwesen! Gott ist
todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten
wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste,
was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern
verblutet, — wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem
Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche
heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse
dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern
werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine
grössere That, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört
um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle
Geschichte bisher war!“ — Hier schwieg der tolle Mensch und sah
wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten
befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden,
dass sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu früh, sagte
er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure
Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, — es ist noch nicht
bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner
brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten
brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und
gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner, als
die fernsten Gestirne, — und doch
haben sie dieselbe gethan !“ — Man erzählt
noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene
Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo
angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er
immer nur diess entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch,
wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ —
[125]
De dwaas . Hebt gij niet gehoord van die
dwaas, die op een heldere ochtend een
lantaarn aanstak, de markt op ging, en
onophoudelijk riep :
“Ik zoek God! Ik zoek God!”. Omdat daar net
veel mensen bij elkaar stonden die niet aan God geloofden,
verwekte hij een groot gelach. ' Is hij soms
verloren gegaan? ' zei de één.
'Heeft hij zich verlopen als een kind? '
zei de ander. Of houdt hij zich
verstopt? Is hij bang voor ons? Is hij scheep gegaan?
Geëmigreerd? Zo riepen en lachten ze door
elkaar. De dwaas sprong midden onder hen en
doorboorde ze met zijn blik. “Waar God heen is?” riep hij , “Dat
zal ik u zeggen ! Wij hebben hem gedood,
- gij en ik! Wij allen hebben hem
omgebracht ! Maar hoe hebben wij dit gedaan? Hoe
konden wij de zee leegdrinken? Wie gaf ons de spons om de hele
horizon uit te wissen? Wat deden wij, toen wij
deze aarde van haar zon loskoppelden? Waar
beweegt ze nu naar toe? Waarheen bewegen wij ons? Weg van alle
zonnen? Vallen wij niet voortdurend -
achterwaarts, zijwaarts, voorwaarts, naar alle kanten? Is er nog
wel een boven en beneden? Dolen wij niet als door een oneindig
niets? Ademt ons niet de lege ruimte in het gezicht? Is het niet
kouder geworden? Komt niet voortdurend de nacht
, en steeds meer nacht? Moeten er
niet 's ochtends lantarens aan gestoken worden
? Dringt het geluid nog
niet door, van de doodgravers die God begraven? Ruiken w
e nog niets van de goddelijke ontbinding? - ook goden gaan
tot ontbinding over! God is dood! God blijft dood! En wij hebben
hem gedood! Hoe troosten we ons ,
mo ordenaars der moordenaars ? Het heiligste en
machtigste, dat de wereld tot dusver bez a
t, is onder onze messen verbloed - wie wist dit
bloed van ons af? Met welk water kunnen wij ons reinigen? Welke
zoenoffer feesten , welke
gewijde spelen zullen w e
moeten uitvinden ? Is niet de grootte van deze
daad te groot voor ons? Moeten wij niet zelf goden worden,
enkel om dze daad waardig te
lijken ? Nooit was er een grotere daad - en al
wie er na ons geboren wordt, omwille van deze daad behoort hij
tot een hogere geschiedenis dan alle geschiedenis
die er tot dusver is geweest !”
Hier zweeg de dwaas en keek opnieuw zijn
toehoorders aan. Ook zij zwegen en keken hem
bevreemd aan. Tenslotte wierp hij zijn lantaarn
op de grond, zodat die in stukken sprong en uitdoofde. “Ik kom
te vroeg”, zei hij toen, “het is mijn tijd nog niet. Dit
enorme ( ungeheure ) gebeuren is nog onderweg
en trekt voor - het is nog niet tot de oren der mensen
doorgedrongen. Bliksem en donder hebben tijd nodig, het licht
van het gesternte heeft tijd nodig, daden hebben tijd nodig
- ook nadat ze gedaan zijn -
om gezien en gehoord te worden! Deze daad is
voor hen nog steeds verder weg dan
het verste gesternte - en toch hebben ze haar zelf
verricht !” Men vertelt nog , dat
de dwaas diezelfde dag nog in verscheidene
kerken binnengedrongen is, en daar zijn Requiem aeternam
deo heeft aangeheven heeft. Naar
buiten gebracht en ter verantwoording geroepen, zou hij telkens
alleen maar het volgende geantwoord hebben: “Wat zijn deze
kerken eigenlijk nog, als ze niet de gr
a ven en grafmonumenten God s zijn?”
[126]
Mystische Erklärungen. — Die
mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, dass sie
noch nicht einmal oberflächlich sind.
[126]
mystieke verklaringen. - Mystieke verklaringen gaan
door voor diep; de waarheid is dat ze nog niet eens oppervlakkig
zijn.
[127]
Nachwirkung der ältesten Religiosität. —
Jeder Gedankenlose meint, der Wille sei das allein
Wirkende; Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes,
Unableitbares, An-sich-Verständliches. Er ist überzeugt, wenn er
Etwas thut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und
er habe geschlagen, weil er schlagen
wollte . Er merkt gar Nichts von einem Problem
daran, sondern das Gefühl des
Willens genügt ihm, nicht nur zur Annahme von
Ursache und Wirkung, sondern auch zum Glauben, ihr Verhältniss
zu verstehen .
Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen
feinen Arbeit, die abgethan werden muss, damit es zu dem Schlage
komme, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur
den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiss er Nichts. Der
Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den
Willen, als an die Ursache von Wirkungen, ist der Glaube an
magisch wirkende Kräfte. Nun hat urspünglich der Mensch überall,
wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache und persönlich
wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt, — der Begriff
der Mechanik lag ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure
Zeiten lang nur an Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe,
Kräfte, Sachen und so weiter), ist ihm der Glaube an Ursache und
Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo Etwas
geschieht, verwendet, — auch jetzt noch instinctiv und als ein
Stück Atavismus ältester Abkunft. Die Sätze „keine Wirkung ohne
Ursache“, „jede Wirkung wieder Ursache“ erscheinen als
Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: „wo gewirkt wird, da ist
gewollt worden“, „es kann nur auf wollende Wesen gewirkt
werden“, „es giebt nie ein reines, folgenloses Erleiden einer
Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens“
(zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung), — aber in den Urzeiten
der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die ersten
nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die zweiten
Erläuterungen der ersten. — Schopenhauer, mit seiner Annahme,
dass Alles, was da sei, nur etwas Wollendes sei, hat eine uralte
Mythologie auf den Thron gehoben; er scheint nie eine Analyse
des Willens versucht zu haben, weil er an die Einfachheit und
Unmittelbarkeit alles Wollens
glaubte , gleich Jedermann: — während Wollen
nur ein so gut eingespielter Mechanismus ist, dass er dem
beobachtenden Auge fast entläuft. Ihm gegenüber stelle ich diese
Sätze auf: erstens, damit Wille entstehe, ist eine Vorstellung
von Lust und Unlust nöthig. Zweitens: dass ein heftiger Reiz als
Lust oder Unlust empfunden werde, das ist die Sache des
interpretirenden Intellects,
der freilich zumeist dabei uns unbewusst arbeitet; und ein und
derselbe Reiz kann
als Lust oder Unlust interpretirt werden. Drittens: nur bei den
intellectuellen Wesen giebt es Lust, Unlust und Wille; die
ungeheure Mehrzahl der Organismen hat Nichts davon.
[128]
Der Werth des Gebetes. —
Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich
nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der
Seele unbekannt ist oder unbemerkt verläuft: was sollen Diese an
heiligen Stätten und in allen wichtigen Lagen des Lebens, welche
Ruhe und eine Art Würde erfordern? Damit sie wenigstens nicht
stören , hat die Weisheit
aller Religionsstifter, der kleinen wie der grossen, ihnen die
Formel des Gebetes anbefohlen, als eine lange mechanische Arbeit
der Lippen, verbunden mit Anstrengung des Gedächtnisses und mit
einer gleichen festgesetzten Haltung von Händen und Füssen und
Augen! Da mögen sie nun gleich den Tibetanern ihr „om mane padme
hum“ unzählige Male wiederkäuen, oder, wie in Benares, den Namen
des Gottes Ram-Ram-Ram (und so weiter mit oder ohne Grazie) an
den Fingern abzählen: oder den Wischnu mit seinen tausend, den
Allah mit seinen neunundneunzig Anrufnamen ehren: oder sie mögen
sich der Gebetmühlen und der Rosenkränze bedienen, — die
Hauptsache ist, dass sie mit dieser Arbeit für eine Zeit
festgemacht sind und einen erträglichen Anblick gewähren: ihre
Art Gebet ist zum Vortheil der Frommen erfunden, welche Gedanken
und Erhebungen von sich aus kennen. Und selbst Diese haben ihre
müden Stunden, wo ihnen eine Reihe ehrwürdiger Worte und Klänge
und eine fromme Mechanik wohlthut. Aber angenommen, dass diese
seltenen Menschen — in jeder Religion ist der religiöse Mensch
eine Ausnahme — sich zu helfen wissen: jene Armen im Geiste
wissen sich nicht zu helfen, und ihnen das Gebets-Geklapper
verbieten heisst ihnen ihre Religion nehmen: wie es der
Protestantismus mehr und mehr an den Tag bringt. Die Religion
will von Solchen eben nicht mehr, als dass sie
Ruhe halten , mit Augen, Händen, Beinen und
Organen aller Art: dadurch werden sie zeitweilig verschönert und
— menschenähnlicher!
[129]
Die Bedingungen Gottes. —
„Gott selber kann nicht ohne weise Menschen bestehen“ — hat
Luther gesagt und mit gutem Rechte; aber „Gott kann noch weniger
ohne unweise Menschen bestehen“ — das hat der gute Luther nicht
gesagt!
[130]
Ein gefährlicher Entschluss. —
Der christliche Entschluss, die Welt hässlich und schlecht zu
finden, hat die Welt hässlich und schlecht gemacht.
[131]
Christenthum und Selbstmord. —
Das Christenthum hat das zur Zeit seiner Entstehung ungeheure
Verlangen nach dem Selbstmorde zu einem Hebel seiner Macht
gemacht: es liess nur zwei Formen des Selbstmordes übrig,
umkleidete sie mit der höchsten Würde und den höchsten
Hoffnungen und verbot alle anderen auf eine furchtbare Weise.
Aber das Martyrium und die langsame Selbstentleibung des Asketen
waren erlaubt.
[132]
Gegen das Christenthum. —
Jetzt entscheidet unser Geschmack gegen das Christenthum, nicht
mehr unsere Gründe.
[133]
Grundsatz. — Eine
unvermeidliche Hypothese, auf welche die Menschheit immer wieder
verfallen muss, ist auf die Dauer doch
mächtiger , als der bestgeglaubte Glaube an
etwas Unwahres (gleich dem christlichen Glauben). Auf die Dauer:
das heisst hier auf hunderttausend Jahre hin.
[134]
Die Pessimisten als Opfer. —
Wo eine tiefe Unlust am Dasein überhand nimmt, kommen die
Nachwirkungen eines grossen Diätfehlers, dessen sich ein Volk
lange schuldig gemacht hat, an’s Licht. So ist die Verbreitung
des Buddhismus ( nicht
seine Entstehung) zu einem guten Theile abhängig von der
übermässigen und fast ausschliesslichen Reiskost der Inder und
der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung. Vielleicht ist
die europäische Unzufriedenheit der neuen Zeit daraufhin
anzusehen, dass unsere Vorwelt, das ganze Mittelalter, Dank den
Einwirkungen der germanischen Neigungen auf Europa, dem Trunk
ergeben war: Mittelalter, das heisst die Alkoholvergiftung
Europa’s. — Die deutsche Unlust am Leben ist wesentlich
Wintersiechthum, eingerechnet die Wirkungen der Kellerluft und
des Ofengiftes in deutschen Wohnräumen.
[135]
Herkunft der Sünde. —
Sünde, so wie sie jetzt überall empfunden wird, wo das
Christenthum herrscht oder einmal geherrscht hat: Sünde ist ein
jüdisches Gefühl und eine jüdische Erfindung, und in Hinsicht
auf diesen Hintergrund aller christlichen Moralität war in der
That das Christenthum darauf aus, die ganze Welt zu „verjüdeln“.
Bis zu welchem Grade ihm diess in Europa gelungen ist, das spürt
man am feinsten an dem Grade von Fremdheit, den das griechische
Alterthum — eine Welt ohne Sündengefühle — immer noch für unsere
Empfindung hat, trotz allem guten Willen zur Annäherung und
Einverleibung, an dem es ganze Geschlechter und viele
ausgezeichnete Einzelne nicht haben fehlen lassen. „Nur wenn du
bereuest , ist Gott
dir gnädig“ — das ist einem Griechen ein Gelächter und ein
Aergerniss: er würde sagen „so mögen Sclaven empfinden“. Hier
ist ein Mächtiger, Uebermächtiger und doch Rachelustiger
vorausgesetzt: seine Macht ist so gross, dass ihm ein Schaden
überhaupt nicht zugefügt werden kann, ausser in dem Puncte der
Ehre. Jede Sünde ist eine Respects-Verletzung, ein crimen laesae
majestatis divinae — und Nichts weiter! Zerknirschung,
Entwürdigung, Sich-im-Staube-wälzen — das ist die erste und
letzte Bedingung, an die seine Gnade sich knüpft:
Wiederherstellung also seiner göttlichen Ehre! Ob mit der Sünde
sonst Schaden gestiftet wird, ob ein tiefes wachsendes Unheil
mit ihr gepflanzt ist, das einen Menschen nach dem andern wie
eine Krankheit fasst und würgt — das lässt diesen ehrsüchtigen
Orientalen im Himmel unbekümmert: Sünde ist ein Vergehen an ihm,
nicht an der Menschheit! — wem er seine Gnade geschenkt hat, dem
schenkt er auch diese Unbekümmertheit um die natürlichen Folgen
der Sünde. Gott und Menschheit sind hier so getrennt, so
entgegengesetzt gedacht, dass im Grunde an letzterer überhaupt
nicht gesündigt werden kann, — jede That soll
nur auf ihre übernatürlichen Folgen hin
angesehen werden: nicht auf ihre natürlichen: so will es das
jüdische Gefühl, dem alles Natürliche das Unwürdige an sich ist.
Den Griechen
dagegen lag der Gedanke näher, dass auch der Frevel Würde haben
könne — selbst der Diebstahl, wie bei Prometheus, selbst die
Abschlachtung von Vieh als Aeusserung eines wahnsinnigen Neides,
wie bei Ajax: sie haben in ihrem Bedürfniss, dem Frevel Würde
anzudichten und einzuverleiben, die
Tragödie erfunden, — eine Kunst und eine Lust,
die dem Juden, trotz aller seiner dichterischen Begabung und
Neigung zum Erhabenen, im tiefsten Wesen fremd geblieben ist.
[136]
Das auserwählte Volk. —
Die Juden, die sich als das auserwählte Volk unter den Völkern
fühlen, und zwar weil sie das moralische Genie unter den Völkern
sind (vermöge der Fähigkeit, dass sie den Menschen in sich
tiefer verachtet haben , als
irgend ein Volk) — die Juden haben an ihrem göttlichen Monarchen
und Heiligen einen ähnlichen Genuss wie der war, welchen der
französische Adel an Ludwig dem Vierzehnten hatte. Dieser Adel
hatte sich alle seine Macht und Selbstherrlichkeit nehmen lassen
und war verächtlich geworden: um diess nicht zu fühlen, um diess
vergessen zu können, bedurfte es eines königlichen Glanzes,
einer königlichen Autorität und Machtfülle
ohne Gleichen , zu der nur dem Adel der Zugang
offen stand. Indem man gemäss diesem Vorrecht sich zur Höhe des
Hofes erhob und von da aus blickend Alles unter sich, Alles
verächtlich sah, kam man über alle Reizbarkeit des Gewissens
hinaus. So thürmte man absichtlich den Thurm der königlichen
Macht immer mehr in die Wolken hinein und setzte die letzten
Bausteine der eigenen Macht daran.
[137]
Der Irrthum Christi. —
Der Stifter des Christenthums meinte, an Nichts litten die
Menschen so sehr, als an ihren Sünden: — es war sein Irrthum,
der Irrthum Dessen, der sich ohne Sünde fühlte, dem es hierin an
Erfahrung gebrach! So füllte sich seine Seele mit jenem
wundervollen phantastischen Erbarmen, das einer Noth galt,
welche selbst bei seinem Volke, dem Erfinder der Sünde, selten
eine grosse Noth war! — Aber die Christen haben es verstanden,
ihrem Meister nachträglich Recht zu schaffen und seinen Irrthum
zur „Wahrheit“ zu heiligen.
[137]
Christus' vergissing - De stichter van het christendom
dacht dat de mensen onder niets zozeer gebukt gingen, als onder
hun zonden: - dat was zijn vergissing, typisch voor iemand die
zichzelf van geen zonde bewust was, die het in dezen dus aan
ervaring ontbrak! Zodoende vulde zich zijn ziel met dat wondemooie
fantastische erbarmen, dat gericht was op een nood, die zelfs bij
een volk dat de zonde had uitgevonden, zelden een echte grote nood
geweest was! - De christenen echter hebben de kunst verstaan hun
meester achteraf recht te verschaffen en zijn dwaling tot
'waarheid' te heiligen.
[138]
Im Gleichniss gesprochen. —
Ein Jesus Christus war nur in einer jüdischen Landschaft möglich
— ich meine in einer solchen, über der fortwährend die düstere
und erhabene Gewitterwolke des zürnenden Jehovah hieng. Hier
allein wurde das seltene plötzliche Hindurchleuchten eines
einzelnen Sonnenstrahls durch die grauenhafte allgemeine und
andauernde Tag-Nacht wie ein Wunder der „Liebe“ empfunden, als
der Strahl der unverdientesten „Gnade“. Hier allein konnte
Christus seinen Regenbogen und seine Himmelsleiter träumen, auf
der Gott zu den Menschen hinabstieg; überall sonst galt das
helle Wetter und die Sonne zu sehr als Regel und Alltäglichkeit.
[138]
In een gelijkenis gesproken. — Een Jezus Christus was
alleen mogelijk in een joodse omgeving — ik bedoel een omgeving waar
voortdurend de sombere en verheven onweerswolk van de toornige
Jehova hing. Alleen daar kan het zeldzame, plotselinge doordringen
van een enkele zonnestraal doorheen de grauwe, algemene, steeds maar
durende dag-nacht, als een wonder van “liefde” ervaren zijn, als de
lichtstraal van een totaal onverdiende “genade”. Alleen daar kon
Christus zijn regenboog en zijn hemelladder dromen, waarlangs God
naar de mensen afdaalde; overal elders golden helder weer en zon te
zeer als regel en alledaagsheid.
opm. 'de titel is een referentie naar
Jezius die 'in gelijkenissen sprak'. Dat werkte - dixit O.
Noordmans - als een 'lichtstraal die een stoffige schuur deed
oplichten.'
[139]
Farbe der Leidenschaften. —
Solche Naturen, wie die des Apostel Paulus, haben für die
Leidenschaften einen bösen Blick; sie lernen von ihnen nur das
Schmutzige, Entstellende und Herzbrechende kennen, — ihr idealer
Drang geht daher auf Vernichtung der Leidenschaften aus: im
Göttlichen sehen sie die völlige Reinheit davon. Ganz anders,
als Paulus und die Juden, haben die Griechen ihren idealen Drang
gerade auf die Leidenschaften gewendet und diese geliebt,
gehoben, vergoldet und vergöttlicht; offenbar fühlten sie sich
in der Leidenschaft nicht nur glücklicher, sondern auch reiner
und göttlicher, als sonst. — Und nun die Christen? Wollten sie
hierin zu Juden werden? Sind sie es vielleicht geworden?
[139]
kleur der hartstochten. - Karakters zoals de apostel
Paulus, zien niets goeds in hartstochten; ze leren er dan ook
enkel het smerige, ontstellende, en hartverscheurende van kennen,
- het ideaal dat ze nastreven is de vernietiging van de
hartstochten: het goddelijke beschouwen ze als hiervan volledig
rein. Heel anders dan Paulus en de Joden, is voor de Grieken het
ideaal dat ze nastreven juist helemaal op de hartstochten gericht.
Zij hebben die bemind, verheven, verguld en vergoddelijkt;
kennelijk voelden ze zich in de hartstocht niet alleen gelukkiger,
maar ook reiner en goddelijker, dan zonder. - En nu, hoe zit het
met de christenen? Wilden ze in dit opzicht Joden worden?
Zijn ze het misschien geworden?
[140]
Zu jüdisch. — Wenn Gott
ein Gegenstand der Liebe werden wollte, so hätte er sich zuerst
des Richtens und der Gerechtigkeit begeben müssen: — ein
Richter, und selbst ein gnädiger Richter, ist kein Gegenstand
der Liebe. Der Stifter des Christenthums empfand hierin nicht
fein genug, — als Jude.
[140]
Te Joods . - Als God een voorwerp van liefde had
willen worden, dan had hij eerst afstand moeten doen van Oordelen
en gerechtigheid: - Een rechter, zelfs al is hij een genadige
rechter, is geen voorwerp van liefde. De stichter van het
christendom was op dit punt niet fijngevoelig genoeg, - als Jood.
[141]
Zu orientalisch. — Wie?
Ein Gott, der die Menschen liebt, vorausgesetzt, dass sie an ihn
glauben, und der fürchterliche Blicke und Drohungen gegen Den
schleudert, der nicht an diese Liebe glaubt! Wie? eine
verclausulirte Liebe als die Empfindung eines allmächtigen
Gottes! Eine Liebe, die nicht einmal über das Gefühl der Ehre
und der gereizten Rachsucht Herr geworden ist! Wie orientalisch
ist das Alles! „Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an?“ ist
schon eine ausreichende Kritik des ganzen Christenthums.
[141]
Te oosters. — Hoezo? Een god die de mensen
liefheeft, op voorwaarde dat ze in hem geloven, en die vreselijke
blikken en dreigementen werpt naar wie niet in deze liefde
gelooft! Hoezo? Een liefde onder voorwaarden, dat voelt de
almachtige god voor ons! Een liefde die zelfs niet de baas is
geworden over eergevoel en geprikkelde wraakzucht! Hoe oosters is
dat allemaal! “Als ik je lief hebt, wat gaat jou dat aan?” Die
uitspraak alleen al is afdoende kritiek op het hele christendom.
opm. De uitspraak is te lezen bij
Goethe, die verwijst naar Spinoza:
meer hier .)
[142]
Räucherwerk. — Buddha
sagt: „schmeichle deinem Wohlthäter nicht!“ Man spreche diesen
Spruch nach in einer christlichen Kirche: — er reinigt sofort
die Luft von allem Christlichen.
[142]
Reukwerk (wierook). - Boeddha zegt: "Vlei je
weldoener niet!" Herhaal deze uitspraak eens in een christelijke
kerk: hij zuivert onmiddellijk de lucht al het christelijke.
[143]
Grösster Nutzen des Polytheismus. —
Dass der Einzelne sich sein
eigenes Ideal aufstelle und aus ihm sein
Gesetz, seine Freuden und seine Rechte ableite — das galt wohl
bisher als die ungeheuerlichste aller menschlichen Verirrungen
und als die Abgötterei an sich; in der That haben die Wenigen,
die diess wagten, immer vor sich selber eine Apologie nöthig
gehabt, und diese lautete gewöhnlich: „nicht ich! nicht ich!
sondern ein Gott
durch mich!“ Die wundervolle Kunst und Kraft, Götter zu schaffen
— der Polytheismus — war es, in der dieser Trieb sich entladen
durfte, in der er sich reinigte, vervollkommnete, veredelte:
denn ursprünglich war es ein gemeiner und unansehnlicher Trieb,
verwandt dem Eigensinn, dem Ungehorsame und dem Neide. Diesem
Triebe zum eigenen Ideale feind
sein: das war ehemals das Gesetz jeder Sittlichkeit. Da gab
es nur Eine Norm: „ der
Mensch“ — und jedes Volk glaubte diese Eine und letzte Norm
zu haben . Aber
über sich und ausser sich, in einer fernen Ueberwelt, durfte man
eine Mehrzahl von Normen
sehen: der eine Gott war nicht die Leugnung oder Lästerung
des anderen Gottes! Hier erlaubte man sich zuerst Individuen,
hier ehrte man zuerst das Recht von Individuen. Die Erfindung
von Göttern, Heroen und Uebermenschen aller Art, sowie von
Neben- und Untermenschen, von Zwergen, Feen, Centauren, Satyrn,
Dämonen und Teufeln, war die unschätzbare Vorübung zur
Rechtfertigung der Selbstsucht und Selbstherrlichkeit des
Einzelnen: die Freiheit, welche man dem Gotte gegen die anderen
Götter gewährte, gab man zuletzt sich selber gegen Gesetze und
Sitten und Nachbarn. Der Monotheismus dagegen, diese starre
Consequenz der Lehre von Einem Normalmenschen — also der Glaube
an einen Normalgott, neben dem es nur noch falsche Lügengötter
giebt — war vielleicht die grösste Gefahr der bisherigen
Menschheit: da drohte ihr jener vorzeitige Stillstand, welchen,
soweit wir sehen können, die meisten anderen Thiergattungen
schon längst erreicht haben; als welche alle an Ein Normalthier
und Ideal in ihrer Gattung glauben und die Sittlichkeit der
Sitte sich endgültig in Fleisch und Blut übersetzt haben. Im
Polytheismus lag die Freigeisterei und Vielgeisterei des
Menschen vorgebildet: die Kraft, sich neue und eigene Augen zu
schaffen und immer wieder neue und noch eigenere: sodass es für
den Menschen allein unter allen Thieren keine ewigen Horizonte
und Perspectiven giebt.
