Hymnus an das Leben - an die Freundschaft

Nietzsche als Komponist / as a composer

Helmut Walther (Nürnberg)

Vortrag (2000) beim Seminar der Gesellschaft für kritische Philosophie in Kottenheide (komplett Deutsch  | English much more detail, music examples)

Lassen wir uns von Nietzsche selbst auf das Thema einstimmen – mit einem Ausschnitt seines Hymnus an die Freundschaft, einer Komposition für Klavier zu 4 Händen, dargeboten von Aribert Reimann und Dietrich Fischer-Dieskau;
Dieser Hymnus ist die letzte eigentliche Komposition Nietzsches, entstanden in den Jahren 1872-1875, später noch verschiedentlich umgearbeitet, wie wir sehen werden, wohl erstanden aus der Freundschaft mit Franz Overbeck, mit dem er, solange sie in Basel zusammen in der "Baumannshöhle" wohnten, das vierhändige Klavierspiel gepflegt hatte.

Let Nietzsche, himself, introduce us to the subject, — with an excerpt from his Hymn to Friendship, a composition for piano for four hands, performed by Aribert Reimann and Dietrich Fischer-Dieskau.
This Hymnus is actually Nietzsche's last composition, written during the period of 1972 to 1875, which he later revised several times, as we shall learn, and which probably arose out of his friendship with Franz Overbeck with whom he, as long as they lived together at the "Baumannshöhle" in Basle, used to play piano music for four hands.

Nietzsche, Hymnus an die Freundschaft piano à-4-mains; Reimann/Fischer-Dieskau, original recording of a 1981 concert, kindly provided to the author by Dietrich Fischer-Dieskau.

Bereits als 14-Jähriger notiert Nietzsche 1858:
"Gott hat uns die Musik gegeben, damit wir erstens, durch sie nach oben geleitet werden. Die Musik vereint alle Eigenschaften in sich, sie kann erheben, sie kann tändeln, sie kann uns aufheitern, ja sie vermag mit ihren sanften, wehmütigen Tönen das roheste Gemüt zu brechen. Aber ihre Hauptbestimmung ist, daß sie unsre Gedanken auf Höheres leitet, daß sie uns erhebt, sogar erschüttert. ... Auch gewährt die Musik eine angenehme Unterhaltung und bewahrt jeden, der sich dafür interessiert, vor Langeweile. Man muß alle Menschen, die sie verachten, als geistlose, den Tieren ähnliche Geschöpfe betrachten. Immer sei diese herrlichste Gabe Gottes meine Begleiterin auf meinem Lebenswege und ich kann mich glücklich preisen, sie liebgewonnen zu haben. Ewig Dank sei Gott von uns gesungen, der diesen schönen Genuß uns darbietet!"
Man sieht, bereits der Knabe hat ein sehr inniges Verhältnis zur Musik; bei seiner Abstammung aus einem evangelischen Pfarrhaus naheliegend(1), interessiert er sich für geistliche Musik, dabei spielt er recht gut Klavier und komponiert, neben Oratorien vor allem Lieder, etwa nach Texten von Klaus Grothe und dem ungarischen Dichter Sándor Petöfi, aber auch nach Puschkin und Hoffmann von Fallersleben. Das Komponieren eignet er sich als Autodidakt an, sich dabei auf Albrechtsberger stützend, der einst der Lehrer Beethovens war. Gerne widmet er seine Kompositionen Verwandten etwa zu Festtagen.

In 1858, already at the age of fourteen years, Nietzsche wrote: "God gave us music so that we, first and foremost, will be guided upward by it. All qualities are united in music: it can lift us up, it can be capricious, it can cheer us up and delight us, nay, with its soft, melancholy tunes, it can even break the resistance of the toughest character. Its main purpose, however, is to lead our thoughts upward, so that it elevates us, even deeply moves us. ... Music also provides pleasant entertainment and saves everyone who is interested in it from boredom. All humans who despise it should be considered mindless, animal-like creatures. Ever be this most glorious gift of God my companion on my life's journey, and I can consider myself fortunate to have come to love it. Let us sing out in eternal praise to God who is offering us this beautiful enjoyment."
As one can see, already as a boy, Nietzsche had a close relationship to music, which is natural due to his coming from a family of Lutheran pastors (1), and he was interested in sacred music; he also played the piano very well and wrote musical compositions, next to oratorios mostly lieder, such as to texts by Klaus Groth and the Hungarian poet Sándor Petöfi, but also by Pushkin and Hoffmann von Fallersleben. He learned composition by means of self-study, relying in it on Albrechtsberger, Beethoven's teacher. He liked to dedicate his compositions to relatives on festive occasions, as, for example, the following lied that he dedicated to his aunt Rosalie at Naumburg:

[....]