[144]
Religionskriege. — Der
grösste Fortschritt der Massen war bis jetzt der Religionskrieg:
denn er beweist, dass die Masse angefangen hat, Begriffe mit
Ehrfurcht zu behandeln. Religionskriege entstehen erst, wenn
durch die feineren Streitigkeiten der Secten die allgemeine
Vernunft verfeinert ist: sodass selbst der Pöbel spitzfindig
wird und Kleinigkeiten wichtig nimmt, ja es für möglich hält,
dass das „ewige Heil der Seele“ an den kleinen Unterschieden der
Begriffe hängt.
[145]
Gefahr der Vegetarianer. —
Der vorwiegende ungeheure Reisgenuss treibt zur Anwendung von
Opium und narkotischen Dingen, in gleicher Weise wie der
vorwiegende ungeheure Kartoffelgenuss zu Branntwein treibt —: er
treibt aber, in feinerer Nachwirkung, auch zu Denk- und
Gefühlsweisen, die narkotisch wirken. Damit stimmt zusammen,
dass die Förderer narkotischer Denk- und Gefühlsweisen, wie jene
indischen Lehrer, gerade eine Diät preisen und zum Gesetz der
Masse machen möchten, welche rein vegetabilisch ist: sie wollen
so das Bedürfniss hervorrufen und mehren, welches sie zu befriedigen im Stande
sind.
[146]
Deutsche Hoffnungen. —
Vergessen wir doch nicht, dass die Völkernamen gewöhnlich
Schimpfnamen sind. Die Tartaren sind zum Beispiel ihrem Namen
nach „die Hunde“: so wurden sie von den Chinesen getauft. Die
„Deutschen“: das bedeutet urspünglich „die Heiden“: so nannten
die Gothen nach ihrer Bekehrung die grosse Masse ihrer
ungetauften Stammverwandten, nach Anleitung ihrer Uebersetzung
der Septuaginta, in der die Heiden mit dem Worte bezeichnet
werden, welches im Griechischen „die Völker“ bedeutet: man sehe
Ulfilas. — Es wäre immer noch möglich, dass die Deutschen aus
ihrem alten Schimpfnamen sich nachträglich einen Ehrennamen
machten, indem sie das erste
unchristliche Volk Europa’s würden: wozu in
hohem Maasse angelegt zu sein Schopenhauer ihnen zur Ehre
anrechnete. So käme das Werk
Luther’s zur Vollendung, der sie gelehrt hat,
unrömisch zu sein und zu sprechen: „hier stehe
ich ! Ich
kann nicht anders!“ —
[147]
Frage und Antwort. — Was
nehmen jetzt wilde Völkerschaften zuerst von den Europäern an?
Branntwein und Christenthum, die europäischen Narcotica. — Und
woran gehen sie am schnellsten zu Grunde? — An den europäischen
Narcoticis.
[147]
Vraag en antwoord. - Wat nemen de wilde volkstammen
het eerst van de Europeanen over? Brandewijn en christendom, de
Europese narcotica. - En waaraan gaan ze het snelt te gronde? -
Aan de Europese narcotica.
[148]
Wo die Reformationen entstehen. —
Zur Zeit der grossen Kirchen-Verderbniss war in Deutschland
die Kirche am wenigsten verdorben: desshalb entstand hier die Reformation, als das
Zeichen, dass schon die Anfänge der Verderbniss unerträglich
empfunden wurden. Verhältnissmässig war nämlich kein Volk jemals
christlicher, als die Deutschen zur Zeit Luther’s: ihre
christliche Cultur war eben bereit, zu einer hundertfältigen
Pracht der Blüthe auszuschlagen, — es fehlte nur noch Eine
Nacht; aber diese brachte den Sturm, der Allem ein Ende machte.
[148]
Waar Reformaties onstaan. - Ten tijde van het
grote kerkelijke verval was in Duitsland de Kerk nog het minste
verdorven: daarom ontstond hier de Reformatie, als
signaal dat alleen al de aanzetten van het verval als ondraaglijk
ervaren werden. Verhoudingsgewijs was namelijk geen enkel volk
toentertijd christelijke als de Duitsers ten tijde van Luther: hun
christelijke cultuur was net gereed gemaakt om in een prachtige
100-voudige bloei uit te barsten, - nog maar één nacht, en het zou
zover zijn; maar die nacht bracht de storm, die aan alles een
einde maakte.
[149]
Misslingen der Reformationen. —
Es spricht für die höhere Cultur der Griechen selbst in ziemlich
frühen Zeiten, dass mehrere Male die Versuche, neue griechische
Religionen zu gründen, gescheitert sind; es spricht dafür, dass
es schon früh eine Menge verschiedenartiger Individuen in
Griechenland gegeben haben muss, deren verschiedenartige Noth
nicht mit einem einzigen Recepte des Glaubens und Hoffens
abzuthun war. Pythagoras und Plato, vielleicht auch Empedokles,
und bereits viel früher die orphischen Schwarmgeister, waren
darauf aus, neue Religionen zu gründen; und die beiden
Erstgenannten hatten so ächte Religionsstifter-Seelen und
-Talente, dass man sich über ihr Misslingen nicht genug
verwundern kann: sie brachten es aber nur zu Secten. Jedes Mal,
wo die Reformation eines ganzen Volkes misslingt und nur Secten
ihr Haupt emporheben, darf man schliessen, dass das Volk schon
sehr vielartig in sich ist und sich von den groben
Heerdeninstincten und der Sittlichkeit der Sitte loszulösen
beginnt: ein bedeutungsvoller Schwebezustand, den man als
Sittenverfall und Corruption zu verunglimpfen gewohnt ist:
während er das Reifwerden des Eies und das nahe Zerbrechen der
Eierschaale ankündigt. Dass Luther’s Reformation im Norden
gelang, ist ein Zeichen dafür, dass der Norden gegen den Süden
Europa’s zurückgeblieben war und noch ziemlich einartige und
einfarbige Bedürfnisse kannte; und es hätte überhaupt keine
Verchristlichung Europa’s gegeben, wenn nicht die Cultur der
alten Welt des Südens allmählich durch eine übermässige
Hinzumischung von germanischem Barbarenblut barbarisirt und
ihres Cultur-Uebergewichtes verlustig gegangen wäre. Je
allgemeiner und unbedingter ein Einzelner oder der Gedanke eines
Einzelnen wirken kann, um so gleichartiger und um so niedriger
muss die Masse sein, auf die da gewirkt wird; während
Gegenbestrebungen innere Gegenbedürfnisse verrathen, welche auch
sich befriedigen und durchsetzen wollen. Umgekehrt darf man
immer auf eine wirkliche Höhe der Cultur schliessen, wenn
mächtige und herrschsüchtige Naturen es nur zu einer geringen
und sectirerischen Wirkung bringen: diess gilt auch für die
einzelnen Künste und die Gebiete der Erkenntniss. Wo geherrscht
wird, da giebt es Massen: wo Massen sind, da giebt es ein
Bedürfniss nach Sclaverei. Wo es Sclaverei giebt, da sind der
Individuen nur wenige, und diese haben die Heerdeninstincte und
das Gewissen gegen sich.
[149]
Waarom Reformaties mislukken. -
Telkens als
de Reformatie van een heel volk mislukt, en er slechts sekten de kop opsteken, mag men conlcuderen dat dàt volk intern al pluraal was, en zich al was begonnen los te maken van het groffe kudde-instinct en de moraliserende zede:
een veelbetekenende zweeftoestand, die men gewoonlijk als moreel verval en en bederf hekelt, terwijl het het rijpen van het ei, en het breken van de schaal aankondigt.
Het effect dat een enkeling - of de gedachte van een enkeling - op een massa mensen heeft, neemt toe naarmate de massa homogeen is en uit lage mensen bestaat;
Omgekeerd mag men ook altijd tot een echt hoge cultuur concluderen, als machtige en heerszuchtige naturen slechts een gering en sectarisch effect bereiken.
Dit geldt trouwens ook voor alle kunsten op zich, en de kennisgebieden. Waar geheerst wordt, daar zijn er massa's; waar massa's zijn, is er behoefte aan onderwerping.
Waar onderwerping is, zijn maar weinig individuen, en tegen hen keren zich de kudde-instincten en het geweten.
[150]
Zur Kritik der Heiligen. —
Muss man denn, um eine Tugend zu haben, sie gerade in ihrer
brutalsten Gestalt haben wollen? — wie es die christlichen
Heiligen wollten und nöthig hatten; als welche das Leben nur mit
dem Gedanken ertrugen, dass beim Anblick ihrer Tugend einen
Jeden die Verachtung seiner selber anwandelte. Eine Tugend aber
mit solcher Wirkung nenne ich brutal.
[151]
Vom Ursprunge der Religion. —
Das metaphysische Bedürfniss ist nicht der Ursprung der
Religionen, wie Schopenhauer will, sondern nur ein Nachschössling derselben. Man
hat sich unter der Herrschaft religiöser Gedanken an die
Vorstellung einer „anderen (hinteren, unteren, oberen) Welt“
gewöhnt und fühlt bei der Vernichtung des religiösen Wahns eine
unbehagliche Leere und Entbehrung, — und nun wächst aus diesem
Gefühle wieder eine „andere Welt“ heraus, aber jetzt nur eine
metaphysische und nicht mehr religiöse. Das aber, was in
Urzeiten zur Annahme einer „anderen Welt“ überhaupt führte, war
nicht ein Trieb und
Bedürfniss, sondern ein Irrthum
in der Auslegung bestimmter Naturvorgänge, eine
Verlegenheit des Intellects.
[151]
De oorsprong van de religie - De metafysische
behoefte is niet de oorsprong van de religies, zoals Schopenhauer
wil, maar een nakomertje/late uitloper daarvan. Men
is onder de heerschappij van religieuze gedachten gewoon geworden
aan de voorstelling van een "andere (achter-, onder-, boven-)
wereld" en voelt bij de vernietiging van de religieuze waan een
onbehaaglijke leegte en een gemis, – en uit dit gevoel groeit nu
opnieuw een ‘andere wereld’, maar dezet keer enkel een
metafysische, niet meer een godsdienstige. Wat echter in oertijden
tot de veronderstelling van die 'andere wereld’ leidde, was
geen aandrift en behoefte, maar een
dwaling/vergissing ( Irrtum )
in de uitleg van bepaalde natuurverschijnselen, een verlegenheid
van het intellect.
Opm: 'Verlegenheit' wordt vaak
vertaald met tekortschieten, maar dat heeft een negatief oordeel
in zich, wat niet perse de gevoelswaarde van het origineel is.
[152]
Die grösste Veränderung. —
Die Beleuchtung und die Farben aller Dinge haben sich verändert!
Wir verstehen nicht mehr ganz, wie die alten Menschen das
Nächste und Häufigste empfanden, — zum Beispiel den Tag und das
Wachen: dadurch, dass die Alten an Träume glaubten, hatte das
wache Leben andere Lichter. Und ebenso das ganze Leben, mit der
Zurückstrahlung des Todes und seiner Bedeutung: unser „Tod“ ist
ein ganz anderer Tod. Alle Erlebnisse leuchteten anders, denn
ein Gott glänzte aus ihnen; alle Entschlüsse und Aussichten auf
die ferne Zukunft ebenfalls: denn man hatte Orakel und geheime
Winke und glaubte an die Vorhersagung. „Wahrheit“ wurde anders
empfunden, denn der Wahnsinnige konnte ehemals als ihr Mundstück
gelten, — was uns
schaudern oder lachen macht. Jedes Unrecht wirkte anders auf das
Gefühl: denn man fürchtete eine göttliche Vergeltung und nicht
nur eine bürgerliche Strafe und Entehrung. Was war die Freude in
der Zeit, als man an die Teufel und die Versucher glaubte! Was
die Leidenschaft, wenn man die Dämonen in der Nähe lauern sah!
Was die Philosophie, wenn der Zweifel als Versündigung der
gefährlichsten Art gefühlt wurde, und zwar als ein Frevel an der
ewigen Liebe, als Misstrauen gegen Alles, was gut, hoch, rein
und erbarmend war! — Wir haben die Dinge neu gefärbt, wir malen
immerfort an ihnen, — aber was vermögen wir einstweilen gegen
die Farbenpracht
jener alten Meisterin! — ich meine die alte Menschheit.
[153]
Homo poeta. — „Ich
selber, der ich höchst eigenhändig diese Tragödie der Tragödien
gemacht habe, soweit sie fertig ist; ich, der ich den Knoten der
Moral erst in’s Dasein hineinknüpfte und so fest zog, dass nur
ein Gott ihn lösen kann, — so verlangt es ja Horaz! — ich selber
habe jetzt im vierten Act alle Götter umgebracht, — aus
Moralität! Was soll nun aus dem fünften werden! Woher noch die
tragische Lösung nehmen! — Muss ich anfangen, über eine komische
Lösung nachzudenken?“
[154]
Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. —
Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie
betrunken durch’s Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab.
Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die
Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als
dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir
Anderen! Für uns ist das Leben eine grössere Gefahr: wir sind
von Glas — wehe, wenn wir uns
stossen ! Und Alles ist verloren, wenn wir
fallen !
[155]
Was uns fehlt. — Wir
lieben die grosse
Natur und haben sie entdeckt: das kommt daher, dass in unserem
Kopfe die grossen Menschen fehlen. Umgekehrt die Griechen: ihr
Naturgefühl ist ein anderes, als das unsrige.
[156]
Der Einflussreichste. —
Dass ein Mensch seiner ganzen Zeit Widerstand leistet, sie am
Thore aufhält und zur Rechenschaft zieht, das
muss Einfluss üben! Ob er es will, ist
gleichgültig; dass er es kann
, ist die Sache.
[157]
Mentiri. — Gieb Acht! —
er sinnt nach: sofort wird er eine Lüge bereit haben. Diess ist
eine Stufe der Cultur, auf der ganze Völker gestanden haben. Man
erwäge doch, was die Römer mit mentiri ausdrückten!
[158]
Unbequeme Eigenschaft. —
Alle Dinge tief finden — das ist eine unbequeme Eigenschaft: sie
macht, dass man beständig seine Augen anstrengt und am Ende
immer mehr findet, als man gewünscht hat.
[159]
Jede Tugend hat ihre Zeit. —
Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seine Redlichkeit oft
Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugend eines
anderen Zeitalters, als die Redlichkeit.
[160]
Im Verkehre mit Tugenden. —
Man kann auch gegen eine Tugend würdelos und schmeichlerisch
sein.
[161]
An die Liebhaber der Zeit. —
Der entlaufene Priester und der entlassene Sträfling machen
fortwährend Gesichter: was sie wollen, ist ein Gesicht ohne
Vergangenheit. — Habt ihr aber schon Menschen gesehen, welche
wissen, dass die Zukunft in ihrem Gesichte sich spiegelt, und
welche so höflich gegen euch, ihr Liebhaber der „Zeit“, sind,
dass sie ein Gesicht ohne Zukunft machen? —
[162]
Egoismus. — Egoismus ist
das perspectivische
Gesetz der Empfindung, nach dem das Nächste gross und schwer
erscheint: während nach der Ferne zu alle Dinge an Grösse und
Gewicht abnehmen.
[163]
Nach einem grossen Siege. —
Das Beste an einem grossen Siege ist, dass er dem Sieger die
Furcht vor einer Niederlage nimmt. „Warum nicht auch einmal
unterliegen? — sagt er sich: ich bin jetzt reich genug dazu“.
[164]
Die Ruhesuchenden. — Ich
erkenne die Geister, welche Ruhe suchen, an den vielen
dunklen Gegenständen, welche
sie um sich aufstellen: wer schlafen will, macht sein Zimmer
dunkel oder kriecht in eine Höhle. — Ein Wink für Die, welche
nicht wissen, was sie eigentlich am meisten suchen, und es
wissen möchten!
[165]
Vom Glücke der Entsagenden. —
Wer sich Etwas gründlich und auf lange Zeit hin versagt, wird,
bei einem zufälligen Wiederantreffen desselben, fast vermeinen,
es entdeckt zu haben, — und welches Glück hat jeder Entdecker!
Seien wir klüger, als die Schlangen, welche zu lange in der
selben Sonne liegen.
[166]
Immer in unserer Gesellschaft. —
Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redet
zu mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich —: das
Andere höre ich nicht oder vergesse es gleich. Wir sind stets
nur in unserer Gesellschaft.
[167]
Misanthropie und Liebe. —
Man spricht nur dann davon, dass man der Menschen satt sei, wenn
man sie nicht mehr verdauen kann und doch noch den Magen voll
davon hat. Misanthropie ist die Folge einer allzubegehrlichen
Menschenliebe und „Menschenfresserei“, — aber, wer hiess dich
auch Menschen zu verschlucken wie Austern, mein Prinz Hamlet?
[168]
Von einem Kranken. — „Es
steht schlecht um ihn!“ — Woran fehlt es? — „Er leidet an der
Begierde, gelobt zu werden, und findet keine Nahrung für sie.“ —
Unbegreiflich! Alle Welt feiert ihn, und man trägt ihn nicht nur
auf den Händen, sondern auch auf den Lippen! — „Ja, aber er hat
ein schlechtes Gehör für das Lob. Lobt ihn ein Freund, so klingt
es ihm, als ob dieser sich selber lobe; lobt ihn ein Feind, so
klingt es ihm, als ob dieser dafür gelobt werden wolle; lobt ihn
endlich einer der Uebrigen — es sind gar nicht so Viele übrig,
so berühmt ist er! — so beleidigt es ihn, dass man ihn nicht zum
Freund oder Feind haben wolle; er pflegt zu sagen: Was liegt mir
an Einem, der gar noch gegen mich den Gerechten zu spielen
vermag!“
[169]
Offene Feinde. — Die
Tapferkeit vor dem Feinde ist ein Ding für sich: damit kann man
immer noch ein Feigling und ein unentschlossener Wirrkopf sein.
So urtheilte Napoleon in Hinsicht auf den „tapfersten Menschen“,
der ihm bekannt sei, Murat: — woraus sich ergiebt, dass offene
Feinde für manche Menschen unentbehrlich sind, falls sie sich zu
ihrer Tugend, ihrer
Männlichkeit und Heiterkeit erheben sollen.
[170]
Mit der Menge. — Er läuft
bisher mit der Menge und ist ihr Lobredner: aber eines Tages
wird er ihr Gegner sein! Denn er folgt ihr im Glauben, dass
seine Faulheit dabei ihre Rechnung fände: er hat noch nicht
erfahren, dass die Menge nicht faul genug für ihn ist! dass sie
immer vorwärts drängt! dass sie Niemandem erlaubt, stehen zu
bleiben! — Und er bleibt so gern stehen!
[171]
Ruhm. — Wenn die
Dankbarkeit Vieler gegen Einen alle Scham wegwirft, so entsteht
der Ruhm.
[172]
Der Geschmacks-Verderber. —
A.: „Du bist ein Geschmacks-Verderber, — so sagt man überall!“
B.: „Sicherlich! Ich verderbe Jedermann den Geschmack an seiner
Partei: — das verzeiht mir keine Partei.“
[173]
Tief sein und tief scheinen. —
Wer sich tief weiss, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief
scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit. Denn die Menge hält
Alles für tief, dessen Grund sie nicht sehen kann: sie ist so
furchtsam und geht so ungern in’s Wasser.
[173]
Diep zijn en diep lijken. - Wie zichzelf als diep
beschouwt, streeft naar duidelijkheid; wie diep wil lijken voor de
massa, streeft naar duisternis. Want de massa houdt alles voor
diep, waarvan zij de grond niet kan zien: ze is zo vreesachtig en
gaat slechts met tegenzin het water in.
[174]
Abseits. — Der
Parlamentarismus, das heisst die öffentliche Erlaubniss,
zwischen fünf politischen Grundmeinungen wählen zu dürfen,
schmeichelt sich bei jenen Vielen ein, welche gerne selbständig
und individuell scheinen
und für ihre Meinungen kämpfen möchten. Zuletzt aber ist es
gleichgültig, ob der Heerde Eine Meinung befohlen oder fünf
Meinungen gestattet sind. — Wer von den fünf öffentlichen
Meinungen abweicht und bei Seite tritt, hat immer die ganze
Heerde gegen sich.
[175]
Von der Beredtsamkeit. —
Wer besass bis jetzt die überzeugendste Beredtsamkeit? Der
Trommelwirbel: und so lange die Könige diesen in der Gewalt
haben, sind sie immer noch die besten Redner und
Volksaufwiegler.
[176]
Mitleiden. — Die armen
regierenden Fürsten! Alle ihre Rechte verwandeln sich jetzt
unversehens in Ansprüche, und all diese Ansprüche klingen bald
wie Anmaassungen! Und wenn sie nur „Wir“ sagen oder „mein Volk“,
so lächelt schon das alte boshafte Europa. Wahrhaftig, ein
Oberceremonienmeister der modernen Welt würde wenig Ceremonien
mit ihnen machen; vielleicht würde er decretiren: „les
souverains rangent aux parvenus“.
[177]
Zum „Erziehungswesen“. —
In Deutschland fehlt dem höheren Menschen ein grosses
Erziehungsmittel: das Gelächter höherer Menschen; diese lachen
nicht in Deutschland.
[178]
Zur moralischen Aufklärung. —
Man muss den Deutschen ihren Mephistopheles ausreden: und ihren
Faust dazu. Es sind zwei moralische Vorurtheile gegen den Werth
der Erkenntniss.
[179]
Gedanken. — Gedanken sind
die Schatten unserer Empfindungen, — immer dunkler, leerer,
einfacher, als diese.
[180]
Die gute Zeit der freien Geister. —
Die freien Geister nehmen sich auch vor der Wissenschaft
noch ihre Freiheiten — und einstweilen giebt man sie ihnen auch,
— so lange die Kirche noch steht! — In so fern haben sie jetzt
ihre gute Zeit.
[181]
Folgen und Vorangehen. —
A.: „Von den Beiden wird der Eine immer folgen, der Andere immer
vorangehen, wohin sie auch das Schicksal führt. Und doch steht der Erstere über dem
Anderen, nach seiner Tugend und seinem Geiste!“ B.: „Und doch?
Und doch? Das ist für die Anderen geredet; nicht für mich, nicht
für uns! — Fit secundum regulam.“
[182]
In der Einsamkeit. — Wenn
man allein lebt, so spricht man nicht zu laut, man schreibt auch
nicht zu laut: denn man fürchtet den hohlen Widerhall — die
Kritik der Nymphe Echo. — Und alle Stimmen klingen anders in der
Einsamkeit!
[183]
Die Musik der besten Zukunft. —
Der erste Musiker würde mir der sein, welcher nur die
Traurigkeit des tiefsten Glückes kennte, und sonst keine
Traurigkeit: einen solchen gab es bisher nicht.
[184]
Justiz. — Lieber sich
bestehlen lassen, als Vogelscheuchen um sich haben — das ist
mein Geschmack. Und es ist unter allen Umständen eine Sache des
Geschmackes — und nicht mehr!
[185]
Arm. — Er ist heute arm:
aber nicht weil man ihm Alles genommen, sondern weil er Alles
weggeworfen hat: — was macht es ihm? Er ist daran gewöhnt, zu
finden. — Die Armen sind es, welche seine freiwillige Armuth
missverstehen.
[186]
Schlechtes Gewissen. —
Alles, was er jetzt thut, ist brav und ordentlich — und doch hat
er ein schlechtes Gewissen dabei. Denn das Ausserordentliche ist
seine Aufgabe.
[187]
Das Beleidigende im Vortrage. —
Dieser Künstler beleidigt mich durch die Art, wie er seine
Einfälle, seine sehr guten Einfälle vorträgt: so breit und
nachdrücklich, und mit so groben Kunstgriffen der Ueberredung,
als ob er zum Pöbel spräche. Wir sind immer nach einiger Zeit,
die wir seiner Kunst schenkten, wie „in schlechter
Gesellschaft“.
[188]
Arbeit. — Wie nah steht
jetzt auch dem Müssigsten von uns die Arbeit und der Arbeiter!
Die königliche Höflichkeit in dem Worte „wir Alle sind
Arbeiter!“ wäre noch unter Ludwig dem Vierzehnten ein Cynismus
und eine Indecenz gewesen.
[189]
Der Denker. — Er ist ein
Denker: das heisst, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher
zu nehmen, als sie sind.
[189]
De denkern. - Hij is een denker: dat wil zeggen, hij
is er goed in, de dingen eenvoudiger te nemen, dan ze zijn.
[190]
Gegen die Lobenden. — A.:
„Man wird nur von Seinesgleichen gelobt!“ B.: „Ja! Und wer dich
lobt, sagt zu dir: du bist Meinesgleichen!“
[190]
Tegen hen die loven. - A: Men wordt enkel door zijn gelijken geloofd. B: Ja! wie u looft, zegt tot u: jij bent gelijk aan mij.
[191]
Gegen manche Vertheidigung. —
Die perfideste Art, einer Sache zu schaden, ist, sie absichtlich
mit fehlerhaften Gründen vertheidigen.
[191]
Tegen menige verdediding.- De meest perfide manier om een zaak te schaden is haar opzettelijk met foutieve argumenten verdedigen.