Nietzsche war im Hause Wagner der Name Hans von Bülow nicht unbekannt geblieben – und so sandte er ihm seine "Geburt der Tragödie" zu (1872). Nach einem Besuch in Basel – Wagner bereitete sich bereits auf die endgültige Abreise nach Bayreuth vor – sah man sich in München wieder, wo Hans von Bülow auf Geheiß Ludwig II. und gegen den Willen Wagners Tristan und Isolde dirigierte. Für "den erhabensten Kunsteindruck meines Lebens" dankend, nahm Nietzsche dies zum Anlaß, Hans von Bülow seine Manfred-Meditation zur Beurteilung vorzulegen. In einem selbstironischen Anschreiben nannte er seine Musik "zweifelhaft", gar "entsetzlich". Diese Selbstqualifizierung Nietzsches hielt Bülow jedoch nicht ab, eine ehrliche Antwort zu geben. Es handele sich um "das Extremste von phantastischer Extravaganz", das "Unerquicklichste und Antimusikalischste", was ihm seit langem zu Gesicht gekommen sei. Ob das Ganze ein Scherz sei, eine musikalische Parodie auf die "Zukunftsmusik"? Habe er mit Bewußtsein allen Regeln der Tonverbindung, der höheren Syntax wie der gewöhnlichen Rechtschreibung, Hohn gesprochen? Sein musikalisches Fieberprodukt sei in der Welt der Musik das gleiche wie ein Verbrechen in der moralischen Welt, die Muse der Musik, Euterpe, sei genotzüchtigt worden. Wenn er ihm einen guten Rat geben solle für den Fall, daß er "die Aberration ins Componiergebiet" wirklich ernst gemeint habe, dann möge er Vokalmusik komponieren, da könne das Wort "auf dem wilden Tonmeere" das Steuer führen. So sei seine Musik noch "entsetzlicher", als er es selbst meine: nämlich in höchstem Maße schädlich für ihn selbst. Immerhin sei in dem "musikalischen Fieberprodukte" bei aller Verirrung ein distinguierter Geist zu spüren, und in gewissem Sinne sei er selbst, mit der Aufführung des Tristan, indirekt daran schuldig, "einen so hohen und erleuchteten Geist wie den Ihrigen, verehrter Herr Professor, in so bedauerliche Klavierkrämpfe gestürzt zu haben." Nietzsche besaß jedenfalls genügend Freimut, den Brief seinen Freunden mitzuteilen; die erste Reaktion auf den Verriß von Bülows steht in einem Brief an Freund Gustav Krug, der ebenfalls komponierte; über dessen und seine eigene Musik tauschte er sich in eben dieser Zeit brieflich mit ihm aus und schrieb unter dem 24.07.1872 an diesen aus Basel(16):

"... ich wenigstens habe wieder einmal für sechs Jahr das Musikmachen verschworen. ‚Der Ozean warf mich wieder einmal ans Land‘, im vorigen Winter, nämlich auf die Sandbank der Dir bekannten Kompositionen. Damit soll’s aber genug sein. Ich gerate, wie diese Kompositionen beweisen, in wahrhaft skandalöser Weise ins Phantastisch-Häßliche, ins Ungeziemend-Ausschweifende. Und ich erwartete von Deiner Seite, einigen Schimpf und Schmach davonzutragen. Solltest Du aber für Manfred eine wirkliche Art von Neigung haben, wie Dein Brief gütig genug war zu versichern, so warne ich Dich ganz ernsthaft, lieber Freund, vor dieser meiner schlechten Musik. Laß keinen falschen Tropfen in Deine Musikempfindung kommen, am wenigsten aus der barbarisierenden Sphäre meiner Musik. Ich bin ohne Illusionen – jetzt wenigstens. Verlange nur von mir nichts Kritisches – ich habe keinen guten Geschmack und bin, in meinen musikal. Kenntnissen, recht heruntergekommen, kann auch, wie Du gesehn hast, gar nicht mehr orthographisch schreiben.– Ich bin jetzt nur soviel Musiker, als zu meinem philosophischen Hausgebrauche eben nötig ist."

Und an Erwin Rohde schrieb er: "Der Brief Bülows ist für mich unschätzbar in seiner Ehrlichkeit, lies ihn, lache mich aus und glaube mir, daß ich vor mir selbst in einen solchen Schrecken geraten bin, um seitdem kein Klavier anrühren zu können."(17)

Aber er konnte es nicht lassen, und so hat er auch dem Kapellmeister Friedrich Hegar seine Manfred-Meditation noch 1874 zugeschickt. Zur Rücksendung schrieb ihm dieser:
"... ich hoffte immer, dieselbe persönlich zurückbringen und Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen zu können, wie sehr mich vieles interessierte, namentlich die Art und Weise, wie Sie der zu Grunde liegenden Stimmung musikalisch Ausdruck zu geben versuchen. Freilich fehlt dem ganzen, was die Gestaltung der musikalischen Ideen anbetrifft, die Erfüllung gewisser architektonischer Bedingungen so, daß mir die Komposition mehr den Eindruck einer stimmungsvollen Improvisation als eines durchdachten Kunstwerks macht."(18)
Daß die Art und Weise dieses musikalischen Ausdrucks Nietzsches aber auch noch anders gesehen werden kann, bringt Fischer-Dieskau in seinem Vortrag zum Ausdruck: "Nietzsches musikalische Begabung war jedoch ungeachtet solcher Meinung außerordentlich. Sie gehörte bestimmend zu seinem Wesen. So muß seine kunstpsychologische Analyse analog zu seinem Musiksinnen und zu seiner Freude an der Polyphonie gesehen werden. Sein Drang, in die Abgründe der Psyche zu leuchten, entspricht dem Willen eines Musikers, Seelenvorgänge ans Licht zu bringen, die einzig durch die Musik darstellbar erscheinen."

Naturally, Hans von Bülow did not remain unknown to Nietzsche, owing to his frequenting Wagner's house--and thus he sent him his "Geburt der Tragödie" (in 1872). After a visit to Basel--Wagner was already preparing for his departure to Bayreuth-- they saw each other again in Munich, where Hans von Bülow, on the orders of King Ludwig II and against Wagner's wishes, conducted Tristan und Isolde. Thanking him for "den erhabensten Kunsteindruck meines Lebens" (the most sublime impression of art in my life), Nietzsche took this opportunity to present to Hans von Bülow his Manfred Meditation for an evaluation. In a written address that was full of self-irony, he called his music "zweifelhaft" (doubtful), even "entsetzlich" (awful). However, this self-qualification did not prevent von Bülow from rendering an honest opinion. According to von Bülow, he was faced with "das Extremste von phantastischer Extravaganz" (the most extreme in phantastic extravagance), the "Unerquicklichste und Antimusikalischste" (the most unsatisfying and most anti-musical) in a long time. If the entire thing was a joke, he asked, a musical parody of the "music of the future"? Did he, Nietzsche, want to deliberately mock all rules of tonal harmony, of the higher syntax as well as of ordinary orthography? His musical fever product was, in musical terms, the equivalent to a crime in the moral world, with which the musical muse, Euterpe, was raped. If he would allow him to give him some good advice, just in case that he was actually serious with his "Abberation ins Componiergebiet" (abberation into the area of composition), then he should (stick to) composing vocal music, since, in it, the word can lead the way "auf dem wilden Tonmeere" (on the wild sea of tones). In this manner, his music was even more "entsetzlich" (awful) as he, himself, might mean it: namely, harmful to himself in the highest degree. Nevertheless, in this "musical fever product", with all its abberations, one could detect a distinguished mind, and, in a certain sense he, with his staging of the "Tristan", was indirectly guilty of "einen so hohen und erleuchteten Geist wie den Ihrigen, verehrter Herr Professor, in so bedauerliche Klavierkrämpfe gestürzt zu haben" (having thrown such an enlightened mind as yours, esteemed Herr Professor, into such regrettable piano cramps). In any event, Nietzsche was open enough to communicate the content of this letter to his friends. His first reaction to von Bülow's criticism is expressed in a letter to his friend Gustav Krug who also composed and with whom he exchanged ideas on the music of the latter and on his own music at that time and to whom he wrote from Basle on July 24, 1872:(16): "I for my part have, as far as music is concerned, sworn off musik-making for six years. I washed up on shore last winter, namely at the sand banks of the compositions that are known to you. With this, let it be enough. As my compositions show, I am really tending towards that fantastic-ugly, towards the unseemly meandering. And I expect from you to receive your scorn and wrath. Should you, however, feel any inclination towards 'Manfred', as you were so kind to express in your last letter, I warn you very seriously, dear friend, with respect to my bad music. Do not allow yourself to have one false drop of this stream into your musical taste, and not the least from the barbarizing sphere of my music. I am without illusions--at least for now. Do not ask anything critical from me--I do not have good taste and have, with respect to my musical skills and knowledge, deteriorated very much and can also, as you have seen, no longer spell properly. -- Now, I am only as much of a musician as is required for my philosophical work."
And to Erwin Rohde, he wrote: "Bülow's letter is invaluable to me in its honesty, read it, laugh about me and believe me that I have become so scared of myself that I cannot touch a piano ever since"(17).

However, he could not stay away from it entirely, and in 1874, he also sent his Manfred Meditation to Kapellmeister Friedrich Hegar (see Wagner Page/"Triumphlied"). The latter wrote in his reply,
"... I had always hoped to be able to personally return it and to tell you on that occasion how much of it found my interest, particularly the manner in which you try to musically express the basic mood. Of course, the whole is, as far as the execution of musical ideas is concerned, lacking some architectural prerequisites so that the composition makes more of an impression of an improvisation describing a certain mood to me than that of a thought-through composition.(18)
That NIetzsche's musicality can also be seen from another perspective, is espressed in Fischer-Dieskau's following remarks: "..that Nietzsche's musical talent was, regardless of such opinions, extraordinary and that it was a distinctive part of his character, and that his psychological analysis of art must be seen analogous to his musical insights and to his enjoyment of polyphony, and that his drive to shed light into the deepest recesses of the human psyche is the equivalent to the will of a musician to bring psychological processes to light in a way that only music can.")

[...]

"Schon C. A. Bernoulli hat nachdrücklich auf den lyrischen Grundzug im philosophischen Werk Nietzsches hingewiesen, noch ohne den kräftigsten Beweis, die lyrischen Kompositionen, zur Hand zu haben. Nach längerer Pause greift Nietzsche wieder die Großform der mehrteiligen Fantasie auf unter dem Obergedanken »Freundschaft«. Die Musik gerät ihm hier ebenso ins Pathetische wie seine Freundesbriefe, die Fantasien werden formlos, ja unförmig. Nietzsche scheitert in den »Freundschafts«-Kompositionen (Monodie, Manfred, Nachklang, Hymnus) genau so wie in den Freundschaften selber. ... In so verschiedene Phasen die Kompositionstätigkeit aufteilbar scheint, ein Grundzug hält alles, von den ersten Versuchen bis zum »Hymnus« zusammen: beinahe alle Kompositionen hat Nietzsche zu Geschenkzwecken oder Widmungen benutzt, die meisten sind sogar nur darum entstanden. Es sind ganz persönlich gerichtete Kundgebungen seiner Neigung und stehen darum in ihrem Wesen dem Brief näher als dem philosophischen Werk; sie haben einen durch die Art der Musik gegebenen gehobenen Aussagewert in einer durchaus persönlichen Weise. Obwohl sich Stileinflüsse verschiedener Komponisten aufzeigen lassen, wie Beethoven, Schumann, Chopin, Liszt, so eignet ihnen doch ein spezifischer Nietzschescher Zug der Melancholie. Auffallend ist das völlige Fehlen Wagnerscher Einwirkung. Die Dämonie und Gefühlsmächtigkeit Wagners blieb dem Musiker Nietzsche fremd, als Musiker war er nie »Wagnerianer«."(19)
Lassen Sie uns nochmals auf den eingangs gehörten Hymnus auf die Freundschaft zurückkomen, dessen erste Erwähnung im Schreiben an Rohde(20) vom 5. Mai 1873 zu finden ist:
Nun, so wollen wir denn unser Dasein weiterschleppen und den Vers meines Freundschaftshymnus singen, welcher anfängt "Freunde, Freunde! haltet fest zusammen!" Weiter habe ich das Gedicht doch noch nicht: doch der Hymnus selbst ist fertig. ... Ich dachte, es würden während des Briefschreibens einige Herren Studenten kommen, um zu meinem Collegio sich anzumelden. Denn es war meine Stunde; aber es ist keiner gekommen. Wehe! Wehe
!"