[192]
Die Gutmüthigen. — Was
unterscheidet jene Gutmüthigen, denen Wohlwollen aus dem
Gesichte strahlt, von den anderen Menschen? Sie fühlen sich in
Gegenwart einer neuen Person wohl und sind schnell in sie
verliebt; sie wollen ihr dafür wohl, ihr erstes Urtheil ist „sie
gefällt mir“. Bei ihnen folgt auf einander: Wunsch der Aneignung
(sie machen sich wenig Scrupel über den Werth des Anderen),
rasche Aneignung, Freude am Besitz und Handeln zu Gunsten des
Besessenen.
[193]
Kant’s Witz. — Kant
wollte auf eine „alle Welt“ vor den Kopf stossende Art beweisen,
dass „alle Welt“ Recht habe: — das war der heimliche Witz dieser
Seele. Er schrieb gegen die Gelehrten zu Gunsten des
Volks-Vorurtheils, aber für Gelehrte und nicht für das Volk.
[194]
Der „Offenherzige“. —
Jener Mensch handelt wahrscheinlich immer nach verschwiegenen
Gründen: denn er trägt immer mittheilbare Gründe auf der Zunge
und beinahe in der offnen Hand.
[195]
Zum Lachen! — Seht hin!
Seht hin! Er läuft von den Menschen
weg —: diese aber folgen ihm nach, weil er
vor ihnen herläuft, — so
sehr sind sie Heerde!
[195]
Om te lachen. - Kijk daar eens! Kijk nou! Hij loopt van de mensen weg -: Maar zij blijven hem volgen, omdat hij voor hen uitgaat, - zozeer zij zij een kudde.
[196]
Grenze unseres Hörsinns. —
Man hört nur die Fragen, auf welche man im Stande ist, eine
Antwort zu finden.
[196]
Grenzen aan wat we kunnen horen. - Men hoort alleen de vragen waarop men in staat is een antwoord te vinden.
[197]
Darum Vorsicht! — Nichts
theilen wir so gern an Andere mit, als das Siegel der
Verschwiegenheit — sammt dem, was darunter ist.
[197]
Daarom opgepast!. - Niets delen we zo graag met anderen als het zegel der geheimhouding - met inbegrip van alles wat daaronder ligt.
[198]
Verdruss des Stolzen. —
Der Stolze hat selbst an Denen, welche ihn vorwärts bringen,
seinen Verdruss: er blickt böse auf die Pferde seines Wagens.
[199]
Freigebigkeit. —
Freigebigkeit ist bei Reichen oft nur eine Art Schüchternheit.
[200]
Lachen. — Lachen heisst:
schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen.
[200]
Lachen. - Lachen is leedvermaak, maar met een goed geweten.
[201]
Im Beifall. — Im Beifall
ist immer eine Art Lärm: selbst in dem Beifall, den wir uns
selber zollen.
[201]
Bijval. - Bijval gaat altijd gepaard met een zekere luidruchtigheid — zelfs als we onszelf bijvallen.” Opm. "Applaus is altijd lawaaiig" overwoog ik even, maar de tautologische dreiging weerhield me.
[202]
Ein Verschwender. — Er
hat noch nicht jene Armuth des Reichen, der seinen ganzen Schatz
schon einmal überzählt hat, — er verschwendet seinen Geist mit
der Unvernunft der Verschwenderin Natur.
[203]
Hic niger est. — Er hat
für gewöhnlich keinen Gedanken, — aber für die Ausnahme kommen
ihm schlechte Gedanken.
[203]
Hic niger est. - In de regel denkt hij niets, behalve bij uitzondering — dan komen er slechte gedachten.
[204]
Die Bettler und die Höflichkeit. —
„Man ist nicht unhöflich, wenn man mit einem Steine an die
Thüre klopft, welcher der Klingelzug fehlt“ — so denken Bettler
und Nothleidende aller Art; aber Niemand giebt ihnen Recht.
[205]
Bedürfniss. — Das
Bedürfniss gilt als die Ursache der Entstehung: in Wahrheit ist
es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.
[206]
Beim Regen. — Es regnet,
und ich gedenke der armen Leute, die sich jetzt zusammen
drängen, mit ihrer vielen Sorge und ohne Uebung, diese zu
verbergen, also Jeder bereit und guten Willens, dem Andern wehe
zu thun und sich auch bei schlechtem Wetter eine erbärmliche Art
von Wohlgefühl zu machen. — Das, nur das ist die Armuth der
Armen!
[207]
Der Neibold. — Das ist
ein Neidbold, — dem muss man keine Kinder wünschen; er würde auf
sie neidisch sein, weil er nicht mehr Kind sein kann.
[208]
Grosser Mann! — Daraus,
dass einer „ein grosser Mann“ ist, darf man noch nicht
schliessen, dass er ein Mann ist; vielleicht ist es nur ein
Knabe, oder ein Chamäleon aller Lebensalter, oder ein verhextes
Weiblein.
[209]
Eine Art, nach Gründen zu fragen. —
Es giebt eine Art, uns nach unseren Gründen zu fragen, bei
der wir nicht nur unsre besten Gründe vergessen, sondern auch
einen Trotz und Widerwillen gegen Gründe überhaupt in uns
erwachen fühlen: — eine sehr verdummende Art zu fragen und recht
ein Kunstgriff tyrannischer Menschen!
[210]
Maass im Fleisse. — Man
muss den Fleiss seines Vaters nicht überbieten wollen — das
macht krank.
[211]
Geheime Feinde. — Einen
geheimen Feind sich halten können — das ist ein Luxus, für den
die Moralität selbst hochgesinnter Geister nicht reich genug zu
sein pflegt.
[212]
Sich nicht täuschen lassen. —
Sein Geist hat schlechte Manieren, er ist hastig und stottert
immer vor Ungeduld: so ahnt man kaum, in welcher langathmigen
und breitbrüstigen Seele er zu Hause ist.
[213]
Der Weg zum Glücke. — Ein
Weiser fragte einen Narren, welches der Weg zum Glücke sei.
Dieser antwortete ohne Verzug, wie Einer, der nach dem Wege zur
nächsten Stadt gefragt wird: „Bewundere dich selbst und lebe auf
der Gasse!“ „Halt, rief der Weise, du verlangst zu viel, es
genügt schon sich selber zu bewundern!“ Der Narr entgegnete:
„Aber wie kann man beständig bewundern, ohne beständig zu
verachten?“
[214]
Der Glaube macht selig. —
Die Tugend giebt nur Denen Glück und eine Art Seligkeit, welche
den guten Glauben an ihre Tugend haben: — nicht aber jenen
feineren Seelen, deren Tugend im tiefen Misstrauen gegen sich
und alle Tugend besteht. Zuletzt macht also auch hier „der
Glaube selig!“ — und wohlgemerkt,
nicht die Tugend!
[214]
Het geloof maakt zalig . - De deugd schenkt enkel geluk en een soort zaligheid aan diegenen die vast geloven in hun deugd - niet aan meer fijngevoelige zielen, wier deugd bestaat in een diep wantrouwen jegens zichzelf en alle deugdzaamheid.
Uiteindelijk is het dus ook hier 'het geloof dat zalig maakt!' - en dus niet de deugd.
[215]
Ideal und Stoff. — Du
hast da ein vornehmes Ideal vor Augen: aber bist du auch ein so vornehmer Stein,
dass aus dir solch ein Götterbild gebildet werden dürfte? Und
ohne diess — ist all deine Arbeit nicht eine barbarische
Bildhauerei? Eine Lästerung deines Ideals?
[216]
Gefahr in der Stimme. —
Mit einer sehr lauten Stimme im Halse, ist man fast ausser
Stande, feine Sachen zu denken.
[216]
Gevaar in de stem . - Met een zeer luide stem in zijn keel is men vrijwel niet in staat subtiele zaken te denken.
[217]
Ursache und Wirkung. —
Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen, als nach der
Wirkung.
[217]
Oorzaak en gevolg . - Vóór het gevolg gelooft men aan andere oorzaken dan erna.
[218]
Meine Antipathie. — Ich
liebe die Menschen nicht, welche, um überhaupt Wirkung zu thun,
zerplatzen müssen, gleich Bomben, und in deren Nähe man immer in
Gefahr ist, plötzlich das Gehör — oder noch mehr zu verlieren.
[219]
Zweck der Strafe. — Die
Strafe hat den Zweck, Den zu bessern,
welcher straft , — das ist die letzte Zuflucht
für die Vertheidiger der Strafe.
[220]
Opfer. — Ueber Opfer und
Aufopferung denken die Opferthiere anders, als die Zuschauer:
aber man hat sie von jeher nicht zu Worte kommen lassen.
[221]
Schonung. — Väter und
Söhne schonen sich viel mehr unter einander, als Mütter und
Töchter.
[222]
Dichter und Lügner. — Der
Dichter sieht in dem Lügner seinen Milchbruder, dem er die Milch
weggetrunken hat; so ist Jener elend geblieben und hat es nicht
einmal bis zum guten Gewissen gebracht.
[223]
Vicariat der Sinne. —
„Man hat auch die Augen um zu hören — sagte ein alter
Beichtvater, der taub wurde; und unter den Blinden ist Der
König, wer die längsten Ohren hat.“
[224]
Kritik der Thiere. — Ich
fürchte, die Thiere betrachten den Menschen als ein Wesen
Ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden
Thierverstand verloren hat, — als das wahnwitzige Thier, als das
lachende Thier, als das weinende Thier, als das unglückselige
Thier.
[225]
Die Natürlichen. — „Das
Böse hat immer den grossen Effect für sich gehabt! Und die Natur
ist böse! Seien wir also natürlich!“ — so schliessen im Geheimen
die grossen Effecthascher der Menschheit, welche man gar zu oft
unter die grossen Menschen gerechnet hat.
[226]
Die Misstrauischen und der Stil. —
Wir sagen die stärksten Dinge schlicht, vorausgesetzt, dass
Menschen um uns sind, die an unsere Stärke glauben: — eine
solche Umgebung erzieht zur „Einfachheit des Stils“. Die
Misstrauischen reden emphatisch; die Misstrauischen machen
emphatisch.
[227]
Fehlschluss, Fehlschuss. —
Er kann sich nicht beherrschen: und daraus schliesst jene Frau,
es werde leicht sein, ihn zu beherrschen und wirft ihre
Fangseile nach ihm aus; — die Arme, die in Kürze seine Sclavin
sein wird.
[228]
Gegen die Vermittelnden. —
Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist
gezeichnet als mittelmässig: er hat das Auge nicht dafür, das
Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist
das Merkmal schwacher Augen.
[229]
Trotz und Treue. — Er
hält aus Trotz an einer Sache fest, die ihm durchsichtig
geworden ist, — er nennt es aber „Treue“.
[230]
Mangel an Schweigsamkeit. —
Sein ganzes Wesen überredet
nicht — das kommt daher, dass er nie eine gute Handlung,
die er that, verschwiegen hat.
[231]
Die „Gründlichen“. — Die
Langsamen der Erkenntniss meinen, die Langsamkeit gehöre zur
Erkenntniss.
[232]
Träumen. — Man träumt gar
nicht, oder interessant. — Man muss lernen, ebenso zu wachen: —
gar nicht, oder interessant.
[233]
Gefährlichster Gesichtspunct. —
Was ich jetzt thue oder lasse, ist
für alles Kommende so wichtig, als das grösste
Ereigniss der Vergangenheit: in dieser ungeheuren Perspective
der Wirkung sind alle Handlungen gleich gross und klein.
[234]
Trostrede eines Musicanten. —
„Dein Leben klingt den Menschen nicht in die Ohren: für sie
lebst du ein stummes Leben, und alle Feinheit der Melodie, alle
zarte Entschliessung im Folgen oder Vorangehen, bleibt ihnen
verborgen. Es ist wahr: du kommst nicht auf breiter Strasse mit
Regimentsmusik daher, — aber desshalb haben diese Guten doch
kein Recht, zu sagen, es fehle deinem Lebenswandel an Musik. Wer
Ohren hat, der höre.“
[235]
Geist und Charakter. —
Mancher erreicht seinen Gipfel als Charakter, aber sein Geist
ist gerade dieser Höhe nicht angemessen — und Mancher umgekehrt.
[236]
Um die Menge zu bewegen. —
Muss nicht Der, welcher die Menge bewegen will, der Schauspieler
seiner selber sein? Muss er nicht sich selber erst in’s
Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person und Sache in
dieser Vergröberung und Vereinfachung
vortragen ?
[237]
Der Höfliche. — „Er ist
so höflich!“ — Ja, er hat immer einen Kuchen für den Cerberus
bei sich und ist so furchtsam, dass er Jedermann für den
Cerberus hält, auch dich und mich, — das ist seine
„Höflichkeit“.
[238]
Neidlos. — Er ist ganz
ohne Neid, aber es ist kein Verdienst dabei: denn er will ein
Land erobern, das Niemand noch besessen und kaum Einer auch nur
gesehen hat.
[239]
Der Freudlose. — Ein
einziger freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen
Hausstande dauernden Missmuth und trüben Himmel zu machen; und
nur durch ein Wunder geschieht es, dass dieser Eine fehlt! — Das
Glück ist lange nicht eine so ansteckende Krankheit, — woher
kommt das?
[240]
Am Meere. — Ich würde mir
kein Haus bauen (und es gehört selbst zu meinem Glücke, kein
Hausbesitzer zu sein!). Müsste ich aber, so würde ich, gleich
manchem Römer, es bis in’s Meer hineinbauen, — ich möchte schon
mit diesem schönen Ungeheuer einige Heimlichkeiten gemeinsam
haben.
[241]
Werk und Künstler. —
Dieser Künstler ist ehrgeizig und Nichts weiter: zuletzt ist
sein Werk nur ein Vergrösserungsglas, welches er Jedermann
anbietet, der nach ihm hinblickt.
[242]
Suum cuique. — Wie gross
auch die Habsucht meiner Erkenntniss ist: ich kann aus den
Dingen nichts Anderes herausnehmen, als was mir schon gehört, —
das Besitzthum Anderer bleibt in den Dingen zurück. Wie ist es
möglich, dass ein Mensch Dieb oder Räuber sei!
[243]
Ursprung von „Gut“ und „Schlecht“. —
Eine Verbesserung erfindet nur Der, welcher zu fühlen
weiss: „Diess ist nicht gut“.
[243]
Over de oorsprong van "goed" en "kwaad" . - Alleen
wie weet wat het is om te voelen: "Dit is niet goed..."., zal op
dit punt iets kunnen verbeteren.
[244]
Gedanken und Worte. — Man
kann auch seine Gedanken nicht ganz in Worten wiedergeben.
[244]
Gedachten en woorden. - Ook je gedachten kun je niet
geheel in woorden weergeven.
[245]
Lob in der Wahl. — Der
Künstler wählt seine Stoffe aus: das ist seine Art zu loben.
[245]
Loven door te kiezen. - De kunstenaar kiest zijn
onderwerpen uit: Dat is zijn manier om lof te betuigen.
[246]
Mathematik. — Wir wollen
die Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften
hineintreiben, so weit diess nur irgend möglich ist, nicht im
Glauben, dass wir auf diesem Wege die Dinge erkennen werden,
sondern um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen
festzustellen . Die
Mathematik ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten
Menschenkenntniss.
[246]
Wiskunde - mathematica. - Wij willen de precisie en
gestrengheid van de wiskunde in alle wetenschappen doorvoeren,
voor zover dit maar enigszins mogelijk is. Niet vanuit het geloof
dat we we langs deze weg de dingen echt zullen kennen (
Erkenntnis = inzicht), maar om daarmee ons menselijke
relatie tot de dingen te vast te leggen. Wiskunde is
slechts het middel om tot algemene en uiteindeljke mensenkennis
te komen.
[247]
Gewohnheit. — Alle
Gewohnheit macht unsere Hand witziger und unseren Witz
unbehender.
[247]
Gewenning. - Elke vorm van gewenning maakt onze hand
scherpzinniger, en onze scherpzinnigheid onhandiger.
(onvertaalbaar: 'Witz' is immers ook geestigheid, grap.)
[248]
Bücher. — Was ist an
einem Buche gelegen, das uns nicht einmal über alle Bücher
hinweg trägt?
[248]
Boeken. - Wat voor waarde heeft een boek, dat ons
niet eens boven alle boeken uit doet stijgen?
[249]
Der Seufzer des Erkennenden. —
„Oh über meine Habsucht! In dieser Seele wohnt keine
Selbstlosigkeit, — vielmehr ein Alles begehrendes Selbst,
welches durch viele Individuen wie durch
seine Augen sehen und wie mit
seinen Händen greifen möchte, — ein auch die
ganze Vergangenheit noch zurückholendes Selbst, welches Nichts
verlieren will, was ihm überhaupt gehören könnte! Oh über diese
Flamme meiner Habsucht! Oh, dass ich in hundert Wesen
wiedergeboren würde!“ — Wer diesen Seufzer nicht aus Erfahrung
kennt, kennt auch die Leidenschaft des Erkennenden nicht.
[249]
De verzuchting van de
kenniszoeker. - “O, die hebzucht van mij! In deze
ziel woont geen onbaatzuchtigheid — veeleer een alles begerend
Zelf, dat middels vele individuen wil kijken alsof met zijn
ogen, en wil grijpen als met zijn handen — een
Zelf dat zelfs het hele verleden nog zou terughaalt, dat niets
verliezen wil van wat het maar enigszins zou kunnen toebehoren! O,
deze vlam van mijn hebzucht! O, mocht ik in honderd wezens
wedergeboren worden!” Wie deze verzuchting niet uit ervaring kent,
kent ook de hartstocht van de kenniszoeker niet.
[250]
Schuld. — Obschon die
scharfsinnigsten Richter der Hexen und sogar die Hexen selber
von der Schuld der Hexerei überzeugt waren, war die Schuld
trotzdem nicht vorhanden. So steht es mit aller Schuld.
[250]
Schuld. - Hoewel de scherpzinnigste rechters van de
heksen en zelfs de heksen zelf van de schuldigheid van de hekserij
overtuigd waren, was er nochtans geen schuld voorhanden. Zo is het
met alle schuld.
[251]
Verkannte Leidende. — Die
grossartigen Naturen leiden anders, als ihre Verehrer sich
einbilden: sie leiden am härtesten durch die unedlen,
kleinlichen Wallungen mancher bösen Augenblicke, kurz, durch
ihren Zweifel an der eigenen Grossartigkeit, — nicht aber durch
die Opfer und Martyrien, welche ihre Aufgabe von ihnen verlangt.
So lange Prometheus Mitleid mit den Menschen hat und sich ihnen
opfert, ist er glücklich und gross in sich; aber wenn er
neidisch auf Zeus und die Huldigungen wird, welche Jenem die
Sterblichen bringen, — da leidet er!
[252]
Lieber schuldig. —
„Lieber schuldig bleiben, als mit einer Münze zahlen, die nicht
unser Bild trägt!“ — so will es unsere Souveränität.
[252]
Liever schuldig. "Liever schulden hebben dan met
een munt waarop een andere beeltenaar staat betalen!" - Zo wil het
onze souvereiniteit.
[253]
Immer zu Hause. — Eines
Tages erreichen wir unser Ziel
— und weisen nunmehr mit Stolz darauf hin, was für lange
Reisen wir dazu gemacht haben. In Wahrheit merkten wir nicht,
dass wir reisten. Wir kamen aber dadurch so weit, dass wir an
jeder Stelle wähnten, zu Hause
zu sein.
[253]
Altijd thuis. - Op een zekere dag bereiken we ons
doel - en van dan af aan wijzen we er trots op, wat voor
lange reizen we daartoe gemaakt hebben. In werkelijkheid hadden we
niet door dat we op reis waren. We zijn zover geraakt, doordat we
op elke plek meenden thuis te zijn.
[254]
Gegen die Verlegenheit. —
Wer immer tief beschäftigt ist, ist über alle Verlegenheit
hinaus.
[254]
niet in verlegenheid raken. - Wie steeds druk bezig
is, geraakt nooit in verlegenheid.
opm. "Verlegenheit" heeft in het Duits
geen associatie met schuchterheid (zoals het Nederlandse
'verlegenheid'). Enkel met tekortschieten, hachelijkheid)
[255]
Nachahmer. — A.: „Wie? Du
willst keine Nachahmer?“ B.: „Ich will nicht, dass man mir Etwas
nachmache, ich will, dass Jeder sich Etwas vormache: das Selbe,
was ich thue.“
A.: „Also —?“
[255]
Imitatoren- ....
( woordspel 'mir etwas nachmachen' = mij in iets
nadoen - versus sich etwas vormachen'(= zichzelf iets wijsmaken.)
[256]
Hautlichkeit. — Alle
Menschen der Tiefe haben ihre Glückseligkeit darin, einmal den
fliegenden Fischen zu gleichen und auf den äussersten Spitzen
der Wellen zu spielen; sie schätzen als das Beste an den Dingen,
— dass sie eine Oberfläche haben: ihre Hautlichkeit — sit venia
verbo.
[257]
Aus der Erfahrung. —
Mancher weiss nicht, wie reich er ist, bis er erfährt, was für
reiche Menschen an ihm noch zu Dieben werden.
[257]
Uit ervaring. - Pas als je ervaart dat rijken jou
willen bestelen, besef je hoe rijk je bent.
[258]
Die Leugner des Zufalls. —
Kein Sieger glaubt an den Zufall.
[258]
Zij die het toeval ontkennen.- Geen enkele winnaar
gelooft aan het toeval.
[259]
Aus dem Paradiese. — „Gut
und böse sind die Vorurtheile Gottes“ — sagte die Schlange.
[259]
Uit het paradijs. - "Goed en kwaad zijn de
vooroordelen van God" - zei de slang.
[260]
Ein Mal eins. — Einer hat
immer Unrecht: aber mit Zweien beginnt die Wahrheit. — Einer
kann sich nicht beweisen: aber Zweie kann man bereits nicht
widerlegen.
[260]
Eén maal één. - Eén heeft altijd ongelijk; maar met
twee begint de waarheid. - Eén kan zichzelf niet bewijzen; maar
twee kan men al niet meer weerleggen.
[261]
Originalität. — Was ist
Originalität? Etwas sehen
, das noch keinen Namen trägt, noch nicht genannt werden
kann, ob es gleich vor Aller Augen liegt. Wie die Menschen
gewöhnlich sind, macht ihnen erst der Name ein Ding überhaupt
sichtbar. — Die Originalen sind zumeist auch die Namengeber
gewesen.
[261]
Originaliteit. - Wat is orginaliteit? Iets
zien , dat nog geen naam draagt, nog niet genoemd kan
worden, hoewel het in het oog springt. Gewoontedieren als de
mensen zijn, maakt een naam voor hen de dingen pas echt zichtbaar.
- Originele mensen zijn meestal ook naamgevers geweest.
[262]
Sub specie aeterni. — A.:
„Du entfernst dich immer schneller von den Lebenden: bald werden
sie dich aus ihren Listen streichen!“ — B.: „Es ist das einzige
Mittel, um an dem Vorrecht der Todten theilzuhaben.“ — A.: „An
welchem Vorrecht?“ — B.: „Nicht mehr zu sterben.“
[262]
Sub specie aeterni. - A: "Je verwijdert je steeds
sneller van de levenden: straks schrappen ze je nog van hun
lijsten!" - B: "dat is de enige manier om te kunnen delen in het
voorrecht van de doden." - A.: "Welk voorrecht?" - B: "Niet meer
te sterven."
[263]
Ohne Eitelkeit. — Wenn
wir lieben, so wollen wir, dass unsere Mängel verborgen bleiben,
— nicht aus Eitelkeit, sondern, weil das geliebte Wesen nicht
leiden soll. Ja, der Liebende möchte ein Gott scheinen, — und
auch diess nicht aus Eitelkeit.
[263]
Zonder ijdelheid. - Als we liefhebben, dan willen
we dat onze gebreken verborgen blijven, - niet uit
ijdelheid, maar om het geliefde wezen lijden te besparen. Ja, wie
liefheeft zou graag een God lijken, - en ook die niet uit
ijdelheid.
[264]
Was wir thun. — Was wir
thun, wird nie verstanden, sondern immer nur gelobt und
getadelt.
[264]
Wat wij doen wordt nooit begrepen, maar altijd
enkel geloofd of veroordeeld.
[265]
Letzte Skepsis. — Was
sind denn zuletzt die Wahrheiten des Menschen? — Es sind die
unwiderlegbaren Irrthümer
des Menschen.
[265]
Laatste skepsis. - Wat zijn nu uiteindelijk de
waarheden van de mens? - Zijn onweerlegbare
dwalingen.
[266]
Wo Grausamkeit noth thut. —
Wer Grösse hat, ist grausam gegen seine Tugenden und Erwägungen
zweiten Ranges.
[266]
Waar wreedheid nodig is. - Wie grootheid bezit, is
wreed jegens zijn tweederangs deugden en overwegingen.
[267]
Mit einem grossen Ziele. —
Mit einem grossen Ziele ist man sogar der Gerechtigkeit
überlegen, nicht nur seinen Thaten und seinen Richtern.
[267]
Met een groot doel staat men zelfs boven de
rechtvaardigheid, niet selchtsboven z'n daden en rechters.
[268]
Was macht heroisch? —
Zugleich seinem höchsten Leide und seiner höchsten Hoffnung
entgegengehn.
[268]
Wat maakt van de mens een held? - Tegelijk zijn
hoogste pijn en zijn hoogste verwachting tegemoetgaan
[269]
Woran glaubst du? —
Daran: dass die Gewichte aller Dinge neu bestimmt werden müssen.
[269]
Waaraan hecht je geloof - Hieraan: dat
het gewicht van alle dingen opnieuw bepaald moet worden..