Es war dies die Zeit nach dem Wilamowitz-Angriff auf die Geburt der Tragödie, was dazu führte, daß Nietzsches Vorlesungen in Basel zunächst gemieden wurden – und so nimmt es nicht Wunder, daß Nietzsche das Freundschaftsideal hochhält. Ross(21) erläutert das weitere Schicksal des Hymnus: "Es ist Nietzsches letzte Komposition, als Geschenk für die Freunde und als ‚Bundeshymne‘ gedacht. Acht Jahre später, 1882, muß sie noch einmal herhalten: Lou Salomés Gedicht ‚Gebet an das Leben‘ – wiederum ein Hymnus, aber kein Bund mehr wird ihn gemeinsam singen oder spielen – wird mit Hilfe der Motive des Freundschaftsliedes vertont."
Nietzsche hatte sich verliebt – bekanntlich ist dies, wie wir spätestens seit Goethe wissen, den schöpferischen Kräften oft förderlich, und so ist Nietzsche Feuer und Flamme, ein Gedicht von Lou Salomé, deren "Lebensgebet", zu vertonen, in dem er zu diesem Zeitpunkt seine eigene Philosophie wiederzuerkennen meint. Um den 16. September 1882 schreibt er aus Leipzig an Lou(22): "Inzwischen hat der Prof. Riedel hier, der Präsident des deutschen Musik-Vereins, für meine ‚heroische Musik‘ (ich meine Ihr ‚Lebens-Gebet‘) Feuer gefangen – er will es durchaus haben, und es ist nicht unmöglich, daß er es für seinen herrlichen Chor (einen der ersten Deutschlands, ‚der Riedelsche Verein‘ genannt) zurecht macht. Das wäre so ein kleines Weglein, auf dem wir beide zusammen zur Nachwelt gelangten – andere Wege vorbehalten."(23)(24)

Already C.A. Bernoully had explicitly mentioned the basically lyrical tenor of Nietzsche's philosophical work, without being able to look at the strongest proof of this, namely at Nietzsche's lyrical compositions. After some time, so Janz, Nietzsche returned to the greater musical forms with his fantasy on "friendship", in which the music turns as much into pathos as his letters to his friends and that his fantasies are lacking in form, that they are form-less. Janz even goes as far as contending that Neitzsche failed in his "friendship" compositions (Monodie, Manfred, Nachklang, Hymn) as much as he failed in friendship, and raises the question as to whether Nietzsche tried, as in sacred music, to overcome his inability for real friendship via the detour of aesthetics. Even if, according to Janz, the compositional phases of Nietzsche are as varied as they are, they still contain one basic common denominator: Nietzsche had written all of these for the purpose of giving them away as presents or for dedicating them to someone and that they, as quite personal means of expression, are closer related to hsi letters than to his philosophical work and that they, due to music's heightened capacity of expression, have quite some personal significance. Even though there can be observed stylistic influences such as of Beethoven, Schumann, Chopin, Liszt, they all share a specific Nietzschean trait of melancholy and do not show any Wagnerian influence (with the excrption of the "Nachklang einer Sylvesternacht"). The demonic emotional power of Wagner remained alien to Nietzsche the musician; as a musician, he was never a "Wagnerian". (Quoted in Janz, see 19)
Let us come back to the Hymnus auf die Freundschaft that we heard in the beginning and that is mentioned for the first time in Nietzsche's letter to Rohde (20) of May 5, 1873:
Well, let us carry on with our existence and sing the verse from my hymn to friendship that begins with, "Freunde, Freude! hattet fest zusammen!--Friends, friends, stand by each other steadfastly!) The poem has not grown further, yet, but the hymn, itself, it completed...I thought that, while I was writing this letter, some students would come to enroll in my course, since this was the time for it, yet, woe, woe!
This was the time of Wilamowitz' attack on his Geburt der Tragödie, which led to the situation that, at first, Nietzsche's lectures in Basle were avoided--and thus it does not come as a surprise that Nietzsche holds on to the ideal of friendship steadfastly, himself. Ross(21) explains the further fate of the Hymnus: "It is Nietzsche's last composition, as a present to his friends and as a common hymn and mentions that eight years later, in 1882, it had to serve once again, in Lou Salome's poem 'Gebet an das Leben'--again as a hymn, but that it was not sung or played in any human union.
Nietzsche had fallen in love--and as we know ever since Goethe, this is often conducive to creativty,and thus Nietzsche was enthusiastic about addin his music to Lou Salomé's "Lebensgebet", in which he, at that time, believed to recognize his own philosophy. On September 16, 1882, he wrote to Lou from Leipzig (22): "In the meantime, here, Professor Riedel, President of the Deutsche Musik-Verein (German Music Association) has caught fire from my 'heroic music' (I am referring to your 'Lebens-Gebet')--he really wants to have it, and it is not impossible that he wants to arrange it for a wonderful choir (one of the first of Germany that will be called the "Riedelsche verein".
That would be a small way in which both of us will be preserved for posterity together--other ways notwithstanding.)(23)(24)