[270]
Was sagt dein Gewissen? —
„Du sollst der werden, der du bist.“
[270]
Wat zegt je geweten? - " Gij moet worden, die gij
zijt"
[271]
Wo liegen deine grössten Gefahren? —
Im Mitleiden.
[271]
Waarin schuilen voor jou de grootste gevaren ? - In
het medelijden.
[272]
Was liebst du an Anderen? —
Meine Hoffnungen.
[272]
Wat bemin je in andere mensen? - Mijn
verwachtingen.
[273]
Wen nennst du schlecht? —
Den, der immer beschämen will.
[273]
Wie noem je slecht? - Hij die altijd iemand anders
in een ongemakkelijke positie wil manoeuvreren.
Opm. "beschämen" is in het Duits en het
Nederlands eigenlijk een breed existentieel begrip. Iemand In een
toestand brengen die schaamte veroorzaakt, te schande maken, in
verlegenheid brengen ( embarrass) mentaal klemzetten,
vernederen.)
[274]
Was ist dir das Menschlichste? —
Jemandem Scham ersparen.
[274]
Wat is voor jou het meest menselijke? - Iemand
schaamte besparen.
[275]
Was ist das Siegel der erreichten
Freiheit? — Sich nicht mehr vor sich selber
schämen.
[275]
Wat is het zegel op verworven vrijheid? - Zich niet
langer voor zich zelf schamen.
Der du mit dem Flammenspeere
Meiner Seele Eis zertheilt,
Dass sie brausend nun zum Meere
Ihrer höchsten Hoffnung eilt:
Heller stets und stets gesunder,
Frei im liebevollsten Muss: —
Also preist sie deine Wunder,
Schönster Januarius!
Genua im Januar 1882.
Gij die met uw vlammenspeer
mijn in ijs verkilde ziel doorklieft ,
Zodat ze bruist nu, en naar de zee
van haar hoogste hope
vliedt,
helderder, en steeds gezonder,
onweerstaanbaar vrij,
En ze roept, verwonderd:
Januarius, hoe schoon zijt gij.
Genua, januari 1882
[276]
Zum neuen Jahre. — Noch lebe
ich, noch denke ich: ich muss noch leben, denn ich muss noch
denken. Sum, ergo cogito: cogito, ergo sum. Heute erlaubt sich
Jedermann seinen Wunsch und liebsten Gedanken auszusprechen: nun,
so will auch ich sagen, was ich mir heute von mir selber wünschte
und welcher Gedanke mir dieses Jahr zuerst über das Herz lief, —
welcher Gedanke mir Grund, Bürgschaft und Süssigkeit alles
weiteren Lebens sein soll! Ich will immer mehr lernen, das
Nothwendige an den Dingen als das Schöne sehen: — so werde ich
Einer von Denen sein, welche die Dinge schön machen. Amor fati:
das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das
Hässliche führen. Ich will nicht anklagen, ich will nicht einmal
die Ankläger anklagen. Wegsehen
sei meine einzige Verneinung! Und, Alles in Allem und
Grossen: ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein!
[276]
Op het nieuwe jaar. — Nog leef iknog, nog denk ik:
ik moet nog leven, want ik moet nog denken. Sum, ergo cogito:
cogito, ergo sum. Vandaag mag iedereen zijn wens en lief gedachten
uitspreken: Welaan, dan wil ook ik zeggen wat ik mijzelf vandaag
toewens en welke gedachte mij dit jaar als eerste door het hart
ging — welke gedachte voor mij grondslag, waarborg en zoetheid
voor de rest van mijn leven moet zijn! Ik wil steeds beter leren
het noodzakelijke van de dingen te zien als het mooie: dan behoor
ik tot hen die de dingen mooi maken. Amor fati: dat zij van na af
aan mijn liefde! Ik wil geen oorlog voeren tegen het lelijke. Ik
wil niet aanklagen, ik wil zelfs de aanklagers niet aanklagen.
Wegkijken zij mijn enige ontkenning ! Alles tesamen
gevat: ik wil ooit nog eens alleen maar een ja-zegger zijn!
[277]
Persönliche Providenz. —
Es giebt einen gewissen hohen Punct des Lebens: haben wir den
erreicht, so sind wir mit all unserer Freiheit, und so sehr wir
dem schönen Chaos des Daseins alle fürsorgende Vernunft und Güte
abgestritten haben, noch einmal in der grössten Gefahr der
geistigen Unfreiheit und haben unsere schwerste Probe abzulegen.
Jetzt nämlich stellt sich erst der Gedanke an eine persönliche
Providenz mit der eindringlichsten Gewalt vor uns hin und hat
den besten Fürsprecher, den Augenschein, für sich, jetzt wo wir
mit Händen greifen, dass uns alle, alle Dinge, die uns treffen,
fortwährend zum Besten gereichen
. Das Leben jedes Tages und jeder Stunde scheint
Nichts mehr zu wollen, als immer nur diesen Satz neu beweisen;
sei es was es sei, böses wie gutes Wetter, der Verlust eines
Freundes, eine Krankheit, eine Verleumdung, das Ausbleiben eines
Briefes, die Verstauchung eines Fusses, ein Blick in einen
Verkaufsladen, ein Gegenargument, das Aufschlagen eines Buches,
ein Traum, ein Betrug: es erweist sich sofort oder sehr bald
nachher als ein Ding, das „nicht fehlen durfte“, — es ist voll
tiefen Sinnes und Nutzens gerade
für uns ! Giebt es eine gefährlichere
Verführung, den Göttern Epikur’s, jenen sorglosen Unbekannten,
den Glauben zu kündigen und an irgend eine sorgenvolle und
kleinliche Gottheit zu glauben, welche selbst jedes Härchen auf
unserem Kopfe persönlich kennt und keinen Ekel in der
erbärmlichsten Dienstleistung findet? Nun — ich meine
trotzalledem! wir wollen die Götter in Ruhe lassen und die
dienstfertigen Genien ebenfalls und uns mit der Annahme
begnügen, dass unsere eigene practische und theoretische
Geschicklichkeit im Auslegen und Zurechtlegen der Ereignisse
jetzt auf ihren Höhepunct gelangt sei. Wir wollen auch nicht zu
hoch von dieser Fingerfertigkeit unserer Weisheit denken, wenn
uns mitunter die wunderbare Harmonie allzusehr überrascht,
welche beim Spiel auf unserem Instrumente entsteht: eine
Harmonie, welche zu gut klingt, als dass wir es wagten, sie uns
selber zuzurechnen. In der That, hier und da spielt Einer
mit uns — der liebe Zufall:
er führt uns gelegentlich die Hand, und die allerweiseste
Providenz könnte keine schönere Musik erdenken, als dann dieser
unserer thörichten Hand gelingt.
[277]
Persoonlijke voorzienigheid (theologische term) - Er
is zoiets als een hoogtepunt in het leven, dat - als we het hebben
bereikt- ons met al onze vrijheid, hoezeer we ook aan de schone
chaos van het bestaan alle zorgzame redelijkheid en goedheid
hebben ontzegd, opnieuw in het grootste gevaar brengt, dat van de
geestelijke onvrijheid. Dan moeten we we onze zwaarste proef
afleggen. Nu worden we namelijk op de meest indringende wijze
geconfronteerd met de gedachte aan een persoonlijke
voorzienigheid. En de beste advocaat, 'dat het zich zo laat
aanzien', spreekt voor haar, nu wij met de handen tasten dat alle,
alle dingen, die ons overkomen, ons voortdurend ten goede
komen...
[278]
Der Gedanke an den Tod. — Es
macht mir ein melancholisches Glück, mitten in diesem Gewirr der
Gässchen, der Bedürfnisse, der Stimmen zu leben: wieviel
Geniessen, Ungeduld, Begehren, wieviel durstiges Leben und
Trunkenheit des Lebens kommt da jeden Augenblick an den Tag! Und
doch wird es für alle diese Lärmenden, Lebenden, Lebensdurstigen
bald so stille sein! Wie steht hinter Jedem sein Schatten, sein
dunkler Weggefährte! Es ist immer wie im letzten Augenblicke vor
der Abfahrt eines Auswandererschiffes: man hat einander mehr zu
sagen als je, die Stunde drängt, der Ozean und sein ödes Schweigen
wartet ungeduldig hinter alle dem Lärme — so begierig, so sicher
seiner Beute. Und Alle, Alle meinen, das Bisher sei Nichts oder
Wenig, die nahe Zukunft sei Alles: und daher diese Hast, diess
Geschrei, dieses Sich-Uebertäuben und Sich-Uebervortheilen! Jeder
will der Erste in dieser Zukunft sein, — und doch ist Tod und
Todtenstille das einzig Sichere und das Allen Gemeinsame dieser
Zukunft! Wie seltsam, dass diese einzige Sicherheit und
Gemeinsamkeit fast gar Nichts über die Menschen vermag und dass
sie am Weitesten
davon entfernt sind, sich als die Brüderschaft des Todes zu
fühlen! Es macht mich glücklich, zu sehen, dass die Menschen den
Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte gern
Etwas dazu thun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal
denkenswerther zu machen.
[278]
De gedachte aan de dood. - Het schenkt mij een
melancholisch geluk om te leven te midden van deze wirwar van
steegjes, van behoeften, van stemmen: hoeveel genot, ongeduld en
verlangen, hoeveel dorstig leven en dronkenschap van het leven
komt daar elk moment aan de dag! En toch zal het voor al deze
luidruchtige, levende, levenslustige mensen weldra heel stil zijn!
Achter ieder van hen doemt zijn schaduw op, zijn duistere
reisgenoot! Altijd opnieuw is het, zoals in het laatste ogenblik
vóór het vertrek van een emigrantenschip: Men heeft elkaar meer te
zeggen dan ooit, de tijd dringt, de oceaan met zijn doodse stilte
ligt achter al dat rumoer al ongeduldig te wachten – zo begerig,
zo zeker van zijn buit! En allen, allen denken, dat wat tot nu toe
is geweest, niets is of weinig; en de nabije toekomst alles zal
zijn. Vandaar die haast, dat geroep, dat elkaar overstemmen en
voorsteken! Iedereen wil de eerste zijn in die toekomst – en toch
zijn de dood en de stilte die daar heerst het enige zekere en
enige gemeenschappelijke dat ze in die toekomst hebben zullen!
Merkwaardig, dat juist het enige dat alle mensen zeker en
gemeenschappelijk is, hen toch niet echt bezighoudt en dat het
heel ver van hen afstaat zich een broederschap des doods
te voelen! Het maakt me gelukkig, te zien, dat de mensen de
gedachte aan de dood volstrekt niet willen doordenken! Ik zou
graag een bijdrage daaraan willen leveren door voor hen de
gedachte aan het leven nog 100x gedenkwaardiger ( de moeite van het overdenken, nadenken,
doordenken waard) te maken.
De cogitatione mortis
. - Felicitas tristi
s me
subit, dum in his angiportis, inter clamores, inter studia et
cupiditates mortalium versor. Quanta voluptas, quanta impatientia,
quantum sitiens vivere ac vitae ebrietas cotidie hic effertur in
lucem! Et tamen, brevi cunctis his tumultuantibus, viventibus, vitam
sitientibus silentium erit profundum. Post unumquemque umbra stat,
comes obscurus ac tacitus itineris.
Semper
hoc loco simile est ac si in ipso momento discessus navis migrantium
staremus: plus inter se loquuntur homines quam unquam antea, hora
urget, oceanus autem, taciturnus et vastus, post omnem hunc
strepitum exspectat, praedam suam avidus et certus. Omnes, omnes existimant praeterita nihil vel parum
fuisse, futurum autem proximum esse totum: hinc festinatio, hinc
clamor, hinc invicem superare ac superstrepere volunt! Unusquisque
cupit primus in illa futura esse — et tamen mors et mortis silentium
sola sunt certa, sola omnibus communia in illa futura! Mira res! Hoc unum certum, hoc commune genus humanum
vix tangit, et longissime absunt a sensu quod fratres mortis sint.
Me tamen iuvat videre homines mortis memoriam recusantes:
ego vero velim efficere ut vitam ipsam centies digniorem cogitatione
faciam. (vertaling door Seneca (chatgpt 5), over hem: zie
lied 34: primum scribere, deinde philosophari )
[279]
Sternen-Freundschaft. — Wir waren Freunde und
sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so und wir wollen’s
uns nicht verhehlen und verdunkeln, als ob wir uns dessen zu
schämen hätten. Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und
seine Bahn hat; wir können uns wohl kreuzen und ein Fest
miteinander feiern, wie wir es gethan haben, — und dann lagen die
braven Schiffe so ruhig in Einem Hafen und in Einer Sonne, dass es
scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hätten Ein Ziel
gehabt. Aber dann trieb uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe
wieder auseinander, in verschiedene Meere und Sonnenstriche und
vielleicht sehen wir uns nie wieder, — vielleicht auch sehen wir
uns wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere
und Sonnen haben uns verändert! Dass wir uns fremd werden müssen,
ist das Gesetz über
uns: ebendadurch sollen wir uns auch ehrwürdiger werden!
Ebendadurch soll der Gedanke an unsere ehemalige Freundschaft
heiliger werden! Es giebt wahrscheinlich eine ungeheure
unsichtbare Curve und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen
Strassen und Ziele als kleine Wegstrecken
einbegriffen sein mögen, — erheben wir uns zu
diesem Gedanken! Aber unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft
zu gering, als dass wir mehr als Freunde im Sinne jener erhabenen
Möglichkeit sein könnten. — Und so wollen wir an unsere
Sternen-Freundschaft glauben
, selbst wenn wir einander Erden-Feinde sein müssten.
[279]
Sterrenvriendschap
We zijn vrienden geweest en van elkaar vervreemd. Maar dat is goed
zo, laten we het niet wegstoppen of donkerder maken dan het is,
alsof we ons daarvoor zouden moeten schamen. We zijn twee schepen,
elk met een eigen bestemming/doel en een eigen koers daarheen; we
kunnen elkaar wel kruisen en samen een feest vieren, zoals we ook
hebben gedaan – en toen lagen die brave schepen zo rustig in één
haven en in één zon, dat het wel leek, dat ze hun bestemming/doel
al hadden bereikt, en dat die bestemming dezelfde was. Maar
vervolgens dreef de almachtige kracht van onze opdracht ons weer
uiteen, naar verschillende zeeën en zonnestreken, en misschien
zien we elkaar nooit meer terug – of we zien elkaar wel terug,
maar herkennen elkaar niet meer: de verschillende zeeën en zonnen
hebben ons veranderd! Dat we vreemden voor elkaar moeten worden,
dat is de wet boven ons : Precies daarom zouden we we
elkaar meer eer moeten bewijzen ! En zouden we de gedachte(nis)
aan onze vroegere vriendschap nog meer moeten heiligen! Wellicht
bestaat er een enorme, onzichtbare boog en sterrenbaan, waarin
onze zo verschillende wegen en bestemmingen als deeltrajecten toch
zijn inbegrepen – laten we ons tot deze gedachte
verheffen! Maar ons leven is te kort en ons gezichtsvermogen te
gering, om meer te kunnen zijn dan vrienden in de zin van die
verheven mogelijkheid. – Laten we dus in onze sterrenvriendschap
geloven , zelfs als we elkaars aardse vijanden zouden
moeten zijn.
[280]
Architektur der Erkennenden. —
Es bedarf einmal und wahrscheinlich bald einmal der Einsicht, was
vor Allem unseren grossen Städten fehlt: stille und weite,
weitgedehnte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen
Hallengängen für schlechtes oder allzu sonniges Wetter, wohin kein
Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein feinerer
Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen würde:
Bauwerke und Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des
Sich-Besinnens und Bei-Seitegehens ausdrücken. Die Zeit ist
vorbei, wo die Kirche das Monopol des Nachdenkens besass, wo die
vita contemplativa immer zuerst vita religiosa sein musste: und
Alles, was die Kirche gebaut hat, drückt diesen Gedanken aus. Ich
wüsste nicht, wie wir uns mit ihren Bauwerken, selbst wenn sie
ihrer kirchlichen Bestimmung entkleidet würden, genügen lassen
könnten; diese Bauwerke reden eine viel zu pathetische und
befangene Sprache, als Häuser Gottes und Prunkstätten eines
überweltlichen Verkehrs, als dass wir Gottlosen hier unsere Gedanken denken könnten.
Wir wollen uns in
Stein und Pflanze übersetzt haben, wir wollen
in uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen
und Gärten wandeln.
[280]
Architectuur voor wie wil nadenken. - Ooit, en
waarschijnlijk al snel, zal er inzicht nodig zijn in wat onze
grote steden bovenal ontberen: stille, ruime, uitgestrekte
plaatsen om na te denken; plaatsen met hoge en lange zuilengangen
voor slecht of al te zonnig weer, waar verkeerslawaai en
verkoopspraatjes ( lett: geroep van de marktkramer )
niet doordringen, en waar een nieuwe fijngevoeligheid ( ein
feinerer Anstand ) ook de priester ervan weerhoudt hardop
te bidden: bouwwerken en andere inplantingen ( AnlagAnlage
) die als geheel de verhevenheid van het ‘zich-bezinnen’ en
‘afstand-nemen’ / 'een stap opzij zetten'(
bei-Seitegehenn> ) uitdrukken. De tijd is voorbij,
waarin de Kerk het monopolie op nadenken bezat, waarin de vita
contemplativa eerst en vooral vita religiosa moest zijn. Alles wat
de Kerk gebouwd heeft, brengt deze gedachte tot uitdrukking. Zelfs
als deze gebouwen van hun kerkelijke bestemming ontdaan zijn, dan
nog spreken ze een veel te pathetische en bevangen taal – huizen
van God blijven het, schouwtonelen van een bovenwereldlijke
omgang. Ze voldoen gewoonweg niet aan de criteria van gebouwen die
wij nodig hebben, wij, godloze mensen. Deze gebouwen laten ons
niet toe onze gedachten te denken. Wij willen
ons in steen en plant vertaald zien. Wij
willen in ons gaan wandelen als wij in deze hallen en
tuinen vertoeven. [
toelichting ]
[281]
Das Ende zu finden wissen. — Die Meister des
ersten Ranges geben sich dadurch zu erkennen, dass sie im Grossen
wie im Kleinen auf eine vollkommene Weise das Ende zu finden
wissen, sei es das Ende einer Melodie oder eines Gedankens, sei es
der fünfte Act einer Tragödie oder Staats-Action. Die ersten der
zweiten Stufe werden immer gegen das Ende hin unruhig, und fallen
nicht in so stolzem ruhigem Gleichmaasse in’s Meer ab, wie zum
Beispiel das Gebirge bei Porto fino — dort, wo die Bucht von Genua
ihre Melodie zu Ende singt.
[281]
Het einde weten te vinden.
— De meesters van de eerste rang kun je hieraan herkennen
dat ze zowel in het grote als het kleine op een volkomen wijze het
einde weten te vinden, of dat nu het einde van een melodie of een
gedachte is, of het vijfde bedrijf van een tragedie of een
politiek klucht. De besten van de tweede rang worden altijd
onrustig tegen het einde, en glijden niet zo trots en rustig in de
zee als bijvoorbeeld het gebergte bij Porto Fino — daar waar de
baai van Genua haar melodie ten einde zingt
[282]
Der Gang. — Es giebt Manieren
des Geistes, an denen auch grosse Geister verrathen, dass sie vom
Pöbel oder Halbpöbel herkommen: — der Gang und Schritt ihrer
Gedanken ist es namentlich, der den Verräther macht; sie können
nicht gehen . So
konnte auch Napoleon zu seinem tiefen Verdrusse nicht
fürstenmässig und „legitim“ gehen, bei Gelegenheiten, wo man es
eigentlich verstehen muss, wie bei grossen Krönungs-Processionen
und Aehnlichem: auch da war er immer nur der Anführer einer
Colonne — stolz und hastig zugleich und sich dessen sehr bewusst.
— Man hat Etwas zum Lachen, diese Schriftsteller zu sehen, welche
die faltigen Gewänder der Periode um sich rauschen machen: sie
wollen so ihre Füsse
verdecken.
[282]
De tred . — Er zijn gedragingen van de geest,
waarmee ook grote geesten verraden dat ze afkomstig zijn uit het
gepeupel of het halve gepeupel: het zijn met name de gang en de
tred van hun gedachten die hen verraden; ze kunnen niet gaan
( schrijden) . Zo kon ook Napoleon tot zijn
grote ergernis niet vorstelijk en ‘legitiem’ gaan (
schrijden ) bij gelegenheden waar je dat eigenlijk wel
zou moeten kunnen, zoals bij grote kroningsprocessies en
dergelijke: ook daar was hij altijd slechts de aanvoerder van een
kolonne — trots en gehaast tegelijk en zich daarvan ten zeerste
bewust. — Het is grappig om te zien hoe schrijvers de geplooide
gewaden van de volzin om zich heen laten ruisen: zo willen ze hun
voeten aan het oog onttrekken.
[283]
Vorbereitende Menschen. —
Ich begrüsse alle Anzeichen dafür, dass ein männlicheres, ein
kriegerisches Zeitalter anhebt, das vor allem die Tapferkeit
wieder zu Ehren bringen wird! Denn es soll einem noch höheren
Zeitalter den Weg bahnen und die Kraft einsammeln, welche jenes
einmal nöthig haben wird, — jenes Zeitalter, das den Heroismus
in die Erkenntniss trägt und
Kriege führt um der Gedanken und ihrer Folgen
willen. Dazu bedarf es für jetzt vieler vorbereitender tapferer
Menschen, welche doch nicht aus dem Nichts entspringen können —
und ebensowenig aus dem Sand und Schleim der jetzigen
Civilisation und Grossstadt-Bildung: Menschen, welche es
verstehen, schweigend, einsam, entschlossen, in unsichtbarer
Thätigkeit zufrieden und beständig zu sein: Menschen, die mit
innerlichem Hange an allen Dingen nach dem suchen, was an ihnen
zu überwinden ist:
Menschen, denen Heiterkeit, Geduld, Schlichtheit und Verachtung
der grossen Eitelkeiten ebenso zu eigen ist, als Grossmuth im
Siege und Nachsicht gegen die kleinen Eitelkeiten aller
Besiegten: Menschen mit einem scharfen und freien Urtheile über
alle Sieger und über den Antheil des Zufalls an jedem Siege und
Ruhme: Menschen mit eigenen Festen, eigenen Werktagen, eigenen
Trauerzeiten, gewohnt und sicher im Befehlen und gleich bereit,
wo es gilt, zu gehorchen, im Einen wie im Anderen gleich stolz,
gleich ihrer eigenen Sache dienend: gefährdetere Menschen,
fruchtbarere Menschen, glücklichere Menschen! Denn, glaubt es
mir! — das Geheimniss, um die grösste Fruchtbarkeit und den
grössten Genuss vom Dasein einzuernten, heisst: gefährlich leben ! Baut eure
Städte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere!
Lebt im Kriege mit Euresgleichen und mit euch selber! Seid
Räuber und Eroberer, so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer
sein könnt, ihr Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es
euch genug sein durfte, gleich scheuen Hirschen in Wäldern
versteckt zu leben! Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach
dem ausstrecken, was ihr gebührt: — sie wird
herrschen und
besitzen wollen, und ihr mit ihr!
[284]
Der Glaube an sich. —
Wenige Menschen überhaupt haben den Glauben an sich: — und von
diesen Wenigen bekommen ihn die Einen mit, als eine nützliche
Blindheit oder theilweise Verfinsterung ihres Geistes — (was
würden sie erblicken, wenn sie sich selber
auf den Grund sehen könnten!), die Anderen
müssen ihn sich erst erwerben: Alles, was sie Gutes, Tüchtiges,
Grosses thun, ist zunächst ein Argument gegen den Skeptiker, der
in ihnen haust: es gilt, diesen
zu überzeugen oder zu überreden, und dazu bedarf es beinahe
des Genie’s. Es sind die grossen Selbst-Ungenügsamen.
[285]
Excelsior! — „Du wirst
niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr im
endlosen Vertrauen ausruhen — du versagst es dir, vor einer
letzten Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehen zu bleiben
und deine Gedanken abzuschirren — du hast keinen fortwährenden
Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten — du lebst ohne
den Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und
Gluthen in seinem Herzen trägt — es giebt für dich keinen
Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr — es giebt keine
Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir
geschehen wird — deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen,
wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat, du wehrst dich
gegen irgend einen letzten Frieden, du willst die ewige
Wiederkunft von Krieg und Frieden: — Mensch der Entsagung, in
Alledem willst du entsagen? Wer wird dir die Kraft dazu geben?
Noch hatte Niemand diese Kraft!“ — Es giebt einen See, der es
sich eines Tages versagte, abzufliessen, und einen Damm dort
aufwarf, wo er bisher abfloss: seitdem steigt dieser See immer
höher. Vielleicht wird gerade jene Entsagung uns auch die Kraft
verleihen, mit der die Entsagung selber ertragen werden kann;
vielleicht wird der Mensch von da an immer höher steigen, wo er
nicht mehr in einen Gott
ausfliesst .
[286]
Zwischenrede. — Hier sind
Hoffnungen; was werdet ihr aber von ihnen sehen und hören, wenn
ihr nicht in euren eigenen Seelen Glanz und Gluth und
Morgenröthen erlebt habt? Ich kann nur erinnern — mehr kann ich
nicht! Steine bewegen, Thiere zu Menschen machen — wollt ihr das
von mir? Ach, wenn ihr noch Steine und Thiere seid, so sucht
euch erst euren Orpheus!
[287]
Lust an der Blindheit. —
„Meine Gedanken, sagte der Wanderer zu seinem Schatten, sollen
mir anzeigen, wo ich stehe: aber sie sollen mir nicht verrathen,
wohin ich gehe .
Ich liebe die Unwissenheit um die Zukunft und will nicht an der
Ungeduld und dem Vorwegkosten verheissener Dinge zu Grunde
gehen.“
[288]
Hohe Stimmungen. — Mir
scheint es, dass die meisten Menschen an hohe Stimmungen
überhaupt nicht glauben, es sei denn für Augenblicke, höchstens
Viertelstunden, — jene Wenigen ausgenommen, welche eine längere
Dauer des hohen Gefühls aus Erfahrung kennen. Aber gar der
Mensch Eines hohen Gefühls, die Verkörperung einer einzigen
grossen Stimmung sein — das ist bisher nur ein Traum und eine
entzückende Möglichkeit gewesen: die Geschichte giebt uns noch
kein sicheres Beispiel davon. Trotzdem könnte sie einmal auch
solche Menschen gebären — dann, wenn eine Menge günstige
Vorbedingungen geschaffen und festgestellt worden sind, die
jetzt auch der glücklichste Zufall nicht zusammenzuwürfeln
vermag. Vielleicht wäre diesen zukünftigen Seelen eben Das der
gewöhnliche Zustand, was bisher als die mit Schauder empfundene
Ausnahme hier und da einmal in unseren Seelen eintrat: eine
fortwährende Bewegung zwischen hoch und tief und das Gefühl von
hoch und tief, ein beständiges Wie-auf-Treppen-steigen und
zugleich Wie-auf-Wolken-ruhen.
[289]
Auf die Schiffe! — Erwägt
man, wie auf jeden Einzelnen eine philosophische
Gesammt-Rechtfertigung seiner Art, zu leben und zu denken, wirkt
— nämlich gleich einer wärmenden, segnenden, befruchtenden,
eigens ihm leuchtenden Sonne, wie sie unabhängig von Lob und
Tadel, selbstgenugsam, reich, freigebig an Glück und Wohlwollen
macht, wie sie unaufhörlich das Böse zum Guten umschafft, alle
Kräfte zum Blühen und Reifwerden bringt und das kleine und
grosse Unkraut des Grams und der Verdriesslichkeit gar nicht
aufkommen lässt: — so ruft man zuletzt verlangend aus: oh dass
doch viele solche neue Sonnen noch geschaffen würden! Auch der
Böse, auch der Unglückliche, auch der Ausnahme-Mensch soll seine
Philosophie, sein gutes Recht, seinen Sonnenschein haben! Nicht
Mitleiden mit ihnen thut noth! — diesen Einfall des Hochmuths
müssen wir verlernen, so lange auch bisher die Menschheit gerade
an ihm gelernt und geübt hat — keine Beichtiger,
Seelenbeschwörer und Sündenvergeber haben wir für sie
aufzustellen! Sondern eine neue
Gerechtigkeit thut noth! Und eine neue Losung!
Und neue Philosophen! Auch die moralische Erde ist rund! Auch
die moralische Erde hat ihre Antipoden! Auch die Antipoden haben
ihr Recht des Daseins! Es giebt noch eine andere Welt zu
entdecken — und mehr als eine! Auf die Schiffe, ihr Philosophen!
[290]
Eins ist Noth. — Seinem
Charakter „Stil geben“ — eine grosse und seltene Kunst! Sie übt
Der, welcher Alles übersieht, was seine Natur an Kräften und
Schwächen bietet, und es dann einem künstlerischen Plane
einfügt, bis ein Jedes als Kunst und Vernunft erscheint und auch
die Schwäche noch das Auge entzückt. Hier ist eine grosse Masse
zweiter Natur hinzugetragen worden, dort ein Stück erster Natur
abgetragen: — beidemal mit langer Uebung und täglicher Arbeit
daran. Hier ist das Hässliche, welches sich nicht abtragen
liess, versteckt, dort ist es in’s Erhabene umgedeutet. Vieles
Vage, der Formung Widerstrebende ist für Fernsichten aufgespart
und ausgenutzt worden: — es soll in das Weite und Unermessliche
hinaus winken. Zuletzt, wenn das Werk vollendet ist, offenbart
sich, wie es der Zwang des selben Geschmacks war, der im Grossen
und Kleinen herrschte und bildete: ob der Geschmack ein guter
oder ein schlechter war, bedeutet weniger, als man denkt, —
genug, dass es Ein Geschmack ist! — Es werden die starken,
herrschsüchtigen Naturen sein, welche in einem solchen Zwange,
in einer solchen Gebundenheit und Vollendung unter dem eigenen
Gesetz ihre feinste Freude geniessen; die Leidenschaft ihres
gewaltigen Wollens erleichtert sich beim Anblick aller
stilisirten Natur, aller besiegten und dienenden Natur; auch
wenn sie Paläste zu bauen und Gärten anzulegen haben,
widerstrebt es ihnen, die Natur frei zu geben. — Umgekehrt sind
es die schwachen, ihrer selber nicht mächtigen Charaktere,
welche die Gebundenheit des Stils
hassen : sie fühlen, dass, wenn ihnen dieser
bitterböse Zwang auferlegt würde, sie unter ihm gemein werden müssten: — sie
werden Sclaven, sobald sie dienen, sie hassen das Dienen. Solche
Geister — es können Geister ersten Ranges sein — sind immer
darauf aus, sich selber und ihre Umgebungen als freie Natur — wild, willkürlich,
phantastisch, unordentlich, überraschend — zu gestalten oder
auszudeuten: und sie thun wohl daran, weil sie nur so sich
selber wohlthun! Denn Eins ist Noth: dass der Mensch seine
Zufriedenheit mit sich erreiche
— sei es nun durch diese oder jene Dichtung und Kunst: nur
dann erst ist der Mensch überhaupt erträglich anzusehen! Wer mit
sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu
rächen: wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur
darin, dass wir immer seinen hässlichen Anblick zu ertragen
haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht und
düster.
[291]
Genua. — Ich habe mir
diese Stadt, ihre Landhäuser und Lustgärten und den weiten
Umkreis ihrer bewohnten Höhen und Hänge eine gute Weile
angesehen; endlich muss ich sagen: ich sehe
Gesichter aus vergangenen Geschlechtern, —
diese Gegend ist mit den Abbildern kühner und selbstherrlicher
Menschen übersäet. Sie haben
gelebt und haben fortleben wollen — das sagen
sie mir mit ihren Häusern, gebaut und geschmückt für
Jahrhunderte und nicht für die flüchtige Stunde: sie waren dem
Leben gut, so böse sie oft gegen sich gewesen sein mögen. Ich
sehe immer den Bauenden, wie er mit seinen Blicken auf allem
fern und nah um ihn her Gebauten ruht und ebenso auf Stadt, Meer
und Gebirgslinien, wie er mit diesem Blick Gewalt und Eroberung
ausübt: Alles diess will er
seinem Plane einfügen und zuletzt zu seinem
Eigenthum machen, dadurch
dass es ein Stück desselben wird. Diese ganze Gegend ist mit
dieser prachtvollen unersättlichen Selbstsucht der Besitz- und
Beutelust überwachsen; und wie diese Menschen in der Ferne keine
Grenze anerkannten und in ihrem Durste nach Neuem eine neue Welt
neben die alte hinstellten, so empörte sich auch in der Heimat
immer noch Jeder gegen Jeden und erfand eine Weise, seine
Ueberlegenheit auszudrücken und zwischen sich und seinen Nachbar
seine persönliche Unendlichkeit dazwischen zu legen. Jeder
eroberte sich seine Heimat noch einmal für sich, indem er sie
mit seinen architektonischen Gedanken überwältigte und gleichsam
zur Augenweide seines Hauses umschuf. Im Norden imponirt das
Gesetz und die allgemeine Lust an Gesetzlichkeit und Gehorsam,
wenn man die Bauweise der Städte ansieht: man erräth dabei jenes
innerliche Sich-Gleichsetzen, Sich-Einordnen, welches die Seele
aller Bauenden beherrscht haben muss. Hier aber findest du, um
jede Ecke biegend, einen Menschen für sich, der das Meer, das
Abenteuer und den Orient kennt, einen Menschen, welcher dem
Gesetze und dem Nachbar wie einer Art von Langerweile abhold ist
und der alles schon Begründete, Alte mit neidischen Blicken
misst: er möchte, mit einer wundervollen Verschmitztheit der
Phantasie, diess Alles mindestens im Gedanken noch einmal neu
gründen, seine Hand darauf-, seinen Sinn hineinlegen — sei es
auch nur für den Augenblick eines sonnigen Nachmittags, wo seine
unersättliche und melancholische Seele einmal Sattheit fühlt,
und seinem Auge nur Eigenes und nichts Fremdes mehr sich zeigen
darf.
[292]
An die Moral-Prediger. —
Ich will keine Moral machen, aber Denen, welche es thun, gebe
ich diesen Rath: wollt ihr die besten Dinge und Zustände zuletzt
um alle Ehre und Werth bringen, so fahrt fort, sie in den Mund
zu nehmen, wie bisher! Stellt sie an die Spitze eurer Moral und
redet von früh bis Abend von dem Glück der Tugend, von der Ruhe
der Seele, von der Gerechtigkeit und der immanenten Vergeltung:
so wie ihr es treibt, bekommen alle diese guten Dinge dadurch
endlich eine Popularität und ein Geschrei der Gasse für sich:
aber dann wird auch alles Gold daran abgegriffen sein und mehr
noch: alles Gold darin
wird sich in Blei verwandelt haben. Wahrlich, ihr versteht euch
auf die umgekehrte Kunst der Alchymie, auf die Entwerthung des
Werthvollsten! Greift einmal zum Versuche nach einem andern
Recepte, um nicht wie bisher das Gegentheil von dem, was ihr
sucht, zu erreichen: leugnet
jene guten Dinge, entzieht ihnen den Pöbel-Beifall und den
leichten Umlauf, macht sie wieder zu verborgenen
Schamhaftigkeiten einsamer Seelen, sagt,
Moral sei etwas Verbotenes ! Vielleicht gewinnt
ihr so die Art von Menschen für diese Dinge, auf welche einzig
Etwas ankommt, ich meine die
Heroischen . Aber dann muss Etwas zum Fürchten
daran sein und nicht, wie bisher, zum Ekeln! Möchte man nicht
heute in Hinsicht der Moral sagen, wie Meister Eckardt: „ich
bitte Gott, dass er mich quitt mache Gottes!“
[293]
Unsere Luft. — Wir wissen
es wohl: wer nur wie im Spazierengehen einmal einen Blick nach
der Wissenschaft hin thut, nach Art der Frauen und leider auch
vieler Künstler: für den hat die Strenge ihres Dienstes, diese
Unerbittlichkeit im Kleinen wie im Grossen, diese Schnelligkeit
im Wägen, Urtheilen, Verurtheilen etwas Schwindel- und
Furchteinflössendes. Namentlich erschreckt ihn, wie hier das
Schwerste gefordert, das Beste gethan wird, ohne dass dafür Lob
und Auszeichnungen da sind, vielmehr, wie unter Soldaten, fast
nur Tadel und scharfe Verweise
laut werden , — denn das Gutmachen gilt als die
Regel, das Verfehlte als die Ausnahme; die Regel aber hat hier
wie überall einen schweigsamen Mund. Mit dieser „Strenge der
Wissenschaft“ steht es nun wie mit der Form und Höflichkeit der
allerbesten Gesellschaft: — sie erschreckt den Uneingeweihten.
Wer aber an sie gewöhnt ist, mag gar nicht anderswo leben, als
in dieser hellen, durchsichtigen, kräftigen, stark elektrischen
Luft, in dieser männlichen
Luft. Ueberall sonst ist es ihm nicht reinlich und luftig
genug: er argwöhnt, dass dort
seine beste Kunst Niemandem recht von Nutzen und ihm selber
nicht zur Freude sein werde, dass unter Missverständnissen ihm
sein halbes Leben durch die Finger schlüpfe, dass fortwährend
viel Vorsicht, viel Verbergen und Ansichhalten noth thue, —
lauter grosse und unnütze Einbussen an Kraft! In diesem strengen und klaren
Elemente aber hat er seine Kraft ganz: hier kann er fliegen!
Wozu sollte er wieder hinab in jene trüben Gewässer, wo man
schwimmen und waten muss und seine Flügel missfarbig macht! —
Nein! Da ist es zu schwer für uns, zu leben: was können wir
dafür, dass wir für die Luft, die reine Luft geboren sind, wir
Nebenbuhler des Lichtstrahls, und dass wir am liebsten auf
Aetherstäubchen, gleich ihm, reiten würden und nicht von der
Sonne weg, sondern zu der Sonne
hin ! Das aber können wir nicht: — so wollen
wir denn thun, was wir einzig können: der Erde Licht bringen,
„das Licht der Erde“ sein! Und dazu haben wir unsere Flügel und
unsere Schnelligkeit und Strenge, um dessenthalben sind wir
männlich und selbst schrecklich, gleich dem Feuer. Mögen Die uns
fürchten, welche sich nicht an uns zu wärmen und zu erhellen
verstehen!
[294]
Gegen die Verleumder der Natur. —
Das sind mir unangenehme Menschen, bei denen jeder
natürliche Hang sofort zur Krankheit wird, zu etwas
Entstellendem oder gar Schmählichem, —
diese haben uns zu der Meinung verführt, die
Hänge und Triebe des Menschen seien böse;
sie sind die Ursache unserer grossen
Ungerechtigkeit gegen unsere Natur, gegen alle Natur! Es giebt
genug Menschen, die sich ihren Trieben mit Anmuth und
Sorglosigkeit überlassen dürfen
: aber sie thun es nicht, aus Angst vor jenem eingebildeten
„bösen Wesen“ der Natur! Daher
ist es gekommen, dass so wenig Vornehmheit unter den
Menschen zu finden ist: deren Kennzeichen es immer sein wird,
vor sich keine Furcht zu haben, von sich nichts Schmähliches zu
erwarten, ohne Bedenken zu fliegen, wohin es uns treibt — uns
freigeborene Vögel! Wohin wir auch nur kommen, immer wird es
frei und sonnenlicht um uns sein.
[295]
Kurze Gewohnheiten. — Ich
liebe die kurzen Gewohnheiten und halte sie für das unschätzbare
Mittel, viele
Sachen und Zustände kennen zu lernen und hinab bis auf den Grund
ihrer Süssen und Bitterkeiten; meine Natur ist ganz für kurze
Gewohnheiten eingerichtet, selbst in den Bedürfnissen ihrer
leiblichen Gesundheit und überhaupt
soweit ich nur sehen kann: vom Niedrigen bis
zum Höchsten. Immer glaube ich,
diess werde mich nun dauernd befriedigen — auch
die kurze Gewohnheit hat jenen Glauben der Leidenschaft, den
Glauben an die Ewigkeit — und ich sei zu beneiden, es gefunden
und erkannt zu haben: — und nun nährt es mich am Mittage und am
Abende und verbreitet eine tiefe Genügsamkeit um sich und in
mich hinein, sodass mich nach Anderem nicht verlangt, ohne dass
ich zu vergleichen oder zu verachten oder zu hassen hätte. Und
eines Tages hat es seine Zeit gehabt: die gute Sache scheidet
von mir, nicht als Etwas, das mir nun Ekel einflösst — sondern
friedlich und an mir gesättigt, wie ich an ihm, und wie als ob
wir einander dankbar sein müssten und uns
so die Hände zum Abschied reichten. Und schon
wartet das Neue an der Thüre und ebenso mein Glaube — der
unverwüstliche Thor und Weise! — diess Neue werde das Rechte,
das letzte Rechte sein. So geht es mir mit Speisen, Gedanken,
Menschen, Städten, Gedichten, Musiken, Lehren, Tagesordnungen,
Lebensweisen. — Dagegen hasse ich die
dauernden Gewohnheiten und meine, dass ein
Tyrann in meine Nähe kommt und dass meine Lebensluft sich
verdickt , wo die Ereignisse
sich so gestalten, dass dauernde Gewohnheiten daraus mit
Nothwendigkeit zu wachsen scheinen: zum Beispiel durch ein Amt,
durch ein beständiges Zusammensein mit den selben Menschen,
durch einen festen Wohnsitz, durch eine einmalige Art
Gesundheit. Ja, ich bin allem meinem Elend und Kranksein, und
was nur immer unvollkommen an mir ist, — im untersten Grunde
meiner Seele erkenntlich gesinnt, weil dergleichen mir hundert
Hinterthüren lässt, durch die ich den dauernden Gewohnheiten
entrinnen kann. — Das Unerträglichste freilich, das eigentlich
Fürchterliche, wäre mir ein Leben ganz ohne Gewohnheiten, ein
Leben, das fortwährend die Improvisation verlangt: — diess wäre
meine Verbannung und mein Sibirien.
[296]
Der feste Ruf. — Der
feste Ruf war ehedem eine Sache der äussersten Nützlichkeit; und
wo nur immer die Gesellschaft noch vom Heerden-Instinct
beherrscht wird, ist es auch jetzt noch für jeden Einzelnen am
zweckmässigsten, seinen Charakter und seine Beschäftigung als
unveränderlich zu geben
, — selbst wenn sie es im Grunde nicht sind. „Man kann sich
auf ihn verlassen, er bleibt sich gleich“: — das ist in allen
gefährlichen Lagen der Gesellschaft das Lob, welches am meisten
zu bedeuten hat. Die Gesellschaft fühlt mit Genugthuung, ein
zuverlässiges, jederzeit bereites
Werkzeug in der Tugend Dieses, in dem Ehrgeize
Jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des Dritten zu
haben, — sie ehrt diese
Werkzeug-Natur , diess Sich-Treubleiben, diese
Unwandelbarkeit in Ansichten, Bestrebungen, und selbst in
Untugenden, mit ihren höchsten Ehren. Eine solche Schätzung,
welche überall zugleich mit der Sittlichkeit der Sitte blüht und
geblüht hat, erzieht „Charaktere“ und bringt alles Wechseln,
Umlernen, Sich-Verwandeln in
Verruf . Diess ist nun jedenfalls, mag sonst
der Vortheil dieser Denkweise noch so gross sein, für die Erkenntniss die
allerschädlichste Art des allgemeinen Urtheils: denn gerade der
gute Wille des Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen seine bisherige Meinung zu
erklären und überhaupt in Bezug auf Alles, was in uns fest werden will, misstrauisch
zu sein, — ist hier verurtheilt und in Verruf gebracht. Die
Gesinnung des Erkennenden als im Widerspruch mit dem „festen
Rufe“ gilt als unehrenhaft
, während die Versteinerung der Ansichten alle Ehre für
sich hat: — unter dem Banne solcher Geltung müssen wir heute
noch leben! Wie schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler
Jahrtausende gegen sich und um sich fühlt! Es ist
wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit dem
schlechten Gewissen behaftet war, und dass viel Selbstverachtung
und geheimes Elend in der Geschichte der grössten Geister
gewesen sein muss.
[297]
Widersprechen können. —
Jeder weiss jetzt, dass Widerspruch-Vertragen-können ein hohes
Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der höhere
Mensch den Widerspruch gegen sich wünscht und hervorruft, um
einen Fingerzeig über seine ihm bisher unbekannte
Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber das Widersprechen- Können , das erlangte gute Gewissen bei der
Feindseligkeit gegen das Gewohnte, Ueberlieferte, Geheiligte, —
das ist mehr als jenes Beides und das eigentlich Grosse, Neue,
Erstaunliche unserer Cultur, der Schritt aller Schritte des
befreiten Geistes: wer weiss das? —
[297]
Kunnen tegenspreken . — Iedereen weet nu wel, dat
het kunnen verdragen van tegenspraak een teken van hoge cultuur
is. Sommigen weten zelfs dat de hogere mens graag tegenspraak
krijgt en ook bewust oproept. Voor hem kan dat een vingerwijzing
zijn met betrekking tot ee, hem tot dan toe onbekende
onrechtmatigheid. Maar het kunnen tegenspreken, dat
men zich een goed geweten heeft verworven terwijl men
al het gebruikelijke, het overgeleverde, het geheiligde vijandig
gezind is. — dat is meer dan die eerste twee tesamen. Dat is het
echt grote, nieuwe, verbazingwekkende van onze cultuur, de alles
overtreffende stap/trap van de bevrijde geest: wie weet dat? —
[298]
Seufzer. — Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs
und nahm rasch die nächsten schlechten Worte, sie festzumachen,
damit sie mir nicht wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an
diesen dürren Worten gestorben und hängt und schlottert in ihnen —
und ich weiss kaum mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches
Glück haben konnte, als ich diesen Vogel fieng.
[298]
Verzuchting . – Ik ving dit inzicht onderweg op en
greep snel de dichtstbijzijnde slechte woorden om het vast te
leggen, om te voorkomen dat het me weer zou ontvliegen. En nu is
het voor mijn ogen aan deze dorre woorden gestorven en hangt en
sloddert in hen – en als ik ernaar kijk, weet ik nauwelijks meer,
hoe ik zo gelukkig kon zijn, toen ik deze vogel ving.
[299]
Was man den Künstlern ablernen soll. —
Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schön, anziehend,
begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind? — und ich meine,
sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas
zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdünnen oder Wein
und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von den
Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche
Erfindungen und Kunststücke zu machen. Sich von den Dingen
entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles
hinzusehen muss, um sie noch zu
sehen — oder die Dinge um die Ecke und wie in
einem Ausschnitte sehen — oder sie so stellen, dass sie sich
theilweise verstellen und nur perspectivische Durchblicke
gestatten — oder sie durch gefärbtes Glas oder im Lichte der
Abendröthe anschauen — oder ihnen eine Oberfläche und Haut geben,
welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den
Künstlern ablernen und im Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei
ihnen hört gewöhnlich diese ihre feine Kraft auf, wo die Kunst
aufhört und das Leben beginnt; wir
aber wollen die Dichter unseres Lebens sein, und im
Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.
[299]
Wat men van de kunstenaars moet leren. Welke
middelen hebben we om voor ons de dingen mooi, aantrekkelijk,
begerenswaardig te maken, als ze dat niet zijn? – en ze zijn dat
van zichzelf nooit, denk ik ! Hier kunnen we iets leren van de
artsen, die bijvoorbeeld het bittere verdunnen of wijn en suiker
in de mengkroes doen; maar nog meer van de kunstenaars, die er
eigenlijk voortdurend op uit zijn zulke dingen uit te vinden,
kunststukken te verrichten. Zich van de dingen verwijderen, totdat
men veel ervan niet meer ziet en er veel bij moet zien, om
ze nog te zien – of de dingen om de hoek en als in een
uitsnede (gekadreerd?) te zien – of ze zo voorstellen, dat ze zich
gedeeltelijk verstellen en enkel perspectivische doorkijkjes
toestaan – of ze door gekleurd glas of in het licht van het
avondrood bekijken – of ze een oppervlak en een huid geven die
niet helemaal transparant is: dat alles moeten we van de
kunstenaars leren en voor het overige wijzer zijn, dan zij. Want
bij hen houdt dit fijnzinnig vermogen gewoonlijk op, waar de kunst
ophoudt en het leven begint, maar wij willen de
dichters van ons leven zijn, en met het kleinste en meest
alledaagse beginnen
[300]
Vorspiele der Wissenschaft. —
Glaubt ihr denn, dass die Wissenschaften entstanden und gross
geworden wären, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten,
Astrologen und Hexen vorangelaufen wären als Die, welche mit ihren
Verheissungen und Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und
Wohlgeschmack an verborgenen und
verbotenen Mächten schaffen mussten? Ja, dass
unendlich mehr hat verheissen
werden müssen, als je erfüllt werden kann, damit überhaupt
Etwas im Reiche der Erkenntniss sich erfülle? — Vielleicht
erscheint in gleicher Weise, wie uns sich hier Vorspiele und
Vorübungen der Wissenschaft darstellen, die durchaus nicht als solche geübt und
empfunden wurden, auch irgend einem fernen Zeitalter die gesammte
Religion als Uebung
und Vorspiel: vielleicht könnte sie das seltsame Mittel dazu
gewesen sein, dass einmal einzelne Menschen die ganze
Selbstgenügsamkeit eines Gottes und alle seine Kraft der
Selbsterlösung geniessen können: Ja! — darf man fragen — würde
denn der Mensch überhaupt ohne jene religiöse Schule und
Vorgeschichte es gelernt haben, nach
sich Hunger und Durst zu spüren und aus
sich Sattheit und Fülle zu
nehmen? Musste Prometheus erst
wähnen , das Licht
gestohlen zu haben und dafür büssen, — um endlich
zu entdecken, dass er das Licht geschaffen habe,
indem er nach dem Lichte begehrte , und dass
nicht nur der Mensch, sondern auch der
Gott das Werk
seiner Hände und Thon in seinen Händen gewesen
sei? Alles nur Bilder des Bildners? — ebenso wie der Wahn, der
Diebstahl, der Kaukasus, der Geier und die ganze tragische
Prometheia aller Erkennenden?
[300]
wetenschappelijke preludes . — Geloven jullie echt,
dat de wetenschappen vanzelf zijn ontstaan en tot bloei gekomen?