Lebensgebet Lou Salomé – Nietzsche (Fassung für Klavier und Alt, 1. Vers) Reimann/Fischer-Dieskau, original recording of a 1981 concert, kindly provided to the author by Dietrich Fischer-Dieskau.
Nachdem die Lou-Episode bald darauf unter schweren Verstimmungen zu Ende gegangen war, schickte er 1884 seinen Hymnus an Peter Gast mit den Worten: "...Diesmal kommt ‚Musik‘ zu Ihnen. Ich möchte gern ein Lied gemacht haben, welches auch öffentlich vorgetragen werden könnte, – ‚um die Menschen zu meiner Philosophie zu verführen‘."(25)
Und 1887 schreibt er an Gast aus Nizza(26), nachdem der Hymnus bei Fritzsch gedruckt worden war: "Die Partitur hat mir übrigens großes Vergnügen gemacht ... Im Grunde ist es die ‚eleganteste‘ Partitur, die ich bis jetzt gesehen habe; und daß Fritzsch wirklich die Stimmen dazu hat herstellen lassen ..., freut mich: es verrät seinen Glauben an die Aufführbarkeit des Hymnus. Oh alter lieber Freund, was haben Sie sich damit um mich ‚verdient gemacht‘! Diese kleine Zugehörigkeit zur Musik und beinahe zu den Musikern, für welche dieser Hymnus Zeugnis ablegt, ist in Hinsicht auf ein einstmaliges Verständnis jenes psychologischen Problems, das ich bin, ein unschätzbarer Punkt... Auch hat der Hymnus etwas von Leidenschaft und Ernst an sich und präzisiert wenigstens einen Hauptaffekt unter den Affekten, aus denen meine Philosophie gewachsen ist. Zuallerletzt: er ist etwas für Deutsche, ein Brückchen, auf dem vielleicht sogar diese schwerfällige Rasse dazu gelangen kann, sich für eine ihrer seltsamsten Mißgeburten zu interessieren.– "
Auch glaubt er, mit seinem Hymnus ein Beispiel für die von ihm geforderte "südliche Sinnlichkeit" einer künftigen "Zarathustra-Musik" geliefert zu haben, deren "Leichtigkeit" und Melodiefreudigkeit er betont und insbesondere in den Kompositionen seines Freundes Peter Gast findet. Sehr erhellend in Bezug auf die Wirkung des Hymnus ist ein Bericht des letzteren an Nietzsche (1887)(27), der zwei Italienern diesen ohne Kenntnisgabe des Textes vorspielte; Nietzsche wähnte darin ja eine "gegenromantische, überchristliche, mittelmeerisch ‚bösere‘ Musik" zu geben. Da rief der eine aus: "Magnifico! ... Questa è la vera musica ecclesiastica!" Gast "verbat sich jedoch dieses ‚ecclesiastica‘ und übersetzte ihnen den Text; da meinte der eine, das hätte er allerdings nicht gedacht – ihm hätte der Calvarienberg mit seinen sieben Leidensstationen vorgeschwebt!!" –
An Hans von Bülow wagt Nietzsche unter Bezugnahme auf dessen Manfred-Verriß am 22.10.1887 das Folgende zu schreiben(28): "Verehrtester Herr, es gab eine Zeit, wo Sie über ein Stück Musik von mir das allerberechtigste Todesurteil gefällt haben, das in rebus musicis et musicantibus möglich ist. Und nun wage ich es trotz alledem, Ihnen noch einmal etwas zu übersenden – einen Hymnus auf das Leben, von dem ich um so mehr wünsche, daß er leben bleibt. Er soll einmal, in irgendwelcher nahen oder fernen Zukunft, zu meinem Gedächtnisse gesungen werden, zum Gedächtnisse eines Philosophen, der keine Gegenwart gehabt hat und eigentlich nicht einmal hat haben wollen. Verdient er das?...
Zu alledem wäre es möglich, daß ich in den letzten zehn Jahren auch als Musiker etwas gelernt hätte.
Ihnen, verehrtester Herr, in alter unveränderlicher Gesinnung zugetan Dr. Fr. Nietzsche"

Und an Georg Brandes, der mit Universitätsvorlesungen gerade Nietzsches Philosophie in Skandinavien bekannt machte, schreibt er aus Turin(29) unter dem 04.05.1888: "Der ‚Hymnus auf das Leben‘ wird dieser Tage seine Reise nach Kopenhagen antreten. Wir Philosophen sind für nichts dankbarer, als wenn man uns mit den Künstlern verwechselt. Man versichert mich übrigens von seiten der ersten Sachverständigen, daß der Hymnus durchaus aufführbar, singbar, und in Hinsicht auf Wirkung sicher sei (– rein im Satz: dies Lob hat mir am meisten Freude gemacht). Der vortreffliche Hofkapellmeister Mottl von Karlsruhe (Sie wissen, der Dirigent der Bayreuther Festaufführungen) hat mir eine Aufführung in Aussicht gestellt.– "

Der folgende letzte Brief an von Bülow(30) bezog sich gleichzeitig auf den Wunsch Nietzsches, dieser möge für eine Popularisierung der Musik von P. Gast einsetzen – und dieser Brief von 09.10.1888 aus Turin ist nun wirklich schon sehr bedenklich: "Verehrter Herr! Sie haben auf meinen Brief nicht geantwortet. Sie sollen ein für allemal vor mir Ruhe haben, das verspreche ich Ihnen. Ich denke, Sie haben einen Begriff davon, daß der erste Geist des Zeitalters Ihnen einen Wunsch ausgedrückt hatte. Friedrich Nietzsche"

Es wäre hier noch manches Weitere anzubringen:

– Etwa das Verhältnis Nietzsches zu seinem "Maestro" Peter Gast (Heinrich Köselitz), der bei ihm einst als Student in Basel gehört hatte und selbst erfolglos komponierte, dessen Musik von Nietzsche – wohl nicht ganz uneigennützig – gelobt wurde, da ihm dieser insbesondere zur Reinschrift seiner Druckmanuskripte unersetzlich war. Allerdings setzte sich Nietzsche auch sehr für seinen Freund ein, um dessen Kompositionen zur Aufführung zu bringen.(31)

– Seine oft sehr subjektiven und polemischen Invektiven, insbesondere gegen den "süßlichen Sachsen" Schumann(32), obwohl er selbst ihm musikalisch ja sehr nahe stand – und noch im Jahre 1865 im Brief an seine Schwester dessen "Faustmusik" als "eine seiner liebsten Sachen" bezeichnet hatte.(33)

After the Lou episode had come to an end accompanied by painful misunderstandings, he sent his Hymnus Peter Gast in 1884, with the words, "This time, 'music' will reach you. I want to have a song made that could also be performed in public in order to seduce people to my philsophy.|" (25) And in 1887, he wrote to Gast from Nice, (26), after the Hymnus had been printed by Fritzsch, "I was very delighted with the score...basically, it is the most 'elegant' score that I have seen, so far, and the fact that Fritz had actually printed the voices to it...delights me: it reveals his belief that the hymn can be performed. Oh, dear old friend, how you have earned my gratitude for it! My now belonging, to a small extent, to music and almost to musicians of which this hymn bears witness is, with respect to a former understanding of the psychological problem that I am, an invaluable point. The hymn also shows a passion and seriousness in itself and at least specifies one main aspect among the affects out of which my new philosophy has grown. Finally: it is something for Germans, a little bridge across which perhaps even this stolid race can arrive at taking an interest in one of its most peculiar freaks."