Zou niet eerst een stoet tovenaars, alchemisten, astrologen en
heksen de weg voor hen hebben moeten banen? Zij hebben immers met
hun beloften en illusies eerst dorst en honger naar
verborgen en verboden krachten gecreeërd. Eetlust,
appetijt. En er moest ook oneindig veel meer beloofd
worden dan er ooit vervuld zou kunnen worden, opdat er tenminste
toch nog iets van de grond zou komen in het rijk der kennis —
Wellicht komt - ooit - ook nog wel eens aan het licht dat voor
alles wat met religie te maken heeft, iets
soortgelijks geldt. Dat wil zeggen, Wellicht was ook religie een
oefening een voorspel, om van goddelijke vermogens zoals
zelfgenoegzaamheid en zelfverlossing te kunnen proeven, net zoals
zoals bij de voorspelen en vooroefeningen van de wetenschap, die
natuurlijk helemaal niet als zodanig werden beoefend en ervaren.
Ja!, dan zou je je ook kunnen afvragen of de mens zonder die
religieuze school en voorgeschiedenis überhaupt zou hebben geleerd
om honger en dorst te voelen, en uit zichzelf verzadiging en
volheid te putten? Moest Prometheus eerst in de waan
verkeren dat hij het licht had gestolen en
daarvoor boeten — om tenslotte te ontdekken dat hij het licht had
geschapen juist doordat hij het licht begeerde en dat
niet alleen de mens, maar ook de god het werk van
zijn handen en de klei in zijn handen was? Allemaal
beelden van de beeldhouwer? — net als de waanzin, de diefstal, de
Kaukasus, de gier, en de hele tragische Prometheia
van iedereen die kennis zoekt?
[301]
Wahn der Contemplativen. —
Die hohen Menschen unterscheiden sich von den niederen dadurch,
dass sie unsäglich mehr sehen und hören und denkend sehen und
hören — und eben diess unterscheidet den Menschen vom Thiere und
die oberen Thiere von den unteren. Die Welt wird für Den immer
voller, welcher in die Höhe der Menschlichkeit hinauf wächst; es
werden immer mehr Angelhaken des Interesses nach ihm
ausgeworfen; die Menge seiner Reize ist beständig im Wachsen und
ebenso die Menge seiner Arten von Lust und Unlust, — der höhere
Mensch wird immer zugleich glücklicher und unglücklicher. Dabei
aber bleibt ein Wahn
sein beständiger Begleiter: er meint, als
Zuschauer und
Zuhörer vor das grosse Schau- und Tonspiel
gestellt zu sein, welches das Leben ist: er nennt seine Natur
eine contemplative
und übersieht dabei, dass er selber auch der eigentliche Dichter
und Fortdichter des Lebens ist, — dass er sich freilich vom
Schauspieler dieses Drama’s,
dem sogenannten handelnden Menschen, sehr unterscheidet, aber
noch mehr von einem blossen Betrachter und Festgaste vor der Bühne. Ihm, als dem
Dichter, ist gewiss vis contemplativa und der Rückblick auf sein
Werk zu eigen, aber zugleich und vorerst die vis creativa,
welche dem handelnden Menschen
fehlt , was auch der Augenschein und der
Allerweltsglaube sagen mag. Wir, die Denkend-Empfindenden, sind
es, die wirklich und immerfort Etwas
machen , das noch nicht da ist: die ganze ewig
wachsende Welt von Schätzungen, Farben, Gewichten, Perspectiven,
Stufenleitern, Bejahungen und Verneinungen. Diese von uns
erfundene Dichtung wird fortwährend von den sogenannten
practischen Menschen (unsern Schauspielern wie gesagt)
eingelernt, eingeübt, in Fleisch und Wirklichkeit, ja
Alltäglichkeit übersetzt. Was nur
Werth hat in der jetzigen Welt, das hat ihn
nicht an sich, seiner Natur nach, — die Natur ist immer
werthlos: — sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben,
geschenkt, und wir
waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt,
die den Menschen Etwas angeht
, geschaffen! — Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn
wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im
nächsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft und
schätzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, — wir
sind weder so stolz, noch so
glücklich , als wir sein könnten.
[302]
Gefahr des Glücklichsten. —
Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das Ausgesuchte
und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und nächste Kost
gewöhnt sein; einer starken, kühnen, verwegenen Seele geniessen;
mit ruhigem Auge und festem Schritt durch das Leben gehen, immer
zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste und voll des
Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren, Menschen und
Göttern; auf jede heitere Musik hinhorchen, als ob dort wohl
tapfere Männer, Soldaten, Seefahrer sich eine kurze Rast und
Lust machen, und im tiefsten Genusse des Augenblicks überwältigt
werden von Thränen und von der ganzen purpurnen Schwermuth des
Glücklichen: wer möchte nicht, dass das Alles gerade sein Besitz, sein Zustand wäre!
Es war das Glück Homer’s
! Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre Götter, — nein,
sich selber seine
Götter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem
Glücke Homer’s in der Seele ist man auch das leidensfähigste
Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis kauft man die
kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an’s
Ufer gespült haben! Man wird als ihr Besitzer immer feiner im
Schmerz und zuletzt zu fein: ein kleiner Missmuth und Ekel
genügte am Ende, um Homer das Leben zu verleiden. Er hatte ein
thörichtes Räthselchen, das ihm junge Fischer aufgaben, nicht zu
rathen vermocht! Ja, die kleinen Räthsel sind die Gefahr der
Glücklichsten! —
[303]
Zwei Glückliche. —
Wahrlich, dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf
die Improvisation des Lebens
und setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: — es
scheint nämlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon
fortwährend das gewagteste Spiel spielt. Man wird an jene
improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch der
Zuhörer eine göttliche
Unfehlbarkeit der Hand zuschreiben möchte,
trotzdem, dass sie sich hier und da vergreifen, wie jeder
Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geübt und erfinderisch,
und im Augenblicke immer bereit, den zufälligsten Ton, wohin ein
Wurf des Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das
thematische Gefüge einzuordnen und dem Zufalle einen schönen
Sinn und eine Seele einzuhauchen. — Hier ist ein ganz anderer
Mensch: dem missräth im Grunde Alles, was er will und plant.
Das, woran er gelegentlich sein Herz gehängt hat, brachte ihn
schon einige Male an den Abgrund und in die nächste Nähe des
Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch gewiss
nicht nur „mit einem blauen Auge“. Glaubt ihr, dass er darüber
unglücklich ist? Er hat längst bei sich beschlossen, eigene
Wünsche und Pläne nicht so wichtig zu nehmen. „Gelingt mir Diess
nicht, so redet er sich zu, dann gelingt mir vielleicht Jenes;
und im Ganzen weiss ich nicht, ob ich nicht meinem Misslingen
mehr zu Danke verpflichtet bin, als irgend welchem Gelingen. Bin
ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und die Hörner des Stieres
zu tragen? Das, was mir
Werth und Ergebniss des Lebens ausmacht, liegt wo anders;
mein Stolz und ebenso mein Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr
vom Leben, weil ich so oft daran war, es zu verlieren: und eben
darum habe ich
mehr vom Leben, als ihr Alle!“
[304]
Indem wir thun, lassen wir. —
Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche sagen:
„Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!“ — ich bin dagegen
jenen Moralen gut, welche mich antreiben, Etwas zu thun und
wieder zu thun und von früh bis Abend, und Nachts davon zu
träumen, und an gar Nichts zu denken als: diess gut zu thun, so gut als es eben
mir allein möglich
ist! Wer so lebt, von dem fällt fortwährend Eins um das Andere
ab, was nicht zu einem solchen Leben gehört: ohne Hass und
Widerwillen sieht er heute Diess und morgen Jenes von sich
Abschied nehmen, den vergilbten Blättern gleich, welche jedes
bewegtere Lüftchen dem Baume entführt: oder er sieht gar nicht,
dass es Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach seinem
Ziele und überhaupt vorwärts, nicht seitwärts, rückwärts,
abwärts. „Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: indem wir
thun, lassen wir“ — so gefällt es mir, so lautet mein placitum. Aber ich will
nicht mit offenen Augen meine Verarmung anstreben, ich mag alle
negativen Tugenden nicht, — Tugenden, deren Wesen das Verneinen
und Sichversagen selber ist.
[305]
Selbstbeherrschung. —
Jene Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen
anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit eine
eigenthümliche Krankheit über ihn: nämlich eine beständige
Reizbarkeit bei allen natürlichen Regungen und Neigungen und
gleichsam eine Art Juckens. Was auch fürderhin ihn stossen,
ziehen, anlocken, antreiben mag, von innen oder von aussen her —
immer scheint es diesem Reizbaren, als ob jetzt seine
Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich keinem
Instincte, keinem freien Flügelschlage mehr anvertrauen, sondern
steht beständig mit abwehrender Gebärde da, bewaffnet gegen sich
selber, scharfen und misstrauischen Auges, der ewige Wächter
seiner Burg, zu der er sich gemacht hat. Ja, er kann gross damit sein! Aber wie
unausstehlich ist er nun für Andere geworden, wie schwer für
sich selber, wie verarmt und abgeschnitten von den schönsten
Zufälligkeiten der Seele! Ja auch von aller weiteren Belehrung ! Denn man muss sich
auf Zeiten verlieren können, wenn man den Dingen, die wir nicht
selber sind, Etwas ablernen will.
[306]
Stoiker und Epikureer. —
Der Epikureer sucht sich die Lage, die Personen und selbst die
Ereignisse aus, welche zu seiner äusserst reizbaren
intellectuellen Beschaffenheit passen, er verzichtet auf das
Uebrige — das heisst das Allermeiste —, weil es eine zu starke
und schwere Kost für ihn sein würde. Der Stoiker dagegen übt
sich, Steine und Gewürm, Glassplitter und Skorpionen zu
verschlucken und ohne Ekel zu sein; sein Magen soll endlich
gleichgültig gegen Alles werden, was der Zufall des Daseins in
ihn schüttet: — er erinnert an jene arabische Secte der Assaua,
die man in Algier kennen lernt; und gleich diesen
Unempfindlichen hat auch er gerne ein eingeladenes Publicum bei
der Schaustellung seiner Unempfindlichkeit, dessen gerade der
Epikureer gerne enträth: — der hat ja seinen „Garten!“ Für
Menschen, mit denen das Schicksal improvisirt, für solche, die
in gewaltsamen Zeiten und abhängig von plötzlichen und
veränderlichen Menschen leben, mag der Stoicismus sehr rathsam
sein. Wer aber einigermaassen
absieht , dass das Schicksal ihm einen langen Faden zu spinnen
erlaubt, thut wohl, sich epikureisch einzurichten; alle Menschen
der geistigen Arbeit haben es bisher gethan! Ihnen wäre es
nämlich der Verlust der Verluste, die feine Reizbarkeit
einzubüssen und die stoische harte Haut mit Igelstacheln dagegen
geschenkt zu bekommen.
[307]
Zu Gunsten der Kritik. —
Jetzt erscheint dir Etwas als Irrthum, das du ehedem als eine
Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit geliebt hast: du stösst es von
dir ab und wähnst, dass deine Vernunft darin einen Sieg
erfochten habe. Aber vielleicht war jener Irrthum damals, als du
noch ein Anderer warst — du bist immer ein Anderer —, dir ebenso
nothwendig wie alle deine jetzigen „Wahrheiten“, gleichsam als
eine Haut, die dir Vieles verhehlte und verhüllte, was du noch
nicht sehen durftest. Dein neues Leben hat jene Meinung für dich
getödtet, nicht deine Vernunft:
du brauchst sie nicht mehr , und nun bricht sie
in sich selbst zusammen, und die Unvernunft kriecht wie ein
Gewürm aus ihr an’s Licht. Wenn wir Kritik üben, so ist es
nichts Willkürliches und Unpersönliches, — es ist, wenigstens
sehr oft, ein Beweis davon, dass lebendige treibende Kräfte in
uns da sind, welche eine Rinde abstossen. Wir verneinen und
müssen verneinen, weil Etwas in uns leben und sich bejahen
will , Etwas, das wir
vielleicht noch nicht kennen, noch nicht sehen! — Diess zu
Gunsten der Kritik.
[308]
Die Geschichte jedes Tages. —
Was macht bei dir die Geschichte jedes Tages? Siehe deine
Gewohnheiten an, aus denen sie besteht: sind sie das Erzeugniss
zahlloser kleiner Feigheiten und Faulheiten oder das deiner
Tapferkeit und erfinderischen Vernunft? So verschieden beide
Fälle sind, es wäre möglich, dass die Menschen dir das gleiche
Lob spendeten und dass du ihnen auch wirklich so wie so den
gleichen Nutzen brächtest. Aber Lob und Nutzen und
Respectabilität mögen genug für Den sein, der nur ein gutes
Gewissen haben will, — nicht aber für dich Nierenprüfer, der du
ein Wissen um das Gewissen
hast!
[309]
Aus der siebenten Einsamkeit. —
Eines Tages warf der Wanderer eine Thür hinter sich zu, blieb
stehen und weinte. Dann sagte er: „Dieser Hang und Drang zum
Wahren, Wirklichen, Un-Scheinbaren, Gewissen! Wie bin ich ihm
böse! Warum folgt mir
gerade dieser düstere und leidenschaftliche Treiber! Ich möchte
ausruhen, aber er lässt es nicht zu. Wie Vieles verführt mich
nicht, zu verweilen! Es giebt überall Gärten Armidens für mich:
und daher immer neue Losreissungen und neue Bitternisse des
Herzens! Ich muss den Fuss weiter heben, diesen müden,
verwundeten Fuss: und weil ich muss, so habe ich oft für das
Schönste, das mich nicht halten konnte, einen grimmigen
Rückblick, — weil
es mich nicht halten konnte!“
[310]
Wille und Welle. — Wie gierig
kommt diese Welle heran, als ob es Etwas zu erreichen gälte! Wie
kriecht sie mit furchterregender Hast in die innersten Winkel des
felsigen Geklüftes hinein! Es scheint, sie will Jemandem
zuvorkommen; es scheint, dass dort Etwas versteckt ist, das Werth,
hohen Werth hat. — Und nun kommt sie zurück, etwas langsamer,
immer noch ganz weiss vor Erregung, — ist sie enttäuscht? Hat sie
gefunden, was sie suchte? Stellt sie sich enttäuscht? — Aber schon
naht eine andere Welle, gieriger und wilder noch als die erste,
und auch ihre Seele scheint voll von Geheimnissen und dem Gelüste
der Schatzgräberei zu sein. So leben die Wellen, — so leben wir,
die Wollenden! — mehr sage ich nicht. — So? Ihr misstraut mir? Ihr
zürnt auf mich, ihr schönen Unthiere? Fürchtet ihr, dass ich euer
Geheimniss ganz verrathe? Nun! Zürnt mir nur, hebt eure grünen
gefährlichen Leiber so hoch ihr könnt, macht eine Mauer zwischen
mir und der Sonne — so wie jetzt! Wahrlich, schon ist Nichts mehr
von der Welt übrig, als grüne Dämmerung und grüne Blitze. Treibt
es wie ihr wollt, ihr Uebermüthigen, brüllt vor Lust und Bosheit —
oder taucht wieder hinunter, schüttet eure Smaragden hinab in die
tiefste Tiefe, werft euer unendliches weisses Gezottel von Schaum
und Gischt darüber weg — es ist mir Alles recht, denn Alles steht
euch so gut, und ich bin euch für Alles so gut: wie werde ich
euch verrathen! Denn — hört es
wohl! — ich kenne euch und euer Geheimniss, ich kenne euer
Geschlecht! Ihr und ich, wir sind ja aus Einem Geschlecht! — Ihr
und ich, wir haben ja Ein Geheimniss!
[310]
Wil en golf (onvertaalbaar, want in het Duits
woordgelijkenis) - Hoe gulzig komt deze golf eraan, alsof er iets
te bereiken valt! Hoe kruipt ze met vreeswekkende haast in de
binnenste hoeken van de rotskloof! Het lijkt wel alsof ze iemand
vóór wil zijn; het lijkt wel alsof daar iets verstopt is, iets van
waarde, grote waarde. – En nu komt ze terug, iets langzamer, nog
steeds helemaal wit van opwinding, – is ze teleurgesteld? Heeft ze
gevonden wat ze zocht? Is ze teleurgesteld? – Maar daar komt al
een andere golf aan, nog gulziger en wilder dan de eerste, en ook
haar ziel lijkt vol te zijn van geheimen en de lusten van de
schatgraverij. Zo leven de golven ( Wellen ) – zo
leven wij, de willenden (Wollenden) ! – meer zeg ik
niet. – Wat? Wantrouwt ge mij? Zijt ge toornig op mij, gij schone
ondieren ? Vreest gij, dat ik uw geheim geheel verraad? Welnu,
Stort uw toorn maar over mij uit, richt uw groene, gevaarlijke
lichamen maar op zo hoog ge kunt, bouwt maar een muur tussen mij
en de zon – zoals nu! Waarlijk, er is al niets meer over van de
wereld, dan groene schemering en groene bliksemschichten. Drijf
het maar door, zoals ge wilt, gij overmoedigen, brul maar van
wellust en boosheid – of duikt weer onder, schut uw smaragden af,
de diepste diepte in, en werpt uw eindeloze witte wirwar van
opspattend schuim erover heen – ik vind het allemaal best, want
alles staat u zo goed en ik ben u voor alles zo dankbaar: hoe zou
ik u verraden! Want – luister goed! – ik ken u en uw
geheim, ik ken uw geslacht/soort! Gij en ik, wij zijn immers uit
één geslacht! – Gij en ik, ons geheim is één.
[311]
Gebrochenes Licht. — Man
ist nicht immer tapfer, und wenn man müde wird, dann jammert
unser Einer auch wohl einmal in dieser Weise. „Es ist so schwer,
den Menschen wehe zu thun — oh, dass es nöthig ist! Was nützt es
uns, verborgen zu leben, wenn wir nicht Das für uns behalten
wollen, was Aergerniss giebt? Wäre es nicht räthlicher, im
Gewühle zu leben und an den Einzelnen gutzumachen, was an Allen
gesündigt werden soll und muss? Thöricht mit dem Thoren, eitel
mit dem Eitelen, schwärmerisch mit dem Schwärmer zu sein? Wäre
es nicht billig, bei einem solchen übermüthigen Grade der
Abweichung im Ganzen? Wenn ich von den Bosheiten Anderer gegen
mich höre, — ist nicht mein erstes Gefühl das einer Genugthuung?
So ist es recht! — scheine ich mir zu ihnen zu sagen — ich
stimme so wenig zu euch und habe so viel Wahrheit auf meiner
Seite: macht euch immerhin einen guten Tag auf meine Kosten, so
oft ihr könnt! Hier sind meine Mängel und Fehlgriffe, hier ist
mein Wahn, mein Ungeschmack, meine Verwirrung, meine Thränen,
meine Eitelkeit, meine Eulen-Verborgenheit, meine Widersprüche!
Hier habt ihr zu lachen! So lacht denn auch und freut euch! Ich
bin nicht böse auf Gesetz und Natur der Dinge, welche wollen,
dass Mängel und Fehlgriffe Freude machen! — Freilich, es gab
einmal „schönere“ Zeiten, wo man sich noch mit jedem
einigermaassen neuen Gedanken so
unentbehrlich fühlen konnte, um mit ihm auf die
Strasse zu treten und Jedermann zuzurufen: „Siehe! Das
Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ — Ich würde mich nicht
vermissen, wenn ich fehlte. Entbehrlich sind wir Alle!“ — Aber,
wie gesagt, so denken wir nicht, wenn wir tapfer sind; wir
denken nicht daran
.
[312]
Mein Hund. — Ich habe meinem
Schmerze einen Namen gegeben und rufe ihn „Hund“, — er ist ebenso
treu, ebenso zudringlich und schamlos, ebenso unterhaltend, ebenso
klug, wie jeder andere Hund — und ich kann ihn anherrschen und
meine bösen Launen an ihm auslassen: wie es Andere mit ihren
Hunden, Dienern und Frauen machen.
[312]
Mijn hond. - Ik heb mijn pijn een naam gegeven en noem/roep hem
"hond", – hij is net zo trouw, net zo opdringerig en schaamteloos,
net zo onderhoudend, net zo slim, als elke andere hond – en ik kan
de baas over hem spelen en mijn slechte stemmingen op hem
afreageren: zoals anderen met hun honden, bedienden en vrouwen
doen.
[313]
Kein Marterbild. — Ich
will es machen wie Raffael und kein Marterbild mehr malen. Es
giebt der erhabenen Dinge genug, als dass man die Erhabenheit
dort aufzusuchen hätte, wo sie mit der Grausamkeit in
Schwesterschaft lebt; und mein Ehrgeiz würde zudem kein Genügen
daran finden, wenn ich mich zum sublimen Folterknecht machen
wollte.
[314]
Neue Hausthiere. — Ich
will meinen Löwen und meinen Adler um mich haben, damit ich
allezeit Winke und Vorbedeutungen habe, zu wissen, wie gross
oder wie gering meine Stärke ist. Muss ich heute zu ihnen
hinabblicken und mich vor ihnen fürchten? Und wird die Stunde
wiederkommen, wo sie zu mir hinaufblicken und in Furcht? —
[315]
Vom letzten Stündlein. —
Stürme sind meine Gefahr: werde ich meinen Sturm haben, an dem
ich zu Grunde gehe, wie Oliver Cromwell an seinem Sturme zu
Grunde gieng? Oder werde ich verlöschen wie ein Licht, das nicht
erst der Wind ausbläst, sondern das seiner selber müde und satt
wurde, — ein ausgebranntes Licht? Oder endlich: werde ich mich
ausblasen, um nicht auszubrennen? —
[315]
de laatste ure - Stormen zijn gevaarlijk voor mij:
zal ik mijn storm krijgen, waaraan ik te gronde ga, zoals Oliver
Cromwell ten onder ging aan zijn storm? Of zal ik uitdoven als een
licht dat niet door de wind wordt uitgeblazen, maar dat zichzelf
moe en zat werd – een opgebrand licht? Of - laatste mogelijkheid :
zal ik uitblazen om niet op te branden? —
[316]
Prophetische Menschen. — Ihr
habt kein Gefühl dafür, dass prophetische Menschen sehr leidende
Menschen sind: ihr meint nur, es sei ihnen eine schöne „Gabe“
gegeben, und möchtet diese wohl gern selber haben, — doch ich will
mich durch ein Gleichniss ausdrücken. Wie viel mögen die Thiere
durch die Luft- und Wolken-Electricität leiden! Wir sehen, dass
einige Arten von ihnen ein prophetisches Vermögen hinsichtlich des
Wetters haben, zum Beispiel die Affen (wie man selbst noch in
Europa gut beobachten kann, und nicht nur in Menagerien, nämlich
auf Gibraltar). Aber wir denken nicht daran, dass ihre Schmerzen — für sie die Propheten
sind! Wenn eine starke positive Electricität plötzlich unter dem
Einflusse einer heranziehenden, noch lange nicht sichtbaren Wolke
in negative Electricität umschlägt und eine Veränderung des
Wetters sich vorbereitet, da benehmen sich diese Thiere so, als ob
ein Feind herannahe, und richten sich zur Abwehr oder zur Flucht
ein; meistens verkriechen sie sich, — sie verstehen das schlechte
Wetter nicht als Wetter, sondern als Feind, dessen Hand sie schon
fühlen !
[316]
Profetische mensen. — Jullie voelen niet aan, dat
profetische mensen lijdende mensen zijn: jullie menen slechts, dat
ze een mooie "gave" gekregen hebben, en zouden die zelf ook wel
willen hebben, — maar ik zal me middels een gelijkenis uitspreken.
Hoeveel moeten dieren wel niet lijden door de elektriciteit die in
de lucht en wolken hangt! We zien dat sommige soorten een
profetisch vermogen hebben met betrekking tot het weer,
bijvoorbeeld apen (zoals men zelfs in Europa nog prima kan
observeren, en niet alleen in dierentuinen, namelijk op
Gibraltar). Maar we denken er niet aan dat hun pijnen
— voor hen de profeten zijn! Wanneer een sterke positieve
elektrische lading plotseling onder invloed van een naderende, nog
lang niet zichtbare wolk in negatieve elektriciteit omslaat en er
een verandering in het weer op komst is, dan gedragen deze dieren
zich alsof er een vijand nadert en maken ze zich op om zich te
verdedigen of te vluchten; meestal verstoppen ze zich – ze zien
het slechte weer niet als weer, maar als een vijand van wie ze de
hand al voelen !
[317]
Rückblick. — Wir werden uns
des eigentlichen Pathos jeder Lebensperiode selten als eines
solchen bewusst, so lange wir in ihr stehen, sondern meinen immer,
es sei der einzig uns nunmehr mögliche und vernünftige Zustand und
durchaus Ethos ,
nicht Pathos — mit den Griechen zu reden und zu trennen. Ein paar
Töne von Musik riefen mir heute einen Winter und ein Haus und ein
höchst einsiedlerisches Leben in’s Gedächtniss zurück und zugleich
das Gefühl, in dem ich damals lebte: — ich meinte ewig so
fortleben zu können. Aber jetzt begreife ich, dass es ganz und gar
Pathos und Leidenschaft war, ein Ding, vergleichbar dieser
schmerzhaft-muthigen und trostsichern Musik, — dergleichen darf
man nicht auf Jahre oder gar auf Ewigkeiten haben: man würde für
diesen Planeten damit zu „überirdisch“.
[317]
Terugblik. — Het is maar heel zelden, dat we ons
bewust worden van wat werkelijk het pathos was in elke levensfase,
zolang we ons daarin bevinden, maar zijn altijd van mening dat het
de enige mogelijke en redelijke toestand is, en zeker geen pathos,
maar ethos — om met de Grieken te spreken en te
onderscheiden. Een paar tonen muziek riepen me vandaag een winter
en een huis en een zeer kluizenaarsachtig leven terug in
herinnering en tegelijk het gevoel waarin ik toen leefde: — ik
dacht eeuwig zo te kunnen voortleven. Maar nu begrijp ik dat het
een en al pathos en passie ( Leidenschaft) was,
vergelijkbaar met deze pijnlijk-moedige en troostrijke muziek –
zoiets mag je niet jarenlang, laat staan voor eeuwig bezitten: je
zou daarmee voor deze planeet te "bovenaards" worden.
opmerking: pathos is 'aangedaan zijn'
door emoties. Iets dat je ondergaat, passief. Dat hoor iik ook in
het woord 'Leidenschaft/passie'; in een ethos voel je je
thuis, dat spreekt voor zich.
[318]
Weisheit im Schmerz. — Im
Schmerz ist soviel Weisheit wie in der Lust: er gehört gleich
dieser zu den arterhaltenden Kräften ersten Ranges. Wäre er
diess nicht, so würde er längst zu Grunde gegangen sein; dass er
weh thut, ist kein Argument gegen ihn, es ist sein Wesen. Ich
höre im Schmerze den Commandoruf des Schiffscapitains: „zieht
die Segel ein!“ Auf tausend Arten die Segel zu stellen, muss der
kühne Schifffahrer „Mensch“ sich eingeübt haben, sonst wäre es
gar zu schnell mit ihm vorbei, und der Ozean schlürfte ihn zu
bald hinunter. Wir müssen auch mit verminderter Energie zu leben
wissen: sobald der Schmerz sein Sicherheitssignal giebt, ist es
an der Zeit, sie zu vermindern, — irgend eine grosse Gefahr, ein
Sturm ist im Anzuge, und wir thun gut, uns so wenig als möglich
„aufzubauschen“. — Es ist wahr, dass es Menschen giebt, welche
beim Herannahen des grossen Schmerzes gerade den
entgegengesetzten Commandoruf hören, und welche nie stolzer,
kriegerischer und glücklicher dreinschauen, als wenn der Sturm
heraufzieht; ja, der Schmerz selber giebt ihnen ihre grössten
Augenblicke! Das sind die heroischen Menschen, die grossen
Schmerzbringer der
Menschheit: jene Wenigen oder Seltenen, die eben die selbe
Apologie nöthig haben, wie der Schmerz überhaupt, — und
wahrlich! man soll sie ihnen nicht versagen! Es sind
arterhaltende, artfördernde Kräfte ersten Ranges: und wäre es
auch nur dadurch, dass sie der Behaglichkeit widerstreben und
vor dieser Art Glück ihren Ekel nicht verbergen.
[319]
Als Interpreten unserer Erlebnisse. —
Eine Art von Redlichkeit ist allen Religionsstiftern und
Ihresgleichen fremd gewesen: — sie haben nie sich aus ihren
Erlebnissen eine Gewissenssache der Erkenntniss gemacht. „Was
habe ich eigentlich erlebt? Was gieng damals in mir und um mich
vor? War meine Vernunft hell genug? War mein Wille gegen alle
Betrügereien der Sinne gewendet und tapfer in seiner Abwehr des
Phantastischen?“ — so hat Keiner von ihnen gefragt, so fragen
alle die lieben Religiösen auch jetzt noch nicht: sie haben
vielmehr einen Durst nach Dingen, welche
wider die Vernunft sind, und wollen es sich
nicht zu schwer machen, ihn zu befriedigen, — so erleben sie
denn „Wunder“ und „Wiedergeburten“ und hören die Stimmen der
Englein! Aber wir, wir Anderen, Vernunft-Durstigen, wollen
unseren Erlebnissen so streng in’s Auge sehen, wie einem
wissenschaftlichen Versuche, Stunde für Stunde, Tag um Tag! Wir
selber wollen unsere Experimente und Versuchs-Thiere sein.
[319]
Als interpreten van onze belevenissen . — Een type
eerlijkheid was alle stichters van religies en hun soortgenoten
vreemd: — zij hebben nooit van hun belevenisseneen een
gewetenszaak gemaakt qua kennis. "Wat heb ik eigenlijk beleefd?
Wat ging er toen in mij om en wat gebeurde er om mij heen? Was
mijn verstand helder genoeg? Was mijn wil tegen alle zintuiglijk
bedrog gekeerd, dapper in zijn verzet tegen het fantastische?” —
Dat heeft geen van hen zich afgevraagd, en dat vragen al die lieve
religieuze mensen zich ook nu nog niet af: zij hebben veeleer een
dorst naar dingen die tegen het verstand indruisen,
en willen het zichzelf niet te moeilijk maken om die (dorst) te
bevredigen — dus beleven ze “wonderen” en “wedergeboorten” en
horen de engelen zingen! Maar wij, de anderen, die dorsten naar
rede, willen onze ervaringen net zo gestreng onder ogen zien, als
ware het een wetenschappelijke proef, uur na uur, dag na dag! Wij
willen zelf onze experimenten en proefdieren zijn.
[320]
Beim Wiedersehen. — A.:
Verstehe ich dich noch ganz? Du suchst? Wo ist inmitten der
jetzt wirklichen Welt dein
Winkel und Stern? Wo kannst
du dich in die Sonne legen, sodass auch dir ein
Ueberschuss von Wohl kommt und dein Dasein sich rechtfertigt?
Möge das Jeder für sich selber thun — scheinst du mir zu sagen —
und das Reden in’s Allgemeine, das Sorgen für den Anderen und
die Gesellschaft sich aus dem Sinne schlagen! — B.: Ich will
mehr, ich bin kein Suchender. Ich will für mich eine eigene
Sonne schaffen.
[321]
Neue Vorsicht. — Lasst uns
nicht mehr so viel an Strafen, Tadeln und Bessern denken! Einen
Einzelnen werden wir selten verändern; und wenn es uns gelingen
sollte, so ist vielleicht unbesehens auch Etwas mitgelungen:
wir sind durch ihn verändert
worden! Sehen wir vielmehr zu, dass unser eigener Einfluss
auf alles Kommende seinen
Einfluss aufwiegt und überwiegt! Ringen wir nicht im directen
Kampfe! — und das ist auch alles Tadeln, Strafen und
Bessernwollen. Sondern erheben wir uns selber um so höher! Geben
wir unserm Vorbilde immer leuchtendere Farben! Verdunkeln wir den
Andern durch unser Licht! Nein! Wir wollen nicht um seinetwillen
selber dunkler
werden, gleich allen Strafenden und Unzufriedenen! Gehen wir
lieber bei Seite! Sehen wir weg!
[321]
Nieuwe bedachtzaamheid. — Laten we niet de hele
tijd aan straffen, berispen en verbeteren denken! Een enkeling
zullen we maar zelden veranderen; en als het ons toch zou lukken,
dan is er misschien onopgemerkt ook iets anders meegelukt:
wij zijn door hem veranderd! Laten we er veeleer op
toezien dat onze eigen invloed op alles wat komt ,
tegen zijn invloed opweegt, en die overtreft! Laten we ons niet
tot een een-op-een gevecht verleiden! — en daar hoort al dat
verwijten, straffen en willen verbeteren ook bij. Laten we echter
onszelf des te hoger verheffen! Laten we de kleuren van ons
voorbeeld steeds helderder stralen! Laten we de ander gewoon in
het donker stellen door ons licht ! Nee! we willen niet om
zijnetwegen zelf donkerder worden, zoals alle die
straffen uitdelen en ontevreden zijn! Laten we liever opzij gaan!
Laten we wegkijken!
opm: bei Seite gehen en weg sehen . nogal
meerduidig: afstand nemen, een stap opzij zetten, uit de weg
aan; wegkijken, de andere kant opkijken, je ogen op iets anders
richten. Kies maar.
[322]
Gleichniss. — Jene
Denker, in denen alle Sterne sich in kyklischen Bahnen bewegen,
sind nicht die tiefsten; wer in sich wie in einen ungeheuren
Weltraum hineinsieht und Milchstrassen in sich trägt, der weiss
auch, wie unregelmässig alle Milchstrassen sind; sie führen bis
in’s Chaos und Labyrinth des Daseins hinein.
[323]
Glück im Schicksal. — Die
grösste Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns eine
Zeit lang auf der Seite unserer Gegner hat kämpfen lassen. Damit
sind wir vorherbestimmt
zu einem grossen Siege.
[324]
In media vita. — span>
Nein! Das Leben hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr
finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerther und
geheimnissvoller, — von jenem Tage an, wo der grosse Befreier
über mich kam, jener Gedanke, dass das Leben ein Experiment des
Erkennenden sein dürfe — und nicht eine Pflicht, nicht ein
Verhängniss, nicht eine Betrügerei! — Und die Erkenntniss
selber: mag sie für Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein
Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung,
oder ein Müssiggang, — für mich ist sie eine Welt der Gefahren
und Siege, in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und
Tummelplätze haben. „ Das Leben
ein Mittel der Erkenntniss “ — mit diesem
Grundsatze im Herzen kann man nicht nur tapfer, sondern sogar
fröhlich leben und fröhlich lachen
! Und wer verstünde überhaupt gut zu lachen und zu leben, der
sich nicht vorerst auf Krieg und Sieg gut verstünde?
[324]
In media vita . — Nee! Het leven heeft me niet
teleurgesteld! Van jaar tot jaar vind ik het juist steeds echter,
begeerlijker en mysterieuzer — vanaf de dag waarop de grote
bevrijder over me kwam: de gedachte, dat leven een experiment van de
kenniszoeker (
Erkennende )mag zijn — en niet een
plicht, een noodlot, een schijnvertoning! — En de kennis/het inzicht
zelf: voor anderen mag het een rustbed of de weg naar een rustbed,
of een vorm van vermaak, of van niets-doen, — voor mij is het een
wereld van gevaren en overwinningen, waarin ook heroïsche gevoelens
hun dans- en speelplaats hebben.
Het leven een instrument van
kennis ” – met dit grondbeginsel in het hart kun je niet
alleen moedig, maar zelfs
vrolijk leven en vrolijk lachen
! Ja, kun je eigenlijk wel goed lachen en leven, als je je niet
eerst oorlog en overwinning hebt eigengemaakt.
[325]
Was zur Grösse gehört. —
Wer wird etwas Grosses erreichen, wenn er nicht die Kraft und
den Willen in sich fühlt, grosse Schmerzen
zuzufügen ? Das Leidenkönnen ist das Wenigste:
darin bringen es schwache Frauen und selbst Sclaven oft zur
Meisterschaft. Aber nicht an innerer Noth und Unsicherheit zu
Grunde gehn, wenn man grosses Leid zufügt und den Schrei dieses
Leides hört — das ist gross, das gehört zur Grösse.
[326]
Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. —
Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine
gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie
befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte
radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen Lehren
ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang hingehalten haben,
ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen
sehr schlecht gehe, auf sie übergegangen: sodass sie jetzt gar
zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben
zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob
es doch gar schwer auszuhalten
sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und
in dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und
Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und
Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass vom
Schmerze und Unglücke immer
übertrieben geredet werde, wie als ob es eine
Sache der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt
dagegen geflissentlich davon, dass es gegen den Schmerz eine
Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die
fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute
und schlimme Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele
Arten von Stolz und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von
Anästheticis haben: während bei den höchsten Graden des
Schmerzes schon von selber Ohnmachten eintreten. Wir verstehen
uns ganz gut darauf, Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu
träufeln, namentlich auf die Bitternisse der Seele; wir haben
Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den
edleren Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein
Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns
damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen — eine neue Kraft
zum Beispiel: und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur
Kraft! Was haben die Moralprediger vom inneren „Elend“ der bösen
Menschen phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der
leidenschaftlichen Menschen uns
vorgelogen ! — ja, lügen ist hier das rechte
Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen
recht wohl gewusst, aber es todtgeschwiegen, weil es eine
Widerlegung ihrer Theorie war, nach der alles Glück erst mit der
Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens
entsteht! Und was zuletzt das Recept aller dieser Seelen-Aerzte
betrifft und ihre Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist
es erlaubt, zu fragen: ist dieses unser Leben wirklich
schmerzhaft und lästig genug, um mit Vortheil eine stoische
Lebensweise und Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir
befinden uns nicht schlecht genug
, um uns auf stoische Art schlecht befinden zu
müssen!
[327]
Ernst nehmen. — Der
Intellect ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere
und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie
nennen es „die Sache ernst nehmen
“, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut
denken wollen — oh wie lästig muss ihnen das Gut-Denken sein!
Die liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es scheint,
die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird „ernst“! Und „wo
Lachen und Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken Nichts“: — so
lautet das Vorurtheil dieser ernsten Bestie gegen alle
„fröhliche Wissenschaft“. — Wohlan! Zeigen wir, dass es ein
Vorurtheil ist!
[327]
Serieus nemen . — Voor veruit de meeste mensen is het
intellect een logge, sombere en knarsende machine, die maar moeilijk
op gang te brengen is: ze noemen het ‘de zaak
serieus nemen
’, als ze met deze machine aan de slag willen gaan, en goed denken —
oh, wat moet dat 'goed-denken' toch zwaar voor hen zijn! Het lieve
diertje 'Mens' lijkt elke keer zijn goede humeur te verliezen als
het goed denkt; hij wordt ‘serieus’! En ‘waar gelach en vrolijkheid
is, daar heeft het denken niets te zoeken’: zo luidt het vooroordeel
van dit serieuze dier tegen alle ‘vrolijke wetenschap’. Welnu! Laten
we aantonen dat het een vooroordeel is.
gut denken associatie met
'positief denken'. Valt wel iets te zeggen voor een vertaling met
'goed nadenken' maar dan is die associatiemogelijkheid weg. lästig
vertaald met 'zwaar' vanwege associatie met een last. liebliche
Bestie heb ik licht vertaald 'lief dier' vanwege de
associatie met de mens als 'animal rationale'.
[328]
Der Dummheit Schaden thun. —
Gewiss hat der so hartnäckig und überzeugt gepredigte Glaube von
der Verwerflichkeit des Egoismus im Ganzen dem Egoismus Schaden
gethan ( zu Gunsten
, wie ich hundertmal wiederholen werde,
der Heerden-Instincte !), namentlich dadurch,
dass er ihm das gute Gewissen nahm und in ihm die eigentliche
Quelle alles Unglücks suchen hiess. „Deine Selbstsucht ist das
Unheil deines Lebens“ — so klang die Predigt Jahrtausende lang:
es that, wie gesagt, der Selbstsucht Schaden und nahm ihr viel
Geist, viel Heiterkeit, viel Erfindsamkeit, viel Schönheit, es
verdummte und verhässlichte und vergiftete die Selbstsucht! —
Das philosophische Alterthum lehrte dagegen eine andere
Hauptquelle des Unheils: von Sokrates an wurden die Denker nicht
müde, zu predigen: „eure Gedankenlosigkeit und Dummheit, euer
Dahinleben nach der Regel, eure Unterordnung unter die Meinung
des Nachbars ist der Grund, wesshalb ihr es so selten zum Glück
bringt, — wir Denker sind als Denker die Glücklichsten.“
Entscheiden wir hier nicht, ob diese Predigt gegen die Dummheit
bessere Gründe für sich hatte, als jene Predigt gegen die
Selbstsucht; gewiss aber ist das, dass sie der Dummheit das gute
Gewissen nahm: — diese Philosophen haben der Dummheit Schaden gethan .
[328]
De domheid schade berokkenen . — Het zo hardnekkig en
vol overtuiging gepredikte geloof van de totale verwerpelijkheid van
egoïsme heeft zeker schade toegebracht aan het egoïsme (ten gunste
van - zoals ik niet moe wordt te herhalen -
de kudde-geest
). En wel met name omdat ze het egoïsme van zijn goede geweten
beroofde, en in haar aanwees als de eigenlijke bron van alle ellende
“Het komt door je zelfzucht dat je leven in het ongeluk stort” — zo
klonk het duizenden jaren lang in de preek: zoals gezegd schaadde
dit het egoïsme: het beroofde haar van veel geest (esprit), veel
vrolijkheid, veel vindingrijkheid, veel schoonheid, het maakte de
zelfzucht dom, lelijk en vergiftigde het! In de filosofische oudheid
wees men daarentegen iets heel anders aan als hoofdbron van het
ongeluk: sinds Socrates werden de denkers niet moe om te prediken:
“Jullie gedachtenloosheid en domheid, dat jullie maar gewoon
voortleven volgens de regels, en je ondergeschikt maakt aan de
mening van de buren, dat is de reden waarom jullie het zo zelden tot
geluk brengen — wij denkers zijn de gelukkigsten, omdat wij
nadenken.” Enfin, laten we hier in het midden laten of deze preek
tegen domheid betere argumenten had dan die preek tegen het
zelfzucht; zeker is echter dat ze de domheid het goede geweten
ontnam: — deze filosofen hebben de domheid
schade berokkend.
[329]
Musse und Müssiggang. —
Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Bluthe eigenthümliche
Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und
ihre athemlose Hast der Arbeit — das eigentliche Laster der
neuen Welt — beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa
wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber
zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange
Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr
in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das
Börsenblatt gerichtet, — man lebt, wie Einer, der fortwährend
Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als Nichts“
— auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und
allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie
sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde
gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und
Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der Beweis dafür
liegt in der jetzt überall geforderten
plumpen Deutlichkeit , in allen den Lagen, wo
der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im Verkehre
mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern, Schülern,
Führern und Fürsten, — man hat keine Zeit und keine Kraft mehr
für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für
allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium . Denn das Leben auf der
Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur
Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder
Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt,
Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer. Und so giebt es
nur selten Stunden der erlaubten
Redlichkeit: in diesen aber ist man müde und
möchte sich nicht nur „gehen lassen“, sondern lang und breit und
plump sich hinstrecken
. Gemäss diesem Hange schreibt man jetzt seine
Briefe ; deren Stil und Geist immer das
eigentliche „Zeichen der Zeit“ sein werden. Giebt es noch ein
Vergnügen an Gesellschaft und an Künsten, so ist es ein
Vergnügen, wie es müde-gearbeitete Sclaven sich zurecht machen.
Oh über diese Genügsamkeit der „Freude“ bei unsern Gebildeten
und Ungebildeten! Oh über diese zunehmende Verdächtigung aller
Freude! Die Arbeit
bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang
zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und
fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner
Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer
Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass
man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum
Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne
Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. — Nun! Ehedem
war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf
sich. Ein Mensch von guter Abkunft
verbarg seine Arbeit, wenn die Noth ihn zum
Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck des
Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: — das „Thun“ selber
war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre sind
allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des antiken
Vorurtheils!
[330]
Beifall. — Der Denker
bedarf des Beifalls und des Händeklatschens nicht,
vorausgesetzt, dass er seines eigenen Händeklatschens sicher
ist: diess aber kann er nicht entbehren. Giebt es Menschen,
welche auch dessen und überhaupt jeder Gattung von Beifall
entrathen könnten? Ich zweifle: und selbst in Betreff der
Weisesten sagt Tacitus, der kein Verleumder der Weisen ist,
quando etiam sapientibus gloriae cupido novissima exuitur — das
heisst bei ihm: niemals.
[331]
Lieber taub, als betäubt. —
Ehemals wollte man sich einen Ruf
machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt
zu gross geworden ist, — es muss ein
Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute
Kehlen sich überschreien, und die besten Waaren von heiseren
Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit
giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein böses
Zeitalter für den Denker: er muss lernen, zwischen zwei Lärmen
noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis
er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er
freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu
gehen.
[332]
Die böse Stunde. — Es hat
wohl für jeden Philosophen eine böse Stunde gegeben, wo er
dachte: was liegt an mir, wenn man mir nicht auch meine
schlechten Argumente glaubt! — Und dann flog irgend ein
schadenfrohes Vögelchen an ihm vorüber und zwitscherte: „Was
liegt an dir? Was liegt an dir?“
[333]
Was heisst erkennen. —
Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt
Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist.
Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes,
als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar
werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich
widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-,
Verwünschen-wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss jeder
dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das Ding oder
Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf
dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine
Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art
Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der Gerechtigkeit und
des Vertrags können alle diese Triebe sich im Dasein behaupten
und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur die letzten
Versöhnungsscenen und Schluss-Abrechnungen dieses langen
Processes zum Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere
sei etwas Versöhnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den
Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein
gewisses Verhalten der Triebe zu einander ist .
Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das
Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit
auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns
unbewusst, ungefühlt verläuft; ich meine aber, diese Triebe, die
hier mit einander kämpfen, werden recht wohl verstehen, sich
einander dabei fühlbar zu
machen und wehe zu thun —: jene gewaltige plötzliche
Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da
ihren Ursprung haben (es ist die Erschöpfung auf dem
Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm kämpfenden
Innern manches verborgene
Heroenthum , aber gewiss nichts Göttliches,
Ewig-in-sich-Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das
bewusste Denken, und namentlich das des
Philosophen, ist die unkräftigste und desshalb auch die
verhältnissmässig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so
kann gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des
Erkennens irre geführt werden.
[334]
Man muss lieben lernen. —
So geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und Weise
überhaupt hören lernen
, heraushören, unterscheiden, als ein Leben für sich isoliren
und abgrenzen; dann braucht es Mühe und guten Willen, sie zu
ertragen , trotz ihrer
Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck, Mildherzigkeit
gegen das Wunderliche an ihr zu üben: — endlich kommt ein
Augenblick, wo wir ihrer gewohnt
sind, wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie
uns fehlen würde, wenn sie fehlte; und nun wirkt sie ihren Zwang
und Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre
demüthigen und entzückten Liebhaber geworden sind, die nichts
Besseres von der Welt mehr wollen, als sie und wieder sie. — So
geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade so haben wir
alle Dinge, die wir jetzt lieben,
lieben gelernt . Wir werden schließlich immer
für unseren guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit,
Sanftmüthigkeit gegen das Fremde belohnt, indem das Fremde
langsam seinen Schleier abwirft und sich als neue unsägliche
Schönheit darstellt: — es ist sein
Dank für unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich
selber liebt, wird es auf diesem Wege gelernt haben: es giebt
keinen anderen Weg. Auch die Liebe muss man lernen.
[335]
Hoch die Physik! — Wie
viel Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den
wenigen, die es verstehen, — wie viele beobachten sich selber!
„Jeder ist sich selber der Fernste“ — das wissen alle
Nierenprüfer, zu ihrem Unbehagen; und der Spruch „erkenne dich
selbst!“ ist, im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet,
beinahe eine Bosheit. Dass
es aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht,
dafür zeugt Nichts mehr, als die Art, wie über das Wesen einer
moralischen Handlung fast von
Jedermann gesprochen wird, diese schnelle,
bereitwillige, überzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick, ihrem
Lächeln, ihrem gefälligen Eifer! Man scheint dir sagen zu
wollen: „Aber, mein Lieber, das gerade ist
meine Sache! Du wendest dich mit deiner Frage
an Den, der antworten darf
: ich bin zufällig in Nichts so weise, wie hierin. Also:
wenn der Mensch urtheilt „ so ist
es recht “, wenn er darauf schliesst „
darum muss es geschehen !“
und nun thut ,
was er dergestalt als recht erkannt und als nothwendig
bezeichnet hat, — so ist das Wesen seiner Handlung moralisch !“ Aber, mein Freund,
du sprichst mir da von drei Handlungen statt von einer: auch
dein Urtheilen zum Beispiel „so ist es recht“ ist eine Handlung,
— könnte nicht schon auf eine moralische und auf eine
unmoralische Weise geurtheilt werden?
Warum hältst du diess und gerade diess für
recht? — „Weil mein Gewissen es mir sagt; das Gewissen redet nie
unmoralisch, es bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!“ —
Aber warum hörst
du auf die Sprache deines Gewissens? Und inwiefern hast du ein
Recht, ein solches Urtheil als wahr und untrüglich anzusehen?
Für diesen Glauben
— giebt es da kein Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem
intellectuellen Gewissen? Einem Gewissen hinter deinem
„Gewissen“? Dein Urtheil „so ist es recht“ hat eine
Vorgeschichte in deinen Trieben, Neigungen, Abneigungen,
Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen; „
wie ist es da entstanden?“ musst du fragen, und
hinterher noch: „ was
treibt mich eigentlich, ihm Gehör zu schenken?“ Du kannst seinem
Befehle Gehör schenken, wie ein braver Soldat, der den Befehl
seines Offiziers vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der
befiehlt. Oder wie ein Schmeichler und Feigling, der sich vor
dem Befehlenden fürchtet. Oder wie ein Dummkopf, welcher folgt,
weil er Nichts dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten
kannst du deinem Gewissen Gehör geben.