He also believed to have rendered with his hymn an example of the "southern sensuality" of a furute "Zarathustra" music that he had demanded, the "lightness" and melodiousness of which he emphasised and particularly found in the compositions of his friend Peter Gast. Very enlightening with respect to the effect of the hymn is a report of the latter to Nietzsche (1887)(27), who played it to two Italiens without familiarizing them with the text; after all, in it, Nietzsche meant to have expressed a "gegenromantische, überchristliche, mittelmeerisch ‚bösere‘ Musik" (counter-romantic, post-Christian, mediterranean, more 'malicious' music). One of the Italians exclaimed: "Magnifico! ... Questa è la vera musica ecclesiastica!" (Magnificent! ... This is true sacred music!" Gast objected to this 'ecclesiastica' and translated the text for them; to this, the other Italian mean that he would not have thought of that--and that he had imagined Mount Calvary with its seven station of Christ's sufferings!!)
– On December 22, 1887, Nietzsche dared to write the following to Hans von Bülow, by referring to the latter's harsh criticism of his Manfred-Mediation (28): "Most esteemed Sir, there was a time at which you rendered the most justified verdict with respect to a piece of music of mine, which is possible in rebus musicis et musicantibus. And now, in spite of this, I dare to send you something, once more--a hymn to live of which I wish all the more that it will stay alive. It should, in some near or distant future, be sung in my memory, in memory of a philosopher who had no present and and actually did not want to have one. Does he deserve this?..
Moreover, it would be possible that I have learned something as a musician during the last ten years.
In unchanged devotion to you, esteemed Sir, Dr. Fr. Nietzsche."

And to Georg Brandes, who acquainted Scandianvians with Nietzsche's philosophy in his university lectures during that time he wrote from Turin (29) on May 4, 1888: "The hymn will commence its journey to Copenhagen one of these days. For nothing are we philosophers more grateful than when we are mistaken for artists. By the way, experts assure me that this hymn can actually be performed and that it is singable and certain to have an effect (--quite simply put: I was most delighted with this praise). The capable Court Kapellmeister Mottl of Karlsruhe (you know, the conductor of the Bayreuth Festival performances) has given me some hope that he will perform it..."

Nietzsche's following last letter to von Bülow(30) also expresses his wish that the latter should support the music of P. Gast--and this Octber 10, 1888 letter from Turin is really already very peculiar: "Esteemed Sir! You did not reply to my last letter. You shall be rid of me for once and for all, I promise you that. I think that you might have an idea that the first mind of this era had requested something from you. Friedrich Nietzsche."


Several other things could be mentioned:

– For example, Nietzsche's relationship to his "maestro" Peter Gast (Heinrich Köselitz), who had been his student once and who was an unsuccessful composer, himself, whose music Nietzsche--probably not quite unselfishly--praised, since Gast was indispensable to him as his aide in preparing his manuscripts for print. However, it should also be noted that Nietzsche really tried to help his friend in order to make his music known and to have it performed. (31)

– His often very subjective and polemic invectives, particularly against the "süßlichen Sachsen" (sweet Saxon) Schumann(32), although he was also inspired by him--and as late as in 1865 he wrote to his sister that he considered the latter's "Faustmusik" as "eine seiner liebsten Sachen" (one of his favorite pieces)..(33)

Anmerkungen/Notes

(1) Nachdenkenswert die Überlegung von Bertram: "Nietzsche [ist] ganz und gar der Enkel der lutherischen Reformation, welche ... dem deutschen Menschen die heitere Augenfreudigkeit seines Mittelalters geraubt hat und ihn dafür mit dem Heimweh des Ohres, dem unstillbaren und jenseitigen Durst nach Musik beschenkte." aus: Ernst Bertram, Nietzsche – Versuch einer Mythologie, Erstauflage 1918, 10. Auflage 1989, S. 51. Thomas Mann, der mit Bertram befreundet war, sagte noch 1948 (!) zu diesem Buch: "Es wird wieder aufgelegt werden, noch oft, und immer bewundert werden. Es erträgt das Licht jedes Tages ..." Er sollte Recht – jedenfalls bis heute – behalten...

(1) Notheworthy is this idea of Bertram, who expresses here that Nietzsche is entirely a product of the Lutheran Reformatnion that took away from Germans the joy of visual perception they had during the Middle Ages and that has given them, in turn, a longing of the ear, an insatiable yearning for music.) Thomas Mann who was befriended with Bertram said of this book, as late as 1948 (!): "Es wird wieder aufgelegt werden, noch oft, und immer bewundert werden. Es erträgt das Licht jedes Tages ..." (Mann expressed here that his book will be re-printed again and again and always be admired, and that it can face the light of the day.) Mann was not wrong in this--even to this day.


[...]

(16) Schlechta, FN Werke IV, S. 661

(17) Auch im Entwurf eines Antwortbriefes an von Bülow vom Oktober 1872 zeigt sich Nietzsche reuig:
"Dabei ist mir nun leider klar, daß das Ganze samt dieser Mischung von Pathos und Bosheit, einer wirklichen Stimmung absolut entsprach und daß ich an der Niederschrift ein Vergnügen empfand, wie bei nichts Früherem. Es steht demnach recht traurig um meine Musik und noch mehr um meine Stimmungen. Wie bezeichnet man einen Zustand, in dem Lust, Verachtung, Übermut, Erhabenheit durcheinandergeraten sind? – Hier und da verfalle ich in dies gefährliche mondüschtige Gebiet.– ... Von meiner Musik weiß ich nur eins, daß ich damit Herr über eine Stimmung werde, die, ungestillt, vielleicht schädlicher ist. ... Und gerade diese verzweifelte Kontrapunktik muß mein Gefühl in dem Grade verwirrt haben, daß ich absolut urteilslos geworden war. ... – ein höchst bedauerlicher Zustand, aus dem Sie mich jetzt gerettet haben. Haben Sie Dank!" (Schlechta, FN Werke IV, S. 667 f.)