Dass du aber diess und jenes Urtheil als
Sprache des Gewissens hörst, also,
dass du Etwas als recht empfindest, kann seine
Ursache darin haben, dass du nie über dich nachgedacht hast und
blindlings annahmst, was dir als
recht von Kindheit an bezeichnet worden ist:
oder darin, dass dir Brod und Ehren bisher mit dem zu Theil
wurde, was du deine Pflicht nennst, — es gilt dir als „recht“,
weil es dir deine
„Existenz-Bedingung“ scheint (dass du aber ein
Recht auf Existenz habest, dünkt dich
unwiderleglich!). Die Festigkeit
deines moralischen Urtheils könnte immer noch ein
Beweis gerade von persönlicher Erbärmlichkeit, von
Unpersönlichkeit sein, deine „moralische Kraft“ könnte ihre
Quelle in deinem Eigensinn haben — oder in deiner Unfähigkeit,
neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt: wenn du feiner
gedacht, besser beobachtet und mehr gelernt hättest, würdest du
diese deine „Pflicht“ und diess dein „Gewissen“ unter allen
Umständen nicht mehr Pflicht und Gewissen benennen: die Einsicht
darüber, wie überhaupt jemals
moralische Urtheile entstanden sind , würde dir
diese pathetischen Worte verleiden, — so wie dir schon andere
pathetische Worte, zum Beispiel „Sünde“, „Seelenheil“,
„Erlösung“ verleidet sind. — Und nun rede mir nicht vom
kategorischen Imperativ, mein Freund! — diess Wort kitzelt mein
Ohr, und ich muss lachen, trotz deiner so ernsthaften Gegenwart:
ich gedenke dabei des alten Kant, der, zur Strafe dafür, dass er
„das Ding an sich“ — auch eine sehr lächerliche Sache! — sich
erschlichen hatte, vom
„kategorischen Imperativ“ beschlichen wurde und mit ihm im
Herzen sich wieder zu „Gott“, „Seele“, „Freiheit“ und
„Unsterblichkeit“ zurückverirrte
, einem Fuchse gleich, der sich in seinen Käfig
zurückverirrt: — und seine
Kraft und Klugheit war es gewesen, welche diesen Käfig
erbrochen hatte! — Wie? Du
bewunderst den kategorischen Imperativ in dir? Diese
„Festigkeit“ deines sogenannten moralischen Urtheils? Diese
„Unbedingtheit“ des Gefühls „so wie ich, müssen hierin Alle
urtheilen“? Bewundere vielmehr deine
Selbstsucht darin! Und die Blindheit,
Kleinlichkeit und Anspruchslosigkeit deiner Selbstsucht!
Selbstsucht nämlich ist es, sein
Urtheil als Allgemeingesetz zu empfinden; und eine
blinde, kleinliche und anspruchslose Selbstsucht hinwiederum,
weil sie verräth, dass du dich selber noch nicht entdeckt, dir
selber noch kein eigenes, eigenstes Ideal geschaffen hast: —
diess nämlich könnte niemals das eines Anderen sein, geschweige
denn Aller, Aller! — — Wer noch urtheilt „so müsste in diesem
Falle Jeder handeln“, ist noch nicht fünf Schritt weit in der
Selbsterkenntniss gegangen: sonst würde er wissen, dass es weder
gleiche Handlungen giebt, noch geben kann, — dass jede Handlung,
die gethan worden ist, auf eine ganz einzige und
unwiederbringliche Art gethan wurde, und dass es ebenso mit
jeder zukünftigen Handlung stehen wird, — dass alle Vorschriften
des Handelns sich nur auf die gröbliche Aussenseite beziehen
(und selbst die innerlichsten und feinsten Vorschriften aller
bisherigen Moralen), — dass mit ihnen wohl ein Schein der
Gleichheit, aber eben nur ein
Schein erreicht werden kann, — dass jede Handlung, beim Hinblick
oder Rückblick auf sie, eine undurchdringliche Sache ist und
bleibt, — dass unsere Meinungen von „gut“, „edel“, „gross“ durch
unsere Handlungen nie bewiesen
werden können, weil jede Handlung unerkennbar ist, — dass
sicherlich unsere Meinungen, Werthschätzungen und Gütertafeln zu
den mächtigsten Hebeln im Räderwerk unserer Handlungen gehören,
dass aber für jeden einzelnen Fall das Gesetz ihrer Mechanik
unnachweisbar ist. Beschränken
wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und
Werthschätzungen und auf die
Schöpfung neuer eigener Gütertafeln : — über
den „moralischen Werth unserer Handlungen“ aber wollen wir nicht
mehr grübeln! Ja, meine Freunde! In Hinsicht auf das ganze
moralische Geschwätz der Einen über die Andern ist der Ekel an
der Zeit! Moralisch zu Gericht sitzen soll uns wider den
Geschmack gehen! Ueberlassen wir diess Geschwätz und diesen
üblen Geschmack Denen, welche nicht mehr zu thun haben, als die
Vergangenheit um ein kleines Stück weiter durch die Zeit zu
schleppen und welche selber niemals Gegenwart sind, — den Vielen
also, den Allermeisten! Wir aber
wollen Die werden, die wir sind , — die Neuen,
die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die
Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und
dazu müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles
Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir müssen
Physiker sein, um, in jenem
Sinne, Schöpfer
sein zu können, — während bisher alle Werthschätzungen und
Ideale auf Unkenntniss
der Physik oder im Widerspruch
mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und
höher noch das, was uns zu ihr
zwingt , — unsre Redlichkeit!
[336]
Geiz der Natur. — Warum
ist die Natur so kärglich gegen den Menschen gewesen, dass sie
ihn nicht leuchten liess, Diesen mehr, Jenen weniger, je nach
seiner innern Lichtfülle? Warum haben grosse Menschen nicht eine
so schöne Sichtbarkeit in ihrem Aufgange und Niedergange, wie
die Sonne? Wie viel unzweideutiger wäre alles Leben unter
Menschen!
[337]
Die zukünftige „Menschlichkeit“. —
Wenn ich mit den Augen eines fernen Zeitalters nach diesem
hinsehe, so weiss ich an dem gegenwärtigen Menschen nichts
Merkwürdigeres zu finden, als seine eigenthümliche Tugend und
Krankheit, genannt „der historische Sinn“. Es ist ein Ansatz zu
etwas ganz Neuem und Fremdem in der Geschichte: gebe man diesem
Keime einige Jahrhunderte und mehr, so könnte daraus am Ende ein
wundervolles Gewächs mit einem eben so wundervollen Geruche
werden, um dessentwillen unsere alte Erde angenehmer zu bewohnen
wäre, als bisher. Wir Gegenwärtigen fangen eben an, die Kette
eines zukünftigen sehr mächtigen Gefühls zu bilden, Glied um
Glied, — wir wissen kaum, was wir thun. Fast scheint es uns, als
ob es sich nicht um ein neues Gefühl, sondern um die Abnahme
aller alten Gefühle handele: — der historische Sinn ist noch
etwas so Armes und Kaltes, und Viele werden von ihm wie von
einem Froste befallen und durch ihn noch ärmer und kälter
gemacht. Anderen erscheint er als das Anzeichen des
heranschleichenden Alters, und unser Planet gilt ihnen als ein
schwermüthiger Kranker, der, um seine Gegenwart zu vergessen,
sich seine Jugendgeschichte aufschreibt. In der That: diess ist
Eine Farbe dieses neuen Gefühls: wer die Geschichte der Menschen
insgesammt als eigene Geschichte
zu fühlen weiss, der empfindet in einer ungeheuren
Verallgemeinerung allen jenen Gram des Kranken, der an die
Gesundheit, des Greises, der an den Jugendtraum denkt, des
Liebenden, der der Geliebten beraubt wird, des Märtyrers, dem
sein Ideal zu Grunde geht, des Helden am Abend der Schlacht,
welche Nichts entschieden hat und doch ihm Wunden und den
Verlust des Freundes brachte —; aber diese ungeheure Summe von
Gram aller Art tragen, tragen können und nun doch noch der Held
sein, der beim Anbruch eines zweiten Schlachttages die
Morgenröthe und sein Glück begrüsst, als der Mensch eines
Horizontes von Jahrtausenden vor sich und hinter sich, als der
Erbe aller Vornehmheit alles vergangenen Geistes und der
verpflichtete Erbe, als der Adeligste aller alten Edlen und
zugleich der Erstling eines neuen Adels, dessen Gleichen noch
keine Zeit sah und träumte: diess Alles auf seine Seele nehmen,
Aeltestes, Neuestes, Verluste, Hoffnungen, Eroberungen, Siege
der Menschheit: diess Alles endlich in Einer Seele haben und in
Ein Gefühl zusammendrängen: — diess müsste doch ein Glück
ergeben, das bisher der Mensch noch nicht kannte, — eines Gottes
Glück voller Macht und Liebe, voller Thränen und voll Lachens,
ein Glück, welches, wie die Sonne am Abend, fortwährend aus
seinem unerschöpflichen Reichthume wegschenkt und in’s Meer
schüttet und, wie sie, sich erst dann am reichsten fühlt, wenn
auch der ärmste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Dieses
göttliche Gefühl hiesse dann — Menschlichkeit!
[338]
Der Wille zum Leiden und die Mitleidigen.
— Ist es euch selber zuträglich, vor Allem
mitleidige Menschen zu sein? Und ist es den Leidenden
zuträglich, wenn ihr es seid? Doch lassen wir die erste Frage
für einen Augenblick ohne Antwort. — Das, woran wir am tiefsten
und persönlichsten leiden, ist fast allen Anderen unverständlich
und unzugänglich: darin sind wir dem Nächsten verborgen, und
wenn er mit uns aus Einem Topfe isst. Ueberall aber, wo wir als
Leidende bemerkt
werden, wird unser Leiden flach ausgelegt; es gehört zum Wesen
der mitleidigen Affection, dass sie das fremde Leid des
eigentlich Persönlichen
entkleidet : — unsre „Wohlthäter“ sind mehr als
unsre Feinde die Verkleinerer unsres Werthes und Willens. Bei
den meisten Wohlthaten, die Unglücklichen erwiesen werden, liegt
etwas Empörendes in der intellectuellen Leichtfertigkeit, mit
der da der Mitleidige das Schicksal spielt: er weiss Nichts von
der ganzen inneren Folge und Verflechtung, welche Unglück für
mich oder für dich heisst! Die gesammte
Oekonomie meiner Seele und deren Ausgleichung durch das
„Unglück“, das Aufbrechen neuer Quellen und Bedürfnisse, das
Zuwachsen alter Wunden, das Abstossen ganzer Vergangenheiten —
das Alles, was mit dem Unglück verbunden sein kann, kümmert den
lieben Mitleidigen nicht: er will
helfen und denkt nicht daran, dass es eine
persönliche Nothwendigkeit des Unglücks giebt, dass mir und dir
Schrecken, Entbehrungen, Verarmungen, Mitternächte, Abenteuer,
Wagnisse, Fehlgriffe so nöthig sind, wie ihr Gegentheil, ja
dass, um mich mystisch auszudrücken, der Pfad zum eigenen Himmel
immer durch die Wollust der eigenen Hölle geht. Nein, davon
weiss er Nichts: die „Religion des Mitleidens“ (oder „das Herz“)
gebietet, zu helfen, und man glaubt am besten geholfen zu haben,
wenn man am schnellsten geholfen hat! Wenn ihr Anhänger dieser
Religion die selbe Gesinnung, die ihr gegen die Mitmenschen
habt, auch wirklich gegen euch selber habt, wenn ihr euer
eigenes Leiden nicht eine Stunde auf euch liegen lassen wollt
und immerfort allem möglichen Unglücke von ferne her schon
vorbeugt, wenn ihr Leid und Unlust überhaupt als böse,
hassenswerth, vernichtungswürdig, als Makel am Dasein empfindet:
nun, dann habt ihr, ausser eurer Religion des Mitleidens, auch
noch eine andere Religion im Herzen, und diese ist vielleicht
die Mutter von jener: — die
Religion der Behaglichkeit . Ach, wie wenig
wisst ihr vom Glücke
des Menschen, ihr Behaglichen und Gutmüthigen! — denn das Glück
und das Unglück sind zwei Geschwister und Zwillinge, die mit
einander gross wachsen oder, wie bei euch, mit einander —
klein bleiben ! Aber nun zur
ersten Frage zurück. — Wie ist es nur möglich, auf seinem Wege zu bleiben!
Fortwährend ruft uns irgend ein Geschrei seitwärts; unser Auge
sieht da selten Etwas, wobei es nicht nöthig wird,
augenblicklich unsre eigne Sache zu lassen und zuzuspringen. Ich
weiss es: es giebt hundert anständige und rühmliche Arten, um
mich von meinem Wege
zu verlieren, und wahrlich höchst „moralische“ Arten! Ja, die
Ansicht der jetzigen Mitleid-Moralprediger geht sogar dahin,
dass eben Diess und nur Diess allein moralisch sei: — sich
dergestalt von seinem
Wege zu verlieren und dem Nächsten beizuspringen. Ich weiss es
ebenso gewiss: ich brauche mich nur dem Anblicke einer
wirklichen Noth auszuliefern, so
bin ich auch verloren! Und wenn ein leidender
Freund zu mir sagte: „Siehe, ich werde bald sterben; versprich
mir doch, mit mir zu sterben“ — ich verspräche es, ebenso wie
mich der Anblick jenes für seine Freiheit kämpfenden
Bergvölkchens dazu bringen würde, ihm meine Hand und mein Leben
anzubieten: — um einmal aus guten Gründen schlechte Beispiele zu
wählen. Ja, es giebt eine heimliche Verführung sogar in alle
diesem Mitleid-Erweckenden und Hülfe-Rufenden: eben unser
„eigener Weg“ ist eine zu harte und anspruchsvolle Sache und zu
ferne von der Liebe und Dankbarkeit der Anderen, — wir entlaufen
ihm gar nicht ungerne, ihm und unserm eigensten Gewissen, und
flüchten uns unter das Gewissen der Anderen und hinein in den
lieblichen Tempel der „Religion des Mitleidens“. Sobald jetzt
irgend ein Krieg ausbricht, so bricht damit immer auch gerade in
den Edelsten eines Volkes eine freilich geheim gehaltene Lust
aus: sie werfen sich mit Entzücken der neuen Gefahr des
Todes entgegen, weil sie in
der Aufopferung für das Vaterland endlich jene lange gesuchte
Erlaubniss zu haben glauben — die Erlaubniss,
ihrem Ziele auszuweichen : — der Krieg ist für
sie ein Umweg zum Selbstmord, aber ein Umweg mit gutem Gewissen.
Und, um hier Einiges zu verschweigen: so will ich doch meine
Moral nicht verschweigen, welche zu mir sagt: Lebe im
Verborgenen, damit du dir leben
kannst ! Lebe
unwissend über Das, was deinem Zeitalter das
Wichtigste dünkt! Lege zwischen dich und heute wenigstens die
Haut von drei Jahrhunderten! Und das Geschrei von heute, der
Lärm der Kriege und Revolutionen, soll dir ein Gemurmel sein! Du
wirst auch helfen wollen: aber nur Denen, deren Noth du ganz
verstehst , weil sie mit dir
Ein Leid und Eine Hoffnung haben — deinen
Freunden : und nur auf die Weise, wie du dir
selber hilfst: — ich will sie muthiger, aushaltender, einfacher,
fröhlicher machen! Ich will sie Das lehren, was jetzt so Wenige
verstehen und jene Prediger des Mitleidens am wenigsten: —
die Mitfreude !
[339]
Vita femina. — Die
letzten Schönheiten eines Werkes zu sehen — dazu reicht alles
Wissen und aller guter Wille nicht aus; es bedarf der seltensten
glücklichen Zufälle, damit einmal der Wolkenschleier von diesen
Gipfeln für uns weiche und die Sonne auf ihnen glühe. Nicht nur
müssen wir gerade an der rechten Stelle stehen, diess zu sehen:
es muss gerade unsere Seele selber den Schleier von ihren Höhen
weggezogen haben und eines äusseren Ausdruckes und Gleichnisses
bedürftig sein, wie um einen Halt zu haben und ihrer selber
mächtig zu bleiben. Diess Alles aber kommt so selten
gleichzeitig zusammen, dass ich glauben möchte, die höchsten
Höhen alles Guten, sei es Werk, That, Mensch, Natur, seien
bisher für die Meisten und selbst für die Besten etwas
Verborgenes und Verhülltes gewesen: — was sich aber uns
enthüllt, das enthüllt sich uns
Ein Mal ! — Die Griechen beteten wohl: „Zwei
und drei Mal alles Schöne!“ Ach, sie hatten da einen guten
Grund, Götter anzurufen, denn die ungöttliche Wirklichkeit giebt
uns das Schöne gar nicht oder Ein Mal! Ich will sagen, dass die
Welt übervoll von schönen Dingen ist, aber trotzdem arm, sehr
arm an schönen Augenblicken und Enthüllungen dieser Dinge. Aber
vielleicht ist diess der stärkste Zauber des Lebens: es liegt
ein golddurchwirkter Schleier von schönen Möglichkeiten über
ihm, verheissend, widerstrebend, schamhaft, spöttisch,
mitleidig, verführerisch. Ja, das Leben ist ein Weib!
[340]
Der sterbende Sokrates. —
Ich bewundere die Tapferkeit und Weisheit des Sokrates in Allem,
was er that, sagte — und nicht sagte. Dieser spöttische und
verliebte Unhold und Rattenfänger Athens, der die übermüthigsten
Jünglinge zittern und schluchzen machte, war nicht nur der
weiseste Schwätzer, den es gegeben hat: er war ebenso gross im
Schweigen. Ich wollte, er wäre auch im letzten Augenblicke des
Lebens schweigsam gewesen, — vielleicht gehörte er dann in eine
noch höhere Ordnung der Geister. War es nun der Tod oder das
Gift oder die Frömmigkeit oder die Bosheit — irgend Etwas löste
ihm in jenem Augenblick die Zunge und er sagte: „Oh Kriton, ich
bin dem Asklepios einen Hahn schuldig“. Dieses lächerliche und
furchtbare „letzte Wort“ heisst für Den, der Ohren hat: „Oh
Kriton, das Leben ist eine
Krankheit !“ Ist es möglich! Ein Mann, wie er,
der heiter und vor Aller Augen wie ein Soldat gelebt hat, — war
Pessimist! Er hatte eben nur eine gute Miene zum Leben gemacht
und zeitlebens sein letztes Urtheil, sein innerstes Gefühl
versteckt! Sokrates, Sokrates hat
am Leben gelitten ! Und er hat noch seine Rache
dafür genommen — mit jenem verhüllten, schauerlichen, frommen
und blasphemischen Worte! Musste ein Sokrates sich auch noch
rächen? War ein Gran Grossmuth zu wenig in seiner überreichen
Tugend? — Ach Freunde! Wir müssen auch die Griechen überwinden!
[341]
Das grösste Schwergewicht. —
Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine
einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: „Dieses Leben,
wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und
noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran
sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und
Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss
dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge — und
ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen,
und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr
des Daseins wird immer wieder umgedreht — und du mit ihr,
Stäubchen vom Staube!“ — Würdest du dich nicht niederwerfen und
mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so
redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt,
wo du ihm antworten würdest: „du bist ein Gott und nie hörte ich
Göttlicheres!“ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er
würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen;
die Frage bei Allem und Jedem „willst du diess noch einmal und
noch unzählige Male?“ würde als das grösste Schwergewicht auf
deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem
Leben gut werden, um nach Nichts
mehr zu verlangen , als nach dieser letzten
ewigen Bestätigung und Besiegelung?
[342]
Incipit tragoedia. — Als
Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimath und den
See Urmi und gieng in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und
seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich
aber verwandelte sich sein Herz, — und eines Morgens stand er mit
der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:
„Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest,
welchen du leuchtest! Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner
Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden
sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange; aber wir warteten
deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Ueberfluss ab und segneten
dich dafür. Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die
Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände,
die sich ausstrecken, ich möchte verschenken und austheilen, bis die
Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen
wieder einmal ihres Reichthums froh geworden sind. Dazu muss ich in
die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer
gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!
— ich muss, gleich dir, untergehen
, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will. So segne
mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses
Glück sehen kann! Segne den Becher, welcher überfliessen will,
dass das Wasser golden aus ihm fliesse und überallhin den Abglanz
deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden,
und Zarathustra will wieder Mensch werden.“ — Also begann
Zarathustra’s Untergang.
[342]
Incipit tragoedia. - Toen Zarathustra dertig jaar
oud was, verliet hij zijn vaderland en het meer van Urmi en ging
het gebergte in. Hier genoot hij zijn geest en zijn eenzaamheid,
en tien jaar lang werd hij dit niet moe. Tenslotte echter
veranderde zijn hart, - en op een morgen stond hij op bij het
ochtendgloren, trad voor de zon en sprak tot haar aldus: ‘Gij
grote ster! Wat zou uw geluk zijn, als gij hen niet hadt, over wie
gij schijnt! Tien jaren kwaamt gij hier op, bij mijn grot; gij
zoudt uw licht en deze weg beu geworden zijn, zonder mij, mijn
arend en mijn slang. Maar wij wachtten op u, elke morgen, namen
deel aan uw overvloed ( abnehmen hoeft niet negatief
te zijn), en zegenden u daarvoor. Ziet! Ik heb genoeg van mijn
wijsheid, gelijk de bij, die te veel honing verzameld heeft, ik
heb behoefte aan handen, die zich uitstrekken, ik wil wegschenken
en uitdelen, totdat de wijzen onder de mensen andermaal vrede
gevonden hebben met hun dwaasheid en de armen met hun rijkdom.
Daartoe moet ik afdalen naar de diepte: gelijk gij des avonds
doet, wanneer gij achter de zee afdaalt en zelfs de onderwereld
van licht voorziet, gij overrijke ster! Ik moet, evenals gij,
ondergaan , zoals de mensen het noemen, naar wie ik wens
af te dalen. Zegen mij derhalve, gij vredig oog, dat ook zonder
nijd een al te groot geluk kan aanzien! Zegen de beker, die wil
overvloeien: dat het water in gulden pracht uit hem strome en zo
de afglans uwer zaligheid alom verspreide! Ziet! Deze beker wil
weer leeg worden, en Zarathustra wil weer mens worden.’ - Aldus
begon Zarathustra’s ondergang.
Dit aforisme - met een kleine wijziging in de
eerste zin - opent ook Nietzsche's grote werk: Also sprach
Zarathustra (1883). Voor de aardigheid geef ik de twee meest
recente vertalingen die van dat werk in omloop zijn:
Vertaling: W. Oranje m.m. (uit “Aldus
Sprak Zarathoestra”, 2006/2025)
Toen Zarathoestra dertig jaar oud was, verliet
hij zijn vaderland en het meer Urmi en trok het gebergte
in. Hij proefde hier de vreugden van zijn geest en zijn eenzaamheid en
werd ze tien jaar lang niet moe. Eindelijk echter onderging hij een
verandering in zijn hart, — en op een ochtend stond hij met het
morgenrood op, trad de zon tegemoet en sprak haar aldus toe: ‘O groot
gesternte! Wat zou jouw geluk zijn als je hen niet had voor wie jij
straalt! Tien jaar lang kwam je hierboven naar mijn grot: je licht en
deze weg zou jij moe zijn geworden zonder mij, mijn adelaar en mijn
slang. Maar we wachtten jou elke ochtend op, namen van je overvloed en
zegenden jou hierom. Zie! Ik ben mijn wijsheid zat, als de bij die te
veel honing heeft vergaard, ik heb handen nodig die zich uitstrekken.
Ik zou graag weggeven en uitdelen, tot ooit de wijzen onder de mensen
in hun dwaasheid, en de armen in hun rijkdom weer vreugde hebben
gevonden. Daartoe moet ik in de diepte afdalen: zoals jij ’s avonds
doet als je heengaat achter de zee en nog aan de onderwereld licht
brengt, o overrijk gesternte! — Zoals jij moet ik ondergaan
, zoals de mensen het noemen tot wie ik omlaag wil. Zegen mij dus, o
kalm oog, dat zonder afgunst ook al te groot geluk kan aanzien! Zegen
de beker die wil overvloeien, opdat het water als goud eraan ontvloeit
en het de weerglans van jouw verrukking overal heen zal dragen! Zie!
Deze beker wil leeg worden, en Zarathoestra wil weer mens worden.’ —
Aldus begon Zarathoestra’s ondergang.
Vertaling Ria van Hengel m.m. (uit “Zo
sprak Zarathoestra”, 2016)
Toen Zarathoestra dertig jaar oud was, verliet
hij zijn vaderland en het meer Urmi en trok hij het
gebergte in. Daar genoot hij van zijn geest en van zijn eenzaamheid en
tien jaar lang werd hij dat niet moe. Maar ten slotte veranderde zijn
hart, – en op een morgen stond hij bij het ochtendgloren op, hij ging
voor de zon staan en sprak tot haar: ‘O grote ster! Waar zou uw geluk
zijn zonder hen die u beschijnt! Tien jaar lang kwam u hier naar mijn
grot. U zou het beu zijn geworden om te schijnen en die weg af te
leggen als ik, mijn adelaar en mijn slang er niet waren geweest. Maar
wij wachtten elke morgen op u, namen van uw overvloed en prezen u
daarom. Zie! Ik heb genoeg van mijn wijsheid, zoals bijen die te veel
honing hebben verzameld. Ik heb handen nodig die zich uitstrekken. Ik
wil weggeven en uitdelen totdat ooit de wijzen onder de mensen zich
weer verheugen in hun dwaasheid en de armen in hun rijkdom. Daartoe
moet ik afdalen naar de diepte, zoals u ’s avonds doet wanneer u
ondergaat achter de zee om ook nog licht te brengen aan de
onderwereld, o overvloedige ster! — Ik moet, net zoals
u, ondergaan, zoals de mensen het noemen naar wie ik wil afdalen.
Dus zegen mij, o rustig oog, dat zonder jaloezie zelfs een te groot
geluk kan aanzien! Zegen de beker die zal óverstromen, opdat het water
eruit vloeit als goud en overal de weerschijn van uw gelukzaligheid
verspreidt! Zie! Deze beker wil weer leeg worden, en Zarathoestra wil
weer mens worden.’ — Zo begon Zarathoestra’s ondergang.
Explicit liber iste.
AD 1882
⁂
continuatio huius operis.
AD 1887