Also in his draft of a reply to von Bülow of October 1872, Nietzsche shows remorse: "In this, I now unfortunately realize that the entire thing including its blend of pathos and maliciousness was absolutely reflecting a real mood and that I felt a kind of pleasure in writing it down that I never felt, before. Therefore, my music is in a sorry state, and my moods are in an even sorrier state. How does one describe a state in which lust,contempt, high spirits, and sublimity are blended?--Here and there, I am prone to venture into this dangerous, somnambulistic state-- ... Of my music I only know one thing, that I am able to master my moods with it that, if they were not controlled in this way, it might perhaps be more dangerous. ... And precisely these desperate efforts in counterpoint must have confused my feelings to such a degree that I have become absolutely un-capable of rational judgment with respect to them... --a highly regrettable state of affairs, from which you have now saved me. Receive my gratitude for this!" Schlechta, FN Werke IV, p. 667 f.

(18) Janz I, S. 580

(19) Janz I, S. 598 ff.

(20) Briefwechsel mit Rohde, S. 407 f.

(21) Ross, S. 219

(22) Schlechta, FN Werke IV, S. 781

(23) Friedrich Nietzsche – Paul Rée – Lou von Salomé, Die Dokumente ihrer Begegnung, Hg. E. Pfeiffer, Insel Verlag, Frankfurt/M. 1970, S. 231
Nietzsche war vom 7.-26. August 1882 zusammen mit Lou in Tautenburg, wo sie sich, wenn es die Gesundheit Nietzsches zuließ, fast täglich trafen und intensiv philosophische Themen diskutierten. Das Gedicht hatte Nietzsche von Lou beim Abschied erhalten, entstanden ist es aber bereits etwas früher bei der Ankunft in Zürich, nachdem Lou ihre russische Heimat verlassen hatte. Wie Nietzsche Lou mit Brief vom 1. September mitteilt, hat er das Gedicht in Naumburg sogleich komponiert, und zwar nur die ersten beiden Verse, wobei er das Versmaß, geringfügig veränderte ('feierlicher gemacht' dixit Lou), um es seinem Hymnus an die Freundschaft anzupassen. Hier der Text des Gebets an das Leben von Lou Salomé, das Nietzsche mit seinem Hymnus vertonte (links die Originalfassung Lous, daneben (in der Mitte) der von Nietzsche angepaßte Text, und rechts noch eine weitere Fassung von Lou Salomé (1885), in der sie im letzten Vers an ihren ursprünglichen Reimwörtern festhält. Auch ihre eigene zweite Zeile behält sie bei. Und sie hat recht: Nietzsches Alternative wirkt ziemlich platt und grob – „Wirf deinen Inhalt voll hinein“.(DW).

Friedrich Nietzsche – Paul Rée – Lou von Salomé, Die Dokumente ihrer Begegnung, Hg. E. Pfeiffer, Insel Verlag, Frankfurt/M. 1970, p. 231
From August 7 to 26, 1882, Nietzsche was at Tautenburg with Lou where they, as far as Nietzsche's health allowed it, met almost daily and intensively discussed philosophical topics. Nietzsche received the poem from Lou as a farewell present; however, it had been written earlier, at her arrival in Zurich, after Lou had left her Russian homeland. As Nietzsche wrote to Lou in his letter of September 1st, he had set immediately set the poem to music at Naumburg, and of it only the first two verses, whereby he slightly adapted the metre of the lines with 'female endings' (adding two syllables) in order to adapt it to his Hymnus an die Freundschaft. (to make ik sound more solemn, according to Lou Salome). Below you will find the text of the Gebet an das Leben by Lou Salomé, that Nietzsche set to music by using his Hymnus (to the left, the original version of Lou, next to Nietzsche's altered text), and yet another version by Lou Salomé (from 1885), in which she holds on, in the final verse, to her original rhyme words. She also retains her own second line. And she is right: Nietzsche’s alternative comes across as rather flat and crude—“Wirf deinen Inhalt voll hinein.” (DW).

:
Lou Andreas-Salome: Lebensgebet ca. 1881 Fr. Nietzsche Hymnus an das Leben (1882/1887) Henri Lou (ps.), Im Kampf um Gott 1885

Gewiß, so liebt ein Freund den Freund,
Wie ich Dich liebe, Rätselleben –
Ob ich in Dir gejauchzt, geweint,
Ob Du mir Glück, ob Schmerz gegeben.

Ich liebe Dich samt Deinem Harme;
Und wenn Du mich vernichten mußt,
Entreiße ich mich Deinem Arme,
Wie Freund reißt sich von Freundesbrust. 

Mit ganzer Kraft umfaß ich Dich!
Laß Deine Flammen mich entzünden,
Laß noch in Glut des Kampfes mich
Dein Rätsel tiefer nur ergründen.

Jahrtausende zu sein! zu denken!
Schließ mich in beide Arme ein:
Hast Du kein Glück mehr mir zu schenken –
Wohlan – noch hast Du Deine Pein.

Gewiß, so liebt ein Freund den Freund,
Wie ich dich liebe, rätselvolles Leben!
Ob ich in dir gejauchzt, geweint,
Ob Du mir Leid, ob du mir Lust gegeben.
Ich liebe dich mit deinem Glück und Harme;
Und wenn du mich vernichten mußt,
Entreiße ich [mich*] schmerzvoll mich deinem Arme,
Mein Freund sich reißt von Freundesbrust.

Mit ganzer Kraft umfaß ich dich –
 Laß deine Flammen meinen Geist entzünden,
Und in der Glut des Kampfes mich
Die Rätsellösung deines Wesens finden.
Jahrtausende zu denken und zu leben.
Wirf deinen Inhalt voll hinein!
Hast du kein Glück mehr übrig, mir zu geben,
Wohlan! Noch hast du – deine Pein...

Gewiß, so liebt ein Freund den Freund,
Wie ich Dich liebe, rätselvolles Leben!
Ob ich in dir gejauchzt, geweint,
Ob du mir Leid, ob du mir Lust gegeben!
Ich liebe Dich mit Deinem Glück und Harme;
Und wenn Du mich vernichten mußt,
Entreiße ich schmerzvoll mich deinem Arme,
Gleich wie ein Freund von Freundesbrust. 

Mit ganzer Kraft umfaß ich Dich!
Laß deine Flammen mich entzünden,
Laß noch in Glut des Kampfes mich
Die Rätsellosung  deines Wesens finden;
Jahrtausende zu leben um zu denken
Schließ mich in deine Arme ein, –
Hast du kein Glück mehr übrig mir zu schenken 
–  Wohlan, – noch hast du deine Pein.

 

1887 schließlich stellte Peter Gast für Nietzsche eine Fassung für Chor und Orchester her, in der alle Verse vertont wurden; diese Fassung schickte er später an von Bülow, ohne den Bearbeiter Gast zu erwähnen.

(24) Friedrich Nietzsche – Paul Rée – Lou von Salomé, Die Dokumente ihrer Begegnung, S. 233: "In der That, der Riedelsche Verein wird das ‚Lebensgebet‘ zur Aufführung bringen; Prof. Riedel ist äußerst davon eingenommen und arbeitete es eben für 4 stimmigen Chor um ... Über die Musik selbst schrieb Köselitz zuletzt noch: ‚ganz Manfred, groß, machtvoll, aber unheimlich‘. (das heißt: er mag sie nicht.)"

(25) zitiert nach Bertram, Nietzsche, S. 114

(26) Schlechta, FN Werke IV, S. 858

(27) zitiert nach Bertram, Nietzsche, S. 128

(28) Schlechta, FN Werke IV, S. 857

(29) Schlechta, FN Werke IV, S. 883

(30) Schlechta, FN Werke IV, S. 912

(31) Im Oktober 1882 aus Leipzig an Overbeck (Schlechta, F. N. Werke IV, Briefe S. 785 f.):
"Was Köselitz (oder vielmehr Herrn ‚Peter Gast‘) betrifft, so ist hier mein zweites Wunder dieses Jahres. Während Lou für den bisher fast verschwiegenen Teil meiner Philosophie vorbereitet ist wie kein anderer Mensch, ist Köselitz die tönende Rechtfertigung für meine ganze neue Praxis und Wiedergeburt – um einmal ganz egoistisch zu reden. Hier ist ein neuer Mozart – ich habe keine andere Empfindung mehr: Schönheit, Herzlichkeit, Heiterkeit, Fülle, Erfindungs-Überfluß und die Leichtigkeit der kotrapunktischen Meisterschaft – das fand ich noch nie so zusammen, ich mag bereits gar keine andere Musik mehr hören. Wie arm, künstlich und schauspielerisch klingt mir jetzt die ganze Wagnerei."

In October 1882 from Leipzig to Overbeck (Schlechta, F. N. Werke IV, Briefe p. 785 f.): "With respect to Köselitz (or rather, Herr Peter Gast), this is my second miracle of the year. While Lou is ready for that part of my philosphy that has not become public knowledge, yet, more than anyone else, Köselitz is the musical justification for my entire new practice and re-birth--to speak quite egotistically here for once: Here, there is a new Mozart--I have no other feelings, anymore: beauty, sincerity, serenity, richness, abundance of inventiveness and the lightness of the mastery of counterpoint--I never found this together to such a degree, I hardly want to listen to any other music, anymore. How poor, how artificially and contrived does the entire Wagner repertoire sound to me now."

(32) "Was aber Robert Schumann angeht, der es schwer nahm und von Anfang an auch schwergenommen worden ist – es ist der letzte, der eine Schule gegründet hat-: gilt es heute unter uns nicht als ein Glück, als ein Aufatmen, als eine Befreiung, daß gerade diese Schumannsche Romantik überwunden ist? Schumann, in die »Sächsische Schweiz« seiner Seele flüchtend, halb Wertherisch, halb Jean-Paulisch geartet, gewiß nicht Beethovenisch! gewiß nicht Byronisch! – seine Manfred-Musik ist ein Mißgriff und Mißverständnis bis zum Unrechte –, Schumann mit seinem Geschmack, der im Grunde ein kleiner Geschmack war (nämlich ein gefährlicher, unter Deutschen doppelt gefährlicher Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls), beständig beiseite gehend, sich scheu verziehend und zurückziehend, ein edler Zärtling, der in lauter anonymem Glück und Weh schwelgte, eine Art Mädchen und noli me tangere von Anbeginn: dieser Schumann war bereits nur noch ein deutsches Ereignis in der Musik, kein europäisches mehr, wie Beethoven es war, wie, in noch umfänglicherem Maße, Mozart es gewesen ist – mit ihm drohte der deutschen Musik ihre größte Gefahr, die Stimme für die Seele Europas zu verlieren und zu einer bloßen Vaterländerei herabzusinken." [Jenseits von Gut und Böse Nr. 245, Fr. Nietzsche, Werke II, Hg. Ivo Frenzel, Hanser Verlag München, S. 134.]

"With respect to Schumann, however, who took everything seriously and who was, from the beginning, also taken seriously--he was the last who had founded a 'school': is it, nowadays, not considered a great fortune, a sigh of relief, a liberation, that this very Schumann romanticism has been overcome? Schumann, fleeing into the 'Swiss Saxony' of his soul, half Werther-like, half like Jean Paul, certainly not like Beethoven! certainly not like Byron!--his 'Manfred' music is a mistake and a misunderstanding to the point of injustice--Schumann with his taste, basically a small-minded taste war (namely a dangerous, among Germans doubly dangerous inclination towards silent lyricism and drunkenness of feeling) always hiding away, retreating out of shyness, a noble tenderfoot who wallowed entirely in anonymous bliss and pain, a kind of girl and 'touch-me-not' from the beginning: this Schumann was only a German event in music, not a European event such as Beethoven was or, to an even higher degree, Mozart--in him, German music faced its greatest danger of losing the voice of the soul of Europe and to decline into a merely national music." [Jenseits von Gut und Böse Nr. 245, Fr. Nietzsche, Werke II, Hg. Ivo Frenzel, Hanser Verlag München, p. 134.]


(33) Schlechta, F. N. Werke IV, Briefe S. 547